TE Vwgh Beschluss 2020/8/27 Ra 2020/21/0156

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Veröffentlicht am 27.08.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §56
BFA-VG 2014 §9
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8
BFA-VG 2014 §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des H A in G, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das am 6. Dezember 2019 mündlich verkündete und mit 30. Dezember 2019 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, L525 2133322-4/17E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der 1996 geborene Revisionswerber, ein pakistanischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise am 25. April 2015 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 3. August 2016, bestätigt durch das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 10. Jänner 2017, verbunden mit einer Rückkehrentscheidung und der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Pakistan zur Gänze abgewiesen wurde. Ein Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung einer Revision gegen das genannte Erkenntnis wurde vom Verwaltungsgerichtshof abgewiesen (VwGH 29.3.2017, Ra 2017/19/0096).

2        Der Revisionswerber kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach und stellte am 17. November 2017 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde (im zweiten Rechtsgang) mit Bescheid des BFA vom 20. Juli 2018 wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das BVwG mit Erkenntnis vom 23. August 2018 als unbegründet ab. Dabei ging das BVwG davon aus, das zur Stützung des Asylfolgeantrags vom Revisionswerber erstattete Vorbringen weise keinen glaubhaften Kern auf. Das BFA habe aus näher dargestellten Gründen schlüssig dargelegt, warum es ein vom Revisionswerber dazu vorgelegtes Schreiben und ein von ihm dazu übermitteltes YouTube-Video für eine Fälschung halte. Die gegen dieses Erkenntnis - nach erfolgloser Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH 25.2.2019, E 5001/2018) - erhobene Revision wies der Verwaltungsgerichtshof, der zuvor schon die Bewilligung der Verfahrenshilfe abgelehnt hatte, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurück (VwGH 13.5.2019, Ra 2018/18/0506).

3        Bereits davor hatte das BFA mit Bescheid vom 12. Oktober 2018 (von Amts wegen) ausgesprochen, dem Revisionswerber werde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 erteilt, und es hatte unter einem gegen ihn - im Hinblick auf seinen nicht rechtmäßigen Aufenthalt - gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen. Des Weiteren stellte das BFA in diesem Bescheid neuerlich gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Pakistan zulässig sei, und es räumte eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise ein.

4        Über die dagegen erhobene Beschwerde führte das BVwG am 9. November 2018 und am 6. Dezember 2019 eine mündliche Verhandlung durch, an deren Ende es - unter Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise bis zum Ablauf des 10. Februar 2020 - ein abweisendes Erkenntnis verkündete; dessen schriftliche Ausfertigung erfolgte mit 30. Dezember 2019.

5        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss ablehnte und deren Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof verfügte (VfGH 4.3.2020, E 305/2020).

6        Über die Zulässigkeit der hierauf fristgerecht eingebrachten Revision hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

7        Hat das Verwaltungsgericht - wie hier das BVwG - in seinem Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei, hat die Revision zufolge § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen sie entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision). Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof dann im Rahmen dieser vorgebrachten Gründe zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

8        In der Revision wird der Auffassung des BVwG entgegen getreten, der Revisionswerber wäre nach der Erlassung des Erkenntnisses des BVwG vom 23. August 2018, mit dem die Beschwerde gegen die Zurückweisung des zweiten Antrags auf internationalen Schutz abgewiesen wurde, zur Ausreise verpflichtet gewesen und er habe sich danach nicht mehr rechtmäßig in Österreich aufgehalten. Demgegenüber vertritt der Revisionswerber die Meinung, das ihm nach Zulassung des zweiten Antrags auf internationalen Schutz ab 21. Februar 2018 bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung zukommende Aufenthaltsrecht nach § 13 Abs. 1 AsylG 2005 habe bis zur Verkündung der gegenständlichen Rückkehrentscheidung am 6. Dezember 2019 bestanden.

9        Entgegen der Meinung in der Revision kommt es darauf bei der Beurteilung des Ergebnisses der nach § 9 BFA-VG vom BVwG vorgenommenen Interessenabwägung nicht entscheidungswesentlich an. Maßgeblich ist nämlich, dass der weitere Aufenthalt des Revisionswerbers nach Abweisung seines ersten Antrags auf internationalen Schutz mit Erkenntnis des BVwG vom 10. Jänner 2017, als sich der Revisionswerber noch nicht einmal zwei Jahre in Österreich befunden hatte, zunächst im Widerspruch zu der ihm auferlegten Ausreiseverpflichtung stand und unrechtmäßig war und danach ab Mitte November 2017 auf einem wiederholten, nach dem Ergebnis des hierüber geführten Verfahrens auf gefälschte Beweismittel gestützten Antrag auf internationalen Schutz beruhte. In einer solchen Konstellation durfte das BVwG - unabhängig von der Frage, wie lange sich der Revisionswerber letztlich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt - im Ergebnis durchaus eine besondere Relativierung der Aufenthaltsdauer (bis zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses Anfang Dezember 2019 von insgesamt etwa vier Jahren und sieben Monaten) und der im Zeitraum nach Erledigung des ersten Asylgesuchs erlangten Integration unter dem Gesichtspunkt des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG („Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren“) annehmen. Daher musste den in diesem Zeitraum gesetzten integrationsbegründenden Handlungen, insbesondere der Verrichtung von gemeinnützigen Tätigkeiten, dem Erwerb eines Deutschzertifikates auf dem Niveau B2, der am 24. Mai 2018 begonnenen Lehre als Tischler samt erfolgreichem Berufsschulbesuch und der intensivierten Beziehung zu seiner Gastfamilie, kein entscheidendes Gewicht zugebilligt werden. Vor diesem Hintergrund liegt insgesamt in Bezug auf den Revisionswerber - auch wenn das BVwG zu Recht von einem „Beispiel an gelungener Integration“ ausging - noch keine „außergewöhnliche Konstellation“ vor, auf die der Verwaltungsgerichtshof aber in seiner Judikatur bei der Frage, ob die Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK bewirkt, auch bei einem Aufenthalt von etwa viereinhalb Jahren in Österreich schon wiederholt abgestellt hat (vgl. beispielsweise VwGH 1.4.2020, Ra 2020/20/0072, Rn. 13, mit dem Hinweis auf VwGH 5.6.2019, Ra 2019/18/0078, Rn. 20, und auf VwGH 2.12.2019, Ra 2019/20/0537, Rn. 11; siehe auch VwGH 18.9.2019, Ra 2019/18/0189, Rn. 8, und VwGH 28.11.2019, Ra 2019/18/0457, 0458, Rn. 20, sowie darauf Bezug nehmend zuletzt VwGH 16.7.2020, Ra 2020/21/0133, Rn. 7/8).

10       Bei der Interessenabwägung hat das BVwG im Übrigen auch zutreffend berücksichtigt, dass die Kernfamilie des Revisionswerbers in Pakistan lebt, wo er vor seiner Ausreise im Alter von knapp neunzehn Jahren auch berufstätig war, sodass ihm bei einer Rückkehr die Aufnahme einer Beschäftigung und damit die Sicherung einer Existenzgrundlage möglich wäre. Dem tritt die Revision nicht konkret entgegen. Soweit in diesem Zusammenhang eine nicht näher beschriebene und im gegenständlichen Verfahren bisher auch nicht relevierte „schwere Erkrankung“ ins Treffen geführt und diesbezüglich ein Begründungsmangel geltend gemacht wird, genügt es aber, auf das mit der Aktenlage übereinstimmende Vorbringen in der Revision zu verweisen, wonach der Revisionswerber in der Verhandlung am 6. Dezember 2019 angegeben habe, derzeit keine Medikamente zu benötigen. Im Übrigen hat er auch die Frage nach einer aktuellen ärztlichen Behandlung verneint.

11       Insgesamt kann daher die vom BVwG im vorliegenden Fall nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vorgenommene Interessenabwägung nicht als unvertretbar angesehen werden, was insoweit der Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision entgegen steht (vgl. im Anschluss an den grundlegenden Beschluss VwGH 25.4.2014, Ro 2014/21/0033, beispielsweise VwGH 10.4.2020, Ra 2020/21/0011, Rn 9).

12       Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach klargestellt (siehe zuletzt VwGH 16.7.2020, Ra 2020/21/0133, Rn. 9), es möge rechtspolitisch als Manko empfunden werden, dass der Gesetzgeber für Fälle wie den vorliegenden kein humanitäres Aufenthaltsrecht vorgesehen habe. Das kann aber - wie neuerlich zu wiederholen ist - nicht dazu führen, dass die - im Vergleich zum „Aufenthaltstitel in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen“ nach § 56 AsylG 2005 - strengeren Voraussetzungen für die nach § 9 Abs. 3 BFA-VG vorzunehmende Feststellung der dauernden Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und die inhaltsgleichen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 unterlaufen werden.

13       In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 27. August 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210156.L00

Im RIS seit

12.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.10.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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