TE Vwgh Beschluss 2020/9/23 Fr 2020/14/0035

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Veröffentlicht am 23.09.2020
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
12/05 Sonstige internationale Angelegenheiten
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §35
AVG
COVID-19-VwBG 2020 §2 Abs1
COVID-19-VwBG 2020 §2 Abs1 Z2
COVID-19-VwBG 2020 §6 Abs1
EGVG Art1 Abs2 Z1
FrPolG 2005 §26
KonsG 2019
KonsG 2019 §10
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §34 Abs1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Mag. Schindler sowie den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Fristsetzungssache des A B, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen das Bundesverwaltungsgericht wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Angelegenheit betreffend Visum nach § 26 FPG iVm § 35 AsylG 2005, den Beschluss gefasst:

Spruch

Der Fristsetzungsantrag wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Antragsteller brachte am 15. Juli 2020 beim Bundesverwaltungsgericht im Weg des elektronischen Rechtsverkehrs einen Fristsetzungsantrag ein. Er brachte vor, seine Beschwerde gegen einen näher bezeichneten (im zweiten Rechtsgang ergangenen) Bescheid der Österreichischen Botschaft Abuja sei - nach Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung durch die Behörde und nach Einbringung eines Vorlageantrages - dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt worden, wo sie am 20. November 2019 eingelangt sei. Die dem Verwaltungsgericht für die Entscheidung nach § 34 Abs. 1 VwGVG zur Verfügung stehende Frist von sechs Monaten sei am 20. Mai 2020 abgelaufen. Zwar habe sich die Frist gemäß § 2 Abs. 1 Z 2 Verwaltungsrechtliches COVID-19-Begleitgesetz (COVID-19-VwBG) um sechs Wochen verlängert. Aber selbst unter Berücksichtigung dieser Anordnung sei die Entscheidungsfrist bereits - nämlich „spätestens am“ 1. Juli 2020 - verstrichen, ohne dass das Verwaltungsgericht über die Beschwerde entschieden hätte. Der Verwaltungsgerichtshof möge daher dem Bundesverwaltungsgericht auftragen, innerhalb einer von ihm zu bestimmenden angemessenen Frist die bislang versäumte Entscheidung über die Beschwerde nachzuholen, sowie dem Antragsteller Aufwandersatz zuerkennen.

2        Das Bundesverwaltungsgericht legte dem Verwaltungsgerichtshof diesen Antrag gemeinsam mit einer Abschrift des Erkenntnisses vom 31. Juli 2020, W205 2210217-2/5E, womit über die Beschwerde des Antragstellers entschieden wurde, samt einen Nachweis der Zustellung dieses Erkenntnisses an den Antragsteller vor.

3        Der Fristsetzungsantrag erweist sich als unzulässig.

4        § 34 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) legt fest:

„Entscheidungspflicht

§ 34. (1) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ist das Verwaltungsgericht verpflichtet, über verfahrenseinleitende Anträge von Parteien und Beschwerden ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen zu entscheiden. Im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG beginnt die Entscheidungsfrist mit der Vorlage der Beschwerde und in den Fällen des § 28 Abs. 7 mit Ablauf der vom Verwaltungsgericht gesetzten Frist. Soweit sich in verbundenen Verfahren (§ 39 Abs. 2a AVG) aus den anzuwendenden Rechtsvorschriften unterschiedliche Entscheidungsfristen ergeben, ist die zuletzt ablaufende maßgeblich.

(2) ...

...“

5        § 2 und § 6 COVID-19-VwBG lauten (auszugsweise und samt Überschrift):

„Sonderregelungen für bestimmte Fristen

§ 2. (1) Die Zeit vom 22. März 2020 bis zum Ablauf des 30. April 2020 wird nicht eingerechnet:

1.   ...

2.   in Entscheidungsfristen mit Ausnahme von verfassungsgesetzlich festgelegten Höchstfristen und

3.   ...

Im Anwendungsbereich der Z 2 verlängert sich die jeweilige Entscheidungsfrist um sechs Wochen, wenn sie jedoch weniger als sechs Wochen beträgt, nur im Ausmaß der Entscheidungsfrist selbst.

(2) ...

...

Verfahren der Verwaltungsgerichte sowie Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes

§ 6. (1) (Verfassungsbestimmung) Auf das Verfahren der Verwaltungsgerichte sind die §§ 1 bis 5 dann sinngemäß anzuwenden, wenn auf das jeweilige Verfahren zumindest auch das AVG anzuwenden ist. Im Fall des § 4 Abs. 2 hat der Verwaltungsgerichtshof ein anderes sachlich zuständiges Verwaltungsgericht, in Ermangelung eines solchen ein anderes Verwaltungsgericht zu bestimmen.

(2) ...“

6        § 38 VwGG sieht vor (auszugweise und samt Überschrift):

„Fristsetzungsantrag

§ 38. (1) Ein Fristsetzungsantrag kann erst gestellt werden, wenn das Verwaltungsgericht die Rechtssache nicht binnen sechs Monaten, wenn aber durch Bundes- oder Landesgesetz eine kürzere oder längere Frist bestimmt ist, nicht binnen dieser entschieden hat.

(2) ...

...

(4) Auf Fristsetzungsanträge sind die §§ 33 Abs. 1 und 34 Abs. 1, 2 und 3 sinngemäß anzuwenden. In allen sonstigen Fällen ist dem Verwaltungsgericht aufzutragen, innerhalb einer Frist von bis zu drei Monaten das Erkenntnis oder den Beschluss zu erlassen und eine Ausfertigung, Abschrift oder Kopie desselben dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliegt. Die Frist kann einmal verlängert werden, wenn das Verwaltungsgericht das Vorliegen von in der Sache gelegenen Gründen nachzuweisen vermag, die eine fristgerechte Erlassung des Erkenntnisses oder Beschlusses unmöglich machen. Wird das Erkenntnis oder der Beschluss erlassen, so ist das Verfahren über den Fristsetzungsantrag einzustellen.“

7        Vorweg ist festzuhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht im gegenständlichen Beschwerdeverfahren gemäß § 17 VwGVG im Sinn des § 6 Abs. 1 COVID-19-VwBG (zumindest) auch das AVG anzuwenden hatte (zur seit 1. Jänner 2014 geltenden Rechtslage des EGVG und der damit vorgesehenen Anwendbarkeit des AVG auf das behördliche Verfahren der österreichischen Vertretungsbehörden vgl. VwGH 3.5.2018, Ra 2017/19/0609 bis 0611; daran hat auch das mittlerweile erlassene Konsulargesetz - KonsG, BGBl. I Nr. 40/2019, nichts geändert, vgl. insbesondere dessen § 10, der ebenfalls als Grundsatz festlegt, dass im behördlichen Verfahren der Vertretungsbehörden bei der Wahrnehmung konsularischer Aufgaben das AVG - mit den im KonsG vorgesehenen Ausnahmen - zur Anwendung kommt).

8        Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte im Rahmen der Vorlage des Fristsetzungsantrages, dass die hier in Rede stehende Beschwerde bei ihm am 20. November 2019 eingelangt ist. Ausgehend davon trifft zunächst die Annahme des Antragstellers zu, dass die dem Verwaltungsgericht zur Verfügung stehende Entscheidungsfrist grundsätzlich nach § 34 Abs. 1 VwGVG am 20. Mai 2020 geendet hätte.

9        Gemäß § 2 Abs. 1 Z 2 COVID-19-VwBG ist allerdings die Zeit vom 22. März 2020 bis zum Ablauf des 30. April 2020 in die Entscheidungsfrist nicht einzurechnen. Zudem verlängerte sich die Entscheidungsfrist, die hier nicht weniger als sechs Wochen betragen hat, nach § 2 Abs. 1 letzter Satz COVID-19-VwBG um (weitere) sechs Wochen.

10       Diese erst mit BGBl. I Nr. 24/2020 geschaffene (und gemäß § 9 Abs. 3 COVID-19-VwBG rückwirkend mit 22. März 2020 in Kraft gesetzte) Regelung - zuvor war im COVID-19-VwBG eine Unterbrechung der Entscheidungsfrist vorgesehen - begründete der Gesetzgeber wie folgt (IA 403/A BlgNR 27. GP, 26):

„Bei Entscheidungsfristen würde eine Fristenunterbrechung dazu führen, dass das Ausmaß der der Behörde für ihre Entscheidung insgesamt zur Verfügung stehenden Frist von bloßen Zufälligkeiten abhinge, nämlich davon, wann innerhalb der Entscheidungsfrist das die Frist unterbrechende Ereignis eintritt: Je später dies ist, desto mehr Zeit stünde der Behörde für ihre Entscheidung insgesamt zur Verfügung. Anstatt der nach geltender Rechtslage vorgesehenen Unterbrechung der Entscheidungsfristen soll daher nach dem vorgeschlagenen § 2 Abs. 1 Z 2 eine Hemmung dieser Fristen eintreten, und zwar in dem Sinn, dass Zeiten der Corona-Krise in die Frist nicht eingerechnet werden. Als Ausgleich dafür, dass die Corona-Krise eine rasche und einfache Erledigung der Sache durch die Behörde erschwert, soll sich die Entscheidungsfrist zusätzlich in bestimmtem Ausmaß verlängern. Die Verpflichtung der Behörde gem. § 73 Abs. 1 AVG, ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden, bleibt davon unberührt.“

11       Sowohl aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 COVID-19-VwBG als auch den soeben wiedergegebenen Erläuterungen ergibt sich somit zweifellos, dass sich die für Behörden und Verwaltungsgerichte (soweit § 2 COVID-19-VwBG gemäß dessen § 6 Abs. 1 auf deren Verfahren anzuwenden ist) bestehenden Entscheidungsfristen - weil deren Einhaltung seitens dieser Institutionen wegen der zur Bekämpfung der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus gesetzten Maßnahmen, die zu deutlichen Einschränkungen auch im Dienstbetrieb von Behörden und Gerichten geführt haben, nicht gewährleistet werden konnte - sowohl um jene Zeit, die gemäß § 2 Abs. 1 Z 2 COVID-19-VwBG in die Entscheidungsfrist nicht eingerechnet werden soll, als auch „[a]ls Ausgleich dafür, dass die Corona-Krise eine rasche und einfache Erledigung der Sache durch die Behörde erschwert, [...] zusätzlich in bestimmtem Ausmaß“ (so ausdrücklich die Erläuterungen) - dieses Ausmaß wurde letztlich in § 2 Abs. 1 letzter Satz COVID-19-VwBG mit sechs Wochen (oder falls an sich die Entscheidungsfrist weniger als sechs Wochen beträgt, mit jener Zeit, die der kürzeren Entscheidungsfrist entspricht) festgelegt - verlängern (vgl. in diesem Sinn auch Greifeneder, Auswirkungen des 2., 4. und 12. COVID-19-Gesetzes auf das verwaltungsbehördliche und verwaltungsgerichtliche Verfahren, in Resch [Hrsg.], Das Corona-Handbuch, S. 386 [Rn. 14]).

12       Der vom Antragsteller - erkennbar - vertretenen Auffassung, in seinem Fall komme nur der letzte Satz des § 2 Abs. 1 COVID-19-VwBG zur Anwendung, nicht aber - offenkundig darauf abstellend, dass das ursprüngliche Fristende (erst) am 20. Mai 2020 (also nach dem 30. April 2020) gelegen sei - eine Einrechnung der Zeit von 22. März 2020 bis 30. April 2020 nach § 2 Abs. 1 Z 2 COVID-19-VwBG, kann daher nicht gefolgt werden.

13       Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, in dem die Entscheidungsfrist an sich gemäß § 34 Abs. 1 VwGVG am 20. Mai 2020 abgelaufen wäre, dass sich diese Frist infolgedessen, dass die (gesamte) Zeit von 22. März 2020 bis (einschließlich) 30. April 2020 (§ 2 Abs. 1 Z 2 COVID-19-VwBG) in die Entscheidungsfrist nicht einzurechnen war, zunächst um diese 40 Tage (sohin bis zum 29. Juni 2020, einem Montag) und sodann um weitere sechs Wochen (§ 2 Abs. 1 letzter Satz COVID-19-VwBG) verlängerte. Der dem Bundesverwaltungsgericht für seine Entscheidung zur Verfügung stehende letzte Tag war daher der Montag, der 10. August 2020.

14       Sohin war im Zeitpunkt der Einbringung des Fristsetzungsantrages am 15. Juli 2020 die dem Bundesverwaltungsgericht zur Verfügung stehende Entscheidungsfrist noch nicht abgelaufen. Damit erweist sich der Fristsetzungsantrag aber als mit dem Mangel der Berechtigung zu seiner Einbringung belastet, weshalb er gemäß § 38 Abs. 4 erster Satz iVm § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren - in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat - in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen war.

Wien, am 23. September 2020

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:FR2020140035.F00

Im RIS seit

23.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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