TE Bvwg Beschluss 2019/12/18 L526 2144581-2

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Veröffentlicht am 18.12.2019
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Entscheidungsdatum

18.12.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §20
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53
FPG §55 Abs1a

Spruch

L526 2144581-2/36E

L526 2144643-2/34E

L526 2144584-2/34E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Petra Martina SCHREY, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX (BF1), XXXX , geb. XXXX (BF2), XXXX , geb. XXXX (BF3), StA. Georgien, BF2-BF3 gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX (BF1), alle vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie-Flüchtlingsdienst GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 12.07.2018, Zlen. XXXX , beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs 3 BFA-VG stattgegeben und die bekämpften Bescheide behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrenshergang und Sachverhalt

1. Die Beschwerdeführer (in weiterer Folge auch kurz "BF" oder gemäß der Reihung im Spruch "BF1" bis "BF3" genannt) sind georgische Staatsbürger. Die weibliche BF1 stellte am 14.07.2015 für sich und am 03.02.2016 für ihre beiden minderjährigen Kinder (BF2 und BF3) in Österreich ihre ersten Anträge auf internationalen Schutz.

Als Ausreisegrund gab BF1, die sich zu diesem Zeitpunkt etwa im dritten Schwangerschaftsmonat befand, im Rahmen der Erstbefragung und der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge auch kurz "bB" genannt) zunächst im Wesentlichen zusammengefasst an, dass ihr Vater im Zuge eines Überfalls auf sein Geschäft bzw. einer nächtlichen Störung durch zwei betrunkene Burschen einen der Täter getötet habe und in der Folge die Familie der BF1 von der Familie des Getöteten bedroht worden sei. Sie sei deshalb geflüchtet. Der Vater ihrer ungeborenen Kinder habe sie vor der Bedrohung nicht schützen können. Zum EURODAC-Treffer in Griechenland führte sie aus, sie habe mehrere Jahre bei ihrer Tante in Griechenland gelebt und sei in eine Routinekontrolle geraten bzw. habe um Asyl angesucht.

Im Zuge einer weiteren niederschriftlichen Einvernahme gab die BF1 zum Fluchtgrund befragt im Wesentlichen zusammengefasst an, sie sei von zwei Männern aus der Familie des getöteten Burschen vergewaltigt worden und sie wisse nicht, wer der Vater ihrer Kinder sei. Sie habe vor ihrer Familie sowohl die Vergewaltigung als auch nunmehr die Existenz ihrer am XXXX in Österreich geborenen Zwillinge verheimlicht.

Für die minderjährigen BF2-BF3 wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.

Am 27.11.2016 ergingen im Erstverfahren bezüglich der BF die ersten abweisenden Bescheide der bB. Die darüber erhobenen Beschwerden wurden mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtshofes vom 13.07.2017, GZ: XXXX , gemäß §§ 3 Abs 1, 8 Abs 1, 57 und 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie §§ 52 Abs 2 Z 2 und Abs 9, 46 und 55 FPG abgewiesen. Diese Entscheidungen erwuchsen mit 25.07.2017 in Rechtskraft.

2. Am 10.08.2017 stellten die BF die gegenständlichen zweiten Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.

Hiezu wurde die volljährige BF1 noch am selben Tag von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.

Im Wesentlichen führte BF1 aus, dass ihre Verfolger sie noch immer suchen würden und es sei versucht worden, das Familienhaus anzuzünden. Weiters verfüge sie über eine neue psychologische Stellungnahme. Zudem würde sie - sollte ihre Familie von den beiden Kindern erfahren - von der Familie verstoßen und vom Bruder umgebracht werden.

Für BF2 und BF3 wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.

3. Am 22.08.2017 wurde BF1 vor der bB niederschriftlich befragt. Dabei gab BF1 zunächst an, dass sie gesund sei, aber psychische Probleme habe. In Österreich lebe sie von der Grundversorgung und erhalte Deutschunterricht. Zu ihrem Antrag brachte BF1 im Wesentlichen vor, dass vor etwa einem Monat ihr Elternhaus von den Verfolgern angezündet worden sei. Das Haus sei seit dem Vorfall im Jahr 2012 leer gestanden, der Brand habe von der Nachbarin gelöscht werden können. Ihren Verwandten gegenüber verheimliche sie die Kinder, im Rückkehrfall habe sie Angst, von ihrem Bruder getötet zu werden.

4. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 25.08.2017, XXXX wurde die Unterbringung der BF1 wegen Suizidgefährdung an der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikum XXXX für zulässig erklärt und der Auftrag zur Begutachtung der bei BF1 allfällig vorliegenden psychischen Erkrankung erteilt. Mit Gutachten vom 29.08.2017 wurde von Prim. Dr. Herwig Oberlerchner eine posttraumatische Belastungsstörung verbunden mit einer ernsten und erheblichen Selbstgefährdung der BF1 festgestellt und die Fortsetzung des Aufenthaltes in der geschlossenen Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie empfohlen. Am 12.09.2017 wurde die BF1 in stabilem Zustand mit empfohlener Medikation aus dem Klinikum XXXX entlassen.

5. Im Auftrag der bB erstellte Prim. Dr. Christoph Röper, LL.M, Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, am 19.10.2017 ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten über die BF1. Darin wurde ausgeführt, dass sich aktuell eine posttraumatische Belastungsstörung nicht diagnostizieren ließe, sie leide an einer Anpassungsstörung mit einer leichtgradigen depressiven Reaktion. Es sei von keiner dauerhaften Behandlungsbedürftigkeit auszugehen, Reisefähigkeit sei gegeben und es sei im Falle der Abschiebung von keiner Verschlechterung in lebensbedrohlichem Ausmaß auszugehen.

6. Am 30.11.2017 fand eine weitere niederschriftliche Einvernahme mit der BF1 statt, anlässlich welcher sie angab, dass sie fallweise Kontakt mit ihrer Mutter habe, diese aber nichts von der Existenz der Kinder wisse. Sie sei überzeugt, dass ihr Vater und ihr Bruder nicht zulassen würden, dass sie am Leben bleibe. Sie könne daher nicht nach Georgien zurück. Im Zuge dieser Niederschrift stellte die Rechtsberaterin der BF1 den Antrag, die Behörde möge - insbesondere auf Grund des Krankheitsbildes der Mutter - Ermittlungen zur Sicherstellung der Wahrung des Kindeswohles anstellen.

7. Die Anträge auf internationalen Schutz der BF1 bis BF3 wurden mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 12.07.2018, Zlen. XXXX , hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF1-BF3 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass deren Abschiebung nach Georgien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.) und es werde gegen die BF1 ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII. des Bescheides XXXX ).

Das BFA begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt vorliege und keine lebensbedrohliche Erkrankung der BF1 bis BF3 der Abschiebung entgegenstehe. Auch sei es bezüglich des Gesundheitszustandes der BF1 im Grunde zu keiner Veränderung seit ihrem Erstverfahren gekommen, sodass sie sich - wie bereits im Erstverfahren festgestellt - bei ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat um ihre Kinder kümmern könne.

Die Erlassung eines zweijährigen Einreiseverbotes über BF1 sei gerechtfertigt, weil BF1 trotz rechtskräftigem Abschluss ihres ersten Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht verlassen habe und zudem nicht in der Lage sei, ihren Lebensunterhalt zu sichern.

8. Mit Verfahrensanordnungen des BFA vom 13.07.2018 wurde gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG den BF1 bis BF3 amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

9. Die Bescheide wurden den BF am 13.07.2018 ordnungsgemäß zugestellt, wogegen am 10.08.2018 fristgerecht Beschwerde erhoben wurde.

In der Beschwerdeschrift wurde im Wesentlichen vorgebracht, es lägen "nova producta" vor, zumal es im August 2017 einen neuerlichen Versuch gegeben habe, das Haus der Familie im Herkunftsland anzuzünden. Nur durch aufmerksame Nachbarn habe dies verhindert werden können, der Staat sei nicht schutzfähig (gewesen). Auch würden die psychische Belastung der BF1 und die unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten zu einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes führen. Auch sei sowohl die Verhängung des zweijährigen Einreiseverbotes als auch dessen Dauer unbegründet und ohne Darlegung einer konkreten Gefährdungsprognose erfolgt. Gleichzeitig wurde ein Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gestellt.

10. Das Bundesverwaltungsgericht hat den Beschwerden im Rahmen einer durchgeführten Grobprüfung mit Aktenvermerk vom 21.08.2018 die beantragte aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt.

11. Mit Erkenntnis der Gerichtsabteilung L523 des Bundesverwaltungsgerichtes wurde der Beschwerde hinsichtlich des Spruchpunkts VII. des angefochtenen Bescheides XXXX stattgegeben und wurde das über BF1 verhängte Einreiseverbot ersatzlos behoben. In Bezug auf die Zurückweisung des Folgeantrages nach § 68 Abs. 1 AVG führte das Bundesverwaltungsgericht aus, die BF hätten keinen neuen entscheidungsrelevanten Sachverhalt vorgebracht. Dem neu erstatteten Vorbringen, wonach nach Abschluss des ersten Asylverfahrens ein Brandanschlag auf das Familienhaus der BF1 verübt worden sei, sprach es die Glaubwürdigkeit ab und stützte sich zum einen darauf, dass die zum Beweis vorgelegten Fotos einen Brandanschlag nicht belegen können und zum anderen auf die Argumentation, dass nach den Angaben der BF bereits im Erstverfahren ein Brandanschlag verübt worden sei, weshalb das Haus gar nicht mehr existieren könne.

12. Mit Schriftsatz des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.10.2018 wurde gemäß Art. 133 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 6 Z 2 B-VG der Antrag gestellt, der Verwaltungsgerichtshof möge das angefochtene Erkenntnis im Umfang der Anfechtung wegen Rechtswidrigkeit aufheben.

12. Mit Schriftsatz der BF vom 19.12.2018 wurde gemäß Art. 133 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 6 Z 1 B-VG der Antrag gestellt, der Verwaltungsgerichtshof möge das angefochtene Erkenntnis dahingehend abändern, dass den darin enthaltenen Anträgen vollinhaltlich stattgegeben wird, in eventu ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt werde oder das angefochtene Erkenntnis infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

13. Mit Erkenntnis vom 5.6.2019 (Ra 2018/18/0507 bis 0509-8) hob der Verwaltungsgerichtshof das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass das Bundesverwaltungsgericht der Anforderung einer ausreichenden Überprüfung der behaupteten Geschehnisse daraufhin, ob sie einen "glaubhaften Kern" aufweisen, nicht gerecht geworden sei. Das Bundesverwaltungsgericht habe insbesondere übersehen, dass BF1 im ersten Asylverfahen zwar einen Brandanschlag erwähnt, jedoch nie angegeben habe, dass ihr Familienhaus gänzlich abgebrannt sei. Zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit des vorliegenden Falles wären daher zusätzliche Ermittlungsschritte - wie etwa die Anhörung der BF1 - zu setzen gewesen. Da die angefochtene Erkenntnisse bereits aus diesem Grunde wegen Rechtswidrigkeit infolge Verfahrensvorschriften aufzuheben gewesen wären, sei auf die Behauptung, das Bundesverwaltungsgericht habe auch den durch die Suizidgefährdung der BF1 veränderten Sachverhalt und dessen Auswirkung auf das Kindeswohl der BF2 und BF3 nicht ausreichend berücksichtigt, nicht einzugehen.

14. Am 30.7.2019 langte in der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung ein Bericht der Landespolizeidirektion Niederösterreich ein, wonach BF1 dort unter Vorlage des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes und anderer Unterlagen Informationen bezüglich ihrer Unterbringung einholte. Anlässlich der Vorsprache bei der PI habe BF1 auch Fluchgtickets vorgelegt, aus welchen ablesbar war, das die BF im Zuge ihres Verfahrens in ihr Heimatland ausgereist und von dort wieder eingereist seien.

15. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 31.7.2019 wurden die BF aufgefordert, bekanntzugeben, ob sie ihr Vorbringen zu den Fluchtgründen aufrechterhalten und weshalb das Bundesverwaltungsgericht diesfalls angesichts der Tatsache, dass die BF in ihr Heimatland rückreisen, davon ausgehen sollte, dass ein Schutzbedürfnis weiterhin besteht bzw. dass die Effektuierung einer Rückkehrentscheidung nach Georgien die reale Gefahr einer Verletzung der Bestimmung der EMRK bedeuten würde. Ferner wurde angefragt, ob die BF mit Ermittlungen im Herkunftsstaat, etwa in Bezug auf die nach der Rückreise erfolgte Wohnsitznahme und die Reisebewegungen, einverstanden sind.

16. Mit ihrer Stellungnahme vom 5.8.2019 gaben die BF bekannt, dass sie sich nach wie vor als verfolgt sähen und sich BF1 bereits um einen Therapieplatz zur Fortführung ihrer psychotherapeutischen Behandlung bemühe.

17. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.8.2019 wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

18. Mit Erkenntnis vom 12.8.2019 (Ra 2018/20/0514-5) hob der Verwaltungsgerichtshof das angefochtene Erkenntnis in seinem Spruchumfang A) 1. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf. Anders als das Bundesverwaltungsgericht meine, ließe sich auch im gegenständlichen Fall das der "Mitbeteiligten" vom BFA für die Begründung des Einreiseverbotes vorgeworfene Fehlverhalten ohne nähere Feststellungen nicht bloß auf einen unrechtmäßigen Aufenthalt reduzieren. Es treffe auch nicht zu, dass dem in § 53 Abs. 2 Z 6 FPG enthaltenen Tatbestand kein eigenständiger Bedeutungsgehalt beizumessen wäre. Aufgrund dessen, dass das BVwG eine nicht dem Gesetz entsprechende Ansicht vertreten habe, habe es in der Folge auch hier unterlassen, die maßgeblichen Feststellungen für eine auf die Umstände des Einzelfalles abstellende einwandfreie rechtliche Beurteilung zu treffen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt)

Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsverfahrensakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zum vorangegangenen und gegenständlichen Verfahren sowie aus den Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes.

2. Rechtliche Beurteilung

Stattgabe der Beschwerde gemäß § 21 Abs 3 BFA-VG und Behebung des bekämpften Bescheides

§ 68 AVG

2.1. Gemäß § 68 Abs 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs 2 bis 4 AVG findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

2.2. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes steht die Rechtskraft einer Entscheidung einem neuerlichen Antrag entgegen, wenn keine relevante Änderung der Rechtslage oder des Begehrens vorliegt und in dem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt keine Änderung eingetreten ist (VwGH 29.06.2015, Ra 2015/18/0122). Die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die "entschiedene Sache", also durch die Identität der Verwaltungssache, über die bereits mit einem formell rechtskräftigen Bescheid abgesprochen wurde, mit der im neuen Antrag intendierten bestimmt (VwGH 17.02.2015, Ra 2014/09/0029). Identität der Sache als eine der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 68 Abs 1 AVG ist dann gegeben, wenn sich der für die Entscheidung maßgebende Sachverhalt, der dem rechtskräftigen Vorbescheid zugrunde lag, nicht geändert hat. Im Übrigen ist bei der Überprüfung, ob sich der Sachverhalt maßgeblich verändert hat, vom rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne dass dabei dessen sachliche Richtigkeit nochmals zu ergründen wäre, weil die Rechtskraftwirkung ja gerade darin besteht, dass die von der Behörde entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf. Eine andere fachliche Beurteilung unverändert gebliebener Tatsachen berührt die Identität der Sache nicht. In Bezug auf die Rechtslage kann nur eine Änderung der maßgeblichen Rechtsvorschriften selbst bei der Frage, ob Identität der Sache gegeben ist, von Bedeutung sein, nicht aber eine bloße Änderung in der interpretativen Beurteilung eines Rechtsbegriffs oder einer Rechtsvorschrift bei unverändertem Normenbestand (VwGH 24.06.2014, Ro 2014/05/0050). Als Vergleichsentscheidung ist dabei jene heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0783). Erst nach Erlassung des Bescheides hervorgekommene Umstände, die eine Unrichtigkeit des Bescheides dartun, stellen keine Änderung des Sachverhaltes dar, sondern bilden lediglich unter den Voraussetzungen des § 69 AVG einen Wiederaufnahmegrund (VwGH 17.02.2015, Ra 2014/09/0029). Im Folgeantragsverfahren können - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nur neu entstandene Tatsachen, die einen im Vergleich zum rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren geänderten Sachverhalt begründen, zu einer neuen Sachentscheidung führen, nicht aber solche, die bereits vor Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens bestanden haben (VwGH 08.09.2015, Ra 2014/18/0089). In Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz kann nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen, dem Relevanz zukommt (VwGH 09.03.2015, Ra 2015/19/0048). Die Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrages auf Grund geänderten Sachverhalts hat nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen. Im Rechtsmittelverfahren ist ausschließlich zu prüfen, ob die Behörde erster Instanz zu Recht zum Ergebnis gelangt ist, dass keine wesentliche Sachverhaltsänderung eingetreten ist. Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem BVwG nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH 29.06.2015, Ra 2015/18/0122).

§ 21 Abs 3 BFA-VG

2.3. Gemäß § 21 Abs 3 BFA-VG ist der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint (Satz 2). Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen (Satz 1).

2.4. Zum gegenständlichen Verfahren

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis (Ra 2018/18/0507 bis 0509-8) ausgesprochen, dass das Bundesverwaltungsgericht der Anforderung einer ausreichenden Überprüfung der behaupteten Geschehnisse daraufhin, ob sie einen glaubhaften Kern aufwiesen nicht gerecht geworden sei und dazu im Wesentlichen ausgeführt, es sei insbesondere übersehen worden, dass BF1 im ersten Asylverfahren zwar einen Brandanschlag erwähnt, jedoch nie angegeben habe, das Haus wäre gänzlich abgebrannt. Zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit des neu erstatteten Vorbringens wären daher im vorliegenden Fall weitere Ermittlungsschritte - wie etwa die Anhörung der Erstrevisionswerberin - zu setzen gewesen. Da nicht ausgeschlossen sei, dass die behaupteten neuen Tatsachen gemessen an der dem rechtskräftigen Erkenntnis des BVwG vom 13.7.2017 zugrundeliegenden Rechtsanschauung, zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, bedürfe es einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse einbeziehenden Auseinandersetzung mit iher Glaubwürdigkeit. In Bezug auf die Details wird auf das im Akt erliegende Erkenntnis verwiesen.

Auf das Vorbringen der BF, das Bundesverwaltungsgericht habe auch den durch die Suizidgefährdung der BF1 veränderten Sachverhalt und dessen Auswirkung auf das Kindeswohl der BF2 und BF3 nicht ausreichend berücksichtigt, wurde nicht eingegangen.

"Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht ist die Frage, ob die Zurückweisung der verfahrenseinleitenden Anträge durch die erstinstanzliche Behörde gemäß § 68 Abs. 1 AVG zu Recht erfolgte. Das BVwG hat dementsprechend zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist.

Das BFA hat im gegenständlichen Fall die im Erkenntnis genannten Prüfschritte zur Beurteilung der Glaubwürigkeit des neu erstatteten Vorbringens nicht vorgenommen. Das Bundesverwaltungsgericht kann nicht ohne weitere Ermittlungen des BFA über die Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens absprechen, weshalb der angefochtene Bescheid der zuvor zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes folgend gemäß § 21 Abs 3 BFA-VG aufzuheben ist.

2.5. Im fortgesetzten Verfahren wird das BFA die BF daher im Rahmen einer neuerlichen Einvernahme zu befragen und sich unter Einbeziehung der gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens auseinanderzusetzen haben.

Das BFA wird BF1 auch zum aktuellen Gesundheitszustand der BF und ihrem Privat- und Familienleben in Österreich näher zu befragen habeb. Auch mit der - aktuellen - Lage im Herkunftsstaat wird sich das BFA auseinanderzusetzen haben. Die Ermittlungsergebnisse und insbesondere auch entscheidungsrelevante, aktuelle und auf die individuelle Situation und den Herkunftsort der BF abgestimmte Länderfeststellungen werden den BF mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme innerhalb einer angemessenen Frist zur Kenntnis zu bringen sein. In weiterer Folge wird das BFA das Ermittlungsergebnis unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Bescheinigungsmittel einer schlüssigen Beweiswürdigung zu unterziehen und individuelle Feststellungen zu treffen zu haben, welche als Basis für die rechtliche Beurteilung dienen.

Entfall der mündlichen Verhandlung

2.6. Aufgrund der Behebung des angefochtenen Bescheides konnte eine Verhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Asylverfahren Behebung der Entscheidung Ersatzentscheidung ersatzlose Behebung Familienverfahren Folgeantrag Gesundheitszustand glaubhafter Kern Kindeswohl Sache des Verfahrens Suizidgefahr VwGH Zulassungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L526.2144581.2.01

Im RIS seit

08.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

08.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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