TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/9 W282 2220811-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.07.2020
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Entscheidungsdatum

09.07.2020

Norm

BFA-VG §22a
BFA-VG §22a Abs1 Z3
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
VwGVG §29 Abs5
VwGVG §35

Spruch

W282 2220811-3/13E

Gekürzte Ausfertigung des am 24.06.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Florian KLICKA, BA als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX Staatsangehörigkeit Ägypten, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.06.2020 zu Recht erkannt:

A)

I. Gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 iVm Abs. 1a BFA-VG und § 28 Abs. 6 VwGVG wird in Teilstattgabe der Beschwerde die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft von 01.05.2020 bis 24.06.2020 für rechtswidrig erklärt.

II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 FPG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

III. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

IV. Der Antrag auf Kostenersatz der beschwerdeführenden Partei wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text

Wesentliche Entscheidungsgründe:

1. Feststellungen

1. Zur Person des BF und den Voraussetzungen der Schubhaft

1.1. Der BF verfügt über keine Dokumente, die seine Identität bescheinigen, insbesondere verfügt er über kein Reisedokument. Er gibt an, Staatsangehöriger von Ägypten zu sein, die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt er nicht. Weiters gab er auch an, möglicherweise algerischer Staatsbürger zu sein Der BF ist weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.

1.2. Der BF ist gesund und nimmt keine Medikamente ein.

1.3. Der BF wird seit XXXX 2019, 12:00h (wieder) in Schubhaft angehalten.

1.4. Am 24.07.2019 erfolgte ein Interview bei der ägyptischen Botschaft und konnte der BF nicht eindeutig als ägyptischer Staatsangehöriger identifiziert werden. Die Daten wurden zwecks Abklärung nach Kairo übermittelt. Das Ergebnis steht derzeit noch aus. Von der ägyptischen Vertretungsbehörde werden grundsätzlich Heimreisezertifikate ausgestellt. Das Verfahren mit Ägypten wurde am 05.06.2020 letztmals urgiert.

1.5 Aufgrund der Angaben des BF wird auch ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikats mit Algerien geführt, der BF wurde am 31.01.2020 einer Delegation zum Interview vorgeführt. Das Ergebnis dieses Verfahrens steht derzeit noch aus. Von der algerischen Vertretungsbehörde werden grundsätzlich Heimreisezertifikate ausgestellt. Dieses Verfahren wurde vom Bundesamt am 17.06.2020 letztmalig urgiert.

1.6 Weiters wurde nach Hinweis durch die algerische Botschaft ergänzend ein Verfahren für ein Heimreisezertifikat mit Tunesien geführt, welches am 17.06.2020 beendet wurde, wobei der BF nicht als tunesischer Staatsbürger identifiziert wurde.

1.7 Der BF gab im Rahmen der Verfahren vor dem Bundesamt und weiteren Verfahren ua. folgende Alias Identitäten an:

XXXX

1.8 Der Abgleich der Fingerabdrücke des BF durch Interpol/Brüssel ergab acht verschiedene Alias-Identitäten. Der BF kooperiert hinsichtlich der Feststellung seiner Identität dahingehend nicht mit dem Bundesamt, als er keine Reisedokumente oder andere Dokumente vorlegt, aus denen seine wahre Identität hervorgeht und er unterschiedliche Angaben zu seiner Staatsangehörigkeit macht. Der BF behindert und erschwert damit seine Abschiebung.

2. Zu den Voraussetzungen der Schubhaft, zum Sicherungsbedarf und zur Fluchtgefahr

2.1. Mit Bescheid des Bundesamtes vom XXXX 2018 wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung getroffen, dieser Bescheid ist in Rechtskraft erwachsen.

2.2. Der BF hat spätestens am 19.09.2018 seinen letzten dem Bundesamt bekannten Wohnsitz aufgegeben, ohne dem Bundesamt eine neue Abgabestelle bekannt zu geben. Dadurch hat er sich dem Verfahren über seinen Antrag auf internationalen Schutz entzogen.

2.3. Der am 27.05.2019 erlassene Festnahmeauftrag des Bundesamtes konnte nicht vollzogen werden, da der BF an der von ihm genannten Abgabestelle tatsächlich nicht aufhältig war und bis auf ein Mal, zu Beginn der Namhaftmachung dieser Adresse, nicht kontrolliert hat, ob Schriftstücke für ihn hinterlegt wurden. Der BF ist untergetaucht und hat dadurch seine Abschiebung erschwert. Der BF hat das Bundesamt am XXXX 2019 aufgesucht ohne in Kenntnis der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung zu sein und wurde festgenommen und in Schubhaft genommen. Aus der Schubhaft wurde der BF aufgrund eines Festnahmeauftrages der Staatsanwaltschaft Wien vom XXXX 2019 wegen des Verdachtes des Suchtgifthandels am 20.08.2019 überstellt und in weiterer Folge über den BF die Untersuchungshaft verhängt.

2.4 Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom XXXX 2019, XXXX , wurde der BF wegen der Vergehen der Vorbereitung des Suchtgifthandels (§ 28 Abs. 1 zweiter Fall SMG) und des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften (§ 27 Abs.1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2) zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten (bedingt nachgesehen auf eine Probezeit von drei Jahren) rechtskräftig verurteilt.

2.5 Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom XXXX 2019, XXXX , wurde der BF wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels (§ 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG) und der Vergehen der Vorbereitung des Suchtgifthandels (§ 28 Abs. 1 zweiter Fall SMG) und des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften (§ 27 Abs.1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2) zu einer Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten (davon 10 Monate bedingt nachgesehen auf eine Probezeit von drei Jahren) rechtskräftig verurteilt. Das Gericht hielt dabei fest, dass mehrere Angriffe in einem Zeitraum vom XXXX 2019 bis XXXX 2019 stattfanden und nahm in der Strafzumessung als erschwerend auch den Umstand an, dass Tatbegehungen auch während des anhängigen Strafverfahrens erfolgten.

2.6 Mit Bescheid des BFA vom XXXX 2019 wurde, während sich der BF in Strafhaft befand, ein weitere Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem die Dauer von 8 Jahren befristetes Einreiseverbot gegen den BF erlassen. Der Bescheid wurde dem BF persönlich übergeben und ist in Rechtskraft erwachsen. Es liegt eine rechtskräftige und durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor.

2.4. Der BF hält sich seit dem Jahr 2005 unrechtmäßig im Schengenraum sowie in Großbritannien auf. Er ist mehrfach unrechtmäßig zwischen den Staaten des Schengenraumes sowie Großbritannien gereist, auch seine Einreise nach Österreich erfolgte unrechtmäßig.

2.5. Der BF hat während seines Aufenthaltes im Schengenraum sowie in Großbritannien unterschiedliche Identitätsdaten seinen Namen, sein Geburtsdatum sowie seine Staatsangehörigkeit betreffend angegeben um seine Abschiebung zu verhindern. Auch in Österreich nannte er bei seinem Aufgriff sowie in seinem Asylverfahren unterschiedliche Identitätsdaten. Auch im Rahmen seiner letzten Einvernahme vor dem Bundesamt gab er an, möglicherweise Algerier zu sein. Er hat bisher keine Dokumente, die seine Identität bescheinigen, vorgelegt. Dadurch erschwert der BF seine Abschiebung.

3. Familiäre und soziale Komponente

3.1. In Österreich leben keine Familienangehörigen des BF. Seine sozialen Kontakte haben es ihm bisher ermöglicht, unangemeldet in Österreich Unterkunft zu nehmen und unterzutauchen.

3.2. Der BF geht in Österreich keiner legalen Beschäftigung nach, er hat kein Einkommen und kein zur Sicherung seines Lebensunterhaltes ausreichendes Vermögen.

3.3. Der BF verfügt über keinen eigenen gesicherten Wohnsitz.

4. Zu den Entscheidungen im Vorverfahren:


Zur Beweiswürdigung wurde im Erkenntnis des BVwG vom 08.07.2020 zur GZ W250 2220811-1/12E betreffend der Zulässigkeit der ersten Schubhaft des BF vor seiner Strafhaft wie folgt festgehalten:

„Insbesondere ist es dem BF im Rahmen der Verhandlung nicht gelungen, glaubhaft zu machen, dass er nicht untergetaucht ist. Aus seiner Aussage in der mündlichen Verhandlung ergibt sich eindeutig, warum ihm an seiner zuletzt bekannt gegebenen Abgabestelle weder ein Schriftstück zugestellt werden konnte, er an dieser Adresse nicht festgenommen werden konnte und dort auch niemand zu seiner Person eine Auskunft geben konnte. Er war weder regelmäßig an dieser Adresse aufhältig noch kontrollierte er, ob er Post erhalten hat.

Dem BF ist es auch nicht gelungen glaubhaft zu machen, dass er hinkünftig mit der Behörde kooperieren werde. So räumte er bereits in der Einvernahme vor dem Bundesamt am XXXX 2019 ein, dass er in Kenntnis seiner Ausreiseverpflichtung unrechtmäßig ohne Reisedokument in einen anderen Staat ausgereist wäre, so wie er es bereits in den letzten 14 Jahren gemacht habe. Dass er in Kenntnis der durchsetzbaren Rückkehrentscheidung freiwillig das Bundesamt aufgesucht hätte, konnte der BF durch seine Aussage in der mündlichen Beschwerdeverhandlung und insbesondere durch den von ihm in der mündlichen Beschwerdeverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck nicht glaubhaft machen. So gab er in der mündlichen Verhandlung an, von seiner Ausreiseverpflichtung gewusst zu haben. Dies ist aber nicht glaubhaft, da bei seiner Vorsprache bei der Diakonie keine Auskunft über den Verfahrensstand gegeben werden konnte und er die Bescheide nicht kannte. In der Einvernahme vom XXXX 2019 gab der BF auch die Bescheide nicht zu kennen. In der mündlichen Verhandlung gab er mehrfach an, wegen einer offenen Rechtsmittelfrist das Bundesamt aufgesucht zu haben.“

5. Zu den Fristen des § 22a Abs. 4 BFA-VG und der unterlassen amtswegigen Vorlage durch das Bundesamt:

5.1 Der BF wird (erneut) seit XXXX 2020 in Schubhaft angehalten. Das Bundesamt legte den Schubhaftakt gemäß § 22a Abs. 4 Satz 1 BFA-VG zur Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft nach dem Tag, an dem das vierte Monat der Schubhaft überschritten wurde, am XXXX 2020 vor. Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts über die Forstsetzung und die Verhältnismäßigkeit der Schubhaft nach § 22a Abs. 4 Satz 4 BFA-VG erging am 03.04.2020 (GZ W150 2220811-2/2E) und somit XXXX nach Beginn der Anhaltung in Schubhaft.

5.2 In weiterer Folge erfolgte bis dato keine weitere amtswegige Vorlage der Verwaltungsakten gemäß § 22a Abs. 4 Satz 2 und 3 leg. cit. durch das Bundesamt. Die Vorlage der Akten durch das Bundesamt erfolgte erst aufgrund der Aktenanforderung des Bundesverwaltungsgerichts aufgrund der ggst. Beschwerde.

5.3 Festgestellt wird, dass im Rahmen der Aktenanforderung zur gegenständlichen, von der Vertretung des BF eingebrachten Beschwerde nach § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG, der Referent der Gerichtsabteilung 282 mit der zuständigen Referentin des Bundesamtes telefonisch Kontakt aufnahm. Auf Nachfrage, warum keine amtswegigen Vorlagen des Verwaltungsaktes vorgenommen wurden, antwortete diese, ihr und ihrem Chef sei die Vorlagepflicht nach § 22a Abs. 4 Satz 2 und 3 BFA-VG unbekannt gewesen und sei sie davon ausgegangen, dass das Bundesamt nichts weiter zu tun hätte, da nun das Bundesverwaltungsgericht zuständig sei.

5.4 Festgestellt wird weiters, dass in der am 18.06.2020 eingelangten Stellungnahme selbiger Referentin des Bundesamtes nunmehr folgende Begründung für das zuvor festgestellte Versäumnis angegeben ist: „Eine erneute Vorlage des Fremdenaktes wurde aufgrund der geltenden COVID-Fristen und Fristenhemmungen erfolgte irrtümlich bis dato.“ (sic!).

5.5 Ausgehend von der Bestimmung des § 22a Abs. 4 BFA-VG wären die Überprüfungen der Anhaltung des BF in Schubhaft iSd Bestimmung nach dem Ergehen der Erkenntnis vom 03.04.2020 spätestens am 01.05.2020 und danach am 29.05.2020 vorzunehmen gewesen, wobei diese durch die Nicht-Vorlage des Aktes durch das Bundesamt unterblieben sind.

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem vorliegenden Akt des Bundesamtes und dem Akt des Bundesverwaltungsgerichtes sowie aus dem vom BF im Rahmen der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck. Einsicht genommen wurde in das Grundversorgungs-Informationssystem, in das Strafregister, in das Zentrale Fremdenregister, in die Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung des Bundesministeriums für Inneres sowie in das Zentrale Melderegister.

Die Feststellungen zu Punkt 5. gründen sich auf die Beschwerde vom 17.06.2020 (OZ 1), auf den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichts zum gegenständlichen sowie zu den vorangehenden Verfahren mit gleicher Fallzahl, auf den Aktenvermerk des Referenten der Gerichtsabteilung W282 vom 19.06.2020 (OZ 8) sowie auf die Stellungnahme des Bundesamtes vom 18.06.2020 (OZ 6)

Der erkennende Richter teilt im Übrigen durch den vom BF persönlich gewonnenen Eindruck, die in Punkt 4. der Feststellungen festgehaltene Beweiswürdigung des rk. Erkenntnis des BVwG vom 08.07.2019 wonach den Angaben des BF hinsichtlich des Nicht-Bestehens von Fluchtgefahr und der Zusagen er werde nicht untertauchen und „die Gesetze respektieren“ keine Glaubwürdigkeit zukommt. Der BF hat vielmehr in der Vergangenheit gezeigt, dass er durch Angabe von Adressen, an den er nicht aufhältig war und letztlich auch seine Post nicht abgeholt hat, zum Untertauchen fähig ist. Weiters hat er die Auflage der Quartiernahme in seinem Asylverfahren schon in der Vergangenheit wissentlich missachtet und er hat sich Unkenntnis der im Jahr 2019 ergangen Rückkehrentscheidung zum Bundesamt begeben und wurde dort festgenommen.

Zusätzlich wurde der BF am XXXX 2019 und XXXX 2019 vom LG für Strafsachen Wien wegen Verstößen gegen das Suchmittelgesetz Vorbereitung des bzw. Begehung des Verbrechens des Suchtgifthandels (§ 28ff SMG) zu erheblichen Haftstrafen verurteilt, was ebenfalls für das und gegen die Glaubwürdigkeit des BF, zumal dieser bereits mehfach angegeben hat, „die Gesetze zu respektieren“.

Weiters gab der BF immer wieder während des Verfahrens unterschiedlichste Identitäten und auch unterschiedliche Staatsangehörigkeiten an um seine Abschiebung zu erschweren und seine Identität zu verschleiern. Der BF ist nach wie vor nicht kooperativ und unternimmt keine Schritte seinen 2013 ausgestellten Reisepass oder eine Kopie desselben zu erlangen. Die Behauptung dies sei ihm nicht möglich, da einer keinen Kontakt mehr zu seinen Freunden habe, ist dabei nicht glaubwürdig. Ebenso wenig glaubwürdig sind seine Beteuerungen, zukünftig mit dem Bundesamt kooperieren zu wollen und Auflagen aus einem gelinderen Mittel zu befolgen, zumal er auch bereits bei zwei Einvernahmen vor dem Bundesamt angegeben hat, nicht ausreisewillig zu sein.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt II. und III.

Der BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft, er ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Ziff. 1 FPG. Er ist weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter, weshalb die Verhängung der Schubhaft über den BF grundsätzlich – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – möglich ist. Voraussetzung für die Verhängung der Schubhaft sind das Vorliegen eines Sicherungsbedarfes hinsichtlich der Durchführung bestimmter Verfahren oder der Abschiebung, das Bestehen von Fluchtgefahr sowie die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft. Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kommt darüber hinaus nur dann in Betracht, wenn die Abschiebung auch tatsächlich im Raum steht.

Im vorliegenden Fall wurde Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Mit der Abschiebung des BF im Zeitpunkt der Anordnung der Schubhaft war insofern zu rechnen, als bereits eine rechtskräftige, durchsetzbare und durchführbare Rückkehrentscheidung vorlag und ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates eingeleitet war. Da somit die rechtlichen Voraussetzungen für die Abschiebung des BF im Zeitpunkt der Anordnung der Schubhaft vorlagen, kam die Verhängung der Schubhaft über den BF grundsätzlich in Betracht.

Das Bundesamt geht auf Grund der Kriterien des § 76 Abs. 3 Z. 1, 3 und 9 FPG vom Vorliegen einer Fluchtgefahr aus.

Bei der Beurteilung ob Fluchtgefahr vorliegt, ist gemäß § 76 Abs. 3 Z. 1 FPG zu berücksichtigen, ob der Fremde die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert. Der vom Bundesamt am 27.05.2019 erlassene Festnahmeauftrag konnte nicht vollzogen werden, da der BF an der von ihm genannten Zustelladresse nicht angetroffen werden konnte und auch sonst keine Anhaltspunkte zu seinem Aufenthaltsort erhoben werden konnten. Der BF war untergetaucht, für das Bundesamt nicht greifbar und hat sich damit seiner Abschiebung entzogen und diese damit zumindest erschwert. Auch aus dem Umstand, dass der BF schon bisher und auch derzeit noch verschiedene Identitätsdaten und Staatsangehörigkeiten (bis dato 16 an der Zahl) angibt und keinerlei Unterlagen zur Bescheinigung seiner Identität vorgelegt hat, ergibt sich eine Erschwerung der Abschiebung. Daraus dass sich der BF gegen die Vorführung vor Botschaftsdelegationen nicht wiedersetzt hat, lässt sich dementgegen keine nachhaltige Kooperationsbereitschaft ableiten. Der Tatbestand des § 76 Abs. 3 Z. 1 FPG ist daher erfüllt.

Bei der Beurteilung ob Fluchtgefahr vorliegt, ist gemäß § 76 Abs. 3 Z. 3 FPG zu berücksichtigen, ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat. Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021). Gegen den BF liegt eine rechtskräftige und durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme samt Einreiseverbot vor. Seinem Asylverfahren hat er sich bereits im Jahr 2018 bzw. 2019 entzogen, da er seinen Wohnsitz in dem ihm zur Verfügung gestellten Grundversorgungsquartier aufgegeben hat, ohne dem Bundesamt eine neue Zustelladresse bekannt zu geben. An einer weiteren Zustelladresse war er niemals aufhältig und hat auch seine dorthin zugestellte Post lediglich einmal abgeholt. Es ist daher auch der Tatbestand des § 76 Abs. 3 Z. 3 FPG erfüllt.

Gemäß § 76 Abs. 3 Z. 9 FPG sind bei Beurteilung der Fluchtgefahr der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes zu berücksichtigen. Der BF verfügt in Österreich über keine Familienangehörigen. Er übt keine legale Erwerbstätigkeit aus und besitzt keine ausreichenden finanziellen Mittel oder einen eigenen gesicherten Wohnsitz. Es ergeben sich daher keine Umstände, die gegen das Vorliegen von Fluchtgefahr sprechen.

Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich daher, dass die Kriterien des § 76 Abs. 3 Z. 1, 3 und 9 FPG erfüllt sind. Das Bundesamt ist daher zu Recht von Fluchtgefahr ausgegangen und liegt Fluchtgefahr auch weiterhin vor. Dem Vorbringen des BF in seiner Beschwerde es liege keine Fluchtgefahr vor (Punkt 4. der Beschwerde), war daher nicht zu folgen. Er hat trotz in Einvernahmen vor dem BFA bekundeter Bereitschaft Unterlagen zum Nachweis seiner Identität vorzulegen diese bis dato nicht vorgelegt, sondern im Gegenteil untergetaucht ist und sich damit seinem Asylverfahren entzogen hat.

Das Bundesamt geht auch zur Recht von fortgesetztem Sicherungsbedarf aus. Der BF hält sich seit mittlerweile 14 Jahren unrechtmäßig auf dem Gebiet des Schengenraumes sowie Großbritanniens auf. Er ist mehrfach unrechtmäßig zwischen diesen Staaten gereist und hat zahlreiche unterschiedliche Identitätsdaten angegeben, um seine Abschiebung zu verhindern. Auch in Österreich hat er verschiedene Identitätsdaten angegeben. Trotz gegenteiliger Angaben hat der BF auch im bereits seit 2018 andauernden Verfahren niemals Urkunden zu seiner Identität vorgelegt und im Gegenteil im wieder andere Angaben zu seiner Herkunft gemacht und damit seine Abschiebung erschwert. Auf diesbezüglichen Vorhalt in Einvernahmen vor dem Bundesamt, dass er seine Mitwirkungspflicht verletze, gab der BF immer wieder an, dass er dazu nichts sagen wolle.

Darüber hinaus wurde der BF im XXXX 2019 zweimal wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels bzw Vorbereitungshandlungen hierzu rk. verurteilt, was gemäß § 76 Abs. 2a FPG bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung in Ansatz zu bringen ist. Weiters hat der BF auch die ihm 2019 für die freiwillige Ausreise gewährte Frist dazu genutzt, Straftaten zu begehen, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits ein Strafverfahren anhängig war.

Das Bundesamt hat seiner Verpflichtung, die Schubhaft so kurz als möglich aufrechtzuerhalten insofern Rechnung getragen, als bereits am 01.04.2019 ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für den BF bei der Vertretungsbehörde Ägyptens eingeleitet wurde und der BF einer ägyptischen Delegation bereits im Juli 2019 vorgeführt wurde. Aufgrund der nicht zweifelsfreien Identifizierbarkeit wurden die Daten des BF samt Fingerabdrücke nach Kairo zur Überprüfung gesendet.

Weiters musste aufgrund der unterschiedlichen Angaben des BF zu seinen Identitäten und Staatsangehörigen zwischenzeitig auch ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates mit Algerien und Tunesien begonnen werden. Hinsichtlich Algerien wurde der BF am 31.01.2020 einer Delegation der Botschaft vorgeführt. Das HRZ-Verfahren mit Tunesien ist dabei seit 17.06.2020 (negativ) beendet, das Verfahren mit Ägypten und Algerien läuft derzeit noch. Das Bundesamt hat die Ausstellung der Heimreisezertifikate regelmäßig bei den Botschaften der genannten Staaten urgiert. Die Verzögerungen bei der Ausstellung eines Heimreisezertifikates finden ihre maßgebliche Begründung aber in der Nicht-Kooperation des BF. Der BF ist daher zu einem Gutteil selbst für seine noch andauernde Anhaltung in Schubhaft verantwortlich. In einer Gesamtschau ist jedoch immer noch mit der realistischen Möglichkeit der Abschiebung des BF in seinen Heimatstaat binnen der Schubhafthöchstdauer zu rechnen zu rechnen, sobald er im Rahmen eines der noch laufenden Verfahren mit Ägypten oder Algerien erfolgreich identifiziert wird. Nach weitgehender Zurücknahme der durch die COVID-19 Pandemie notwendigen Beschränkungen der Reisefreiheit werden auch zeitnah wieder Abschiebungen nach Algerien und Ägypten aufgenommen werden. Auch kann nicht erkannt werden, dass das Bundesamt die HRZ Verfahren nicht nachdrücklich betrieben hätte.

Ein gelinderes Mittel kommt zu Recht nicht zur Anwendung, da auf Grund des bisherigen Verhaltens des BF nicht damit zu rechnen ist, dass er diesem nachkommen werde. So hat der BF bereits mehrfach gegen die ihn treffenden fremdenrechtlichen Verpflichtungen verstoßen. Auch im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung am heutigen Tag konnte auf Grund des vom BF gewonnenen persönlichen Eindruckes kein Anhaltspunkt dafür gefunden werden, dass er einem gelinderen Mittel angesichts seines bereits seit 14 Jahren unrechtmäßigen Aufenthaltes in Europa tatsächlich nachkommen werde. Wie bereits mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.07.2019 festgestellt wurde, war der BF in Unkenntnis der zu diesem Zeitpunkt bereits durchsetzbaren Rückkehrentscheidung, als der im Juni 2019 das Bundesamt aufsuchte und anschließend festgenommen wurde. Nachdem mit der nun gegen den BF durchsetzbaren Rückkehrentscheidung vom XXXX 2019 auch ein achtjähriges Einreiseverbot verhängt wurde, kann angesichts der tatsächlich mangelnden Ausreisewilligkeit des BF nicht von der Einhaltung der Auflagen eines gelinderen Mittels ausgegangen werden. Den Ausführungen des BF in seiner Beschwerde, mit der Anordnung eines gelinderen Mittels hätte das Auslangen gefunden werden können, war daher nicht zu folgen.

Die hier zu prüfende Schubhaft stellt daher auch eine „ultima ratio“ dar, da sowohl Sicherungsbedarf als auch Verhältnismäßigkeit vorgelegen sind und nach wie vor vorliegen und ein gelinderes Mittel nicht den Zweck der Schubhaft nicht erfüllt. Auch im Sinne des § 76 Abs. 2a FPG überwiegt das Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung gegenständlich den Schutz der persönlichen Freiheit des BF.

Soweit die Beschwerde dem entgegenhält, die Aufrechterhaltung der Schubhaft sei unverhältnismäßig, da die Abschiebung nicht durchführbar sei, weil für den BF kein Heimreisezertifikat erlangt werden könne, ist dem zu entgegen, dass die zwei Verfahren mit Ägypten und Algerien nach wie vor im Laufen sind und auch regelmäßig urgiert werden. Das Verfahren mit Tunesien wurde erst am 17.06.2020 (negativ) beendet. Es ist dabei gerichtsnotorisch, dass Verfahren zur Erlangung von Heimreisezertifikaten iaR von potentiellen Herkunftsstaaten während des Laufs gleicher Verfahren hinsichtlich anderer Herkunftsstaaten nicht mit Nachdruck betrieben werden. Da das Verfahren mit Tunesien erst am 17.06.2020 negativ abgeschlossen wurde, ist daher auch erst ab diesem Zeitpunkt wieder mit einem tatsächlichen Fortgang der Verfahren mit Algerien und Ägypten zu rechnen. Davon, dass aber keinerlei Reaktion der Vertretungsbehörden dieser Länder auf Urgenzen im konkreten Fall erfolgt, ist aber nicht ersichtlich. Auch ist hierzu erneut festzuhalten, dass der BF die langwierigen Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikats, während derer er in Schubhaft angehalten wird, sehr wohl weitestgehend zu vertreten hat, indem der durch Nicht-Vorlage seine Identität nachweisender Dokumente sowie Angabe von Alias- Identitäten und wechselnder Staatsangehörigkeiten seine Abschiebung erschwert. Auch ist erneut auf die gemäß § 76 Abs. 2a FPG bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigende erhebliche Straffälligkeit des BF zu erinnern, die zu seinen Lasten wirkt und das öffentliche Interesse an einer baldigen Abschiebung maßgeblich erhöht. Letztere ist aber nur möglich, wenn der BF weiterhin in Schubhaft angehalten wird. Im Hinblick auf die Dauer der Schubhaft, die nun etwas mehr als sieben Monate andauert und im Hinblick auf das zweifelsfreie Vorliegen der Kriterien des § 80 Abs. 4 Z 1 und 4 FPG, ist zum Entscheidungszeitpunkt im Hinblick auf die Schubhafthöchstdauer von 18 Monaten noch keine Unverhältnismäßigkeit aufgrund der bisherigen Haftdauer ersichtlich.

Die Beschwerde in Bezug auf die Anhaltung des BF in Schubhaft von 25.04.2020 (vgl. hierzu unten zu Spruchpunkt I.) bis 01.05.2020 sowie in Bezug auf die fortgesetzte Anhaltung des BF in Schubhaft (Punkt 3 und 4 der Beschwerde vom 17.06.2020) war daher gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG abzuweisen und unter einem gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG festzustellen, dass die Vorrausetzungen zur Aufrechterhaltung der Schubhaft im Entscheidungszeitpunkt vorliegen und dass diese verhältnismäßig ist.

Zu I.

Wie erörtert und festgestellt, hätte das Bundesamt nach Ergehen des Erkenntnis vom 03.04.2020, mit dem nach amtswegiger Vorlage des Verwaltungsaktes ein Fortsetzungsausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG erging, gemäß § 22a Abs. 4 2. und 3. Satz leg. cit. weitere amtswegige Vorlagen des Verwaltungsakts sieben Tage vor dem 01.05.2020 und sieben Tage vor dem 29.05.2020 vorzunehmen gehabt.

Gemäß § 22a Abs. 3 3 Satz BFA-VG gilt mit Vorlage der Verwaltungsakten an das Bundesverwaltungsgericht durch das Bundesamt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Daraus ergibt sich die gesetzliche Pflicht des Bundesamtes für den in Schubhaft angehaltenen Fremden nach den in § 22a Abs. 4 leg. cit. genannten Fristen amtswegig diese Schubhaftbeschwerden durch Vorlage des Verwaltungsaktes im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Fortsetzung der Schubhaft einzubringen. Diese Pflicht trifft nach dem klaren gesetzlichen Wortlaut des Satzes 3 und 4 des § 22a BFA-VG das Bundesamt und nicht das Bundesverwaltungsgericht, auch wenn sich der Akt physisch dort befindet. Daran ändert auch eine verspätete Rückmittlung des Papieraktes durch das Bundesverwaltungsgericht nichts.

Gegenständlich hat das Bundesamt die Einbringung der Schubhaftbeschwerde für den BF in Form der amtswegigen Aktenvorlage nach vier Wochen, abzüglich von sieben Tagen, nach dem 03.04.2020 unterlassen. Dadurch ist der gemäß § 22a Abs. 4 Satz 1 zweiter Halbsatz BFA-VG spätestens am 01.05.2020 zu treffende Forstsetzungsausspruch iSd § 22a Abs. 3 leg. cit. unterblieben.

Weiters hat das Bundesamt die Einbringung der Schubhaftbeschwerde für den BF in Form der amtswegigen Aktenvorlage nach weiteren vier Wochen, abzüglich von sieben Tagen, nach dem 01.05.2020 unterlassen. Dadurch ist der gemäß § 22a Abs. 4 Satz 1 zweiter Halbsatz BFA-VG spätestens am 29.05.2020 zu treffende Forstsetzungsausspruch iSd § 22a Abs. 3 leg. cit. ebenfalls unterblieben.

Ein gültiger Forstsetzungsausspruch iSd § 22a Abs. 3 BFA-VG über die Anhaltung des BF in Schubhaft und damit ein neuer Hafttitel für die ggst. Schubhaft wurde erst am heutigen Tage mit dem gegenständlichen (mündlich verkündeten) Erkenntnis vom 24.06.2020 geschaffen.

Dieser Fall ist daher nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts so zu behandeln, wie die bereits vom VwGH entschiedenen Fälle der „schlichter“ Überschreitung der Entscheidungsfrist (VwGH vom 24.10.2019, Ra 2019/21/0181 und VfGH 25.2.2019,
E 1633/2018), wobei in diesen Fällen die Beschwerde § 22a Abs. 4 BFA-VG vom Bundesamt für den dortigen Beschwerdeführer letztlich nur verspätet eingebracht wurde.

Das Bundesamt hat die daher durch die Unterlassung der amtswegigen und fristgerechten Einbringung der Schubhaftbeschwerde für den BF in Form der Aktenvorlage für die Haftüberprüfungen zum 01.05.2020 und 29.05.2020, den BF in seinem Recht auf persönliche Freiheit verletzt, da der BF ohne die ihm gesetzlich gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG zustehenden gerichtlichen Überprüfungen seiner Anhaltung in Schubhaft in ebendieser rechtswidrig fortgesetzt angehalten wurde.

Soweit vom Bundesamt hiergegen das Erkenntnis 95/17/0004 des VwGH vom 13.10.1995 eingewendet wird, ist dies nicht stichhaltig, da hierbei um ein hypothetischer Verfahrensfehler in einem bereits laufenden Verfahren Gegenstand war. Gegenständlich ist aber durch die Nicht-Vorlage des Aktes durch das Bundesamt überhaupt kein Verfahren zur Haftüberprüfung eingeleitet worden, in dem dann ein hypothetischer Verfahrensfehler geschehen hätte können. Aus der Verletzung der Verpflichtung zur Einbringung der Beschwerde für dem Schubhäftling nach § 22a Abs. 4 Satz 2 und 3 resultiert daher bereits per-se die Rechtswidrigkeit der Schubhaft für jenen Zeitraum, innerhalb dessen diese vom Bundesverwaltungsgericht überprüft worden wäre.

Zum zeitlichen Umfang der Rechtswidrigkeit der Anhaltung des BF in Schubhaft ist festzuhalten, dass mit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.04.2020 jedenfalls ein Schubhafttitel geschaffen wurde, der gemäß § § 22a Abs. 4 Satz 1 zweiter Halbsatz BFA-VG die Anhaltung in Schubhaft für vier Wochen und somit bis zur vorgesehenen nächsten Haftprüfung nach dieser Bestimmung (bis zum 01.05.2020), grds. rechtmäßig gemacht hat. Der BF hat aber auf die Vorlage des Aktes durch das Bundesamt sieben Tage vor dem Termin keinen unmittelbaren gesetzlichen Anspruch, er hat aber jedenfalls Anspruch darauf, dass die im Rhythmus des § 22a Abs. 4 BFA-VG vorgesehenen Haftprüfungstermine tatsächlich eingehalten werden. Aus diesem Grund war der Beschwerde hinsichtlich des Zeitraums der Anhaltung von 24.05.2020 bis 01.05.2020 nicht stattzugeben.

Daraus ergibt sich daher, dass die Anhaltung des BF in Schubhaft von 01.05.2020 bis 24.06.2020 rechtswidrig war. Die Anhaltung des BF in Schubhaft war daher gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 iVm Abs. 1a BFA-VG und § 28 Abs. 6 VwGVG für diesen Zeitraum für rechtswidrig zu erklären.

Zu IV.

Da mit den gegenständlichen Spruchpunkten II. und III. die Beschwerde teilweise abgewiesen wurde und gleichzeitig ausgesprochen wurde, dass die Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG gegeben ist und die Anhaltung in Schubhaft einen einheitlichen Verwaltungsakt darstellt (VwGH 31.8.2017, Ro 2016/21/0014), liegt hinsichtlich dieses einheitlichen Verwaltungsaktes nur ein Teilobsiegen der beschwerdeführenden Partei vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 35 VwGVG und auf der dazu ergangenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach aufgrund der zu § 79a AVG ergangenen Rechtsprechung zum Kostenersatz im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, bei einem bloß teilweisen Obsiegen hinsichtlich von mehreren als Einheit zu wertenden Amtshandlungen ein Kostenersatz nicht stattfindet. Die Frage nach der Übertragung dieser Rechtsprechung auf § 35 VwGVG wurde vom VwGH bejahet, weil § 79a AVG dem § 35 VwGVG entspricht (VwGH 04.05.2015, Ra 2015/02/0070, zuletzt VwGH 19.09.2019, Ra 2019/21/0169).

Zu Spruchteil B)

Im gegenständlichen Fall bestehen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren, da es an konkreter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs fehlt, welche rechtlichen Folgen eine gänzliche Unterlassung der amtswegigen Aktenvorlage nach § 22a Abs. 4 Satz 2 und 3 BFA-VG zur Einbringung einer dem Beschwerdeführer zurechenbaren Beschwerde gegen die fortgesetzte Anhaltung in Schubhaft hat, die folglich zum Unterbleiben der Haftüberprüfungen durch das Bundesverwaltungsgericht zu den sich aus § 22a Abs. 4 Satz 1 BFA-VG ergebenden Terminen führt. Aus der zitierten Judikatur lässt sich zwar entnehmen, dass jedenfalls ein bestimmter zeitlicher Abschnitt der Anhaltung des Fremden in Schubhaft für rechtswidrig zu erklären sein wird, jedoch ist unklar, welche konkreten zeitlichen Abschnitte der Anhaltung hierbei betroffen sind. Mit Erkenntnis vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0111 (dort Rn. 12) hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass ein bei einer Haftprüfung nach § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangener Fortsetzungssauspruch des Bundesverwaltungsgerichts, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, im Verhältnis zu einer sich auf den danach liegenden Zeitraum beziehenden Schubhaftbeschwerde nicht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache begründet. Weiters wird ausgeführt:

„Was das gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangene Erkenntnis vom 17. Mai 2018 betrifft, so wurde damit entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung (nur) ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig sei. Diese Entscheidung stellt - ebenso wie ein Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG - einen neuen Hafttitel dar. Über vor oder nach der Entscheidung liegende Zeiträume wird damit nicht abgesprochen. Ein Erkenntnis nach § 22a Abs. 4 BFA-VG steht daher einer Beschwerde nach § 22a Abs. 1 BFA-VG, mit der die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von vor oder nach der Erlassung des Erkenntnisses liegenden Haftzeiten begehrt wird, nicht entgegen.“

Ungeklärt ist daher das Verhältnis der zitierten Rechtsprechung zum eingangs bezeichneten Fall, dass die Folgehaftüberprüfungen iSd § 22a Abs. 4 BFA-VG im vierwöchigen Rhythmus nach Ergehen des nach vier Monaten ergehenden Erkenntnis nach selbiger Bestimmung mangels Vorlage des Verwaltungsaktes gänzlich unterbleiben. Der obigen Judikatur folgend, dass es sich bei den Fortsetzungssausprüchen des Bundesverwaltungsgerichts nach § 22a Abs. 4 BFA-VG nur um „Momentaufnahmen“ handelt, stellt sich somit die aus Sicht des Verwaltungsgerichts die erhebliche Rechtsfrage, welche (Rechtswidrigkeits-)Folgen eine qualifizierte Verletzung der Verwaltungsaktvorlagepflicht des Bundesamts nach § 22a Abs. 4 Satz 2 und 3 BFA-VG hat, in deren Folge zwei der Haftüberprüfungen nach § 22a Abs. 4 Satz 1 leg. cit. zu Lasten des Fremden entfallen.

Schlagworte

Aktenvorlage Entscheidungsfrist Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft gekürzte Ausfertigung Identität Rechtswidrigkeit Revision zulässig Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf strafrechtliche Verurteilung Teilstattgebung Untertauchen Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W282.2220811.3.00

Im RIS seit

01.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

01.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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