TE Vwgh Erkenntnis 2020/9/14 Ra 2020/02/0162

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Veröffentlicht am 14.09.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
90/01 Straßenverkehrsordnung

Norm

MRK Art6
StVO 1960 §20 Abs2
StVO 1960 §99 Abs2e
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §44 Abs1
VwGVG 2014 §44 Abs2
VwGVG 2014 §44 Abs3
VwGVG 2014 §44 Abs4
VwGVG 2014 §44 Abs5

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des F in W, vertreten durch Dr. Christoph Naske, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wipplingerstraße 21, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 26. Mai 2020, LVwG-S-1122/001-2019, betreffend Übertretung der StVO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Korneuburg), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde des nunmehrigen Revisionswerbers gegen ein Straferkenntnis der BH Korneuburg, mit welchem der Revisionswerber schuldig erachtet wurde, an einem bestimmten Tag am Tatort auf der Freilandstraße schneller als die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h gefahren zu sein, wodurch er § 20 Abs. 2 StVO iVm § 99 Abs. 2e StVO übertreten habe - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab. Es verpflichtete den Revisionswerber zur Zahlung eines Beitrages zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

2        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

3        Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die Zurück- in eventu die Abweisung der Revision sowie die Zuerkennung von Aufwandersatz.

4        Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

5        Hinsichtlich des Zulässigkeitsvorbringens, es liege eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vor, weil das Verwaltungsgericht trotz ausdrücklichen Antrages keine mündliche Verhandlung anberaumt hat, ist die Revision zulässig und berechtigt.

6        Das Verwaltungsgericht hat gemäß § 44 Abs. 1 VwGVG in Verwaltungsstrafsachen grundsätzlich eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In den Abs. 2 bis 5 leg. cit. finden sich zulässige Ausnahmen von der Verhandlungspflicht. Ein Absehen von der Verhandlung wäre nach dieser Bestimmung zu beurteilen und zu begründen gewesen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 8.3.2018, Ra 2017/02/0273, mwN).

7        In der Beschwerde an das Verwaltungsgericht hat der Revisionswerber die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

8        Da das Verwaltungsgericht mit Erkenntnis entschieden hat, kommt ein Absehen nach § 44 Abs. 4 VwGVG (das voraussetzt, dass das Verwaltungsgericht einen Beschluss zu fassen hat) nicht in Betracht. Ein ausdrücklicher Verzicht auf die Durchführung einer Verhandlung (im Sinn des § 44 Abs. 5 VwGVG) wurde nicht festgestellt. Auch die das Absehen von einer Verhandlung ermöglichenden Tatbestände des § 44 Abs. 3 VwGVG liegen nicht vor, weil der Revisionswerber die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat.

9        Das Verwaltungsgericht wäre daher verpflichtet gewesen, die beantragte öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen und hat durch das unbegründete Absehen von der Verhandlung das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

10       Nach der ständigen hg. Rechtsprechung führt ein Verstoß des Verwaltungsgerichts gegen die aus Art. 6 EMRK abgeleitete Verhandlungspflicht auch ohne nähere Prüfung einer Relevanz dieses Verfahrensmangels zur Aufhebung des Erkenntnisses gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG (vgl. z.B. VwGH 26.4.2019, Ra 2018/02/0260; VwGH 19.2.2018, Ra 2018/02/0027, mwN).

11       Das angefochtene Erkenntnis war daher schon aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

12       Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 14. September 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020020162.L00

Im RIS seit

12.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.10.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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