TE Vwgh Beschluss 2020/7/6 Ra 2017/22/0124

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Veröffentlicht am 06.07.2020
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
10/10 Grundrechte
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)
20/02 Familienrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

ABGB §6
B-VG Art133 Abs4
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art7
EheG §55a
EPG 2010
NAG 2005 §27 Abs2 Z2
StGG Art2
VwGG §34 Abs1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des M N in W, vertreten durch Dr. Michael Drexler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hörlgasse 4/5, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 6. Juni 2017, VGW-151/059/1497/2017-37, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde des Revisionswerbers, eines Staatsangehörigen von Bosnien und Herzegowina, gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 14. Dezember 2016, mit dem sein Antrag vom 11. Februar 2016 auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ gemäß § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) wegen Vorliegen einer Aufenthaltsehe nach § 11 Abs. 1 Z 4 NAG abgewiesen worden war, als unbegründet ab.

Das Verwaltungsgericht führte in den Entscheidungsgründen im Wesentlichen aus, die zwischen dem Revisionswerber und einer österreichischen Staatsbürgerin am 7. Februar 2015 geschlossene Ehe sei vom Bezirksgericht Hernals im Einvernehmen nach § 55a EheG (rechtskräftig seit 20. April 2017) geschieden worden. Die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ verlange auch in einem Verlängerungsverfahren als besondere Erteilungsvoraussetzung, dass dem Revisionswerber die Stellung eines Familienangehörigen zukomme, was gegenständlich auf Grund der in Rechtskraft erwachsenen Ehescheidung nicht mehr der Fall sei. Da die Ehescheidung einvernehmlich erfolgt sei, könne die Verlängerung des Aufenthaltstitels auch nicht auf § 27 Abs. 2 Z 2 NAG gestützt werden. Besonders berücksichtigungswürdige Gründe im Sinn des § 27 Abs. 3 NAG seien ebenso nicht ersichtlich und vom Revisionswerber auch nicht vorgebracht worden. Die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels komme daher nicht in Betracht. Dahingestellt bleiben könne, ob es sich bei der Ehe um eine Aufenthaltsehe gehandelt habe oder nicht.

2.2. Das Verwaltungsgericht sprach weiters aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

3. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die - Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende - außerordentliche Revision, in deren Zulässigkeitsbegründung das Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs in den nachfolgend näher erörterten Punkten behauptet wird.

Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG wird jedoch nicht aufgezeigt.

4.1. Der Revisionswerber macht geltend, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Auslegung des § 27 Abs. 2 Z 2 NAG, insbesondere ob nach dieser Bestimmung auch eine einvernehmliche Ehescheidung für die Verlängerung des Aufenthaltstitels ausreiche. Bei Vornahme einer Wortinterpretation könne man jedenfalls zu einer solchen Auffassung gelangen.

4.2. Voranzustellen ist, dass eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht vorliegt, wenn - wovon auch hier auszugehen ist - die Gesetzeslage eindeutig ist; dies selbst dann, wenn dazu noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ergangen ist (vgl. VwGH 3.7.2015, Ra 2015/03/0041).

4.3. Gemäß § 27 Abs. 2 Z 2 NAG ist dem Familienangehörigen - trotz Vorliegen eines Erteilungshindernisses nach § 11 Abs. 1 Z 4 bis 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung nach § 11 Abs. 2 - ein Aufenthaltstitel, dessen Aufenthaltszweck jedenfalls dem bisherigen Aufenthaltszweck entspricht, bei Scheidung der Ehe oder Auflösung der eingetragenen Partnerschaft wegen überwiegenden Verschuldens des anderen Ehegatten oder eingetragenen Partners auszustellen.

Der Revisionswerber vermeint, die Bestimmung des § 27 Abs. 2 Z 2 NAG könne nach ihrem Wortlaut dahingehend ausgelegt werden, dass auch bei einvernehmlicher Scheidung gemäß § 55a EheG der bisherige Aufenthaltstitel zu erteilen sei. Dem kann freilich nicht gefolgt werden.

4.4. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt, ist bei der Auslegung von Gesetzen in erster Linie vom Gesetzeswortlaut auszugehen. Ein im Rahmen einer Interpretation nach dem (vermuteten) Willen des Gesetzgebers gewonnenes Auslegungsergebnis hat hinter die aus dem klaren und eindeutigen Wortlaut gewonnene Lösung zurückzutreten (vgl. VwGH 4.10.2018, Ra 2017/22/0056).

Vorliegend steht nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut des § 27 Abs. 2 Z 2 NAG einem geschiedenen Familienangehörigen ein vom bisherigen Aufenthaltszweck abgeleitetes Aufenthaltsrecht (nur) bei Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des anderen Ehegatten zu (vgl. auch VwGH 27.4.2017, Ro 2016/22/0014). Bei einer Ehescheidung im Einvernehmen nach § 55a EheG kommt indes ein Schuldausspruch auf keinen Fall in Frage (vgl. OGH RIS-Justiz RS0008475).

Im Hinblick darauf kann sich - wie das Verwaltungsgericht ohne Rechtsirrtum erkannte - § 27 Abs. 2 Z 2 NAG, der ausdrücklich den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des anderen Ehegatten voraussetzt, nicht auch auf eine einvernehmliche Scheidung nach § 55a EheG beziehen.

5.1. Der Revisionswerber releviert weiters, § 27 Abs. 2 Z 2 NAG sei - sollte die Bestimmung nur bei Vorliegen einer (streitigen) Ehescheidung mit Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Zusammenführenden und nicht auch bei Vorliegen einer einvernehmlichen Ehescheidung (ohne Verschuldensausspruch) anzuwenden sein - wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes bzw. des daraus resultierenden Sachlichkeitsgebots und auch des rechtsstaatlichen Prinzips bzw. des daraus abzuleitenden Grundsatzes des effektiven Rechtsschutzes verfassungswidrig. Der Verwaltungsgerichtshof möge die Aufhebung der betreffenden Wortfolge („wegen überwiegenden Verschuldens des anderen Ehegatten oder eingetragenen Partners“) beim Verfassungsgerichtshof beantragen.

5.2. Der Gleichheitsgrundsatz verbietet willkürliche, unsachliche Differenzierungen auf den Gebieten der Normsetzung und auch des Normvollzugs; er wird vom Gesetzgeber verletzt, wenn Gleiches ungleich behandelt wird (vgl. VfSlg. 12337/1990, 17506/2005). Das daraus abgeleitete Sachlichkeitsgebot ist verletzt, wenn der Gesetzgeber zur Zielerreichung völlig ungeeignete Mittel oder zwar geeignete, aber zu einer sachlich nicht begründbaren Differenzierung führende Mittel vorsieht (vgl. VfSlg. 12227/1989, 8457/1978).

Das Rechtsstaatsprinzip ist Ausdruck der Bindung der Vollziehung an das Gesetz, das dem Bestimmtheitsgebot zu entsprechen hat (vgl. Mayer/Muzak, B-VG5 Art. 18 B-VG A.I.2.). Es verlangt - unter anderem - ein Mindestmaß an faktischer Effektivität des Rechtsschutzes; die Festlegung von Rechtsfolgen ist also an eine Form zu knüpfen, die Rechtsschutz samt inhaltlicher Überprüfung des betreffenden Rechtsaktes ermöglicht (vgl. VwGH 26.6.2019, Ro 2018/03/0009; 13.9.2016, Ro 2014/03/0062).

5.3. Vorliegend zeigt der Revisionswerber nicht (konkret) auf und ist für den erkennenden Senat auch nicht zu sehen, inwiefern der Gesetzgeber mit der Bestimmung des § 27 Abs. 2 Z 2 NAG einen der soeben genannten Grundsätze verletzt hätte.

Dass ein Familienangehöriger, dessen Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Zusammenführenden geschieden wird, gemäß § 27 Abs. 2 Z 2 NAG seines Aufenthaltsrechts (trotz Nichterfüllung der näher genannten allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen) nicht verlustig geht, kann nicht als willkürliche, unsachliche Differenzierung im Vergleich mit einem einvernehmlich geschiedenen Familienangehörigen gesehen werden. Die Regelung des § 27 Abs. 2 Z 2 NAG knüpft am geltenden Eherecht an, das vom Verschuldensprinzip ausgeht (vgl. etwa ErläutRV 485 BlgNR 24. GP 4 zum EPG [BGBl. I Nr. 135/2009]), und findet ihre sachliche Rechtfertigung darin, dass der Gesetzgeber den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens (auf Grund der Annahme eines erhöhten Schutzbedarfs des anderen Ehegatten) mit verschuldensabhängigen Rechtsfolgen verbindet. Indes treffen diese Erwägungen auf eine Scheidung im Einvernehmen, bei der die Verschuldensfrage und eine erhöhte Schutzwürdigkeit des anderen Ehegatten keine Rolle spielen, nicht zu. Folglich ist in den vom Gesetzgeber in § 27 Abs. 2 Z 2 NAG vorgesehenen aufenthaltsrechtlichen Folgen einer Scheidung mit Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Zusammenführenden keine willkürliche, unsachliche Differenzierung zu erblicken, wird doch nicht Gleiches ungleich, sondern Ungleiches - aus sachlichen Gründen - verschieden behandelt.

Für eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips bestehen ebenso keine Anhaltspunkte. Die Bestimmung des § 27 Abs. 2 Z 2 NAG ist hinreichend determiniert, um ihre Vollziehung unter strenger Gesetzesbindung zu wahren. Auch die faktische Effektivität des Rechtsschutzes ist in jeder Hinsicht gewährleistet.

Die Regelung des § 27 Abs. 2 Z 2 NAG begegnet somit keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

6.1. Der Revisionswerber führt ferner aus, die belangte Behörde und das Verwaltungsgericht hätten ihn nicht angeleitet, die Ehescheidung gemäß § 27 Abs. 4 NAG zu melden, damit der Verlängerungsantrag bewilligt werden könne. Es liege eine Verletzung der Anleitungspflicht und auch des Parteiengehörs vor.

6.2. Dem ist entgegenzuhalten, dass der Revisionswerber die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels in keiner Weise aufzeigt (vgl. etwa VwGH 23.1.2020, Ra 2017/22/0096). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der anwaltlich vertretene Revisionswerber mit Eingabe vom 11. Mai 2017 das Verwaltungsgericht ohnedies über seine rechtskräftige einvernehmliche Ehescheidung in Kenntnis gesetzt hat. Was in Anbetracht dessen eine weitergehende Anleitung bringen hätte sollen, ist nicht ersichtlich und wird auch nicht näher dargelegt.

7. Insgesamt wird daher - in der maßgeblichen Zulassungsbegründung (vgl. VwGH 23.11.2017, Ra 2015/22/0162) - keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

Die Revision war deshalb zurückzuweisen.

Wien, am 6. Juli 2020

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2017220124.L01

Im RIS seit

29.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

29.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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