TE Lvwg Beschluss 2019/11/11 VGW-111/V/072/13383/2019/R, VGW-111/V/072/13384/2019/R, VGW-111/V/072/1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.11.2019
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Entscheidungsdatum

11.11.2019

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

VwGG §30a Abs3

Text

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin Dr.in Lettner über die Anträge auf aufschiebende Wirkung des Herrn A. B., der Frau C. D., der Frau E. F., des Herrn G. H., des Herrn J. K., der Frau L. M. und des Herrn P. M., alle vertreten durch Rechtsanwälte OG, betreffend die außerordentlichen Revisionen gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien, vom 20.08.2019, Zahlen VGW-111/V/072/2610/2018, VGW-111/V/072/1623/2018, VGW-111/V/072/ 1624/2018, VGW-111/V/072/1630/2018, VGW-111/V/072/1641/2018, VGW-111/V/072/1632/2018, VGW-111/V/072/1633/2018, u.a.

den

BESCHLUSS

gefasst

I. Gemäß § 30a Abs. 3 VwGG wird dem Antrag stattgegeben.

Begründung

Gemäß § 30a Abs. 3 VwGG hat das Verwaltungsgericht über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung unverzüglich zu entscheiden. Die aufschiebende Wirkung ist mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

Die RevisionswerberInnen haben im vorliegenden Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ausgeführt, dass das angefochtene Erkenntnis unmittelbar vollzugsfähig sei, wenn dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht stattgegeben würde. Die Bauwerberin könne unmittelbar mit der Errichtung des verfahrensgegenständlichen Bauwerks beginnen. Damit wäre für die RevisionswerberInnen aus den nachstehend ausgeführten Gründen ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden. Hingegen stehe der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung kein bzw. nur ein vernachlässigenswertes öffentliches Interesse entgegen.

Der den RevisionswerberInnen drohende Nachteil bestünde zunächst in der Vornahme der aus den Einreichplänen ersichtlichen und faktisch irreversiblen Geländeveränderungen und Stützmauereinzügen. Nach Durchführung dieser Baumaßnahmen wäre die Wiederherstellung der ursprünglichen Grundstückslage insbesondere hinsichtlich der Bodenstabilität nicht mehr bzw. nur mit enormem wirtschaftlichem Aufwand möglich. Im Zuge der Rückbaumaßnahmen sei mit erheblichen Immissionen auf den Liegenschaften der RevisionswerberInnen, mit einer Destabilisierung des Hanges und mit Hangrutschungen sowie mit Wassereinbrüchen auf diesen Liegenschaften zu rechnen. Die mit diesen Baumaßnahmen verbundene Problematik liege u.a. auch den Revisionen zu Grunde. Weiters würde das Befahren der R.-Straße durch schwere Baufahrzeuge im Zuge der Rückbauarbeiten mangels erforderlicher Breite dieser Zufahrt zu erheblichen Problemen bei der An- und Abfahrt zu bzw. von den Liegenschaften der RevisionswerberInnen führen.

Im Falle einer stattgebenden Erledigung der Revisionen durch den Verwaltungsgerichtshof müsste die Bauwerberin die bereits getätigten Baumaßnahmen wieder entfernen. Sollte sie dies unterlassen, hätten die RevisionswerberInnen keine Möglichkeit, die Eigentümer dazu zu verhalten bzw. die Entfernung des konsenswidrigen Baues exekutiv durchzusetzen.

Verwiesen werde in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Zahl Ra 2019/05/0002, wonach es ein Nachbar nach der Bauordnung für Wien nicht in der Hand habe, einen baukonsenslos errichteten Bau exekutiv durchzusetzen. Für die RevisionswerberInnen bleibe die Umsetzung ihrer subjektiv-öffentlichen Rechte im Falle eines Obsiegens zumindest zeitlich ungewiss. Auch wenn § 1a Abs. 2 VVG dem Nachbarn nunmehr die Möglichkeit einräume, als betreibender Gläubiger die Vollstreckung zu beantragen, scheitere dieses Recht daran, dass die Vollstreckung eines Titels bedürfe. Es gehe daher im gegenständlichen Revisionsverfahren nicht nur um die Erwirkung einer rechtskonformen Entscheidung, sondern um die faktische Möglichkeit der Rechtsverfolgung. Im Hinblick darauf, dass die RevisionswerberInnen vor dem Verwaltungsgerichtshof subjektiv-öffentliche Rechte verfolgten, könne es nicht ausreichen, für die Durchsetzung der Entfernung allfällig rechtswidrig errichteter Baulichkeiten auf die Amtspflicht der Behörden bzw. die Judikatur der ordentlichen Gerichte zum Missbrauch der Amtsgewalt bzw. auf das Einschreiten der Volksanwaltschaft zu verweisen.

Die Interessenabwägung habe daher im vorliegenden Fall zu Gunsten der RevisionswerberInnen auszufallen. Dies insbesondere auch, da die Bauwerberin das Bauprojekt derzeit mangels Bewilligung für die notwendige Garagenlüftungsanlage noch gar nicht umsetzen könne und daher von einem Interesse der Bauwerberin an einer raschen Bauführung nicht gesprochen werden könne.

Da es sich um ein privates Bauvorhaben handle, liege auch kein öffentliches Interesse an der Bauführung vor. Die aufschiebende Wirkung sei den Revisionen daher zuzuerkennen.

Der Bauwerberin wurde in der Folge die Möglichkeit gegeben, sich zum Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zu äußern. Mit Stellungnahme vom 7.11.2019 entgegnete sie im Wesentlichen, dass die Geländeveränderungen und Stützmauereinzüge per se keine subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte nach der BO darstellten. Weiters fehle es an einer näheren Darlegung und Konkretisierung, warum sich daraus ein unverhältnismäßiger Nachteil für die RevisionswerberInnen ergeben solle. In der behaupteten de facto unmöglichen Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes sowie den für eine solche Wiederherstellung erforderlichen Baumaßnahmen und den damit verbundenen Immissionen auf den Grundstücken der RevisionswerberInnen läge ein solcher Nachteil nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs nicht.

Verwiesen werde auf die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs, wonach in der bloßen Ausübung der in der Bewilligung erteilten Berechtigung für sich alleine kein unverhältnismäßiger Nachteil für die Nachbarn liege. Damit bleibe für eine Interessenabwägung gemäß § 30 Abs. 2 VwGG kein Raum. Jedenfalls überwiege das Interesse der Bauwerberin an der baldigen Umsetzung des Bauwerks. Im Fall eines Obsiegens der RevisionswerberInnen hätte die Bauwerberin die finanziellen Nachteile einer dadurch eingetretenen Konsenslosigkeit des Bauwerks zu tragen. Die Behörden wären in einem solchen Fall von Amtswegen verpflichtet, für die Beseitigung des konsenslosen Baues zu sorgen. Es werde daher beantragt, dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung keine Folge zu geben.

Im vorliegenden Fall war bei der Interessenabwägung einerseits das Interesse der Bauwerberin an der Umsetzung des angefochtenen Bescheides, d.h. an der unverzüglichen Vornahme der von der Behörde bewilligten Baumaßnahmen, zu berücksichtigen. Dem gegenüber steht das Interesse der RevisionswerberInnen daran, dass die Baumaßnahmen nicht durchgeführt werden, solange nicht letztgerichtlich festgestellt ist, dass die Bewilligung dieser Baumaßnahmen rechtens erfolgt ist, da andernfalls der gesetzmäßige Zustand bei Erfolg der Revision nur durch den Abbruch der (konsenslos) errichteten Bauwerksteile hergestellt werden könnten. Sollte die Bauwerberin diesen Abbruch nicht freiwillig vornehmen, wäre ein Bauauftragsverfahren der Behörde erforderlich.

Es hat zwar im Falle des Obsiegens der RevisionswerberInnen allein die Bauwerberin die Folgen einer dann allenfalls eingetretenen Konsenslosigkeit eines inzwischen ausgeführten Baues und die damit verbundenen finanziellen Nachteile zu tragen. Auch der Umstand, dass Bauausführungen typischerweise geeignet sind, Lärm- und Staubbelästigungen auf Nachbargrundstücken sowie Verkehrsbeeinträchtigungen auf den umliegenden öffentlichen Verkehrsflächen herbeizuführen, kann nicht zur Gewährung der aufschiebenden Wirkung führen, weil § 30 Abs. 1 VwGG für den Regelfall bestimmt, dass Beschwerden eine aufschiebende Wirkung nicht zukommt.

Im Hinblick auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs (siehe die von den RevisionswerberInnen zitierte Entscheidung Ra 2019/05/0002) ist jedoch bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der den RevisionswerberInnen bei sofortiger Umsetzung der angefochtenen Baubewilligung drohenden Nachteile auch ein zeitlicher Aspekt zu berücksichtigen. Diese Erwägung wird im Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung von den RevisionswerberinInnen im Zusammenhang mit der faktischen Effizienz der Revisionen auch releviert.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im o.a. Beschluss festgehalten, dass zwar davon auszugehen sei, dass die Behörden den gesetzlichen Zustand herstellen werden, dass es aber der Nachbar nach der Bauordnung für Wien nicht in der Hand habe, selbst tätig zu werden um den Abbruch, gegebenenfalls im Wege einer Säumnisbeschwerde, auch beizeiten durchzusetzen. Zwar räume § 1a Abs. 2 VVG in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013 dem Nachbarn ein Antragsrecht als betreibendem Gläubiger auf die Vollstreckung ein. Dies ändere aber nichts daran, dass die Vollstreckung eines Titels bedürfe. Die Bauordnungen anderer Bundesländer gewährten den Nachbarn das Recht, ihre Nachbarrechte auch im baupolizeilichen Auftragsverfahren zu verfolgen und die Schaffung eines solchen Titels gegebenenfalls durchzusetzen (vgl. insbesondere § 6 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit § 35 Abs. 2 NÖ Bauordnung 2014, LGBl. Nr. 1/2015 in der Fassung Nr. 53/2018; § 41 Abs. 6 Steiermärkisches Baugesetz, LGBl. Nr. 59/1995 in der Fassung Nr. 117/2016; § 34 Abs. 3 Kärntner Bauordnung 1996, LGBl. Nr. 62 in der Fassung Nr. 85/2013; ferner auch § 7 Abs. 5 in Verbindung mit § 16 Salzburger Baupolizeigesetz 1997, LGBl. Nr. 40/1997 in der Fassung Nr. 96/2017).

Beim derzeit gegebenen Stand der Rechtsordnung falle es daher bei der hier konkret vorzunehmenden Interessenabwägung vor dem Hintergrund des Vorbringens der Parteien des Verfahrens ins Gewicht, dass die Umsetzung des subjektiv-öffentlichen Rechts der Revisionswerber im Fall ihres Obsiegens jedenfalls in zeitlicher Hinsicht weiterhin ungewiss bleibe.

Solange die revisionswerbenden Nachbarn im Falle ihres Obsiegens nicht die Möglichkeit hätten, einen Vollstreckungstitel zu erwirken, den sie dann nach § 1a Abs. 2 VVG auch vollstrecken lassen könnten, erscheine die faktische Effizienz der Revision vor dem Hintergrund der Neuregelung des § 1a Abs. 2 VVG nicht in ausreichendem Maß gesichert. Gerade angesichts dessen, dass der Nachbar vor dem Verwaltungsgerichtshof subjektive Rechte verfolge, könne es nicht mehr ausreichen, ihn bei der subjektiven Verfolgbarkeit dieser Rechte in Bezug auf die Umsetzbarkeit derselben ins Tatsächliche auf die Amtspflicht der Behörde bzw. die Judikatur der ordentlichen Gerichte zum Missbrauch der Amtsgewalt oder auf das Einschreiten der Volksanwaltschaft zu verweisen. Unter diesen Umständen vermöge auch das Interesse der Bauwerberin an einer Umsetzung des Bauvorhabens bereits während des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof nichts daran zu ändern, dass in einem Fall nach der Bauordnung für Wien, wie dem vorliegenden, die Interessenabwägung zugunsten der Nachbarn auszufallen hat.

Die RevisionswerberInnen haben sich in ihrem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ausdrücklich auf die o.a. Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs bezogen und nachvollziehbar vorgebracht, weshalb sie die dort dargestellten Überlegungen im vorliegenden Fall als anwendbar erachten. Die Argumentation der Bauwerberin, die RevisionswerberInnen hätten den ihnen bei Umsetzung der angefochtenen Baubewilligung drohenden unverhältnismäßigen Nachteil nicht ausreichend geltend gemacht, trifft somit nicht zu.

Öffentliche Interessen stehen der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen. Es war daher dem Antrag der RevisionswerberInnen Folge zu geben und die aufschiebende Wirkung zuzusprechen.

Die ordentliche Revision ist gemäß § 25a Abs. 2 VWGG unzulässig. 

Schlagworte

Revision; aufschiebende Wirkung; Antrag; Interessensabwägung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.111.V.072.13383.2019.R

Zuletzt aktualisiert am

07.10.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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