TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/29 W135 2209427-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.06.2020
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Entscheidungsdatum

29.06.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
VOG §1
VOG §10
VOG §3
VOG §4
VOG §5a

Spruch

W135 2209427-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ivona GRUBESIC als Vorsitzende und die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Michael SVOBODA als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vom 26.09.2018, Zl. XXXX , betreffend die Abweisung der Anträge auf Ersatz des Verdienstentganges, Kostenübernahme für psychotherapeutische Krankenbehandlung und berufliche Rehabilitation nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG), zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin brachte am 02.11.2015 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) in Form des Ersatzes des Verdienstentganges sowie auf Kostenübernahme für psychotherapeutische Krankenbehandlung wegen Verbrechen, die sie in verschiedenen Einrichtungen XXXX im Zeitraum 1963 bis 1978 erlebt habe, ein und verwies hinsichtlich des Tatherganges auf die dem Antrag beigelegten Unterlagen. Nunmehr leide sie an einer Traumatisierung sowie an körperlichen und seelischen Verletzungen.

Die Beschwerdeführerin legte ihren Pflegschaftsakt, ambulante Patientenbriefe des XXXX aus den Jahren 2014 und 2015 sowie einen psychologischen Untersuchungsbericht vom 06.09.2010 bei. Aus den ambulanten Patientenbriefen des XXXX gehen im Wesentlichen die Diagnosen einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10: F 43.1) im Übergang in eine anhaltende Persönlichkeitsveränderung nach extremen Lebenserfahrungen (ICD-10: F62.0), eine rezidivierende Depression, derzeit mittelschwere depressive Episode, ohne psychotische Symptome (ICD-10: F33.2) sowie eine Essstörung hervor. Dem psychologischen Untersuchungsbericht ist die Diagnose einer komplexen posttraumatischen Belastungsreaktion zu entnehmen, wobei auf ICD-10 F33.1 zurückgegriffen wurde, da die diagnostizierte Krankheit im ICD-10 Katalog nicht enthalten sei. Empfohlen wird eine psychotherapeutische Behandlung sowie bei Bedarf im Anschluss eine Traumatherapie.

Die belangte Behörde forderte in weiterer Folge die bei der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) aufliegenden Unterlagen betreffend die Beschwerdeführerin an, welchen entnommen werden kann, dass sich die Beschwerdeführerin seit 01.01.2015 in Invaliditätspension befindet. Im ärztlichen Gesamtgutachten vom 26.02.2015 wurde als Hauptursache für die Minderung der Erwerbsfähigkeit F43.1 und F32.9 nach ICD-10 (posttraumatische Belastungsstörung; rezidivierende Depression; Essstörungen; geringes Untergewicht bei bekannter Essstörung) festgestellt.

Im Zuge einer am 09.03.2016 erfolgten Eingabe der Beschwerdeführerin stellte diese einen Antrag auf Übernahme der Kosten für den Universitätslehrgang für Kynologie an der Veterinärmedizinischen Universität gemäß den Bestimmungen des Verbrechensopfergesetzes, da sie sich diesen mit der aktuell beziehenden Invaliditätspension nicht leisten könne. Sie habe aufgrund einer Retraumatisierung ihr Dienstverhältnis im Jahr 2013 krankheitsbedingt beenden müssen und sehe nunmehr eine gute Chance ihr Hobby im Kontakt mit Hunden zu ihrem Beruf zu machen.

Aus dem von der belangten Behörde weiters angeforderten Clearingbericht des Weißen Ringes, basierend auf einem Gespräch mit der Beschwerdeführerin am 19.04.2012, kann die Heimerlebnisse betreffend zusammenfassend folgender Sachverhalt entnommen werden: In XXXX sei die Beschwerdeführerin oft und regelmäßig sehr hart geschlagen und in einem Keller gesperrt worden. Nachts seien regelmäßig Männer ins Zimmer eingestiegen, die sie angegriffen und penetriert hätten. Die Beschwerdeführerin sei täglich sexuell missbraucht worden. In XXXX sei sie im Waschraum angebunden und dem kalten Wasser ausgesetzt worden und auch immer wieder durch Essensentzug bestraft worden. Bei einer Beichte sei ein Priester übergriffig geworden.

Die Beschwerdeführerin erhielt im Juni 2012 als Opfer von Gewalt in Heimen der Wiener Jugendwohlfahrt eine Entschädigungszahlung in Höhe von EUR 35.000,- sowie die Zusicherung einer Kostenübernahme für 80 Therapiestunden seitens des Weißen Ringes.

Über Aufforderung der belangten Behörde gab die Beschwerdeführerin schließlich am 14.04.2016 eine Stellungnahme zum Sachverhalt unter Beantwortung von Fragestellungen der belangten Behörde ab und geht aus dieser Stellungnahme hervor, dass die Unwilligkeit ihrer Mutter sie bei sich zu behalten, zur Heimunterbringung geführt hätte. Sie sei daher direkt von der Geburtsstation ins XXXX und nach etwa einem Jahr wieder zu ihrer Mutter gekommen, welche auch weiterhin kein Interesse an ihr gehabt haben dürfte, weshalb sie am 19.3.1966 in die Kinderübernahmestelle (KÜST) im XXXX gekommen sei. Dort habe sie Schläge erhalten, wenn sie nicht still und ausgestreckt eingeschlafen sei und habe deswegen heute noch Einschlafschwierigkeiten. 1971 sei sie auf den XXXX überstellt worden, 1972 wieder zur ihrer Mutter, von wo sie oft weggelaufen sei. Schließlich sei sie 1976 wegen Erziehungsnotstandes wieder in die KÜST und ins Landesjugendheim XXXX gekommen und habe von dort auch zahlreiche Fluchtversuche unternommen, bis sie schließlich 1979 mit 15 ½ Jahren vom Jugendamt „außer Stand genommen“ worden sei. Die Beschwerdeführerin schilderte die erlebte physische, psychische und sexuelle Gewalt, tätigte Angaben betreffend die Zeit nach der Heimunterbringung und führte aus, dass diese Misshandlungen ihre Entwicklung verzögert hätten. Sie habe jahrelang an Depressionen gelitten, habe leicht aggressiv reagiert; besonders, wenn sie unter Alkoholeinfluss gestanden sei, sei häufig mit dem Gesetz in Konflikt geraten und habe auch längere Zeit in Strafhaft verbracht. Sie sei, wie in einem damals für die MA11 erstellten Gutachten von Dr. H.K. am 03.08.1978 festgestellt, überdurchschnittlich intelligent, jedoch psychosozial verkümmert. Ihr Bestreben sich aus den sie beeinträchtigenden Verhältnissen zu befreien, welchem sie mit unzähligen Ausbruchsversuchen nachgekommen sei, hätten dazu geführt, dass sie keinen Hauptschulabschluss gemacht habe, da sie mit 15 ½ Jahren als „unerziehbar“ aus der Obhut des Jugendamtes entlassen worden sei. Ihr Wille eine Ausbildung nach ihren Interessen zu beginnen, sei an der Realität gescheitert, da eine Fortsetzung der Schule aus finanziellen Gründen nicht möglich gewesen sei. Ohne die Prägungen der langjährigen Heimlaufbahn hätte sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine ihrem Potential entsprechende Ausbildung durchlaufen können und einen ordentlichen Beruf ergriffen.

Die belangte Behörde holte ein auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin basierendes Amtssachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 20.01.2017 ein. In diesem wurde bei der Beschwerdeführerin eine andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung diagnostiziert, welche jedoch nicht kausal auf die erlittenen Verbrechen in den Kinderheimen zurückzuführen sei. Der Amtssachverständige führte in seinem Gutachten aus, dass ein Kausalzusammenhang nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei. Die Misshandlungen hätten zwar möglicherweise einen Einfluss auf den derzeitigen psychischen Leidenszustand gehabt, seien jedoch nicht als wesentliche Ursache anzusehen. Krankenstände, die die Beschwerdeführerin im Zeitraum 2007 bis 2010 gehabt habe, seien nicht kausal auf die Gewalterlebnisse in den Heimen zurückzuführen. Die Arbeitsunfähigkeit vom 14.05.2014 bis 31.03.2015 (F43.0 akute Belastungsreaktion) habe schließlich zur Invaliditätspension geführt. Für das geringe Ausbildungsniveau seien hauptsächlich die Sozialisierungsverhältnisse (familiäre Verhältnisse, finanzielle Unterstützung, Motivation, etc.) verantwortlich und könne dieses ebenfalls nicht auf die Gewalttaten in den Heimen zurückgeführt werden.

Mit Schreiben vom 10.05.2017 – eingelangt am 12.05.2017 – nahm die Beschwerdeführerin zu den bisherigen Ermittlungsergebnissen insbesondere dem Gutachten vom 20.01.2017 Stellung und legte einen weiteren Patientenbrief des XXXX vom 26.04.2017 vor. Die Stellungnahme der Beschwerdeführerin und der Patientenbrief wurden dem bereits zuvor befassten Facharzt für Neurologie und Psychiatrie als Amtssachverständigen vorgelegt und nahm dieser dazu in einem ergänzenden Gutachten vom 10.07.2017 Stellung.

Mit Bescheid vom 26.09.2018, GZ: XXXX , wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführerin auf Ersatz des Verdienstentganges, Kostenübernahme für psychotherapeutische Krankenbehandlung und berufliche Rehabilitation gemäß § 1 Abs. 1 und Abs. 3, § 3, § 4 Abs. 5, § 5a und § 10 Abs. 1 VOG ab. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass ein Kausalzusammenhang der bei der Beschwerdeführerin mit Gutachten vom 20.01.2017 festgestellten Gesundheitsschädigung einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung mit den erlittenen Verbrechen nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt habe werden können. Die Diagnose decke sich mit den vorgelegten Patientenbriefen des XXXX . Hinsichtlich der Kausalität habe der befasste Sachverständige jedoch ausgeführt, dass die Umstände des Heranwachsens bis zum Erwachsenenalter als „Extrembelastung“ anzusehen seien. So seien aus der Biographie mehrere belastende Lebensereignisse zu erheben, welche es aus fachärztlicher Sicht nicht möglich machen würden, die einzelnen Erlebnisse zu werten und hinsichtlich des Einflusses auf das gegenwärtige Zustandsbild zu gewichten. In Anwendung der Theorie der wesentlichen Bedingung hätten die ihr widerfahrenen Misshandlungen nicht als wesentliche Ursache für den Eintritt der psychischen Leiden festgestellt werden können. Mangels Vorliegen einer kausalen Gesundheitsschädigung könne auch keine Hinderung eines kontinuierlichen Berufsverlaufes bzw. einer besseren Ausbildung angenommen werden.

Mit Schreiben vom 02.11.2018, bei der belangten Behörde am 07.11.2018 eingelangt, erhob die Beschwerdeführerin das Rechtmittel der Beschwerde, in welcher sie vorbringt, dass die an ihr begangenen Verbrechen sehr wohl wesentliche Ursache der Gesundheitsschädigung sowie eines Verdienstentganges seien. Weder ihre frühe Mutterschaft mit Kindesabnahme, noch der Alkholkonsum, noch die Delinquenz und die resultierenden Gefängnisaufenthalte hätten für sie Belastungen dargestellt. Es seien von dem Sachverständigen keinerlei Überlegungen angestellt worden, inwiefern die späteren belastenden Faktoren lediglich Folge der vorangegangenen Verbrechen sein könnten. Die Entlassung aus dem Grund „schwer erziehbar“ habe ein Ausschlusskriterium bei der Lehrstellensuche dargestellt. Sie sei im Alter von fünf Jahren als „sehr wissbegierig“, als rasch lernend und „in der Sprache ausgeprägt“ beschrieben worden. Mit acht Jahren sei über sie geschrieben worden, dass sie „recht aufgeweckt und intelligent“ sei und sei auch im letzten Heimbericht vom 14.04.1978 vermerkt: „geistige Leistungsfähigkeit gut, doch infolge der Verwahrlosung nur durchschnittliche Leistungen“. Dass die bloß durchschnittlichen Leistungen bei sehr gutem Potential auf die Verwahrlosung bezogen worden seien, stelle einen klaren Hinweis auf die durch die Heimkarriere bedingte mangelnde Ausschöpfung ihres Potentiales dar. Die Misshandlungen hätten einen massiven Freiheitsdrang entwickelt, weshalb sie alles unternommen habe, um so schnell wie möglich aus diesen Institutionen zu entkommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist österreichische Staatsbürgerin und wurde am XXXX in XXXX geboren. Wegen gesundheitlicher Gefährdung (Obdachlosigkeit) wurde sie gemeinsam mit ihrer Mutter am 05.12.1963 im XXXX aufgenommen. Während die Kindesmutter am 23.12.1963 entlassen wurde, verblieb die Beschwerdeführerin im Kinderheim. Da sich ihre Eltern um ihre Betreuung vorerst bemüht zeigten, wurde die Beschwerdeführerin am 03.11.1964 zu diesen entlassen. Wegen Vernachlässigung der Pflege und Erziehung und Verwahrlosung sowie Gewalttätigkeiten des Vaters gegenüber der Mutter wurde schließlich die Unterbringung der Beschwerdeführerin ab 19.03.1966 im XXXX verfügt. Einer Überstellung ins XXXX am 26.09.1966 folgte die Unterbringung im Kinderheim XXXX ab 29.07.1971.

Im Schuljahr 1970/71 zeigten sich bei der Beschwerdeführerin Verhaltensschwierigkeiten und soziale Unreife. Die Beschwerdeführerin war wild, unfolgsam, streitsüchtig und störte ständig den Unterricht.

Am 06.07.1972 wurde die Beschwerdeführerin wiederum zur Mutter entlassen, wohingegen sich der Vater nach der erfolgten Scheidung aufgrund seines oftmaligen Alkoholkonsums nicht mehr um die Familie kümmerte. Mit der Beschaffung des Unterhaltes, der Erziehung und dem Haushalt war die Mutter überfordert. Die Beschwerdeführerin selbst wurde wegen Disziplinlosigkeit von der Hauptschule ausgeschlossen, woraufhin die Mutter die Beschwerdeführerin nicht mehr bei sich zu Hause aufnehmen wollte und am 25.06.1976 eine erneute Unterbringung wegen Erziehungsnotstandes im XXXX erfolgte.

Die Beschwerdeführerin konnte sich im XXXX nicht einordnen, schwänzte den Unterricht, verhielt sich laut und auffällig. Am 02.02.1977 wurde die Beschwerdeführerin ins Landesjugendheim XXXX überstellt. Nach abermaliger Unterbringung im XXXX erfolgte ab 01.09.1978 eine Unterbringung im Zentrum Spattstraße in Linz, aus welchem die Beschwerdeführerin bis zum 22.12.1978 fünf Mal entwich. Letztlich wurde die Beschwerdeführerin am 08.03.1979 aus der Heimunterbringung entlassen.

Festgestellt werden kann, dass die Beschwerdeführerin während den Aufenthalten im XXXX und im XXXX physischen Misshandlungen in Form von Schlägen ausgesetzt war.

Im Heim XXXX wurde sie beschimpft, mit Gegenständen wie Schlüssel, Holzpantoffel, etc. beworfen, getreten, an den Haaren gerissen und geschlagen. Zudem musste sie „Kaltwasserkuren“ und Waterboarding erleiden, bis zum Erbrechen essen und das Erbrochene sodann wiederum essen. Des Weiteren kam es regelmäßig zu sexuellen Übergriffen.

Während ihrer Zeit im Landesjugendheim XXXX war sie Schlägen, Kaltwasserduschen, Essensentzug ausgesetzt und wurde eingesperrt.

Die Hauptschule schloss die Beschwerdeführerin nicht ab. Die Fortsetzung der Schule nach Entlassung aus der Obhut der Jugendwohlfahrt war aus finanziellen Gründen nicht möglich. Es kam zu Alkoholexzessen und Drogenkonsum. Im Alter von 16 Jahren wurde die Beschwerdeführerin zum ersten Mal schwanger, wobei ihr der am 28.08.1980 geborene Sohn vom Jugendamt abgenommen wurde. Es folgten drei kurze – jeweils einen Monat nicht überschreitende – Arbeitsverhältnisse bei unterschiedlichen Unternehmen. Aufgrund vermehrter Delinquenz verbrachte die Beschwerdeführerin zwischen ihrem 18. und 22. Lebensjahr mehrere Monate im Gefängnis. 1988 und 1990 brachte die Beschwerdeführerin zwei Töchter auf die Welt und ließ sich 1994 vom Vater dieser beiden Kinder scheiden, welcher 1998 verstarb. 2002 gebar die Beschwerdeführerin ihr viertes Kind und war nach der Karenzzeit im Sicherheitsdienst als Hundeführerin tätig. Zwischenzeitig war die Beschwerdeführerin arbeitslos. Zuletzt arbeitete die Beschwerdeführerin von 18.06.2011 bis zum 16.12.2013 bei einer Sicherheitsdienstleistungsfirma, bezog im Anschluss an die Urlaubsentschädigung ab 07.01.2014 Arbeitslosengeld mit zwischenzeitigen Unterbrechungen infolge mehrerer Krankenstände.

Im Zeitraum von 02.01.2010 bis zum 07.01.2010 sowie von 14.05.2014 bis zum 31.03.2015 war die Beschwerdeführerin wegen einer akuten Belastungsreaktion (ICD-10: F43.0) arbeitsunfähig.

Seit 01.01.2015 steht die Beschwerdeführerin aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10: F43.1), rezidivierenden Depression (ICD-10: F32.9) und Essstörungen in Bezug von Invaliditätspension, wobei diese Krankheitsbilder nicht kausal auf die Gewalterlebnisse in den Kinderheimen zurückzuführen sind.

Die Beschwerdeführerin leidet aktuell an einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung (ICD-10: F62.0), welche nicht kausal auf die Misshandlungen in den Kinderheimen als wesentliche Ursache zurückgeführt werden kann. Eine posttraumatische Belastungsstörung (F43.1) kann dieser Form der Persönlichkeitsänderung vorausgegangen sein.

Dass die Beschwerdeführerin im fiktiven schadensfreien Verlauf – ohne die an ihr verübten Gewalttaten – einen anderen beruflichen Lebensweg eingeschlagen hätte, ist nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellung zur Staatsbürgerschaft gründet sich auf der Angabe der Beschwerdeführerin im Antrag, welche sich mit den Erhebungen der belangten Behörde, insbesondere dem vorliegenden Pflegschaftsakt deckt.

Die Feststellungen zur Geburt der Beschwerdeführerin, zu den Heimunterbringungen und deren Gründe sowie die Feststellungen zu ihren familiären und sozialen Verhältnissen vor den jeweiligen Heimunterbringungen gründen auf die im Verwaltungsakt einliegenden Kopien aus dem Pflegschaftsakt der Beschwerdeführerin.

Die Feststellungen zu den physischen Misshandlungen der Beschwerdeführerin im XXXX , im XXXX , im Landesjugendheim XXXX sowie den stattgefundenen sexuellen Übergriffen im Heim XXXX basieren auf den diesbezüglichen Angaben der Beschwerdeführerin, welche sich mit den Schilderungen anderer ehemaliger Heimzöglinge decken und daher als glaubhaft angenommen werden konnten. Zu dem von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführten sexuellen Missbrauch durch den Hausmeister im Keller des Heimes XXXX sowie den sexuellen Übergriff durch den Pfarrer bei der Beichte in XXXX ist auszuführen, dass die belangte Behörde diese Vorfälle aufgrund fehlender objektiver Unterlagen, Aufzeichnungen oder Beweise nicht feststellte. Insofern die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde vorbringt, nicht zu verstehen, weshalb diese Missbräuche nicht objektiviert seien, sie jedenfalls die Wahrheit gesagt habe und ihr geglaubt werden solle, ist auszuführen, dass es im gegenständlichen Fall in einer Gesamtschau, aufgrund ohnehin zugrunde gelegter sexueller Missbräuche nicht auf diese einzelnen Ereignisse ankommt, zumal die Beschwerdeführerin selbst dazu ausführte, dass diese zwei Fakten keine maßgebliche Rolle spielen würden.

Die Feststellungen zur nicht abgeschlossenen Hauptschule sowie die Feststellung dazu, dass eine Fortsetzung der Schule aus finanziellen Gründen nicht möglich war, beruhen auf den Angaben der Beschwerdeführerin, insbesondere in ihrer Stellungnahme vom 25.03.2016. Dass sie nach der Entlassung aus dem Heim am 08.03.1979, mit 15 ½ Jahren auf sich alleine gestellt, keine weitere Schulausbildung absolvieren konnte, ist mit der allgemeinen Lebenserfahrung vereinbar und damit nachvollziehbar und glaubhaft. Auch schilderte die Beschwerdeführerin von ihrer Alkoholabhängigkeit, mehrfacher Delinquenz und von Zeiten, welche sie in Strafhaft verbrachte. Dem Sozialversicherungsdatenauszug kann die Geburt ihres ersten Kindes am 28.08.1990 sowie der weiteren Kinder in den Jahren 1988, 1990 und 2002, in Übereinstimmung mit den Erzählungen der Beschwerdeführerin entnommen werden.

Die Feststellungen sämtlicher Arbeitsverhältnisse sowie des Bezuges von Arbeitslosengeld konnten aufgrund des eingeholten Sozialversicherungsdatenauszuges getroffen werden.

Dass die Beschwerdeführerin wegen einer akuten Belastungsreaktion Zeiten von Krankenständen in den Jahren 2010 und 2014 bis 2015 aufwies, beruht auf – bereits seitens der belangten Behörde eingeholten – Auskünften der XXXX , bei welchen die Beschwerdeführerin gemeldet war.

Die Feststellungen zur Invaliditätspension wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10: F43.1), rezidivierenden Depression und Essstörungen, gründet sich auf das im Verwaltungsakt einliegende medizinische Gutachten der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) vom 26.02.2015 (Seiten 135 – 138 des Verwaltungsaktes) sowie auf die chefärztliche Stellungnahme vom 27.02.2015, welche ebenfalls im Verwaltungsakt einliegend ist (Aktenseite 140). Demnach stellen diese Gesundheitsschädigungen die Hauptursache für die Minderung der Erwerbsfähigkeit dar.

Dass die Beschwerdeführerin aktuell an einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung (ICD-10: 62.0) leidet, gründet sich auf das nervenfachärztliche Amtssachverständigengutachten vom 20.01.2017 sowie auf das Ergänzungsgutachten vom 10.07.2017, welche der Beschwerdeführerin jeweils im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht wurden und sie sich dazu auch jeweils in einer Stellungnahme äußerte.

Die in dem nervenfachärztlichen Sachverständigengutachten festgestellte Gesundheitsschädigung ist mit den von der Beschwerdeführerin in Vorlage gebrachten medizinischen Befunden des XXXX (Aktenseiten 89 – 96), der Diagnose aus der psychologischen Untersuchung vom 06.09.2010 (Aktenseiten 97 – 100) sowie einem weiters vorgelegten Befundbericht Dris. C.A.A. vom 16.07.2014 (Aktenseite 131) in Einklang zu bringen und steht in keinem Widerspruch zu diesen. So gehen aus den ambulanten Patientenbriefen des XXXX die Diagnosen einer posttraumatischen Belastungsstörung (F43.1) im Übergang in eine anhaltende Persönlichkeitsveränderung nach extremen Lebenserfahrungen (ICD-10: F62.0) sowie eine rezidivierende Depression mit einer damals vorgelegenen (die Diagnose stammt vom 12.01.2015) mittelschweren depressive Episode ohne psychotische Symptome (ICD-10: F33.2), wobei an dieser Stelle darauf hinzuweisen ist, dass F33.2 eine schwere Episode erfasst, richtigerweise sohin eine Zuordnung zu F33.1 erfolgen hätte müssen, hervor. Der psychologischen Untersuchung vom 06.09.2010 ist ebenfalls die Diagnose F33.1 zu entnehmen.

Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin aktuell vorliegenden Diagnose der andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung wird vom Amtssachverständigen festgehalten, dass es sich dabei um eine wenigstens über zwei Jahre bestehende Persönlichkeitsänderung handelt, welche einer Belastung katastrophalen Ausmaßes folgen kann. Die Belastung muss extrem sein, dass die Vulnerabilität der betreffenden Person als Erklärung für die tief greifende Auswirkung auf die Persönlichkeit nicht in Erwägung gezogen werden muss. Die Störung ist durch eine feindliche oder misstrauische Haltung gegenüber der Welt, durch sozialen Rückzug, Gefühle der Leere oder Hoffnungslosigkeit, ein chronisches Gefühl der Anspannung wie bei ständigem Bedrohtsein und Entfremdungsgefühl, gekennzeichnet. Weiters ist zu dieser Gesundheitsschädigung beschrieben, dass eine posttraumatische Belastungsstörung (F43.1) dieser Form der Persönlichkeitsänderung vorausgegangen sein kann, was sich nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes mit den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Patientenbriefen des XXXX aus den Jahren 2014 und 2015 deckt, in welchen unter anderem die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung gestellt wird. Wie vom Amtssachverständigen in seinem Ergänzungsgutachten vom 10.07.2017 festgehalten wird, ist jedoch nicht schlüssig nachvollziehbar, was von den Fachärzten des XXXX unter einer in den Patientenbriefen festgestellten „komplexen posttraumatischen Belastungsstörung“ verstanden wird, zumal ein derartiges Krankheitsbild nach der ICD-10 nicht existiert. Dasselbe gilt für die im Befundbericht Dris. C.A.A. vom 16.07.2014 der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie festgehaltene Diagnose der komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung mit dissoziativen Zuständen […].

An dieser Stelle ist auch darauf hinzuweisen, dass im Patientenbrief des XXXX vom 09.01.2015 festgehalten wird, dass im Fall der Beschwerdeführerin als besonders belastend alle Situationen zu sehen seien, die einer Freiheitseinschränkung bzw. Inhaftierung entsprechen würden, was insofern nicht nachvollziehbar ist, als die Beschwerdeführerin selbst in ihrer Beschwerde ausführt, dass die Gefängnisaufenthalte für sie keinerlei Belastung dargestellt hätten. Ganz im Gegenteil sei sie dort sehr entspannt gewesen und habe die Bibliothek benützen können.

Im Übrigen wählten die Fachärzte des XXXX auch die Klassifikationen F62.0 und F43.1, was mit dem eingeholten Amtssachverständigengutachten in völligem Einklang steht.

Hinsichtlich der Beurteilung der Kausalität stützt sich das Bundesverwaltungsgericht ebenso auf das eingeholte Amtssachverständigengutachten vom 20.01.2017 sowie auf das Ergänzungsgutachten vom 10.07.2017, in welchen insgesamt nachvollziehbar und schlüssig unter Zugrundelegung des festgestellten Sachverhaltes betreffend die Misshandlungen der Beschwerdeführerin dargelegt wurde, dass die Gewalterlebnisse in den Kinderheimen zwar möglicherweise Einfluss auf den aktuell vorliegenden psychischen Gesundheitszustand genommen haben, jedoch nicht als dessen wesentliche Ursache anzusehen sind. Das Leben der Beschwerdeführerin wesentlich beeinflusst haben die ungünstigen Sozialisierungsbedingungen, welche in einer bereits im Säuglingsalter erfolgten Heimaufnahme der Beschwerdeführerin, ohne Bindungserfahrung zur Mutter sowie weitere belastende Faktoren, welche in der jugendlichen Mutterschaft der Beschwerdeführerin in Verbindung mit der Trennung von ihrem ersten Kind, der mehrjährigen Alkoholkrankheit und Delinquenz liegen. Dass es aus fachärztlicher Sicht nicht möglich ist, diese Ereignisse einzeln zu werten und hinsichtlich dem Einfluss auf das gegenwärtige Zustandsbild zu gewichten, ist für das Bundesverwaltungsgericht ebenfalls nachvollziehbar und schlüssig. Aus den im Pflegschaftsakt festgehaltenen Aufzeichnungen, welche dem Verwaltungsakt einliegend sind, ergibt sich zudem ein mit dem Gutachten Dris. P. vom 20.01.2017 im Einklang stehendes, schlüssiges Gesamtbild, wenn darin ausgeführt wird, dass die Beschwerdeführerin beispielsweise im Schuljahr 1970/71 wegen Verhaltensschwierigkeiten und sozialer Unreife vom Schulbesuch zurückgestellt werden musste und schließlich von dem im Anschluss folgenden Vorschulbesuch aufgrund ihres wilden, streitsüchtigen und störenden Verhaltens ebenfalls zurückgestellt wurde. Diesen Verhaltensauffälligkeiten gingen sieben Jahre schwerster sozialer Bedingungen voraus, indem die Beschwerdeführerin bereits unmittelbar nach ihrer Geburt im Zentralen Kinderheim verblieb und die Beschwerdeführerin erst nach einem Jahr in die Obhut der Mutter entlassen wurde, bei welcher sie lediglich eineinhalb Jahre verblieb und danach im Jahr 1966 wieder wegen Verwahrlosungsgefahr (die Wohnung zeigte sich als schlampig, unordentlich und generell als erziehungsinsuffizientes Milieu, die Pflege und Erziehung verschlechterten sich und es kann im Zuge eines Streits zu Tätlichkeiten des Vaters gegenüber der Mutter) im Kinderheim untergebracht wurde. Diese Umstände des Heranwachsens bis zum relativ späten Erwachsenenalter wurden vom Sachverständigen für das Bundesverwaltungsgericht nachvollziehbar als die der gestellten Diagnose zugrundeliegende „Extrembelastung“ beschrieben.

Wie vom Amtssachverständigen richtigerweise in seinem Ergänzungsgutachten vom 10.07.2017 weiters festgehalten wurde, wurden die oben angeführten ungünstigen Sozialisierungsbedingungen ohne konstante Bindungserfahrung von den Fachärzten des XXXX in ihren jeweiligen Ambulanten Patientenbriefen, wenn sie darin vermeinen, dass aufgrund der schweren Misshandlungen in den Kinderheimen eine „schwere, komplexe, posttraumatische Belastungsstörung“ entwickelte, nicht berücksichtigt. Die Beschwerdeführerin wurde bereits im Säuglingsalter in einem Heim aufgenommen und hat nahezu ihre gesamte Kindheit und Jugend in diversen Einrichtungen verbracht. Der nervenfachärztliche Amtssachverständige hat wie bereits ausgeführt für das Bundesverwaltungsgericht insgesamt nachvollziehbar und schlüssig dargelegt, dass die Umstände der Heimaufnahme aufgrund der Obdachlosigkeit der Mutter und in weiterer Folge die Verwahrlosungsgefahr der Beschwerdeführerin aufgrund fehlender mütterlicher Versorgung sowie auch die mehrfachen Heimwechsel bei einem insgesamt zehn Jahre andauernden Heimaufenthalt wesentlich zur Entwicklung der Beschwerdeführerin beigetragen haben und nicht unberücksichtigt bleiben darf, dass auch nach Entlassung aus dem Heim, als die Beschwerdeführerin gerade einmal 15 ½ Jahre alt war, die Belastungen kein Ende genommen haben. So stellte auch ihre Schwangerschaft im Alter von 16 Jahren mit anschließender Trennung vom Kind eine weitere Extrembelastung dar.

In logischer Schlussfolgerung daraus hielt der Amtssachverständige fest, dass es keinen Hinweis dafür gäbe, dass die erlittenen Misshandlungen die festgestellte Gesundheitsschädigung vorzeitig ausgelöst hätte bzw. führte der Sachverständige auch aus, dass diese auch ohne die Ereignisse in den Kinderheimen etwa zum selben Zeitpunkt entstanden wäre.

Der Amtssachverständige nahm in seinem Gutachten vom 20.01.2017 auch Bezug auf vorliegende Krankenstandszeiten in den Jahren 2010 und 2014/2015 und führte dazu aus, dass aus den Unterlagen keine kausalen Ursachen für die Krankenstandszeiten ersichtlich seien und diese nicht im direkten Zusammenhang mit den Gewalterlebnissen in den Kinderheimen stehen würden.

Dass die Beschwerdeführerin die Hauptschule nicht abschloss bzw. keine weiterführende Ausbildung absolvierte ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes den schlüssigen Schilderungen der Beschwerdeführerin zufolge ihrem massiven Freiheitsdrang geschuldet, welcher dazu führte, dass sie mit bereits 15 ½ Jahren aus der Heimunterbringung entlassen wurde und in Folge auf sich allein gestellt war, was in weiterer Folge dazu führte, dass es ihr aus finanziellen Gründen nicht möglich war eine Schule zu besuchen bzw. eine Ausbildung zu machen. Betrachtet man die sozialen Verhältnisse der Beschwerdeführerin bei der Kindesmutter, ist es hingegen auch nicht wahrscheinlich, dass die Beschwerdeführerin im fiktiven schadensfreien Verlauf eine bessere Ausbildung zu erwarten gehabt hätte. Die Beschwerdeführerin selbst schilderte, dass ihre Mutter 13 Kinder gebar und sich um diese nicht kümmerte. Im Übrigen unternahm die Beschwerdeführerin auch in der Obhut ihrer Mutter ständig Fluchtversuche.

Abschließend ist jedoch nochmals darauf hinzuweisen, dass vor dem Hintergrund des vorliegenden Amtssachverständigengutachten eine kausal auf die Erlebnisse in den Kinderheimen zurückzuführende Gesundheitsschädigung im Fall der Beschwerdeführerin nicht festgestellt werden konnte, weshalb schon vor diesem Hintergrund nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Heimunterbringung bzw. die während dieser erlebten physischen und sexuellen Misshandlungen ihren beruflichen Werdegang maßgeblich beeinflusst hätten.

Die im Rahmen des Gutachtens vom 20.01.2017 und des Ergänzungsgutachtens vom 10.07.2017 getätigten Ausführungen des von der belangten Behörde beigezogenen Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, welche mit den von der Beschwerdeführerin vorgelegten medizinischen Unterlagen nicht im Widerspruch stehen, sind nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes vollständig, schlüssig und widerspruchsfrei und bieten dem Bundesverwaltungsgericht eine ausreichende Entscheidungsgrundlage. Die Einholung weiterer psychiatrischer Sachverständigengutachten „mit traumatologischer Expertise“, wie von der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde beantragt, konnte daher unterbleiben (vgl. VwGH 22.04.2010, 2008/09/0316 mwN).

3. Rechtliche Beurteilung:

Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 9d Abs. 1 VOG.

Zu A)

1. Zur Entscheidung in der Sache:

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Verbrechensopfergesetztes (VOG) lauten:

„Kreis der Anspruchsberechtigten

§ 1. (1) Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie

1.       durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder

und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist. …“

Voraussetzung für die Hilfeleistungen nach dem VOG ist sohin, dass zum Entscheidungszeitpunkt eine mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung iSd § 1 Abs. 1 Z 1 VOG mit Wahrscheinlichkeit vorliegt.

Die Materialien zur Stammfassung des § 1 VOG, BGBl. Nr. 288/1972, GP XIII RV 40. S.8, lauten (auszugsweise):

"…

Ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Hilfeleistungen im Einzelfall gegeben sind, soll möglichst ohne ein aufwendiges Beweisverfahren festgestellt werden. Der Entwurf bestimmt daher, dass sich das zur Gewährung von Hilfeleistungen berufene Organ mit der Feststellung der Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Voraussetzungen begnügen darf. Eine ähnliche Regelung befindet sich im § 4 das Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, das ebenfalls die Versorgung von der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zwischen der Gesundheitsschädigung und dem schädigenden Ereignis abhängig macht.

…"

Die Beschwerdeführerin, eine österreichische Staatsbürgerin, begehrte im gegenständlichen Verfahren Hilfeleistungen nach dem VOG in Form des Ersatzes des Verdienstentganges, der Kostenübernahme für psychotherapeutische Krankenbehandlung und berufliche Rehabilitation. Das Vorliegen einer rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung iSd § 1 Abs. 1 Z 1 VOG ist nicht strittig; strittig ist jedoch das wahrscheinliche Vorliegen einer kausal auf die festgestellten Erlebnisse in den Kinderheimen zurückzuführenden Gesundheitsschädigung.

Für die Auslegung des Begriffes "wahrscheinlich" ist der allgemeine Sprachgebrauch maßgebend. Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn nach der geltenden ärztlichen-wissenschaftlichen Lehrmeinung erheblich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (VwGH 01.12.1988, 88/09/0135).

Wie bereits von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid vor dem Hintergrund des Sachverständigengutachtens vom 20.01.2017, an dessen Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit keine Zweifel bestehen, zutreffend ausgeführt wurde, ist es im Fall der Beschwerdeführerin nicht wahrscheinlich, dass die bei ihr vorliegenden Gesundheitsschädigungen auf die physischen und sexuellen Misshandlungen in den Kinderheimen im Sinne der wesentlichen Ursache für die vorliegenden psychischen Gesundheitsschädigungen zurückzuführen sind.

Da im Fall der Beschwerdeführerin schon aus diesem Grund die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 VOG, an welchen die von ihr beantragten Hilfeleistungen knüpfen, nicht erfüllt sind, war spruchgemäß zu entscheiden.

Zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen wenn,

1.       der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2.       die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist;

3.       wenn die Rechtssache durch einen Rechtspfleger erledigt wird.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Im gegenständlichen Fall war in erster Linie die Frage zu klären, ob die Beschwerdeführerin an Gesundheitsschädigungen leidet, die kausal auf die Gewalterlebnisse in den Kinderheimen zurückzuführen sind und wurde diese Fragestellung durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Zugrundelegung des diesbezüglich im Wesentlichen unbestrittenen Sachverhaltes geklärt. Dabei wurden auch die von der Beschwerdeführerin selbst im Verfahren vorgelegten medizinischen Unterlagen berücksichtigt und stehen mit dem seitens der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie nicht im Widerspruch. Das erstellte Gutachten vom 20.01.2017 und das ergänzende Aktengutachten vom 10.07.2017 vermochten mit den Ausführungen in der Beschwerde nicht entkräftet werden bzw. ist diesen im Rahmen der Beschwerde nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten worden (vgl. VwGH 22.04.2010, 2008/09/0316 mwN). Die Beschwerdeführerin warf in ihrer Beschwerde auch keine Tatsachen- oder Rechtsfragen auf, welche eine mündliche Verhandlung iSd Judikatur des EGMR erforderlich gemacht hätten. Dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Die mündliche Verhandlung konnte auch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Absehen einer mündlichen Verhandlung wegen geklärten Sachverhaltes unterbleiben: Die belangte Behörde erhob im gegenständlichen Fall umfassend den entscheidungswesentlichen Sachverhalt, erließ einen detailliert begründeten Bescheid und legte in diesem ihre die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung offen, sodass diese vom Bundesverwaltungsgericht nachvollzogen werden konnte und auch geteilt wurde. Ein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens wesentlich entgegenstehender Sachverhalt wurde von der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde nicht behauptet (vgl. VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017; 25.4.2017, Ra 2016/18/0261 – hier zwar betreffend den im Asylverfahren relevanten, jedoch inhaltlich zu § 24 Abs. 4 VwGVG ähnlich lautenden § 21 Abs. 7 BFA-VG, weshalb die dazu ergangene höchstgerichtliche Rechtsprechung nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf den gegenständlichen Fall übertragbar ist.).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Diesbezüglich wird auf die angeführte Judikatur unter A) verwiesen.

Schlagworte

Gesundheitsschädigung Kausalität Kausalzusammenhang Misshandlung Sachverständigengutachten Verdienstentgang Wahrscheinlichkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W135.2209427.1.00

Im RIS seit

29.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

29.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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