TE Vwgh Beschluss 2020/9/3 Ra 2020/19/0135

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Veröffentlicht am 03.09.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs2
BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §33 Abs1
VwGG §34 Abs1
VwGG §36 Abs1
VwGG §55

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/19/0163

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie Hofrat Dr. Pürgy und Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in den Revisionssachen der 1. G K, 2. des L K, beide vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2020, L526 2205859-1/19E und L 526 2205861-1/17E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

I.

Die Revision der Erstrevisionswerberin wird, soweit sie sich gegen die Erlassung des befristeten Einreiseverbotes wendet, als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.

II.

Im Übrigen wird die Revision der Erstrevisionswerberin zurückgewiesen.

Die Revision des Zweitrevisionswerbers wird zurückgewiesen.

III.

Der Bund hat der Erstrevisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 829,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Die Erstrevisionswerberin, eine Staatsangehörige von Georgien, hielt sich aufgrund verschiedener befristeter Aufenthaltstitel im Zeitraum Juni 2010 bis Mai 2018 im Bundesgebiet auf. Der Zweitrevisionswerber ist der Sohn der Erstrevisionswerberin und wurde am 13. Dezember 2013 im Bundesgebiet geboren.

2        Am 24. Mai 2018 stellte die Erstrevisionswerberin für sich und den Zweitrevisionswerber Anträge auf internationalen Schutz.

3        Mit Bescheid vom 3. August 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten ab. Weiters wurden Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, Rückkehrentscheidungen erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung der revisionswerbenden Parteien zulässig sei. Es wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gesetzt und einer Beschwerde gegen diese Bescheide die aufschiebende Wirkung aberkannt sowie gegen die Erstrevisionswerberin ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

4        Dagegen erhoben die revisionswerbenden Parteien Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht. In der mündlichen Verhandlung am 4. Dezember 2019 wurden die Beschwerden gegen die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zurückgezogen.

5        Mit den nunmehr angefochtenen Erkenntnissen vom 2. März 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass die freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage, und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Gegen diese Erkenntnisse erhob die Erstrevisionswerberin Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und - ebenso wie der Zweitrevisionswerber - außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

7        Die Erstrevisionswerberin brachte zur Begründung der Zulässigkeit der außerordentlichen Revision im Wesentlichen vor, das Bundesverwaltungsgericht sei in Bezug auf das befristete Einreiseverbot von den hg. aufgestellten Leitlinien zur Begründungspflicht abgewichen. In Bezug auf die Rückkehrentscheidung bringt die Revision zusammengefasst vor, das BVwG habe bei der Interessenabwägung einen unrichtigen Maßstab angewendet und trotz der langen Aufenthaltsdauer der Erstrevisionswerberin eine über das gewöhnliche Maß hinausgehende Integration verlangt. Darüber hinaus konstruiere das BVwG einen Versagungsgrund bezüglich eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005, welcher sich in der Judikatur bisher so nicht finde und mit den bestehenden Versagungsgründen (Untertauchen, unrichtige Identitätsangaben, Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften, strafrechtliche Verurteilungen) nicht vergleichbar sei. Der bloß illegale Aufenthalt sei kein derartiger Versagungsgrund, sondern vielmehr sogar Legalvoraussetzung zur Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005. Mangels Berücksichtigung der bisherigen Aufenthaltstitel weiche das BVwG zudem von der Rechtsprechung des EGMR zu Nnyanzi vs. UK, 21878/06, ab, wonach zwischen niedergelassenen Zuwanderern, denen zumindest einmal ein Aufenthaltstitel erteilt worden sei und Personen, die lediglich einen Asylantrag gestellt hätten und deren Aufenthalt somit bis zur Entscheidung im Asylverfahren unsicher sei, zu unterscheiden sei. Schließlich weiche das BVwG durch die Verwendung veralteter Länderberichte von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil das Erkenntnis keine Feststellungen zu den wirtschaftlichen und gesundheitlichen Auswirkungen durch die derzeitige Pandemie des COVID-19 enthalte, obwohl bereits am 26. Februar 2020 die ersten COVID-19 Fälle in Georgien bekannt gewesen seien.

8        Die Revision des Zweitrevisionswerbers enthält eine nahezu wortidente Zulässigkeitsbegründung, mit der ausschließlich auf das die Mutter betreffende Vorbringen referenziert wird. Eigene, in der Person des Zweitrevisionswerbers liegende Gründe im Hinblick auf die Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK werden nicht vorgebracht.

9        Der Verfassungsgerichtshof hob mit Erkenntnis vom 26. Juni 2020, E 948/2020-14, die bekämpfte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, soweit damit die Beschwerde gegen die Erlassung eines auf die Dauer von zwei Jahren befristeten Einreiseverbotes abgewiesen wurde, auf. Im Übrigen lehnte er die Behandlung der Beschwerde ab.

10       Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revisionen der Erstrevisionswerberin und des Zweitrevisionswebers wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbunden und in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Zu Spruchpunkt I.

11       Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Revisionswerber klaglos gestellt wurde, die Revision nach dessen Anhörung in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.

12       Ein solcher Fall der formellen Klaglosstellung liegt (u.a.) dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung - wie hier - durch den Verfassungsgerichtshof aus dem Rechtsbestand beseitigt wurde. Dem trat der Vertreter der Erstrevisionswerberin auf Anfrage des Verwaltungsgerichtshofes nicht entgegen.

13       Die Revision war daher - soweit sie sich gegen die Erlassung des Einreiseverbotes wendet - nach Anhörung der Erstrevisionswerberin - in Anwendung der genannten Bestimmung des VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.

Zu Spruchpunkt II.

14       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

15       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

16       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

17       Sofern die Revisionswerber in der Zulässigkeitsbegründung Bezug auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 nehmen, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach nach dem klaren Wortlaut des § 58 Abs. 2 AsylG 2005 die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 nur dann von Amts wegen zu prüfen ist, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird. Es handelt sich dabei um jene Fälle, in welchen der Erlassung einer Rückkehrentscheidung eine sonst drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK entgegensteht (vgl. VwGH 22.6.2020, Ra 2020/19/0151, mwN). Ein solcher Fall liegt revisionsgegenständlich nicht vor.

18       Soweit sich die Revision unter dem Hinweis auf die Aufenthaltsdauer der Erstrevisionswerberin in Österreich gegen die Abwägung nach Art. 8 EMRK richtet, ist sie auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 7.5.2020, Ra 2020/19/0081, mwN).

19       Das Bundesverwaltungsgericht hat sich sehr ausführlich mit sämtlichen Aspekten - wie insbesondere die Aufenthaltsdauer in Österreich, das Vorliegen befristeter Aufenthaltstitel, wobei die Betätigungen der Erstrevisionswerberin im Inland dem Zweck der jeweils erteilten Aufenthaltsberechtigungen nur teilweise entsprachen, private Anknüpfungspunkte, Begründung des Privatlebens zu einem Zeitpunkt, als der Aufenthalt ungewiss gewesen sei, Besuch von Deutsch- und Integrationskursen, Einstellungszusage, Bindungen zum Herkunftsstaat und Auswirkungen auf das Kindswohl - auseinandergesetzt und die Interessen der Revisionswerber mit den öffentlichen Interessen abgewogen. Es kam im gegenständlichen Fall zu dem Schluss, dass die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung gegenüber den privaten Interessen der revisionswerbenden Parteien am Verbleib im Inland überwiegen würden. Der Revision gelingt es nicht aufzuzeigen, dass das Bundesverwaltungsgericht bei dieser Beurteilung in unvertretbarer Weise von den in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes aufgestellten Leitlinien abgewichen wäre.

20       Wenn die Revisionswerber in diesem Zusammenhang auf die Judikatur des EGMR in seinem Urteil vom 8. April 2008, 21878/06, Nnyanzi vs. UK, verweisen, genügt der Hinweis, dass sich entgegen der Annahme der Revision aus den Aussagen des EGMR in diesem Urteil nicht ableiten lässt, dass das Vorliegen lediglich befristeter Aufenthaltstitel und die Stellung eines letztlich unberechtigten Antrages auf internationalen Schutzes nach Ablauf derselben in der Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK bei einem Eingriff in das Recht auf Privatleben nicht berücksichtigt werden dürften.

21       Mit dem Vorbringen zur mangelnden Aktualität der Länderberichte macht die Revision schließlich einen Verfahrensmangel geltend. Nach der ständigen hg. Rechtsprechung reicht es jedoch nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der genannten Verfahrensmängel in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 21.5.2019, Ra 2018/19/0717, mwN). Eine solche Relevanz wird fallbezogen jedoch nicht aufgezeigt.

22       In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher zurückzuweisen.

Zu Spruchpunkt III.

23       Gemäß § 55 VwGG ist die Frage des Anspruches auf Aufwandersatz dann, wenn der Revisionswerber hinsichtlich einzelner oder aller Revisionspunkte klaglos gestellt wurde, so zu beurteilen, wie wenn er obsiegende Partei im Sinn des § 47 Abs. 2 Z 1 VwGG gewesen wäre. Für jene Fälle, in denen die Klaglosstellung hinsichtlich aller Revisionspunkte innerhalb der vom Verwaltungsgericht gemäß § 30a Abs. 4 VwGG oder vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 36 Abs. 1 VwGG gesetzten Frist erfolgte, ist jedoch der Pauschalbetrag für den Ersatz des Schriftsatzaufwandes in der Verordnung gemäß § 49 Abs. 1 VwGG um ein Viertel niedriger festzusetzen als der allein auf Grund dieser Bestimmung für den Ersatz des Schriftsatzaufwandes festzustellende Pauschalbetrag.

24       Im gegenständlichen Fall wurde die Erstrevisionswerberin schon vor Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof klaglos gestellt. Dies ist dem in § 55 VwGG geregelten Fall (Klaglosstellung innerhalb der vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 36 Abs. 1 gesetzten Frist) gleichzuhalten (vgl. VwGH 11.2.2016, Ra 2015/20/0212, mwN).

25       Der Aufwandersatz war daher nach dem analog anzuwendenden zweiten Satz des § 55 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 nur im Ausmaß der reduzierten Pauschalsumme zuzuerkennen.

Wien, am 3. September 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190135.L00

Im RIS seit

15.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

15.10.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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