TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/8 L502 2151955-2

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Veröffentlicht am 08.10.2019
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Entscheidungsdatum

08.10.2019

Norm

AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs10
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1

Spruch

L5022151955-2/2E

L5022151545-2/2E

L5022151548-2/2E

L5022151958-2/2E

L502 2216019-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , 4.) XXXX , geb. XXXX , und 5.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Türkei und vertreten durch RAe Dr. XXXX und Dr. XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.07.2019, FZ. XXXX , FZ. XXXX , FZ. XXXX , FZ. XXXX , FZ. XXXX , zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Ehegatte der Erstbeschwerdeführerin (BF1) stellte im Gefolge seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet am 29.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die BF1 reiste 05.05.2016 mit den gemeinsamen Kindern, der Zweitbeschwerdeführerin (BF2), der Drittbeschwerdeführerin (BF3) und der Viertbeschwerdeführerin (BF4), nach Österreich ein und stellte für sich und ihre Kinder ebenfalls Anträge auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheiden des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 10.03.2017 wurden die gg. Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurden die Anträge auf internationalen Schutz auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchpunkt II.). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurden nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass Abschiebungen in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sind (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).

Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht in vollem Umfang Beschwerde erhoben.

3. Die Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 07.02.2019 als unbegründet abgewiesen.

4. Für den am XXXX in Österreich geborenen Fünftbeschwerdeführer (BF5) wurde am 04.02.2019 durch die BF1 als seine gesetzliche Vertreterin ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

5. Mit Bescheid des BFA vom 08.02.2019 wurde der Antrag des BF5 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).

Die gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 30.04.2019 als unbegründet abgewiesen.

6. Am 23.05.2019 brachten der Ehegatte der BF1 sowie die BF1 für sich und die BF2 bis BF5 beim BFA jeweils einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG ein.

7. Am 24.06.2019 langte dort eine Stellungnahme der nunmehrigen Vertreter der Beschwerdeführer zum Antrag vom 23.05.2019 ein.

Unter einem wurden mehrere Beweismittel vorgelegt.

8. Am 15.07.2019 wurden BF1 bis BF5 in die Türkei abgeschoben. Gegen den Gatten der BF1 wurde ein Festnahmeauftrag erlassen.

9. Mit den im Spruch angeführten Bescheiden wurden die Anträge von BF1 bis BF5 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK vom 23.05.2019 gemäß § 58 Abs. 10 AsylG zurückgewiesen.

10. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 24.07.2019 wurde ihnen von Amts wegen gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

11. Gegen die am 26.07.2019 zugestellten Bescheide erhoben die Beschwerdeführer durch ihre Vertreter am 21.08.2019 fristgerecht Beschwerde.

12. Die Beschwerdevorlagen langten am 30.08.2019 beim BVwG ein und wurden die Beschwerdeverfahren der nun zur Entscheidung berufenen Gerichtsabteilung zugewiesen.

13. Das BVwG erstellte aktuelle Auszüge aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Strafregister sowie dem Zentralen Melderegister (ZMR).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der oben wiedergegebene Verfahrensgang steht fest.

1.2. Die Identitäten der Beschwerdeführer stehen fest. Sie sind türkische Staatsangehörige. Die BF1 ist die Mutter von BF2 bis BF5. BF1 bis BF4 reisten im Mai 2016 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, der BF5 wurde in Österreich geboren, sie hielten sich bis zu ihrer Abschiebung am 15.07.2019 im Bundesgebiet auf. Der Aufenthaltsort des Ehegatten der BF1 und Vater der gemeinsamen Kinder ist aktuell unbekannt.

Die Beschwerdeführer bezogen bis zum 15.07.2019 Leistungen der staatlichen Grundversorgung. Die BF1 hat am 27.09.2017 eine Deutschprüfung auf dem Niveau A1 bestanden. Sie war bis zur Ausreise keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen. Die BF2 und die BF3 besuchten in Österreich die Schule, die BF4 den Kindergarten. Mehrere Verwandte der Beschwerdeführer leben in Deutschland, mehrere Cousins und Cousinen des Ehegatten der BF1 leben in Österreich. Ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis der Beschwerdeführer zu diesen bestand nicht. Sie unterhielten in Österreich normale soziale Kontakte und sind hierorts strafgerichtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweis erhoben wurde im gg. Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in die gg. Verfahrensakten des Bundesamtes, die bekämpften Bescheide und den Beschwerdeschriftsatz, in die Verfahrensakten im ersten Verfahrensgang und durch die Einholung aktueller Auszüge aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister, dem Zentralen Melderegister und dem Strafregister.

2.2. Der gg. Verfahrensgang stellt sich im Lichte des vorliegenden Akteninhaltes als unstrittig dar.

2.3. Die Feststellungen unter 1.2. stützen sich auf die rechtskräftigen Feststellungen des BFA und des BVwG im vorhergehenden Verfahrensgang, auf das Vorbringen der Beschwerdeführer im nunmehrigen Verfahrensgang sowie das Ergebnis der amtswegigen Beschaffung von Informationen aus den og. Datenbanken durch das BVwG und stellen sich insoweit als unstrittig dar.

3. Rechtliche Beurteilung:

Mit Art. 129 B-VG idF BGBl. I 51/2012 wurde ein als Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes eingerichtet.

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.

Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idF BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde als gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Mit BFA-Einrichtungsgesetz (BFA-G) idF BGBl. I Nr. 68/2013, in Kraft getreten mit 1.1.2014, wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) eingerichtet.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG idgF), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Zu A)

1.1. § 55 AsylG idgF lautet:

(1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

§ 58 AsylG idgF lautet:

(1) - (4) [...]

(5) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 sowie auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 sind persönlich beim Bundesamt zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.

(6) Im Antrag ist der angestrebte Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 bis 57 genau zu bezeichnen. Ergibt sich auf Grund des Antrages oder im Ermittlungsverfahren, dass der Drittstaatsangehörige für seinen beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel benötigt, so ist er über diesen Umstand zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt.

(7) [...]

(8) Wird ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 zurück- oder abgewiesen, so hat das Bundesamt darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

(9) [...]

(10) Anträge gemäß § 55 sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

(11) - (12) [...]

(13) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 begründen kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten. Bei Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 hat das Bundesamt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag jedoch mit der Durchführung der einer Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn

1. ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung erst nach einer Antragstellung gemäß § 56 eingeleitet wurde und

2. die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Z 1, 2 und 3 jedenfalls vorzuliegen haben.

(14) [...]

1.2. Das BFA stützte die Zurückweisung der Anträge von BF1 bis BF5 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG auf § 58 Abs. 10 AsylG und begründete dies im Wesentlichen damit, dass gegen die Beschwerdeführer eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung erlassen wurde und eine maßgebliche Sachverhaltsänderung in Bezug auf ihr Privat- und Familienleben seither nicht eingetreten sei.

1.3. Hat die Behörde in erster Instanz den Antrag zurückgewiesen, ist das VwG lediglich befugt, darüber zu entscheiden, ob die von der Behörde ausgesprochene Zurückweisung als rechtmäßig anzusehen ist. Dies allein bildet den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens (vgl. VwGH 17.10.2016, Ra 2016/22/0059 mit Hinweis auf E 18. Dezember 2014, Ra 2014/07/0002 bis 0003; E 26. Februar 2015, Ra 2014/22/0152 bis 0153; E 23. Juni 2015, Ra 2015/22/0040; B 16. September 2015, Ra 2015/22/0082 bis 0083; B 12. Oktober 2015, Ra 2015/22/0115).

Zu § 58 Abs. 10 AsylG hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 12.11.2015, Ra 2015/21/0101 festgehalten, dass § 58 Abs. 10 AsylG 2005 - als Nachfolgereglung des § 44b Abs. 1 Z 1 NAG 2005 - nunmehr bestimmt, dass Anträge gemäß § 55 AsylG 2005 als unzulässig zurückzuweisen sind, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG 2014 ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 MRK erforderlich macht, nicht hervorgeht (vgl. E 22. Juli 2011, 2011/22/0127; E 5. Mai 2015, Ra 2014/22/0115). Nach dieser Judikatur liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht erst dann vor, wenn der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitel erteilt werden müsste. Vielmehr läge ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nur dann nicht vor, wenn die geltend gemachten Umstände von vornherein keine solche Bedeutung aufgewiesen hätten, die eine Neubeurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 MRK geboten hätte. Nur in einem solchen Fall ist eine - der Sache nach der Zurückweisung wegen entschiedener Sache nachgebildete - Zurückweisung (nunmehr) gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zulässig.

Im Übrigen ist gemäß § 20 Abs. 3 BFA-VG 2014 dessen Abs. 1, der ein beschränktes Neuerungsverbot für Beschwerden gegen Entscheidungen des BFA normiert (Hinweis B 29. Juli 2015, Ra 2015/18/0036), bei Beschwerden gegen Entscheidungen auf Grund eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß dem 7. Hauptstück des AsylG 2005 - dort befindet sich § 55 - nicht anzuwenden.

1.4. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Diesbezüglich hielt das BFA in seiner Entscheidungsbegründung fest, dass schon im Lichte des kurzen Zeitraumes zwischen der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung vom 07.02.2019 und der gg. Antragstellung am 23.05.2019 keine maßgebliche Änderung hinsichtlich des maßgeblichen Sachverhalts mit Blick auf die Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet eingetreten ist. In diesem Zeitraum von etwa dreieinhalb Monaten hätten die Beschwerdeführer keine weiteren maßgeblichen Integrationsschritte gesetzt, die eine neue Beurteilung aus dem Blickwinkel des Art 8 EMRK erforderlich gemacht hätten.

Demgegenüber wurde im Hinblick auf iSd Art 8 EMRK zu berücksichtigende Gesichtspunkte von den Beschwerdeführern vorgebracht, dass sie sich - mit Ausnahme des in Österreich nachgeborenen BF - seit 2016 im Bundesgebiet aufhielten und der Aufenthalt bis 21.03.2019 auch rechtmäßig gewesen sei. Einer legalen Erwerbstätigkeit sei die BF1 zwar bislang nicht nachgegangen, sie könne aber einen Arbeitsvorvertrag vorweisen und sei daher als selbsterhaltungsfähig anzusehen. Im Übrigen lägen zwei Haftungserklärungen von Verwandten der Beschwerdeführer vor. Mehrere Cousins und Cousinen der BF1 würden in Österreich leben, wenn auch kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis zu diesen bestehe. Mehrere Verwandte mit deren Familien seien zudem in Deutschland aufhältig. In Österreich würden die BF bis dato diversen Freizeitaktivitäten nachgehen. Auf die Schulbesuchszeiten von BF2 und BF3 wurde verwiesen. Die Kenntnisse der deutschen Sprache auf Seiten der BF1 seien genügend, die von BF2 bis BF4 sehr gut. In der Türkei würden noch die Eltern und Schwiegereltern der BF1 leben.

1.5. Mit diesem Vorbringen zeigten die Beschwerdeführer tatsächlich keine stichhaltigen Anhaltspunkte auf, die eine neuerliche Beurteilung des Sachverhalts im Hinblick auf eine maßgeblich geänderte Interessenslage iSd Art. 8 EMRK erfordert hätten, zumal die wesentlichen Sachverhaltselemente bereits im ersten Verfahrensgang Berücksichtigung fanden und eine maßgebliche Änderung demgegenüber nicht festzustellen war.

Die BF1 legte zum Nachweis ihrer Deutschkenntnisse eine Urkunde über eine am 27.09.2017 absolvierte Deutschprüfung vor, die bereits im ersten Verfahrensgang berücksichtigt wurde. Aus den nun vorgelegten Unterstützungserklärungen konnten keine über das normale Ausmaß hinausgehenden sozialen Kontakte der Beschwerdeführer im Bundesgebiet gewonnen werden. Die Schulbesuche von BF2 und BF3 bis 2019 wurden bereits im ersten Verfahrensgang berücksichtigt, eine etwa dreieinhalbmonatige Verlängerung dieses Besuchs seit der rechtskräftigen Erlassung von Rückkehrentscheidungen stellte sich nicht als maßgeblich dar.

Ein bloßer Arbeitsvorvertrag zu Gunsten der BF1 schuf ebenso wie die Haftungserklärungen zweier in Deutschland lebender Verwandter keine wesentliche neue Perspektive was die Fähigkeit der weiteren Lebensgestaltung aus eigenen Kräften angeht. Im Übrigen war eine Selbsterhaltungsfähigkeit der BF1 schon angesichts eines möglichen Beschäftigungsausmaßes von 25 Wochenstunden als Reinigungsfachkraft nicht zu erwarten.

In Ansehung dieser Umstände war in Übereinstimmung mit der belangten Behörde zum Schluss zu gelangen, dass die gg. Anträge mangels einer relevanten Sachverhaltsänderung im Hinblick auf das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer gemäß § 58 Abs. 10 AsylG zurückzuweisen waren.

1.6. Die in der Beschwerde behauptete Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens war aus Sicht des BVwG zu verneinen, zumal das BFA den Beschwerdeführern aufgetragen hatte zu ihren Anträgen umfassend Stellung zu nehmen und auf der Grundlage derselben zur Schlußfolgerung gelangte, dass keine maßgebliche Änderung der Sachlage eingetreten sei.

Zur monierten Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von den Beschwerdeführern durch Einvernahmen vor dem BFA wurde in der Beschwerde nicht aufgezeigt, welcher konkrete Sachverhalt dadurch noch hervorkommen hätte sollen.

1.7. Die Beschwerde gegen die angefochtenen Bescheide war sohin als unbegründet abzuweisen.

2. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG, BGBl I Nr. 68/2013 idgF, kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte im gg. Fall gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Änderung maßgeblicher Umstände Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK entschiedene Sache Familienverfahren Neuerungsverbot Privat- und Familienleben Selbsterhaltungsfähigkeit wesentliche Sachverhaltsänderung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L502.2151955.2.00

Im RIS seit

25.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

25.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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