TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/23 L526 2137446-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.01.2020
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Entscheidungsdatum

23.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §20
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

L526 2137451-1/24E

L526 2137447-1/24E

L526 2137450-1/21E

L526 2137446-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Petra Martina Schrey, LL.M. über die Beschwerde der BF1 XXXX , geb. XXXX , der BF2 XXXX , geb. XXXX , der BF3 XXXX , geb. XXXX , des BF4 XXXX , geb. XXXX , dieser vertreten durch die Mutter, BF1 XXXX , alle Staatsangehörigkeit Irak, alle vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, 1170 Wien, Wattgasse 48, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.09.2016, Zl. 1) XXXX , 2) XXXX , 3) XXXX , 4) XXXX nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 26.11.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz "BF" oder gemäß der Reihenfolge ihrer Nennung im Spruch "BF1" bis "BF4" genannt) stellten im Gefolge ihrer schlepperunterstützten unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 21.05.2015 (BF1 und BF4) sowie am 30.10.2015 (BF2 und BF3) vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Salzburg bzw. Steiermark gaben die BF an, die im Spruch genannten Namen zu führen und Staatsangehöriger des Irak zu sein. Sie seien Angehörige der arabischen Volksgruppe und Moslems der sunnitischen Glaubensrichtung. BF1, die Mutter der übrigen BF, sei geschieden. Die übrigen BF seien ledig.

BF1 brachte vor, sie hätte in XXXX , XXXX , gewohnt und sei von dort ausgereist. BF2 und BF3 brachten vor, sie hätten in Bagdad, XXXX gewohnt und seien von dort ausgereist.

Im Hinblick auf ihren Reiseweg brachte BF1 vor, sie seien selbst bis nach Istanbul und von dort mit einem Schlepper weitergereist.

Zu den Gründen für die Ausreise befragt, führte BF1 anlässlich der Befragung am 21.5.2015 aus, dass es im Irak keine Sicherheit mehr gebe. Sie habe drei Kinder und immer Angst gehabt, dass die Töchter durch den Islamischen Staat (IS) entführt und vergewaltigt würden. Deshalb habe sie das Land verlassen und sonst habe sie keinen Grund.

BF2 und BF3 gaben anlässlich ihrer Antragstellung am 30.10.2015 an, dass sie sich ein Jahr in der Türkei aufgehalten hätten und zwei Wochen vor der Antragstellung weitergereist wären. Mit einem Schlauchbot seien sie auf eine unbekannte griechische Insel gefahren und von dort über Athen und verschiedene europäische Länder wie Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien nach Österreich gelangt.

Als Grund für ihre Ausreise gaben BF2 und BF3 im Wesentlichen gleichlautend an, dass IS-Kämpfer nach XXXX gekommen und sie deshalb nach Bagdad verzogen seien. Auch in Bagdad hätten sie keine Ruhe gehabt, da sie Sunniten seien und in Bagdad die schiitischen Milizen die Macht hätten. Die würden alles Mögliche mit ihnen machen und dadurch hätten sie kein sicheres Leben.

2. Nach Zulassung des Verfahrens wurden die BF am 18.8.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, der nunmehr belangten Behörde (im Weiteren auch kurz "bB" genannt) im Beisein eines geeigneten Dolmetschers in arabischer Sprache niederschriftlich einvernommen.

BF1 gab zu den Gründen für die Ausreise zunächst an, ihre Kinder hätten die gleichen Ausreisegründe wie sie und führte zusammengefasst Folgendes aus: Zuletzt habe sie in Bagdad, XXXX , gelebt. Sie habe in einem Britischen Unternehmen namens XXXX und in der amerikanischen Botschaft gearbeitet. In der Botschaft habe sie im Jahr 2009 gearbeitet. Von 2009 bis 2013 habe sie in Bagdad gelebt und ab 2013 in XXXX . In XXXX habe sie in einer Reinigung gearbeitet. Ausgereist sei sie am 20.8.2014. Sie sei deshalb von der Türkei aus nur mit ihrem Sohn weitergereist und habe die damals noch minderjährigen Töchter dort allein zurückgelassen, da sie nicht genug Geld gehabt hätte, dass alle nach Österreich hätten reisen können.

Befragt, weshalb genau sie den Irak verlassen hätten, gab BF1 an, sie habe mit dem amerikanischen Militär gearbeitet. Sie sei in einem Camp der ersten Marine-Einheit in Bagdad als Abwäscherin und Reinigungskraft tätig gewesen. Gesh el Mahdi habe alle Personen, die für die Amerikaner gearbeitet hätten, bis auf drei getötet. Sie sei eine davon gewesen. Das sei im Jahr 2004 gewesen. Danach habe sie bei verschiedenen britischen und amerikanischen Unternehmen gearbeitet. Sie habe immer Schwierigkeiten mit den Milizen gehabt, da sie als Muslimin mit einem Christen verheiratet gewesen sei. Zuletzt habe sie eine Drohung von Assaib Ahl Al Haqq bekommen. Als sie zu ihrer Adresse in Bagdad ging, sei sie von den Milizen zwei Mal kontrolliert worden. Das sei im Jahr 2014 gewesen. Da es üblich gewesen sei, dass Milizen Frauen vergewaltigen oder töten, habe sie Angst um ihre Töchter gehabt. Sie sei dann zu ihrer Freundin XXXX nach XXXX gegangen. Sie sei zurück nach Hause gegangen, um ihre Unterlagen zu holen, als sie einen Drohbrief gesehen habe. Diesen hätte sie genommen und sei damit zurück zu ihrer Freundin gegangen. Sie hätte dann Geld beschafft und den Irak verlassen. XXXX habe sie wegen des Einmarsches des IS verlassen müssen. Der IS sei am 10.6.2014 einmarschiert und am 12.6.2014 seien sie ausgereist. Konkret seien sie vom IS nicht bedroht worden und sie seien auch nicht persönlich mit diesem in Kontakt gekommen.

Derjenige, der für Fremde gearbeitet habe, sei ein Verräter. Ihre Namen und die Fotos seien bei der Assaib Ahl Al Haqq registriert und sie fürchte daher Vergewaltigung und Tod.

Anzeige habe sie keine erstattet, da jeder, der eine Anzeige mache, sein Leben verlieren würde. Die Milizen hätten die Polizei unterwandert und Polizisten gehörten auch zu den Milizen.

BF2 gab zu ihren Ausreisegründen an, sie habe die gleichen wie ihre Mutter. Sie hätten Angst, dass die Mutter sie mit zu den Milizen nimmt.

BF3 gab an, dass sie auch ihre eigenen Gründe habe. Die Lage im Irak sei unsicher und sie möchte hier Medizin studieren. Nachgefragt, ob der Grund für die Einreise jener sei, dass sie hier studieren möchte und sonst keinen habe, gab BF3 an, dass das stimme und fügte an, dass sie in den Irak aufgrund der allgemeinen Lage nicht zurückkehren könne.

Zu ihren Aufenthaltsorten im Irak gab BF2 vor der Behörde an, sie hätten von 2005 bis 2006 in XXXX gelebt und seien 2006 nach Bagdad gegangen, wo sie die Mittelschule fertiggemacht hätte (AS 35). In Bagdad hätten sie in XXXX gelebt. Nur mit der Mutter und den Geschwistern hätte sie dort gelebt (AS 34).

BF3 gab zu ihren Aufenthaltsorten im Irak an, sie habe von 2002 bis 2012 in XXXX die Grundschule gemacht (AS 34) und XXXX dann im Jahr 2014 verlassen (AS 37). Zuletzt hätte sie mit der Familie bis zur Ausreise in Bagdad, XXXX , gelebt (AS 37). Dort hätte sie mit niemanden sonst gelebt. Später in der Befragung gab BF3 an, sie hätten bei Frau XXXX die ganze Zeit bis zur Ausreise in die Türkei gelebt (AS 38).

3. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.9.2016 wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 betrage die Frist für die freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III.).

4. Mit Verfahrensanordnung vom 21.09.2016 wurde den BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht beigegeben.

5. Gegen die den BF am 22.09.2016 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zugestellten Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In dieser wird inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und beantragt, den angefochtenen Bescheid abzuändern und dem Antrag auf internationalen Schutz Folge zu geben und dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen oder hilfsweise des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen oder einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen und die Rückkehrentscheidung aufzuheben. Zudem wurde eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht begehrt. In der Sache bringen die BF im Wesentlichen vor, das Ermittlungsverfahren sei unzureichend geblieben, da die bB ihrer Entscheidung unvollständige Länderberichte zu Grunde gelegt habe. Diese beinhalteten keine Aussagen zum konkreten Fluchtvorbringen. Als Sunniten seien die BF einer zweifachen Verfolgungsgefahr ausgesetzt, nämlich nicht nur durch den IS, sondern auch durch schiitische Milizen. Die weiblichen BF seien hierbei besonders vulnerabel.

Die Beweiswürdigung der belangten Behörde erweise sich außerdem als mangelhaft, wobei den beweiswürdigenden Argumenten der bB im angefochtenen Bescheid im Detail entgegengetreten wird. Die BF hätten ihr Vorbringen detailliert und lebensnah geschildert, weshalb die Behörde hätte zum Schluss kommen müssen, dass die geschilderte Verfolgungsgefahr objektiv nachvollziehbar sei.

Am selben Tag langte eine weitere Beschwerde des gewillkürten Vertreters der BF ein, in welcher zunächst die Geschehnisse vor der Ausreise geschildert und die Umstände für die Verfolgung der BF - nämlich die berufliche Tätigkeit der BF1, ihre Verehelichung mit einem Christen und die Tatsache, dass es sich bei ihr um eine irakische Frau handle - dargelegt wurden. Ferner wird im Detail auf die von der bB aufgezeigten Widersprüche eingegangen und ein Bericht des UNHCR über innerstaatliche Fluchtalternativen für Sunniten aus IS kontrollierten Gebieten in Bagdad angeschlossen.

6. Die Beschwerdevorlage langte am 17.10.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

7. Am 9.12.2016 langte ein Schreiben des gewillkürten Vertreters der BF ein, wonach im Zuge seines Bemühens, die Fluchtgründe genauer zu erfassen, BF1 erstmals erzählt habe, dass sie am 13.7.2016 vermutlich von Mitgliedern der Miliz Assaib Ahl al Haq vergewaltigt worden sei. Dies habe sie nicht früher - auch ihren Töchtern nicht - erzählen können, da sie bisher der Überzeugung gewesen sei, dass dies für eine muslimische Frau schlecht sei.

8. Mit Schreiben vom 2.10.2017 wurden Integrationsunterlagen vorgelegt und mitgeteilt, dass BF1 unter psychischen Verstimmungen leidet. Beigefügt wurde ein Arztbrief, aus welchem hervorgeht, dass in Bezug auf BF1 "St.p. Violatio 13.7.2014, PTSD" leide. Es wurde auch eine Medikamentenliste beigefügt.

9. Am 23.11.2018 wurde die Rechtssache aufgrund einer Abnahme wegen einer Änderung der Geschäftsverteilung und einer darauf folgenden Unzuständigkeitseinrede der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

10. Am 15.5.2019 wurden dem Bundesverwaltungsgericht Unterlagen über eine Beschäftigung der BF3 übermittelt.

11. Am 26.11.2019 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein der BF, ihrer rechtsfreundlichen Vertretung und einer Dolmetscherin für die arabische Sprache durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde den BF einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich ihre Ausreisemotivation umfassend darzulegen und eine Stellungnahme zur aktuellen Lageentwicklung im Irak anhand der den BF im Vorfeld übermittelnden Länderdokumentationsunterlagen, die in der mündlichen Verhandlung erörtert wurden, abzugeben. In diesem Zusammenhang brachte der Rechtsvertreter der BF vor, dass die Lage im Irak sehr angespannt sei und es für alleinstehende Frauen gefährlich sei, da es zu sexuellen Übergriffen, Vergewaltigungen und Entführungen komme. Auch die Problematik der Mischehe sei zu beachten. Eine Rückkehr in den Irak ohne männlichen Begleiter und ohne familiäre Anbindung würde dazu führen, dass die Familie in eine existenzbedrohende Lage geraten würde. Insbesondere BF1 und BF2 führten in Österreich ein selbstbestimmtes Leben, das sie so im Irak nicht führen könnten.

Den BF wurde in dieser Verhandlung die Möglichkeit gegeben, weitere Unterlagen zu ihrer Integration vorzulegen und eine Stellungnahme zu weiteren in der Verhandlung übergebenen und dort erörterten Anfragebeantwortungen, Berichten und Zeitungsartikeln abzugeben.

11. Am 3.12.2019 langten beim Bundesverwaltungsgericht Unterlagen zu den Beschäftigungsverhältnissen der BF2 und BF3 ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF führen die im Spruch ersichtlichen Namen, sind Staatsangehöriger des Irak und Angehörige der arabischen Volksgruppe. Sie sind Moslems und bekennen sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. BF1 ist geschieden. BF 3 bis BF4 sind ledig.

BF2 bis BF4 sind gesund. BF1 leidet an Osteoporose. Es wurden Schienen, eine Physiotherapie und eine antiresorbtive Therapie mit einem Bisphosphonat sowie Medikamente (DICLOBENE Gel, ARCA Dragees) verordnet. Einmal im Jahr bekommt sie eine Spritze ins Knie gegen Schmerzen. Im Jahr 2017 stand BF1 in Behandlung bei einer Fachärztin für Psychiatrie. Eine schwere Erkrankung, die einer Rückkehr der BF1 in den Irak entgegenstehen würde, konnte im Verfahren nicht festgestellt werden.

Alle BF sind im Irak geboren und aufgewachsen.

BF1 ist in XXXX geboren und hat neun Jahre lang die Grundschule besucht. Sie hat als Köchin und Reinigungskraft gearbeitet. Für welche Unternehmen sie genau gearbeitet hat, konnte nicht festgestellt werden.

BF2 und BF3 sind in Bagdad geboren. Sie haben zumindest jeweils sechs Jahre lang die Grundschule im Irak besuchten.

Die BF lebten zuletzt in Bagdad. Ob sie auch in XXXX oder an anderen Orten gelebt haben, konnte nicht festgestellt werden.

Die BF verfügen noch über familiäre Anknüpfungspunkte im Irak und dort auch in Bagdad.

Im August 2014 verließen die BF den Irak legal von Bagdad ausgehend im Luftweg in die Türkei. BF1 und BF4 reisten im April 2015 zusammen auf dem Seeweg nach Griechenland und dann weiter nach Österreich, um hier am 21.5.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen.

BF3 und BF4 reisten nach einem etwa einjährigen Aufenthalt in der Türkei ebenfalls auf dem Seeweg nach Griechenland und weiter nach Österreich und stellten am 28.10.2015 ihre Anträge auf internationalen Schutz.

1.2. Die BF gehören keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an. Sie hatten vor ihrer Ausreise keine Schwierigkeiten mit Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften ihres Herkunftsstaates zu gewärtigen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF vor ihrer Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt in ihrem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt waren oder sie im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wären.

Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass BF1 einer individuellen Bedrohung aufgrund ihrer früheren Berufstätigkeit unterliegt.

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass BF1 vor ihrer Ausreise von Mitgliedern der Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq aus konfessionellen Gründen oder aufgrund ihrer früheren Ehe mit einem Christen vergewaltigt wurde. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass BF2 und BF3 von einer Vergewaltigung oder BF2 bis BF4 wegen ihrer Abstammung aus einer gemischt-konfessionellen Ehe durch die Milizen bedroht waren.

Die BF sind im Fall einer Rückkehr nicht einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt aufgrund ihrer früheren beruflichen Tätigkeit, ihres Bekenntnisses zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam oder aufgrund der früheren Ehe der BF1 mit einem Christen bzw. der der Abstammung der BF2 bis BF4 aus einer gemischt konfessionellen Ehe ausgesetzt.

BF1 bis BF3 sind im Fall einer Rückkehr nach Bagdad auch nicht einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt aufgrund ihres weiblichen Geschlechts oder ihres Lebensstils ausgesetzt.

Im Fall einer Rückkehr ist BF4 auch nicht einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuellen Gefährdung durch eine zwangsweise Rekrutierung von Milizen bedroht.

1.4. Es kann nicht festgestellt werden, dass den BF im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung der BF festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.

Die BF sind arbeits- und anpassungsfähige Menschen mit grundlegender Schulbildung. Der Gesundheitszustand der BF steht der Aufnahme einer Arbeit nicht entgegen. BF1 bis BF3 verfügen über Berufserfahrung. Alle BF befinden sich in einem erwerbsfähigen Alter. Die BF verfügen über eine - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherte Existenzgrundlage in ihrem Herkunftsstaat sowie über familiäre Anknüpfungspunkte. BF1 bis BF4 ist darüber hinaus die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung ihres Auskommens möglich und zumutbar.

1.5. Die BF verfügen über keine irakischen Reisepässe. Ihre Angaben zur Identität können aufgrund der von ihnen vorgelegten irakischen Personalausweise verifiziert werden.

1.6. Die BF halten sich seit Mai 2015 (BF1 und BF4) bzw. Oktober 2015 (BF2 und BF3) in Österreich auf. Sie reisten rechtswidrig in Österreich ein, sind seither Asylwerber und verfügten über keinen anderen Aufenthaltstitel.

BF2 und BF3 befinden sich in aufrechten Beschäftigungsverhältnissen in Österreich.

BF2 und BF3 werden nicht mehr von der zuständigen Stelle der Grundversorgung betreut und beziehen auch keine Mittel aus der Grundversorgung. BF1 und BF4 werden nach wie vor durch die Grundversorgung betreut und beziehen finanzielle Mittel aus dieser.

Die BF haben in Österreich keine Verwandten und pflegen im Übrigen normale soziale Kontakte.

Alle BF sind alleinstehend.

BF1 bis BF3 besuchten Deutschkurse. BF1 hat die Prüfung für das ÖSD Zertifikat A1 bestanden. BF2 hat ein Zertifikat über das Sprachniveau B1 erhalten. BF3 verfügt über ein Zertifikat zum Sprachniveau A2. Auch BF4 kann sich im Alltagsleben gut verständigen.

Der Aufenthalt der BF war nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Abs. 1a FPG geduldet. Ihr Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Sie wurden nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

1.8. Zur gegenwärtigen Lage im Irak werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber dem Beschwerdeführer offengelegten Quellen getroffen:

1. Aktuelle Ereignisse

Der Irak wird seit Oktober von einer Protestwelle erschüttert, an der sich Hunderttausende Menschen beteiligten. Rund 460 Menschen wurden seitdem getötet. Die Demonstranten werfen der Regierung und der gesamten irakischen Elite Korruption und Untätigkeit vor. Der Rücktritt von Ministerpräsident Abdel Adel Mahdi, der aber weiterhin geschäftsführend im Amt ist, konnte den Unmut nicht dämpfen. Die Demonstranten fordern ein neues Wahlgesetz und Neuwahlen, eine neue Regierung und die Bestrafung korrupter Beamter.

08.04.2019: Am 30.03.2019 griff der Islamische Staat ein Dorf in der Provinz Salah ad-Din an. Dabei wurden zwei Sicherheitskräfte getötet. In der Provinz Kirkuk stürmte der Islamische Staat ein kurdisches Dorf und eröffnete das Feuer auf eine Gruppe Dorfbewohner. Dabei wurde ein Bewohner getötet und ein weiterer verletzt. Am 02.04.2019 wurden vier Kämpfer des Islamischen Staates bei gezielten Luftangriffen in den Hamrin-Bergen getötet.

IOM veröffentlichte am 04.04.2019 einen Bericht zur Flucht und Vertreibung aufgrund von Wasserknappheit. IOM identifizierte 45 Ortschaften in den zentralirakischen Provinzen Qadisiyya, Nadschaf, Babil, Wasit und Kerbala, die von Wasserknappheit und Dürre betroffen sind. Etwa 1.727 Familien sind innerhalb der genannten Provinzen in Folge von Wasserknappheit vertrieben worden. In den südlichen Provinzen Maisan, Muthanna, Basra und Dhi-Qar soll es sich um 100 Ortschaften und Vertreibungen von bis zu 5.347 Familien handeln.

15.04.2019: Am 14.04.2019 kam es in Mossul zu Zusammenstößen zwischen der irakischen Bundespolizei und PMF-Milizen, als die Polizei die Milizionäre daran hinderte, ihren Kontrollpunkt zu überschreiten, da sie keine Aufgaben in der Gegend zu erfüllen hätten. Ebenfalls am 14.04.2019 erschossen unbekannte Täter in der Provinz Diyala einen irakischen Soldaten.

Bei Zusammenstößen zwischen den irakischen Sicherheitskräften und Kämpfern des Islamischen Staates wurden am 12.04.2019 in der Provinz Diyala vier Kämpfer des Islamischen Staates getötet. Bei einer Sicherheitsoperation in der Provinz Anbar wurden drei Kämpfer des Islamischen Staates getötet.

Am 11.04.2019 wurden bei einer groß angelegten Sicherheitsoperation gegen den Islamischen Staat in den Hamrin-Bergen zwölf Kämpfer des Islamischen Staates getötet.

Am 10.04.2019 wurde in Shura, nahe Mosul, ein Stammesführer durch eine Bombe getötet, zwei seiner Verwandten verwundet. In der Nähe von Hawija wurden zwei Polizisten durch eine Bombe verletzt.

Angaben der irakischen Justizbehörden zufolge hat der Irak begonnen, Gerichtsverfahren gegen Hunderte mutmaßliche Mitglieder des Islamischen Staates vorzubereiten. Das zuständige Gericht für Terrorismusfälle habe bereits begonnen, Prozesstermine für Sammelverfahren festzulegen.

29.04.2019: Am 27.04.2019 wurden bei einem Luftangriff auf ein Versteck im al-Zour-Gebiet in der Provinz Diyala zwei Kämpfer des Islamischen Staates getötet. Ebenfalls in der Provinz Diyala wurde ein Zivilist bei einem Angriff von Kämpfern des Islamischen Staates getötet und ein weiterer verletzt. In der Provinz Salah ad-Din kam eine Zivilperson bei einem Bombenanschlag ums Leben.

Am 26.04.2019 töteten irakische Sicherheitskräfte in Mossul einen mutmaßlichen Selbstmordattentäter.

Am 25.04.2019 wurden irakischen Polizeiangaben zufolge südlich von Mossul zwei Zivilisten von Terroristen erschossen. Ebenfalls am 25.04.2019 wurde im Distrikt Khanaqin in der Provinz Diyala ein Zivilist bei einer Bombenexplosion verletzt. Bei Sicherheitsoperationen in der Provinz Kirkuk wurden am 25.04.2019 einem Sprecher des Counter-Terrorism Service zufolge 16 Kämpfer des Islamischen Staates von irakischen Sicherheitskräften getötet sowie 21 Verstecke und 14 unterirdische Tunnel zerstört. Bei einem weiteren Vorfall wurden in der Provinz Kirkuk am 25.04.2019 drei Polizisten verwundet, als eine Bombe am Straßenrand explodierte.

06.05.2019: Die Zahl der Anschläge stieg im April 2019 auf 97 an, gegenüber noch 59 Anschlägen im März. Die Provinz Diyala mit dem Distrikt Khanaqin im Nordosten bleibt der Schwerpunkt der Aktivitäten des Islamischen Staates. Die Kämpfer hätten Zugang zu allen ländlichen Gebieten der Provinz. Es gebe immer wieder Berichte über Personen, die aus Städten geflohen seien. Kämpfer des Islamischen Staates würden Geld erpressen und Entführungen durchführen. Ninawa sei eine weitere Provinz, in der ein wechselndes Niveau an sicherheitsrelevanten Vorfälle zu verzeichnen sei. Kämpfer des Islamischen Staates hätten Anschläge vor allem im Westen und Süden der Provinz durchgeführt. Wie in der Provinz Diyala gebe es immer mehr Berichte von Personen, die aufgrund der Aktivitäten von Kämpfern des Islamischen Staates aus den Städten fliehen würden, vor allem im Westen der Provinz.

Am 05.05.2019 starteten die irakische Armee und paramilitärische Stammesverbände eine groß angelegte Sicherheitsoperation in den nordwestlichen Regionen der Provinzen Anbar, Ninive und Salah ad-Din.

Im Nordirak kommt es aufgrund mangelnder Sicherheit, Stabilität und mangelnde Grundversorgung zu einer Rückkehrbewegung von Vertriebenen, die in den Norden der Provinz Ninawa zurückgekehrt sind, in die Autonome Region Kurdistan.

13.05.2019: Die Sicherheitsrelevanten Vorfälle bleiben im bisherigen Verlauf des Monats Mai auf einem niedrigen Niveau. Berichten zufolge war die Provinz Diyala mit fünf Vorfällen am häufigsten betroffen. Vier davon ereigneten sich in Baquba und al-Muqdadiyya im Osten und in der Mitte der Provinz. Vier Vorfälle wurden aus der Provinz Salah ad-Din gemeldet. Weiterhin betroffen war Kirkuk mit drei Angriffen mit Schusswaffen und Mossul mit einem Autobombenattentat sowie der Entführung von vier Menschen. Ebenso kamen bei einem Selbstmordattentat auf einem Marktplatz in Bagdad mindestens sieben Menschen ums Leben, zahlreiche Personen wurden verletzt.

Der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zufolge hat das nationale Versöhnungskomitee der irakischen Regierung einen Plan vorgelegt, der die Internierung von etwa 250.000 Personen in abgeschlossene Wohneinheiten außerhalb von Städten ermöglichen soll. Das Verlassen der Wohnkomplexe solle nur in Ausnahmesituationen (z.B. Krankenhausbesuche) möglich sein. Betroffen wären die Kernfamilien (inklusive Geschwister) von mutmaßlichen Kämpfern des Islamischen Staates, somit vor allem Frauen und Kinder. Auf den Geländen sollen Kliniken, Schulen und Deradikalisierungs- sowie Berufsausbildungsprogramme entstehen. Einkommensmöglichkeiten soll es nicht geben. Die Rückkehr von Familien aus der Internierung in ihre Heimatorte soll nur nach Abschluss des Deradikalisierungsprogramms und Zustimmung der lokalen Gemeinde in den Heimatorten möglich sein. Ein Zeitfenster für diesen Vorgang wurde nicht bekannt gegeben. Nur im Fall einer Rückkehrerlaubnis würden die Betroffenen Personaldokumente erhalten. HRW kritisiert die geplante Internierung ohne Einhaltung internationaler Standards (z.B. fairer Gerichtsprozess) und die kollektive Bestrafung von Familien.

20.05.2019: Am 13.05.2019 wurde bei der Explosion eines improvisierten Sprengsatzes im Ort Umm al-Masayed in der Provinz Ninawa ein irakischer Soldat getötet, drei weitere Soldaten wurden verletzt. Am 15.05.2019 und 16.05.2019 wurden in Kirkuk bei zwei Anschlägen von Kämpfern des Islamischen Staates sieben irakische Sicherheitskräfte getötet. Am 17.05.19 wurden bei zwei Bombenanschlägen in der Provinz Diyala, in dem umstrittenen Distrikt Khanaqin, zwei Zivilpersonen getötet.

Am 18.05.19 tötete die irakische Armee in der Provinz Salah ad-Din sechs Kämpfer des Islamischen Staates und zerstörte ihre Verstecke.

Kämpfer des Islamischen Staates, die sich in den Qarachogh-Bergen von Makhmour verstecken, sollen in den letzten Tagen mehrere lokale Felder in Brand gesetzt, nachdem sich die Bauern geweigert hatten, Steuern an den Islamischen Staat zu zahlen. Ebenso hätten Kämpfer des Islamischen Staates eine Farm in der Provinz Diyala in Brand gesetzt.

Am 19.05.2019 schlug in der hoch gesicherten sogenannten Grünen Zone in Bagdad eine Katjuscha-Rakete ein. Dem irakischen Militär zufolge habe es keine Verletzten gegeben. Die Straßen, die zur Grünen Zone führen, sollen kurzzeitig gesperrt gewesen sein. Erst im Dezember 2018 hatte die irakische Regierung die Grüne Zone wieder teilweise für den öffentlichen Verkehr freigegeben. Die Explosion ereignete sich inmitten erhöhter Spannungen zwischen den USA und dem Iran. Am 15.05.2019 hatten die US den Abzug aller bis auf unverzichtbarer Botschaftsmitarbeitenden aus der amerikanischen Botschaft in Bagdad und dem Generalkonsulat in Erbil angeordnet.

Nachdem mehrere Korruptionsfälle von der Sadr-Bewegung nahestehenden Geschäftsmännern bekannt wurden, kam es in mehreren Städten im Süd-Irak zu Protesten. Muqtada as-Sadr hatte zu Demonstrationen gegen Korruption aufgerufen. Neben friedlichen Kundgebungen sollen Demonstranten betroffene Büros und Geschäfte angegriffen haben. In Nadschaf schossen Wachmänner eines Einkaufszentrums auf die Demonstrierenden. Dabei wurden vier Personen getötet und weitere 17 verletzt. Irakischen Medien zufolge wurden in diesem Zusammenhang fünf Wachmänner verhaftet.

27.05.2019: Am 22.05.2019 wurden bei der Explosion einer Sprengfalle in der Provinz Ninawa ein Zivilist getötet und drei weitere verletzt. Sicherheitsquellen zufolge zielte die Sprengvorrichtung auf Bauern ab, die ihre Felder bebauen wollten. Am 22.05.2019 wurden bei einem Angriff des Islamischen Staates in der Provinz Salah ad-Din ein Polizist getötet und fünf weitere verletzt. Am 26.05.2019 wurden auf einem Markt in Rabia in der Provinz Ninawa fünf Menschen getötet und acht weitere verletzt, als eine Autobombe explodierte.

Am 26.05.2019 starb ein Mitglied der sunnitischen Miliz Hashd al-Ashairi, als eine Sprengvorrichtung am Straßenrand bei Ramadi in der Provinz Anbar explodierte.

In mehreren Provinzen kam es zur Verbrennung landwirtschaftlicher Flächen. Medienberichten zufolge soll der Islamische Staat Felder von Bauern angezündet haben, die nicht mit ihm kooperierten oder die geforderten Steuern nicht zahlten. Am 23.05.2019 soll sich der Islamische Staat in seiner Zeitung Al-Naba zur Brandstiftung in den Provinzen Kirkuk, Diyala, Ninewa und Salah ad-Din und in Provinzen in Syrien bekannt haben. Kurdische Medien berichteten zudem von Brandstiftung in Daquq, Khanaqin und Makhmour. Das irakische Ministerium für Landwirtschaft richtete am 20.05.2019 einen Krisenstab ein.

Lokalen, kurdischen Medienberichten zufolge kam es in der Provinz Kirkuk vermehrt zu Spannungen zwischen kurdisch- und arabischstämmigen Irakern. Den Berichten zufolge sollen Kurden gezwungen worden sein, ihre Häuser zu verlassen. Der Gouverneur von Kirkuk wurde beschuldigt, die Räumungsverordnungen zu billigen. Am 20.05.2019 traf sich der irakische Premierminister Adel Abdul-Mahdi mit Vertretern der kurdischen Regionalregierung, um die Beziehungen der beiden Regierungen und die Lage in Kirkuk sowie die sichere Rückkehr von im Oktober 2017 vertriebenen Kurden zu besprechen.

Der Parteivorsitzende der kurdischen Oppositionspartei "Neue Generation", Shaswar Abdulwahid, befindet sich nach seiner Festnahme seit einer Woche im Hungerstreik. Sein Gesundheitszustand ist laut Medienberichten instabil. Abdulwahid wurde wegen mutmaßlicher Erpressung und Verleumdung in der eigenen Partei am 16.05.2019 verhaftet. Gegen zehn weitere Parteimitglieder wurden Haftbefehle erlassen. Einer Stellungnahme der Partei zufolge fehle die rechtliche Basis für die Verhaftungen. Es handle sich um einen Versuch, die Opposition zu schwächen und die "Neue Generation" zu diskreditieren.

03.06.2019: Am 30.05.2019 kam es im Zentrum von Kirkuk zu einer Reihe von Explosionen. Dabei wurden mindestens drei Menschen getötet und 16 weitere verletzt. Die Sicherheitskräfte entschärften zwei weitere Sprengvorrichtungen, bevor es zu Explosionen kam.

Lokalen Medienberichten zufolge erhielt der irakische Parlamentssprecher al-Halbousi einen Drohbrief. Grund für die Bedrohung sei seine Position als Vermittler in der Krise zwischen Washington und Teheran. Hinweise deuten darauf hin, dass die Drohung von Seiten der irakischen Hizbollah-Brigade ausging.

Der lokal bekannte Journalist und Leiter der irakischen Nachrichtenagentur Baghdad Today, Nabil Jassim, erhielt am 26.05.2019 Drohanrufe. Zuvor hatte die Nachrichtenagentur eine Reihe von Dokumenten veröffentlicht, welche die Korruption eines Politikers beweisen sollen. Die irakische Journalistengewerkschaft verurteilte die Bedrohungen und forderte in einer Stellungnahme das irakische Innenministerium zu Ermittlungen auf. Die irakischen Sicherheitsbehörden teilten in einer Stellungnahme mit, dass die Quelle der Drohanrufe unbekannt sei.

Der Parteivorsitzende der kurdischen Oppositionspartei "Neue Generation", Shaswar Abdulwahid, wurde gegen Kaution aus der Haft entlassen. Fünf andere Parteimitglieder sollen ebenfalls entlassen werden. Ein Gerichtsurteil steht noch aus.

17.06.2019: Am 06.06.2019 griffen IS-Kämpfer ein Dorf in der Provinz Salahuddin an und töteten zwei Zivilpersonen, zwei weitere wurden verletzt. Am selben Tag wurden bei einer Bombenexplosion nordöstlich von Mossul vier Feuerwehrleute verletzt. Am 08.06.19 wurden bei drei Anschlägen in der Provinz Kirkuk insgesamt acht Menschen getötet und verletzt. Bei einer Bombenexplosion in der Provinz Anbar wurde ein Polizist verwundet. In der Provinz Diyala starben infolge von Bombenexplosionen im Zeitraum vom 08.06.2019 bis 12.06.2019 mindestens zwei Zivilpersonen, mindestens eine weitere wurde verletzt. Am 11.06.2019 wurde bei einem Granatenangriff nordöstlich von Bagdad ein Angehöriger der Sicherheitskräfte getötet und vier weitere verletzt. Am 13.06.2019 wurden bei einem Selbstmordanschlag auf ein Spirituosengeschäft im Zentrum von Bagdad zwei Zivilisten verletzt. Am 15.06.19 wurden nordwestlich von Hilla zwei Angehörige der Popular Mobilization Forces (PMF) bei einer Autobombenexplosion verletzt.

Die irakische Armee startete am 16.06.2019 - unterstützt von der Bundespolizei (Federal Police) und den PMF - eine groß angelegte Militäroperation nordöstlich von Baquba, um Kämpfer des Islamischen Staates aufzuspüren.

Aufgrund schwerer Brände auf Weizen- und Gerstenfeldern in der Gegend um Sinjar, Provinz Ninawa, schätzungsweise flohen 700 Familien nach Mossul. Zwei Bauern seien ums Leben gekommen. Irakische Sicherheitskräfte machen Kämpfer des IS für die Brände verantwortlich. In der vorangegangenen Woche habe es auf landwirtschaftlichen Flächen in der Region mehrmals gebrannt.

Am 10.06.2019 wurde Nechirvan Barzani, Neffe des langjährigen Präsidenten Massud Barzani, als Präsident der Kurdischen Region-Irak vereidigt. Das kurdische Regionalparlament hatte Barzani vor zwei Wochen zum Präsidenten gewählt.

Anfang Juni 2019 verurteilte ein irakisches Gericht zwei weitere mutmaßliche IS-Kämpfer aus Frankreich. Irakischen Justizkreisen zufolge seien damit nun mehr als neun Franzosen wegen Mitgliedschaft in der Terrormiliz IS zum Tode verurteilt worden. Gegen die Urteile kann Berufung eingelegt werden.

24.06.2019: In Irak kommt es weiterhin zu Anschlägen. So wurde in der vergangenen Woche von Raketen-, Mörser- und IED-Angriffen insbesondere in den Provinzen Diyala, Ninive, Bagdad und Babil berichtet. Allein in Bagdad wurden am 21.06.19 bei einem Selbstmordanschlag auf eine schiitische Moschee im Distrikt Sadr City mindestens zehn Menschen getötet und mindestens 17 weitere verletzt.

In der Nähe der Stadt Basra schlug am Sitz mehrerer Ölkonzerne am 19.06.19 eine Rakete des Typs Katjuscha ein. Dabei wurden drei Menschen verletzt.

08.07.2019: Irakische Sicherheitskräfte starteten am 06.07.19 einen großangelegten Einsatz gegen den Islamischen Staat. Angaben des Generalleutnants Abdul Amir Rasheed Yarallah zufolge betreffe die Operation "Will of Victory" die Provinzen Anbar und die zentralen und nördlichen Regionen von Salah ad-Din und Ninawa. Im Fokus stehen die Provinzen an der Grenze zu Syrien. Der Einsatz werde mehrere Tage dauern.

15.07.2019: Laut Executive Order No. 37 der irakischen Regierung vom 01.07.2019 sollen die PMF-Militen (Hashd al-Shaabi) vollständig in die irakischen Sicherheitskräfte eingegliedert werden. Die betroffenen Milizen haben bis zum 31.07.2019 Zeit, die Anordnung umzusetzen, z.B. durch Schließung der Milizenbüros. Formal unterstehen die PMF-Milizen seit 2016 der Befehlsgewalt des Premierministers.

Am 03.07.19 veröffentliche die irakische Nationale Journalistengewerkschaft ihre Bedenken gegenüber dem Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Journalisten in Basra. Ein Mitglied der Sicherheitskräfte hätte angekündigt, Journalisten verhaften zu lassen, die über nicht genehmigte Demonstrationen berichteten. Zuletzt sei mindestens ein Journalist des irakischen Senders al-Sumaria verhaftet worden. In Basra war es wie im vergangenen Jahr zu Protesten gegen die schlechte Versorgungslage, Arbeitslosigkeit und Korruption gekommen.

22.07.2019: Am 17.07.19 wurde ein türkischer Konsulatsmitarbeiter in einem Restaurant in Erbil erschossen. Ein irakischer Staatsbürger wurde ebenfalls getötet und ein weiterer erlag seinen Verletzungen. Die kurdische Regionalregierung bezeichnete den Vorfall als geplanten Terroranschlag. Am 20.07.2019 wurde ein Verdächtiger von kurdischen Sicherheitskräften verhaftet.

Der Direktor des Al-Jazeera Büros in Erbil, Ahmad al-Zawiti, soll laut einer Stellungnahme des Senders während der Berichterstattung vor Ort von Sicherheitskräften zusammengeschlagen worden sein. Der irakischen Beobachtungsstelle für Pressefreiheit zufolge wurden in diesem Jahr 139 Fälle von Verletzungen der Pressefreiheit in der KR-I dokumentiert.

Am 10.07.19 berichten kurdische Medien von einer bei einem Luftangriff der iranischen Revolutionsgarde getöteten Zivilistin. Zwei ihrer Brüder wurden bei dem Angriff verletzt. Medienberichten zufolge führt die iranische Revolutionsgarde gelegentlich Luftangriffe gegen kurdische Gruppen, wie die Demokratische Partei des Iranischen Kurdistans (PDKI), durch.

Am 12.07.19 kündigte der türkische Verteidigungsminister den Beginn der Militäroperation Claw 2 in der Autonomen Region Kurdistan an. Am 27.05.19 begann die Militäroperation gegen PKK-Stellungen mit Luft- und Bodentruppen. Dem türkischen Verteidigungsministerium zufolge wurden zwischen dem 27.05.19 und 15.07.19 mindestens 71 PKK-Kämpfer getötet. Laut Pressemitteilungen des irakischen Verteidigungsministeriums und der kurdischen Regionalregierung sind auch Zivilisten unter den Opfern.

2. Politische Lage

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018). Gemäß der Verfassung ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat mit allen Merkmalen der Gewaltenteilung (AA 12.01.2019), der aus 18 Provinzen (muhafazät) besteht (Fanack 27.9.2018). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Autonome Region Kurdistan ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuwwab, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat), für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt. Zusammen bilden sie den Präsidialrat (Fanack 27.9.2018).

Teil der Exekutive ist auch der Ministerrat, der sich aus dem Premierminister und anderen Ministern der jeweiligen Bundesregierung zusammensetzt (Fanack 27.9.2018; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (RoI 15.10.2005). Am 002.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih zum Präsidenten des Irak (DW 02.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (BBC 3.10.2018). Abd al-Mahdi ist seit 2005 der erste Premier, der nicht die Linie der schiitischen Da'wa-Partei vertritt, die seit dem Ende des Krieges eine zentrale Rolle in der Geschichte Landes übernommen hat. Er unterhält gute Beziehungen zu den USA. Der Iran hat sich seiner Ernennung nicht entgegengestellt (Guardian 3.10.2018).

Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik (Fanack 27.9.2018) Im Gegensatz zum Präsidenten, dessen Rolle weitgehend zeremoniell ist, liegt beim Premierminister damit die eigentliche Exekutivgewalt (Guardian 3.10.2018). Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 27.9.2018). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 17.10.2018). Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich (Standard 3.10.2018). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnite, der Premierminister ist ein Schiite und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018).

In weiten Teilen der irakischen Bevölkerung herrscht erhebliche Desillusion gegenüber der politischen Führung (LSE 7.2018; vgl. IRIS 11.5.2018). Politikverdrossenheit ist weit verbreitet (Standard 13.5.2018). Dies hat sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 gezeigt (WZ 12.5.2018). Der Konfessionalismus und die sogennante "Muhassasa", das komplizierte Proporzsystem, nach dem bisher Macht und Geld unter den Religionsgruppen, Ethnien und wichtigsten Stämmen im Irak verteilt wurden, gelten als Grund für Bereicherung, überbordende Korruption und einen Staat, der seinen Bürgern kaum Dienstleistungen wie Strom- und Wasserversorgung, ein Gesundheitswesen oder ein Bildungssystem bereitstellt (TA 12.5.2018).

Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten und Schiiten sowie Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt. Im Führungsgremium der Kommission für die Vorbereitung und Durchführung der Wahlen 2018 waren nur Schiiten, Sunniten und Kurden vertreten. Jeweils ein Turkmene und ein Christ waren nicht-stimmberechtigte Mitglieder. (AA 12.01.2019).

Die Zeit des Wahlkampfs im Frühjahr 2018 war nichtsdestotrotz von einem Moment des verhaltenen Optimismus gekennzeichnet, nach dem Sieg über den sogenannten Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (ICG 9.5.2018). Am 09.12.2017 hatte Haider al-Abadi, der damalige irakische Premierminister, das Ende des Krieges gegen den IS ausgerufen (BBC 9.12.2017). Irakische Sicherheitskräfte hatten zuvor die letzten IS-Hochburgen in den Provinzen Anbar, Salah al-Din und Ninewa unter ihre Kontrolle gebracht. (UNSC 17.1.2018).

Im Irak leben ca. 36 Millionen Einwohner, wobei die diesbezüglichen Schätzungen unterschiedlich sind. Die letzte Volkszählung wurde 1997 durchgeführt. Im Gouvernement Bagdad leben ca. 7,6 Millionen Einwohner. Geschätzte 99% der Einwohner sind Moslems, wovon ca. 60%-65% der schiitischen und ca. 32%-37% der sunnitischen Glaubensrichtung angehören (CIA World Factbook 2014-2015, AA 12.01.2019). Die ethnische und religiöse Zusammensetzung der einzelnen Regionen des Irak ist aus der Grafik im Punkt Minderheiten ersichtlich.

Die infolge der Parlamentswahlen im Jahr 2018 neu gebildete Regierung von Ministerpräsident Adel Abdul-Mahdi steht unter erheblichem Druck, Reformen zu implementieren, die staatlichen Dienstleistungen zu verbessern und Korruption zu bekämpfen. Gleichzeitig muss der Sicherheitssektor umfassend reformiert werden. Milizen agieren zwar formell größtenteils unter dem Premierminister als Oberbefehlshaber, sind jedoch oftmals der verlängerte Arm politischer Akteure. Es besteht weiterhin enormer Bedarf an Stabilisierung, Wiederaufbau und Versöhnung in den vom IS befreiten Gebieten (AA 12.01.2019).

2.1. Parteienlandschaft

Es gibt vier große schiitische politische Gruppierungen im Irak: die Islamische Da'wa-Partei, den Obersten Islamischen Rat im Irak (OIRI) (jetzt durch die Bildung der Hikma-Bewegung zersplittert), die Sadr-Bewegung und die Badr-Organisation. Diese Gruppen sind islamistischer Natur, sie halten die meisten Sitze im Parlament und stehen in Konkurrenz zueinander - eine Konkurrenz, die sich, trotz des gemeinsamen konfessionellen Hintergrunds und der gemeinsamen Geschichte im Kampf gegen Saddam Hussein, bisweilen auch in Gewalt niedergeschlagen hat (KAS 2.5.2018).

Die meisten politischen Parteien verfügen über einen bewaffneten Flügel oder werden einer Miliz zugeordnet (Niqash 7.7.2016; vgl. BP 17.12.2017) obwohl dies gemäß dem Parteiengesetz von 2015 verboten ist (Niqash 7.7.2016; vgl. WI 12.10.2015). Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018) und haben sich zu einer einflussreichen politischen Kraft entwickelt (Niqash 5.4.2018; vgl. Guardian 12.5.2018). Die sunnitische politische Szene im Irak ist durch anhaltende Fragmentierung und Konflikt gekennzeichnet, zwischen Kräften, die auf Provinz-Ebene agieren, und solchen, die auf Bundesebene agieren. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018)

Die politische Landschaft der Autonomen Region Kurdistan ist historisch von zwei großen Parteien geprägt: der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK). Dazu kommen Gorran ("Wandel"), eine 2009 gegründete Bewegung, die sich auf den Kampf gegen Korruption und Nepotismus konzentriert, sowie eine Reihe kleinere islamistische Parteien (KAS 2.5.2018). Die Gorran-Bewegung ist ihrem Anspruch, eine politische Erneuerungsbewegung zu sein, bislang nicht gerecht geworden, was auch die Verluste der Partei bei den sowohl nationalen als auch regionalen Parlamentswahlen in diesem Jahr erklären kann (AA 12.01.2019).

Abgesehen von den großen konfessionell bzw. ethnisch dominierten Parteien des Irak, gibt es auch nennenswerte überkonfessionelle politische Gruppierungen. Unter diesen ist vor allem die Iraqiyya/Wataniyya Bewegung des Ayad Allawi von Bedeutung (KAS 2.5.2018).

Die folgende Grafik veranschaulicht die Sitzverteilung im neu gewählten irakischen Parlament. Sairoon, unter der Führung des schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadrs, ist mit 54 Sitzen die größte im Parlament vertretene Gruppe, gefolgt von der Fath-Bewegung des Milizenführers Hadi al-Amiri und Haider al-Abadi's Nasr ("Victory")-Allianz (LSE 7.2018).

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Die Wahl im Mai 2018 war von Vorwürfen von Unregelmäßigkeiten und Wahlbetrug begleitet (Al-Monitor 23.8.2018; vgl. Reuters 24.5.2018, Al Jazeera 6.6.2018). Eine manuelle Nachzählung der Stimmen, die daraufhin angeordnet wurde, ergab jedoch fast keinen Unterschied zu den zunächst verlautbarten Ergebnissen und bestätigte den Sieg von Muqtada al-Sadr (WSJ 9.8.2018; vgl. Reuters 10.8.2018). Die Mehrheit der Abgeordneten im Parlament ist neu und jung (WZ 9.10.2018). Im Prozess zur Designierung des neuen Parlamentssprechers, des Präsidenten und des Premierministers stimmten die Abgeordneten zum ersten Mal individuell und nicht in Blöcken - eine Entwicklung, die einen Bruch mit den üblichen, schwer zu durchbrechenden Loyalitäten entlang parteipolitischer, konfessioneller und ethnischer Linien, darstellt (Arab Weekly 7.10.2018).

Nach den Parlamentswahlen am 12. Mai wurde der von der Verfassung vorgeschriebene Prozess zur Regierungsbildung - wenn auch mit einigen Umwegen - abgeschlossen. Am 03.09.2018 konstituierte sich das neue Parlament, am 15.09.2018 wurde der Parlamentspräsident Mohammad al-Halbousi gewählt, am 02.10.2018 folgte die Wahl des Staatspräsidenten Barham Salih. Es dauerte bis zum 24.10.2018, bis sich die divergierenden politischen Akteure auf einen Kompromisskandidaten für das Amt des Regierungschefs einigen konnten. Der neue Ministerpräsident Adel Abdul-Mahdi wurde nach langwierigen Verhandlungen gemeinsam mit 14 Ministern vom Parlament bestätigt. Die Besetzung weiterer acht Ministerposten steht weiterhin aus (AA 12.01.2019).

2.2. Protestbewegung

Die Protestbewegung, die es schon seit 2014 gibt, gewinnt derzeit an Bedeutung. Zumeist junge Leute gehen in Scharen auf die Straße, fordern bessere Lebensbedingungen, Arbeitsplätze, Reformen, einen effektiven Kampf gegen Korruption und die Abkehr vom religiösen Fundamentalismus (WZ 9.10.2018). Im Juli 2018 brachen im Süden des Landes, in Basra, nahe den Ölfeldern West Qurna und Zubayr Proteste aus. Diese eskalierten, nachdem die Polizei in West Qurna auf Demonstranten schoss (ICG 31.7.2018). Reich an Ölvorkommen, liefert die Provinz Basra 80 Prozent der Staatseinnahmen des Irak. Unter den Einwohnern der Provinz wächst jedoch das Bewusstsein des Gegensatzes zwischen dem enormem Reichtum und ihrer eigenen täglichen Realität von Armut, Vernachlässigung, einer maroden Infrastruktur, Strom- und Trinkwasserknappheit (Carnegie 19.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).

Die Proteste im Juli weiteten sich schnell auf andere Städte und Provinzen im Süd- und Zentralirak aus (DW 15.7.2018; vgl. Presse 15.7.2018, CNN 17.7.2018, Daily Star 19.7.2018). So gingen tausende Menschen in Dhi Qar, Maysan, Najaf und Karbala auf die Straße, um gegen steigende Arbeitslosigkeit, Korruption und eine schlechte Regierungsführung, sowie die iranische Einmischung in die irakische Politik zu protestieren (Al Jazeera 22.7.2018). Die Proteste erreichten auch die Hauptstadt Bagdad (Joel Wing 25.7.2018; vgl. Joel Wing 17.7.2018). Am 20.7. wurden Proteste in 10 Provinzen verzeichnet (Joel Wing 21.7.2018). Demonstranten setzten die Bürogebäude der Da'wa-Partei, der Badr-Organisation und des Obersten Islamischen Rats in Brand; praktisch jede politische Partei wurde angegriffen (Al Jazeera 22.7.2018). Es kam zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, sowie zu Todesfällen (Kurier 15.7.2018; vgl. CNN 17.7.2018, HRW 24.7.2018). Ende August war ein Nachlassen der Demonstrationen zu verzeichnen (Al Jazeera 3.8.2018). Im September flammten die Demonstrationen wieder auf. Dabei wurden in Basra Regierungsgebäude, die staatliche Fernsehstation, das iranische Konsulat, sowie die Hauptquartiere fast aller Milizen, die vom Iran unterstützt werden, angegriffen. Mindestens 12 Demonstranten wurden getötet (Vox 8.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).

2.3. Autonome Region Kurdistan

Ein Teil des föderalen Staates Irak ist die Autonome Region Kurdistan, das im Nordosten des Iraks angesiedelt ist. Die Autonome Region Kurdistan hat weitgehende Souveränität. Sie verfügt über eigene exekutive, legislative und judikative Organe und besitzt seit 2009 eine eigene Verfassung. Gemäß Art. 121 der irakischen Verfassung üben kurdische Sicherheitskräfte (insbesondere die militärisch organisierten Peschmerga und die Sicherheitspolizei Asayish) die Sicherheitsverantwortung in den Provinzen Erbil, Sulaimaniyya, Dohuk und Halabdscha aus; diese Kräfte kontrollieren darüber hinaus de facto Teile der Provinzen Diyala, Kirkuk und Ninawa. Die Autonome Region Kurdistan betreibt außerdem eine eigenständige Wirtschafts- und Außenpolitik und regelt Fragen der Grenzkontrolle selbst - hierzu gehört auch die von zentralirakischen Behörden unabhängige Vergabe von Visa.

Bis heute ist die Region faktisch zwischen KDP (Kurdistan Democratic Party) und PUK (Patriotic Union of Kurdistan) aufgeteilt - wobei die PUK in den letzten Jahren Einfluss an Goran abgeben musste. Innerhalb der autonomen Kurdenregion gibt es immer wieder Konflikte zwischen den drei großen irakisch-kurdischen Parteien KDP, Goran und PUK. Grund dafür ist unter anderem die Wirtschaftskrise und die weit verbreitete Korruption und Vetternwirtschaft, die im Kurdengebiet vorherrschen. Darüber hinaus sorgte der Streit um die Präsidentschaft Mas?ud Barzanis für Spannungen, dessen (bereits außertourlich verlängerte) Amtszeit schon im August 2015 abgelaufen war. Die Waffenlieferungen des Westens und anderer Verbündeter an die Kurden haben zudem den Effekt, dass die kurdische Politik insgesamt zwar an Bedeutung gewinnt, sich jedoch dadurch die Spannungen zwischen den kurdischen Fraktionen weiter erhöhen. KDP und PUK sind durch ihre jeweiligen Bündnisse mit mächtigen - teilweise gegensätzlichen - Partnern gespalten: Die KDP mit Mas'ud Barzani, dem Präsidenten der KRG (Kurdish Regional Government - die Regionalregierung in der KRI) wird vorrangig vom Westen unterstützt und steht der Türkei nahe, während die PUK vorrangig vom Iran unterstützt wird und der türkischen PKK sowie der irakischen Regierung in Bagdad nahesteht. Beide Parteien haben ihre jeweils eigenen Militäreinheiten (Peschmerga), die im Kampf gegen den IS oftmals in einem starken Konkurrenzverhältnis zueinander stehen.

Das Verhältnis der Zentralregierung zur kurdischen Autonomieregion, die einen semi-autonomen Status innehat, hat sich seit der Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums in der Autonomieregion und einer Reihe zwischen Bagdad und Erbil umstrittener Gebiete am 25.09.2017 deutlich verschlechtert (AA 12.02.2018). Die Kurden konnten das von ihnen kontrollierte Territorium im Irak in Folge der Siege gegen den IS zunächst ausdehnen. Mit dem Referendum am 25.09.2017 versuchte die kurdische Regional-Regierung unter Präsident Masud Barzani, ihren Anspruch auch auf die von ihr kontrollierten Gebiete außerhalb der drei kurdischen Provinzen zu bekräftigen und ihre Verhandlungsposition gegenüber der Zentralregierung in Bagdad zu stärken (BPB 24.1.2018).

Bagdad reagierte mit der militärischen Einnahme eines Großteils der umstrittenen Gebiete, die während des Kampfes gegen den IS von kurdischen Peshmerga übernommen worden waren, angefangen mit der ölreichen Region um Kirkuk (AA 12.02.2018). Die schnelle militärische Rückeroberung der umstrittenen Gebiete durch die irakische Armee, einschließlich der Erdöl- und Erdgasfördergebiete um Kirkuk, mit massiver iranischer Unterstützung, bedeutete für die kurdischen Ambitionen einen Dämpfer. Präsident Barzani erklärte als Reaktion darauf am 29.10.2017 seinen Rücktritt. Der kampflose Rückzug der kurdischen Peshmerga scheint auch auf zunehmende Differenzen zwischen den kurdischen Parteien hinzudeuten (BPB 24.1.2018).

Grundlegende Fragen wie Öleinnahmen, Haushaltsfragen und die Zukunft der umstrittenen Gebiete sind weiterhin ungelöst zwischen Bagdad und der kurdischen Autonomieregion (AA 12.02.2018). Im Dezember 2017 forderte die gewaltsame Auflösung von Demonstrationen gegen die Regionalregierung in Sulaymaniya mehrere Todesopfer. Daraufhin hat sich die Oppositionspartei Gorran aus dem kurdischen Parlament zurückgezogen (BPB 24.1.2018). In der Autonomieregion gehen die Proteste schon auf die Zeit gleich nach 2003 zurück und haben seitdem mehrere Phasen durchlaufen. Die Hauptforderungen der Demonstranten sind jedoch gleich geblieben und drehen sich einerseits um das Thema Infrastrukturversorgung und staatliche Leistungen (Strom, Wasser, Bildung, Gesundheitswesen, Straßenbau, sowie die enormen Einkommensunterschiede) und andererseits um das Thema Regierungsführung (Rechenschaftspflicht, Transparenz und Korruption) (LSE 4.6.2018).

Das Parlament der Autonomen Region Kurdistan hat 110 Abgeordnete; elf davon sind quotierte Vertreter ethnischer und religiöser Minderheiten. Zudem regelt eine Quote, dass dreißig Prozent der Mandate von Frauen wahrgenommen werden müssen. Am 30.9.2018 fanden in der kurdischen Autonomieregion Wahlen zum Regionalparlament statt (Tagesschau 30.9.2018). Mit einer Verzögerung von drei Wochen konnte die regionale Wahlkommission am 20.10.2018 die Endergebnisse veröffentlichen. Zahlreiche Parteien hatten gegen die vorläufigen Ergebnisse Widerspruch eingelegt. Gemäß den offiziellen Endergebnissen gewann die KDP mit 686.070 Stimmen (45 Sitze), vor der PUK mit 319.912 Stimmen (21 Sitze) und Gorran mit 186.903 Stimmen (12 Sitze) (ANF 21.10.2018; vgl. Al Jazeera 21.10.2018, RFE/RL 21.10.2018). Die Oppositionsparteien lehnen die Abstimmungsergebnisse ab und sagen, dass Beschwerden über den Wahlbetrug nicht gelöst wurden (Al Jazeera 21.10.2018).

3. Sicherheitslage

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den Islamischen Staat (IS). Die Sicherheitslage hat sich merklich verbessert, seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde (AA 12.01.2019, CRS 4.10.2018). IS-Kämpfer sind jedoch weiterhin in manchen Gebieten aktiv und ist die Sicherheitslage regional unterschiedlich (CRS 4.10.2018).

Staatliche Stellen sind nach wie vor für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich und trotz Willen auch der neuen Regierung nicht in der Lage, die in der Verfassung verankerten Rechte und Grundfreiheiten zu gewährleisten. Derzeit ist es staatlichen Stellen zudem nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig (AA 12.01.2019).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.01.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es weiterhin zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (MIGRI 6.2.2018).

Die im Folgenden dargestellte Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle und ziviler Opfer ist im Kontext der Bevölkerungsanzahl eines Gouvernements zu sehen. Im Folgenden findet sich eine Tabelle mit Schätzungen der Bevölkerungszahlen der irakischen Provinzen (herausgegeben von der Republik Irak, mit Stand 2009):

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(Quelle: Republik Irak, zitiert bei UK HO 3.2017)

3.1. Islamischer Staat (IS)

Seitdem der IS Ende 2017 das letzte Stück irakischen Territoriums verlor, hat er drei Phasen durchlaufen: Zunächst kam es für einige Monate zu einer Phase remanenter Gewalt; dann gab es einen klaren taktischen Wandel, weg von der üblichen Kombination aus Bombenanschlägen und Schießereien, zu einem Fokus auf die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes. Die Kämpfer formierten sich neu und im Zuge dessen kam es zu einem starken Rückgang an Angriffen. Jetzt versucht der IS, die Kontrolle über die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes und über Grenzgebiete zurückzuerlangen. Gleichzeitig verstärkt er die direkte Konfrontation mit den Sicherheitskräften (Joel Wing 03.07.2018). Im September 2018 fanden die IS-Angriffe wieder vermehrt in Bagdad statt und es ist eine Rückkehr zu Selbstmordanschlägen und Autobomben feststellbar (Joel Wing 06.10.2018).

Mit Stand Oktober 2018 waren Einsätze der irakischen Sicherheitskräfte gegen IS-Kämpfer in den Provinzen Anbar, Ninewa, Diyala und Salah al-Din im Gang. Ziel war es, den IS daran zu hindern sich wieder zu etablieren und ihn von Bevölkerungszentren fernzuhalten. Irakische Beamte warnen vor Bemühungen des IS, Rückzugsorte in Syrien für die Infiltration des Irak zu nutzen. Presseberichte und Berichte der US-Regierung sprechen von anhaltenden IS-Angriffen, insbesondere in ländlichen Gebieten von Provinzen, die vormals vom IS kontrolliert wurden (CRS 04.10.2018; vgl. ISW 02.10.2018, Atlantic 31.8.2018, Jamestown 28.7.2018, Niqash 12.7.2018). In diesen Gebieten oder in Gebieten, in denen irakische Sicherheitskräfte abwesend si

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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