TE Vwgh Erkenntnis 1984/10/17 83/11/0182

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Veröffentlicht am 17.10.1984
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Index

Sozialversicherung - IESG
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
62 Arbeitsmarktverwaltung
68/02 Sonstiges Sozialrecht

Norm

AVG §45 Abs2
IESG §6 Abs2 idF 1980/580
IESG §7 Abs1 idF 1980/580
VwGG §41 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Dorner, Dr. Waldner und Dr. Bernard als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Schöller, über die Beschwerde des HW in W, vertreten durch Dr. Alfred Pribik, Rechtsanwalt in Wien XII, Aichholzgasse 6/13, gegen den Bescheid des Landesarbeitsamtes Wien vom 28. Juni 1983, Zl. IVb/7022/7400 B, betreffend Insolvenz-Ausfallgeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.385,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 5. Dezember 1977, AZ 6 Nc 1091/77, wurde ein Antrag auf Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Firma N Gesellschaft mbH mangels hinreichenden Vermögens abgewiesen.

Innerhalb der Frist des § 6 Abs. 1 IESG in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 580/1980 begehrte der Beschwerdeführer die Zuerkennung von Insolvenz-Ausfallgeld für behauptete gesicherte Ansprüche in näher bezeichneter Höhe gegen die Gemeinschuldnerin, bei der er vom 1. November 1976 bis 30. Juni 1978 beschäftigt gewesen sei. Es sei ihm vom Geschäftsführer PN ein monatliches Gehalt von S 6.000,-- netto, vierzehnmal jährlich, zugesagt worden. Es sei jedoch bisher keine Gehaltszahlung erfolgt. Nur die von ihm geleisteten Überstunden seien entgolten worden, und zwar mit einem Betrag von insgesamt S 25.000,-- netto. Die ehemalige Gesellschafterin IL sei in der Lage zu bestätigen, daß ein Gehalt von S 6.000,-- netto monatlich vereinbart worden sei, Gehaltszahlungen aber nicht erfolgt seien. In verschiedenen Schriftsätzen begründete er näher, aus welchem Grund er für die Gemeinschuldnerin solange tätig geworden sei, obwohl ihm kein Gehalt bezahlt worden sei.

Mit Bescheid vom 5. Juli 1982 lehnte das Arbeitsamt Versicherungsdienste (Wien) den Antrag gemäß § 1 Abs. 2 IESG mit der Begründung ab, das Ermittlungsverfahren habe keine „Beweismittel“ für das Bestehen aufrechter Ansprüche gegenüber der Gemeinschuldnerin erbracht.

Der vom Beschwerdeführer dagegen erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. In der Bescheidbegründung verweist sie zunächst auf die Berufung des Beschwerdeführers, in der er unter anderem auf den Strafakt des Geschäftsführers der Gemeinschuldnerin PN und die zahlreichen Exekutionen gegen die Gemeinschuldnerin zum Beweis dafür verwiesen habe, daß die Forderung gegen die Gemeinschuldnerin noch unbeglichen aushafte. Laut Aussage des Konzipienten des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers habe der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin PN die Forderung des Beschwerdeführers mündlich bestätigt, jedoch eine schriftliche Bestätigung verweigert. Zu dem vom Arbeitsamt Versicherungsdienste (Wien) übermittelten Forderungsverzeichnis habe PN trotz Urgenzen keine Stellungnahme abgegeben. Auch sei er an der vom Beschwerdeführer angegebenen Adresse nicht angetroffen worden. Die bereits im erstinstanzlichen Verfahren vernommenen Zeugen FS und EW hatten genausowenig etwas über den Bestand der Forderung sagen können wie die zweite Geschäftsführerin der Gemeinschuldnerin IL. Das vom Beschwerdeführer als Beweisstück erwähnte Kassabuch enthalte nur Aufzeichnungen aus der Zeit vor Beginn des Dienstverhältnisses des Beschwerdeführers bei der Gemeinschuldnerin. Laut Mitteilung des Finanzamtes für Körperschaften habe die Gemeinschuldnerin in der Zeit von 1976 bis 1978 keine Bilanzen gelegt und sei mit „Null“ geschätzt worden. Laut Mitteilung der Wiener Gebietskrankenkasse habe es seit Dezember 1976 Schwierigkeiten bei der Beitragsverrechnung mit der Gemeinschuldnerin gegeben. Im Hinblick auf dieses Ermittlungsergebnis habe die belangte Behörde nach Anhörung des Verwaltungsausschusses den offenen Bestand der Forderung des Beschwerdeführers wohl für glaubhaft, aber nicht für entsprechend nachgewiesen erachtet, weshalb der Anspruch des Beschwerdeführers auf Insolvenz-Ausfallgeld als nicht gesichert gemäß § 1 Abs. 2 IESG anzusehen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit in-folge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde beantragte in der Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 7 Abs. 1 IESG ist das Arbeitsamt bei Beurteilung des Vorliegens eines gesicherten Anspruches im Sinne des § 1 Abs. 2 leg. cit. an die hierüber ergangenen gerichtlichen Entscheidungen gebunden, die gegenüber dem Antragsteller rechtskräftig geworden sind. Soweit der dritte Satz des § 6 Abs. 5 leg. cit. anzuwenden ist, hat das Arbeitsamt dem Antrag ohne weitere Prüfung insoweit stattzugeben, als nach dem übersendeten Auszug (Abschrift) des Anmeldungsverzeichnisses der gesicherte Anspruch im Konkurs oder im Ausgleichsverfahren festgestellt ist. Im übrigen sind die §§ 45 bis 55 AVG 1950 anzuwenden.

Da im Beschwerdefall nicht die beiden ersten Sätze des § 7 Abs. 1 IESG anzuwenden waren, hatte die belangte Behörde daher gemäß § 45 Abs. 2 AVG 1950 unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob die Behauptung des Beschwerdeführers, es seien die ihm aus dem behaupteten Arbeitsverhältnis mit der Gemeinschuldnerin zustehenden Gehaltsansprüche in der im Antrag näher bezeichneten Höhe nicht erfüllt worden, als erwiesen anzusehen ist oder nicht.

Der im § 45 Abs. 2 AVG 1950 verankerte Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedeutet, daß für den Beweis einer Tatsache nicht irgendwelche Beweisregeln, sondern allgemein der „innere Wahrheitsgehalt“ der Ergebnisse ausschlaggebend ist; bei der Feststellung dieses inneren (materiellen) Wahrheitsgehaltes hat die Behörde schlüssig im Sinne der Denkgesetze vorzugehen. Diese behördliche Beurteilung unterliegt der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle in der Richtung, ob der Sachverhalt genügend ermittelt ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, d.h. ob sie unter anderem den Denkgesetzen sowie dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen. Wesentliche Mangel der Sachverhaltsdarstellung einschließlich der Beweiswürdigung führen zur Aufhebung eines Bescheides (vgl. Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Jänner 1984, Zl. 11/2677/80 und Zl. 11/3037/80, mit weiteren Judikaturhinweisen).

Die belangte Behörde gelangte nach der oben wiedergegebenen Begründung des angefochtenen Bescheides abschließend zum Ergebnis, sie erachte wohl den offenen Bestand der Forderung des Beschwerdeführers für glaubhaft, aber nicht für entsprechend nachgewiesen. Sollte sie mit der Wendung „entsprechend nachgewiesen“ meinen, es bestehe im Verfahren nach dem IESG eine von den Verfahrensgrundsätzen des AVG 1950 abweichende Verschiebung der Beweislast zuungunsten des jeweiligen Antragstellers, so läge eine Verkennung der Rechtslage vor. Einerseits hat nämlich der Verwaltungsgerichtshof unter Bezug auf das Erkenntnis vom 12. Oktober 1982, Zl. 82/11/0162, im bereits zitierten Erkenntnis vom 30. Jänner 1984, Zl. 11/2677/80, zur Frage der Verpflichtung einer Partei des Verfahrens zum Nachweis einer behaupteten Tatsache eingehend dargelegt, daß es auch im Verfahren nach dem IESG der Behörde obliegt, innerhalb der Grenzen ihrer Möglichkeiten und des vom Verfahrenszweck her gebotenen und zumutbaren Aufwandes ihrer nach den §§ 37, 39 Abs. 2 AVG 1950 bestehenden amtswegigen Ermittlungspflicht nachzukommen. Dort, wo es der Behörde nicht möglich ist, von sich aus und ohne Mitwirkung der Partei tätig zu werden (in diesem Bereich ist von einer Mitwirkungspflicht der Partei auszugehen), was insbesondere bei jenen in der Person des Antragstellers gelegenen Voraussetzungen der Fall sein wird, deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann, ist es Aufgabe der Behörde, der Partei mitzuteilen, welche personenbezogenen Daten zur Begründung des geltend gemachten Anspruches noch benötigt werden, und sie aufzufordern, für ihre Angaben Beweise anzubieten. Die nichtgehörige Mitwirkung unterliegt dann der freien Beweiswürdigung. Eine Verschiebung der Beweislast tritt auch nicht durch die in § 6 Abs. 2 IESG der Partei auferlegte spezielle Mitwirkungspflicht am Ermittlungsverfahren ein. Dafür, daß der Beschwerdeführer - bezogen auf das nach Auffassung der belangten Behörde allein relevante Beweisthema, ob die behaupteten gesicherten Ansprüche des Beschwerdeführers gegen die Gemeinschuldnerin noch aufrecht im Sinne des § 1 Abs. 2 IESG seien - die allgemeine oder spezielle Mitwirkungspflicht im eben dargelegten Sinn verletzt hat, bestehen weder nach der Begründung des angefochtenen Bescheides noch nach der Aktenlage irgendwelche Anhaltspunkte. Andererseits träfe selbst dann, wenn im Verfahren nach dem IESG grundsätzlich eine Verschiebung der Beweislast, zuungunsten des Antragstellers anzunehmen wäre, den Beschwerdeführer nur die Beweislast hinsichtlich der anspruchsbegründenden Umstande, also - ausgehend von seinen Behauptungen - des Abschlusses der Gehaltsvereinbarung im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses mit der Gemeinschuldnerin, nicht aber des anspruchsvernichtenden Umstandes einer bereits erfolgten Erfüllung der aus dieser Vereinbarung resultierenden gesicherten Ansprüche. Es ist daher zu prüfen, ob, wie der Beschwerdeführer ausführlich in seiner Beschwerde darlegt, die Beweiswürdigung der belangten Behörde, es sei der „offene Bestand“ der behaupteten Forderungen des Beschwerdeführers gegen die Gemeinschuldnerin, für die er Insolvenz-Ausfallgeld begehrt, nicht als erwiesen zu erachten, auf einem mangelfreien Verfahren beruht und im Sinne der obigen Darlegungen schlüssig ist.

Die belangte Behörde begründet ihr abschließendes Ergebnis, es sei der offene Bestand der Forderungen des Beschwerdeführers gegen die Gemeinschuldnerin wohl für glaubhaft gemacht, aber nicht für entsprechend nachgewiesen (im Sinne von erwiesen) zu erachten, sieht man vom Hinweis auf negative Ermittlungsergebnisse ab, einerseits damit, laut Aussage des Konzipienten des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin PN (mit dem nach der Behauptung des Beschwerdeführers das Arbeitsverhältnis begründet wurde und die Gehaltsvereinbarungen getroffen wurden) die Forderung des Beschwerdeführers mündlich bestätigt, jedoch eine schriftliche Bestätigung verweigert habe; andererseits verweist die belangte Behörde auf den aktenkundigen Umstand, daß zu dem von der erstinstanzlichen Behörde übermittelten Forderungsverzeichnis (gemäß § 6 Abs. 4 IESG) trotz Urgenzen keine Stellungnahme abgegeben habe; auch sei PN an der vom Beschwerdeführer angegebenen Adresse nicht angetroffen worden. Aus welchen Erwägungen die belangte Behörde aber trotz der mehrfachen Bestätigung der Behauptungen des Beschwerdeführers in seinen Vernehmungen als Partei, der offensichtlich von der belangten Behörde als wahr erachteten Zeugenaussage des Konzipienten des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers und der - als Stellungnahme nach § 6 Abs. 4 IESG zu qualifizierenden - niederschriftlichen Aussage der zweiten Geschäftsführerin der Gemeinschuldnerin, sie könne zwar nichts Konkretes über offene Forderungen des Beschwerdeführers gegen die Gemeinschuldnerin sagen, es sei jedoch anzunehmen, daß offene Forderungen bestünden, dennoch den „offenen Bestand der Forderungen des Beschwerdeführers gegen die Gemeinschuldnerin nur für glaubhaft gemacht, aber nicht für „entsprechend nachgewiesen“ erachtet hat, läßt sich in einer dem § 60 AVG 1950 entsprechenden Weise der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht entnehmen. Daß der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin PN trotz Urgenzen keine Stellungnahme zu dem ihm übermittelten Forderungsverzeichnis abgegeben hat und an der vom Beschwerdeführer angegebenen Adresse „nicht angetroffen“ wurde (nach einem Aktenvermerk war er aber dort sehr wohl wohnhaft), vermag unter Beachtung der für die Behauptung des Beschwerdeführers sprechenden Umstände das mehrfach genannte abschließende Ergebnis, zu dem die belangte Behörde gelangte, nicht in schlüssiger Weise zu begründen.

Da die belangte Behörde durch die mangelhafte Begründung des angefochtenen Bescheides Verfahrensbestimmungen verletzt hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 3 VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben; auf das übrige Beschwerdevorbringen (die behauptete inhaltliche Rechtswidrigkeit stellt in Wahrheit eine solche infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften dar) brauchte daher nicht eingegangen zu werden.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse des Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, verwiesen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 7. April 1981, BGBl. Nr. 221. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da ein Stempelgebührenersatz nur insofern zusteht, als Stempelgebühren im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu entrichten sind.

Wien, am 17. Oktober 1984

Schlagworte

freie Beweiswürdigung Sachverhalt Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1984:1983110182.X00

Im RIS seit

07.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

07.10.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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