TE Vwgh Beschluss 2020/9/7 Ra 2020/20/0222

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Veröffentlicht am 07.09.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs3a
AsylG 2005 §9 Abs2
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Rechtssache der Revision des A W in S, vertreten durch Mag. Christian Marchhart, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Domgasse 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Mai 2020, W125 2206870-1/19E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Dem Revisionswerber, einem Staatsangehörigen der Russischen Föderation, wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 23. März 2012 der Status des Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

2        Mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 7. Jänner 2015 wurde der Revisionswerber wegen des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 1 und § 12 dritte Alternative StGB und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Mit Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 22. Mai 2015 wurde der Berufung des Revisionswerbers teilweise Folge gegeben und die Freiheitsstrafe auf viereinhalb Monate herabgesetzt.

3        Am 20. Mai 2016 wurde der Revisionswerber vom Bezirksgericht St. Pölten wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 3 und § 81 Abs. 1 Z 2 StGB zu einer Geldstrafe in der Höhe von 80 Tagessätzen verurteilt.

4        Mit Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 21. Juni 2017 wurde der Revisionswerber wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB und des Verbrechens der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs. 2 StGB unter Bedachtnahme auf das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 20. Mai 2016 zu einer bedingt nachgesehenen Zusatzfreiheitsstrafe von 21 Monaten verurteilt. Vom Widerruf der mit Urteil vom 7. Jänner 2015 bedingt nachgesehen Freiheitsstrafe wurde abgesehen, jedoch die Probezeit auf fünf Jahre verlängert. Für den Revisionswerber wurde Bewährungshilfe angeordnet und ihm die Weisung erteilt, sich für die Dauer der Probezeit einer psychosozialen Beratung und Betreuung durch Teilnahme an einem Deradikalisierungs- und Aufklärungsprogramm zu unterziehen.

5        Mit Bescheid vom 18. Februar 2020 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem Revisionswerber den Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab und stellte fest, dass ihm gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Es erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu (Spruchpunkt II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erklärte jedoch die Erlassung einer Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig und erteilte dem Revisionswerber einen Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt IV.). Zur Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führte das BFA im Spruch die Bestimmung des § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 an und begründete diesen Ausspruch damit, dass im Fall des Revisionswerbers „keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, dass [er] im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Gefahr [laufe], in der Russischen Föderation einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden“.

6        Seine gegen Spruchpunkt I. und II. dieses Bescheides gerichtete Beschwerde wies das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis ohne Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Die Beschwerdeabweisung erfolgte mit der - erkennbar auf Spruchpunkt II. des Bescheides bezogenen - Maßgabe, dass dieser Ausspruch auf „§ 8 Abs. 1 Z 3a [gemeint: § 8 Abs. 3a] iVm. § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005“ gestützt wurde. In der Begründung hielt das BVwG dazu fest, dass „dem Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 23.3.2012 ... zu entnehmen [sei, dass der Revisionswerber] wegen seiner politischen Gesinnung bzw. der ihm unterstellten politischen Gesinnung der Status des Asylberechtigten zuerkannt [wurde]“ und „[z]ur Begründung ... im Wesentlichen darauf verwiesen [worden sei], dass gegen den [Revisionswerber] ein internationales Auslieferungsbegehren der Russischen Föderation wegen des Deliktes der Teilnahme an einer bewaffneten Formierung vorliege und dieses mit [näher genannten] Beschluss [eines] Landesgerichtes, abgewiesen worden sei“, welcher mit „erheblichen Bedenken“ im Hinblick auf Art. 3 und 6 EMRK begründet worden sei. Diesbezüglich lägen zum Entscheidungszeitpunkt (des BVwG) „keine neuen Verfahrensergebnisse vor“. Für den vorliegenden Fall sei jedoch „ohnedies primär festzuhalten“, dass dem Revisionswerber eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt worden sei und er sohin über einen „aufrechten - als dauernd intendierten - Aufenthaltstitel im Bundesgebiet“ verfüge, sodass ein „rechtliches Interesse an der weiteren Auseinandersetzung mit Fragen der Einhaltung von Art 3 EMRK in der Russischen Föderation heute“ in Bezug auf den Revisionswerber im Ergebnis nicht mehr bestehe. Eine Zuerkennung von subsidiärem Schutz komme schon (deshalb) nicht in Betracht, weil der Revisionswerber angesichts seines Verhaltens eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstelle, sodass die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 8 Abs. 3a in Verbindung mit § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorlägen.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Eingangs ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG nur im Rahmen der dafür in der Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen hat. Somit ist er weder verpflichtet, solche anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen. Dementsprechend erfolgt nach der Rechtsprechung die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulassungsbegründung (vgl. VwGH 13.7.2020, Ra 2019/20/0518, mwN).

11       Wird eine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geltend gemacht, ist in der gesonderten Zulassungsbegründung konkret auf die vorliegende Rechtssache bezogen aufzuzeigen, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung über die Revision zu lösen hätte und in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. VwGH 27.4.2020, Ra 2019/19/0452, mwN).

12       Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG habe entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 21.2.2017, Ra 2016/18/0137), wonach zur Klärung der Frage, ob einer Person ein „real risk“ einer Verletzung der in Art. 2 und 3 EMRK verbrieften Rechte drohe, auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abzustellen und individuelle Aspekte des Asylwerbers zu berücksichtigen seien, die gebotene individuelle Auseinandersetzung mit der Situation des Revisionswerbers im Falle seiner Rückverbringung in seinen Herkunftsstaat unterlassen. Mit diesem - erkennbar nur auf Spruchpunkt II. des Bescheides des BFA bezogenen - Vorbringen übersieht die Revision jedoch, dass das von ihr angeführte Erkenntnis die Voraussetzungen der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 betrifft, während das BVwG die Nichtzuerkennung dieses Status im vorliegenden Fall auf § 8 Abs. 3a AsylG 2005 gestützt hat. Nach § 8 Abs. 3a AsylG 2005 hat ausnahmsweise ungeachtet dessen, dass die Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten würde, die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zu unterbleiben, und zwar auch dann, wenn ein Grund für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt (vgl. VwGH 28.8.2014, 2013/21/0218; 26.4.2017, Ra 2017/19/0016). Die Zulässigkeitsbegründung tritt der Annahme des BVwG nicht entgegen, wonach im Fall des Revisionswerbers ein Grund für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Die - zudem auf ein für die Auslegung von § 8 Abs. 3a AsylG 2005 nicht einschlägiges Erkenntnis gestützte - Zulässigkeitsbegründung zeigt somit nicht auf, dass die Entscheidung von der geltend gemachten Rechtsfrage abhängt.

13       Soweit sich das Zulässigkeitsvorbringen der Revision gegen die Beweiswürdigung des BVwG wendet, ist ihr entgegenzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig und zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. (vgl. VwGH 1.7.2020, Ra 2020/20/0211, mwN). Eine derart krasse Fehlbeurteilung des BVwG vermag die Revision nicht darzulegen.

14       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 7. September 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200222.L00

Im RIS seit

02.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

02.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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