TE Vwgh Erkenntnis 1997/11/11 96/01/0285

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Veröffentlicht am 11.11.1997
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §11;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AVG §37;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Unterer, über die Beschwerde des Mohamed Idi Adamu in Wien, geboren am 12. März 1974, vertreten durch Dr. Friedrich Staudacher, Rechtsanwalt in Klagenfurt, Alter Platz 30, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. März 1996, Zl. 4.348.679/1-III/13/96, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, ist am 21. Februar 1996 in das Bundesgebiet eingereist und hat am 26. Februar 1996 einen Asylantrag gestellt.

Bei der niederschriftlichen Befragung durch das Bundesasylamt am 26. Februar 1996 gab er zu seinen Fluchtgründen an, in seiner Heimat Kadett der Militärakademie in Kaduna gewesen zu sein. Mitte Oktober 1994 habe er gemeinsam mit neun weiteren Kadetten vom Leiter der Militärakademie den Auftrag erhalten, den früheren Generalmajor Yeraduwa bei einem Anschlag zu töten. Er habe sich vorerst geweigert, diesen Befehl durchzuführen, woraufhin er festgenommen und in der Kaserne mit glühenden Eisenstäben mißhandelt worden sei. Um den Mißhandlungen ein Ende zu setzen, habe er sich bereit erklärt, den Befehl doch durchzuführen. Er habe eine Waffe erhalten und es sei ihm mit seiner Hinrichtung gedroht worden, falls der Anschlag mißlingen würde. Nachdem er gemeinsam mit den neun Kadetten die Kaserne zur Durchführung des Befehls verlassen habe, habe er sich von der Gruppe entfernt und sich zuerst nach Maiduburi und anschließend nach Gamboru, in der Nähe der Grenze nach Kamerun begeben, wo er sich für die Dauer von etwa sechs Monaten aufgehalten habe. Von dort sei er mit einem Freund in Kontakt getreten, welcher ihm einen Reisepaß, der auf seinen Namen ausgestellt gewesen sei, samt Sichtvermerk für Tschechien verschafft habe. Anfang 1995 sei er legal mit diesem Reisepaß aus Nigeria ausgereist.

Gegen den diesen Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Berufung. Mit einem bei der Erstbehörde am 25. März 1996 eingelangten Schreiben ergänzte der Beschwerdeführer diese Berufung.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 18. März 1996 wurde die Berufung abgewiesen.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde hat dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht - etwa wegen der völlig anders lautenden Schilderung der Fluchtgründe und der Flucht bei der Vernehmung vor der Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf am 22. Februar 1996 oder wegen ungeklärter Identität - die Glaubwürdigkeit abgesprochen, sondern - teilweise durch zulässige (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. Oktober 1995, Zl. 95/01/0045) Übernahme der Begründung des Bescheides erster Instanz - die Ansicht vertreten, daß aus dem vom Beschwerdeführer vorgebrachten Sachverhalt eine begründete Furcht vor Verfolgung nicht ableitbar sei.

Die belangte Behörde führte dazu aus, die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Verfolgung sei nicht dem Staat zuzurechnen, sondern gehe vom Kommandanten der Militärakademie als Einzelperson aus; der Beschwerdeführer habe überdies nicht vorgebracht, auch nur den Versuch unternommen zu haben, den Schutz staatlicher Stellen in Anspruch zu nehmen.

Dazu hat der Beschwerdeführer in der Berufung ausgeführt, daß der Kommandant der Militärakademie als militärischer Befehlshaber jedenfalls ein Organ der Staatsgewalt sei. Er habe nicht annehmen können, seine Folterung und der Befehl zur Ausübung eines Morders seien ohne Wissen und Duldung weiterer staatlicher Organe erfolgt. Dies insbesondere im Hinblick darauf, daß Generalmajor Yeraduwa später von einem militärischen Sondergerichtshof zum Tode verurteilt worden sei. Es müsse also angenommen werden, die staatlichen Behörden Nigerias seien auch schon früher daran interessiert gewesen, den genannten Generalmajor aus dem Weg zu räumen. Eine Anzeige gegen den Kommandanten der Militärakademie bei den staatlichen Behörden einzubringen, wäre nicht nur sinnlos gewesen, sondern hätte mit größter Wahrscheinlichkeit zur Festnahme, weiteren Folterung und Hinrichtung des Beschwerdeführers geführt.

Da es sich bei einer Militärakademie um eine dem Staat zuzurechnende Einrichtung handelt, kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß eine vom Leiter dieser Einrichtung und Vorgesetzten des Beschwerdeführers ausgehende Verfolgung nicht dem Staat zuzurechnen ist. Da die Erstbehörde hiezu keine Erhebungen durchgeführt hat, insbesondere den Beschwerdeführer zu diesem Themenkreis nicht befragt hat, blieb das erstinstanzliche Verfahren insofern mangelhaft, weshalb das wiedergegebene Berufungsvorbringen nicht dem Neuerungsverbot gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 unterliegt. Ebenso unterliegt das Vorbringen in der Berufungsergänzung, welche am Tag vor der Erlassung (Zustellung an den Beschwerdeführer nach dessen Vorbringen am 26. März 1996 - ein anderes Zustelldatum ergibt sich nicht aus dem Akt) des angefochtenen Bescheides bei der Erstbehörde einlangte und somit beachtlich ist (vgl. die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, S. 238, E 64 zu § 34 AVG wiedergegebene hg. Judikatur), wonach der Beschwerdeführer am 13. März 1996 von seinem Onkel erfahren habe, in seiner Heimat als "Feind der Militärregierung" steckbrieflich gesucht zu werden, als vorgebrachter geänderter Sachverhalt nicht dem Neuerungsverbot. Sollte dieses Vorbringen zutreffen, was im fortgesetzten Verfahren zu klären sein wird, könnte keinesfalls von einer nur von einer Einzelperson ausgehenden Verfolgung gesprochen werden.

Soweit die belangte Behörde die Ansicht vertrat, die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Verfolgung sei nicht aus einem der im § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 taxativ aufgezählten Gründe erfolgt, ist ihr zu entgegnen, daß sich schon aus den erstinstanzlichen Angaben des Beschwerdeführers ergibt, daß es sich bei dem geplanten Mord an dem erwähnten Generalmajor um ein politisch motiviertes Verbrechen handelt und sich die Verfolgung wegen der Weigerung, daran mitzuwirken, als solche wegen einer zumindest unterstellten politischen Gesinnung darstellt. Jedenfalls ergibt sich aber aus dem - wie oben dargestellt - beachtlichen Vorbringen in der Berufungsergänzung, wonach der Beschwerdeführer als "Feind der Militärregierung" gesucht werde, daß dem Beschwerdeführer eine regierungsfeindliche politische Gesinnung unterstellt wird.

Zur Frage des zeitlichen Konnexes der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Verfolgungshandlungen mit der sechs Monate danach erfolgten Ausreise hat der Beschwerdeführer in der Berufung ausgeführt, daß er sich während dieser Zeit, in der er seine Flucht vorbereitet habe, verborgen gehalten habe. Da der Beschwerdeführer bereits bei seiner Vernehmung im erstinstanzlichen Verfahren ausgesagt hat, sich während dieser sechs Monate in einer Stadt nahe der Grenze zu Kamerun aufgehalten und mit Hilfe eines Freundes (illegal) einen Paß besorgt zu haben, hätte es zur Verneinung des zeitlichen Konnexes weiterer Erhebungen darüber bedurft, ob der Aufenthalt des Beschwerdeführers in der Grenzstadt den nigerianischen Behörden auch bekannt geworden ist. Da das erstinstanzliche Ermittlungsverfahren somit auch in dieser Hinsicht mangelhaft blieb, war auch dieses Berufungsvorbringen beachtlich. Im übrigen ergibt sich aus dem mehrfach erwähnten, beachtlichen Vorbringen in der Berufungsergänzung, daß die Gefahr für den Beschwerdeführer nach wie vor besteht.

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde kann weder aus der Tatsache, daß der Beschwerdeführer mit einem auf seinen Namen ausgestellten Reisepaß legal sein Land verlassen hat, noch daraus, daß er in den von ihm durchreisten Ländern keinen Asylantrag gestellt hat, noch aus seiner Aussage, er wolle in Österreich neben der Asylgewährung auch eine Arbeitsgenehmigung, ohne weitere Erhebungen geschlossen werden, daß keine begründete Furcht vor Verfolgung vorliegt.

Es sei hinzugefügt, daß das Fehlen eines Abspruches über den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 AsylG 1991 den angefochtenen Bescheid - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - nicht mit Rechtswidrigkeit belastet (vgl. aus der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes etwa die Erkenntnisse vom 29. Oktober 1993, Zl. 93/01/0545, und vom 16. März 1994, Zl. 94/01/0158).

Aufgrund der aufgezeigten Verfahrensmängel war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996010285.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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