TE Vwgh Beschluss 2020/9/23 Ra 2020/02/0157

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Veröffentlicht am 23.09.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
60/02 Arbeitnehmerschutz

Norm

BArbSchV 1994 §87 idF 2009/II/408
B-VG Art133 Abs4
VStG §32 Abs2
VStG §44a Z1
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §38

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des DI H C in S, vertreten durch Mag. Max Verdino, Mag. Gernot Funder und Mag. Eduard Sommeregger, Rechtsanwälte in 9300 St. Veit/Glan, Waagstraße 9, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten vom 7. Mai 2020, KLVwG-1912/9/2019, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Klagenfurt am Wörthersee), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit dem Straferkenntnis der Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Klagenfurt am Wörthersee vom 21. August 2019 wurde dem Revisionswerber angelastet, er habe als handelsrechtlicher Geschäftsführer einer näher genannten GmbH zu verantworten, dass ein namentlich genannter Arbeitnehmer am 11. Dezember 2018 auf einer konkret angegebenen Baustelle Arbeiten am Dach mit einer Neigung von 2l°, einer Absturzhöhe von 7 m und reifbedeckter Schalungen der Kaltdachkonstruktion, ohne Schutzeinrichtungen gegen Absturz durchgeführt habe. Der Revisionswerber habe dadurch § 130 Abs. 5 Z l ASchG iVm § 87 Abs. 3 BauV übertreten und wurde zu einer Geldstrafe von € 1.660,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 5 Tage) verurteilt.

2        Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Kärnten insofern Folge, als es den Spruch dahingehend abänderte, dass der Arbeitnehmer auf der Geschoßdecke zwischen den Dachsparren Arbeiten verrichtet habe, obwohl an dieser Stelle Absturzgefahr bestanden habe (die Absturzhöhe habe ca. 6,5 m betragen), ohne dass in diesem Bereich entsprechende Absturzsicherungen angebracht gewesen seien. Der Revisionswerber habe dadurch § 7 Abs. 2 Z 4 BauV verletzt. Die Geldstrafe wurde auf € 800,-- (die Ersatzfreiheitsstrafe auf 58 Stunden) herabgesetzt. Der Kostenbeitrag für das verwaltungsbehördliche Strafverfahren erster Instanz wurde mit € 80,-- neu festgesetzt und die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig erklärt.

3        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Diese erweist sich als unzulässig.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        § 7 Abs. 1 und 2 Z 4 BauV in der Stammfassung BGBl. Nr. 340/1994, und § 87 BauV in der Fassung BGBl. II Nr. 408/2009 lauten samt Überschriften:

„Absturzgefahr

§ 7. (1) Bei Absturzgefahr sind Absturzsicherungen (§ 8), Abgrenzungen (§ 9) oder Schutzeinrichtungen (§ 10) anzubringen.

(2) Absturzgefahr liegt vor:

...

4.   an sonstigen Arbeitsplätzen, Standplätzen und Verkehrswegen bei mehr als 2,00 m Absturzhöhe.

...

11. ABSCHNITT

Arbeiten auf Dächern

Allgemeines

§ 87. (1) ...

(2) ...

(3) Bei Arbeiten auf Dächern mit einer Neigung von mehr als 20° und einer Absturzhöhe von mehr als 3,00 m müssen geeignete Schutzeinrichtungen vorhanden sein, die den Absturz von Menschen, Materialien und Geräten in sicherer Weise verhindern, wie insbesondere Dachfanggerüste (§ 88). Bei besonderen Gegebenheiten, wie auf glatter, nasser oder vereister Dachhaut, die ein Ausgleiten begünstigen, müssen auch bei geringerer Neigung solche Schutzeinrichtungen vorhanden sein. Wenn Arbeiten auf Dächern gleichzeitig oder aufeinanderfolgend sowohl an der Dachfläche als auch an der Traufe durchgeführt werden, müssen solche Schutzeinrichtungen verwendet werden, die sowohl für die Arbeiten an der Dachfläche als auch für die Arbeiten an der Traufe wirksam sind.

(4) ...“

8        Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, das Landesverwaltungsgericht habe nach Ablauf der Frist zur Verfolgungsverjährung den der Bestrafung im bekämpften Straferkenntnis zu Grunde gelegten Sachverhalt über eine bloße Präzisierung der rechtlichen Grundlage der Bestrafung hinausgehend ausgetauscht und damit den angelasteten Tatvorwurf in unzulässiger Weise ausgedehnt.

9        Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist Sache des Verwaltungsstrafverfahrens die dem Beschuldigten innerhalb der Verjährungsfrist zur Last gelegte Tat mit ihren wesentlichen Sachverhaltselementen, unabhängig von ihrer rechtlichen Beurteilung (vgl. VwGH 27.2.2019, Ra 2018/10/0194, mwN).

10       Eine Verfolgungshandlung im Sinn der §§ 31 und 32 VStG muss eine bestimmte Verwaltungsübertretung zum Gegenstand haben, was erfordert, dass sie sich auf alle der späteren Bestrafung zu Grunde liegenden Sachverhaltselemente beziehen muss. Der Vorschrift des § 44a Z 1 VStG ist - unter Rechtsschutzüberlegungen - dann entsprochen, wenn im Spruch des Strafbescheides dem Beschuldigten die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen ist, dass er (im ordentlichen Verwaltungsstrafverfahren, gegebenenfalls auch in einem Wiederaufnahmeverfahren) in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen, und der Spruch geeignet ist, den Beschuldigten (Bestraften) rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden. Nach diesen Gesichtspunkten ist in jedem konkreten Fall insbesondere auch zu beurteilen, ob die im Spruch des Strafbescheides enthaltene Identifizierung der Tat nach Ort und Zeit dem § 44a Z 1 VStG genügt oder nicht genügt. Das an Tatort- und Tatzeitumschreibung zu stellende Erfordernis wird daher nicht nur von Delikt zu Delikt, sondern auch nach den jeweils gegebenen Begleitumständen in jedem einzelnen Fall ein verschiedenes, weil an den oben wiedergegebenen Rechtsschutzüberlegungen zu messendes, Erfordernis sein (vgl. VwGH 28.5.2014, 2012/07/0033).

11       Nach der hg. Rechtsprechung ist eine Präzisierung der rechtlichen Grundlage der Bestrafung (Angabe der verletzten Verwaltungsbestimmung und angewendeten Strafnorm) zulässig, wenn es nicht zu einem Austausch der Tat durch Heranziehung eines anderen als des ursprünglich der Bestrafung zu Grunde gelegten Sachverhalts kommt (vgl. VwGH 7.8.2018, Ra 2018/02/0139, mwN).

12       Eine solche Erweiterung des Vorwurfs erst durch die Verwaltungsgerichte ist unzulässig. So stellt etwa eine Ausdehnung des Tatzeitraumes erst im Beschwerdeverfahren in Verwaltungsstrafsachen vor dem Verwaltungsgericht eine unzulässige Erweiterung des Tatvorwurfs und der Sache des Verfahrens im Sinn des § 50 VwGVG dar (vgl. VwGH 8.3.2017, Ra 2016/02/0226, mwN).

13       Im vorliegenden Fall wurde dem Revisionswerber mit Aufforderung zur Rechtfertigung und darauf folgend auch mit Spruch des Straferkenntnisses der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde vorgeworfen, er habe unter Verletzung des § 87 Abs. 3 BauV Arbeiten am Dach mit einer Neigung von 2l°, einer Absturzhöhe von 7 m und reifbedeckter Schalungen der Kaltdachkonstruktion, ohne Schutzeinrichtungen gegen Absturz durchführen lassen.

14       Das Verwaltungsgericht änderte den Spruch im angefochtenen Erkenntnis dahingehend ab, als es Arbeiten unter Verletzung des § 7 Abs. 2 Z 4 BauV auf der Geschoßdecke zwischen den Dachsparren mit Absturzgefahr und einer Absturzhöhe von ca. 6,5 m ohne entsprechende Absturzsicherungen anlastete.

15       Das Verwaltungsgericht sah - laut seiner Begründung im angefochtenen Erkenntnis - darin keine unzulässige Tatauswechslung, weil der Sachverhalt betreffend Arbeiten auf der Baustelle mit einer Absturzhöhe von 6,5 m ohne kollektive Schutzmaßnahmen unverändert geblieben sei. Diese Auffassung ist nicht unvertretbar, regelt doch § 87 BauV Arbeiten auf Dächern als lex specialis zur allgemeinen Bestimmung des § 7 BauV über die Absturzgefahr (vgl. VwGH 15.7.2004, 2001/02/0042), die im angefochtenen Erkenntnis herangezogen wurde. Die dafür konkret erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen müssen weder Spruchbestandteil noch Gegenstand einer (rechtzeitigen) Verfolgungshandlung sein (vgl. VwGH 11.5.2004, 2003/02/0248, mwN), sodass darauf nicht abzustellen war. Dass das Verwaltungsgericht gegenüber der von der belangten Behörde vorgenommenen Tatanlastung zusätzliche Tatbestandselemente herangezogen hätte, ist nicht ersichtlich. Daher erfolgte lediglich eine Präzisierung des Spruchs hinsichtlich des Tatortes sowie der angewendeten Normen und keine die Sache des Beschwerdeverfahrens überschreitende Erweiterung oder Änderung des Tatvorwurfs.

16       Der Revisionswerber zeigt auch nicht auf, dass die ihm vorgeworfene Tat nicht insoweit unverwechselbar konkretisiert gewesen sei, dass er außer Stande gewesen sei, auf den Vorwurf zu reagieren und damit sein Rechtsschutzinteresse zu wahren (vgl. VwGH 4.3.2020, Ra 2020/02/0013, 0014, mwN), oder dass er der Gefahr einer Doppelverfolgung ausgesetzt werde (vgl. VwGH 6.5.2020, Ra 2019/02/0213, mwN).

17       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 23. September 2020

Schlagworte

"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020020157.L00

Im RIS seit

02.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

02.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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