TE Vwgh Beschluss 2020/8/31 Ra 2019/01/0135

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.08.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
25/01 Strafprozess
41/01 Sicherheitsrecht

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z14
B-VG Art130 Abs1 Z2
B-VG Art132 Abs2
SPG RichtlinienV 1993
SPG RichtlinienV 1993 §1
SPG RichtlinienV 1993 §4
SPG 1991 §31
SPG 1991 §31 Abs1
SPG 1991 §89
SPG 1991 §89 Abs1
StPO 1975 §1 Abs3
StPO 1975 §18 Abs1
StPO 1975 §91 Abs2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser sowie Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, über die Revision der Landespolizeidirektion Vorarlberg gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 18. Dezember 2018, Zl. LVwG-429-7/2018-R1, betreffend Richtlinienbeschwerde nach § 89 Abs. 4 SPG (mitbeteiligte Partei: B F in A, vertreten durch Heinzle - Nagel Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Bund hat der Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg (Verwaltungsgericht) wurde der Beschwerde der Mitbeteiligten wegen behaupteter Verletzung von Richtlinien für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gemäß § 89 Abs. 4 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) iVm §§ 28 Abs. 6 und 53 VwGVG Folge gegeben und festgestellt, dass Beamtinnen der Polizeiinspektion A am 5. Juli 2017 eine freiwillige Mitwirkung der Mitbeteiligten an einer näher bezeichneten Amtshandlung in Anspruch genommen haben, obwohl ein Zweifel daran bestehen musste, dass die Mitbeteiligte sich der Freiwilligkeit der Mitwirkung bewusst war (erster Spruchabschnitt). Gemäß § 35 iVm § 53 VwGVG verpflichtete das Verwaltungsgericht den Bund zum Kostenersatz an die Mitbeteiligte (zweiter Spruchabschnitt) und sprach aus, dass die Revision unzulässig sei (dritter Spruchabschnitt).

2        Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, die Polizeibeamtinnen hätten Erkundigungen zur Klärung, ob ein Anfangsverdacht vorliege (§ 91 Abs. 2 letzter Satz StPO), vorgenommen. Solche Erkundigungen dürften ausschließlich unter Entgegennahme freiwilliger Auskünfte erfolgen. Selbst wenn es sich bereits um ein Ermittlungsverfahren gehandelt hätte, bestehe keine Regelung, nach der das eingeforderte Verhalten verpflichtend gewesen wäre. Die Polizeibeamtinnen hätten daher die Freiwilligkeit der Mitbeteiligten in Anspruch nehmen wollen. Dies sei gemäß § 4 Richtlinien-Verordnung (RLV) nur dann rechtmäßig, wenn kein Zweifel daran bestehe, dass sich die Mitbeteiligte der Freiwilligkeit bewusst gewesen sei. Die Polizeibeamtinnen hätten die Mitbeteiligte über die Freiwilligkeit ihrer Mitwirkung nicht aufgeklärt. Die bloße Verwendung des Wortes „bitte“ sei (fallbezogen) nicht ausreichend, um klar zum Ausdruck zu bringen, dass das Geforderte freiwillig erfolge, zumal die Frage in einem Aufforderungston ohne Verwendung eines Konjunktives formuliert worden sei.

3        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6        Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        Die Amtsrevision bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs - insbesondere zu den Grundsätzen bzw. Leitlinien - betreffend die Rechtsfrage, ob ein mit einer „höflichen Bitte geäußertes Ersuchen an einen Dritten, einen von Erkundigungen nach der StPO betroffenen Verdächtigen herbeizuholen, gegen die Annahme der Freiwilligkeit sprechen“ könne. Ausgehend von (näher zitierter) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Prüfung von Maßnahmenbeschwerden komme es darauf an, ob bei objektiver Betrachtungsweise beim Betroffenen der Eindruck habe entstehen müssen, dass bei Nichtbefolgung der behördlichen Anordnung mit ihrer unmittelbaren zwangsweisen Durchsetzung zu rechnen gewesen sei. Vorliegend liege kein derartiges „Inaussichtstellen“ einer Umsetzung mit Zwang vor.

8        Mit diesem Vorbingen wird eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht dargetan:

9        Das Einschreiten der beiden Polizeibeamtinnen erfolgte gemäß § 91 Abs. 2 letzter Satz StPO zur Klärung des Vorliegens eines Anfangsverdachts (§ 1 Abs. 3 StPO). Es stellte daher eine Amtshandlung im Dienste der Strafjustiz („Kriminalpolizei“ iSd § 18 Abs. 1 StPO) dar (vgl. etwa VwGH 30.4.2018, Ro 2016/01/0013, Rn. 25; sowie VwGH 17.9.2002, 2000/01/0325; insbesondere zur Abgrenzung von Erkundigungen zur Klärung des Vorliegens eines Anfangsverdachts zum nachfolgenden Ermittlungsverfahren nach der StPO OGH 10.7.2019, 15 Os 20/19h; sowie zur Entscheidung der Staatsanwaltschaft über das Absehen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mangels Anfangsverdachts VwGH 27.5.2020, Ra 2020/03/0019).

10       Die Richtlinienbeschwerde ist als Verhaltensbeschwerde auch bei Amtshandlungen im Dienste der Strafjustiz zulässig (vgl. VwGH 17.10.2017, Ra 2017/01/0309, Rn. 13; 13.10.2015, Ra 2015/01/0166, mwN). Amtshandlungen im Dienste der Strafjustiz fallen zwar nicht unter den Begriff der Sicherheitsverwaltung, sind aber dennoch von der gemäß § 31 Abs. 1 SPG erlassenen RLV erfasst, handelt es sich doch bei der Frage, ob eine Richtlinie im Sinn des SPG verletzt ist, um eine Frage des „inneren Dienstes“ im Sinn des Art. 10 Abs. 1 Z 14 B-VG, unter den auch Amtshandlungen im Dienste der Strafjustiz fallen (vgl. bereits VwGH 17.9.2002, 2000/01/0325, mwN).

11       Die RLV stellt einen Berufspflichtenkodex der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes dar und bezweckt, eine wirkungsvolle einheitliche Vorgangsweise der Sicherheitsexekutive sicherzustellen und die Gefahr von Konflikten mit den „Betroffenen“ zu mindern. „Aufgabenerfüllung“ nach der RLV bedeutet jeder Kontakt zwischen Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes und „Betroffenen“ im Zusammenhang mit (irgendeinem) „Einschreiten“. In einer Richtlinienbeschwerde muss zur Einleitung des Verfahrens die Verletzung einer Richtlinie behauptet werden(vgl. zu allem VwGH 27.2.2018, Ra 2017/01/0401, mwN). Die Richtlinienbeschwerde gewährt als Verhaltensbeschwerde keine subjektiven Rechte (vgl. VwGH 13.10.2015, Ra 2015/01/0166, mwN).

12       Aus diesem Grund ist die von der Amtsrevision ins Treffen geführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht einschlägig, weil letztgenannte nur vorliegt, wenn Verwaltungsorgane (unter anderem) unmittelbar in subjektive Rechte des Betroffenen eingreifen (vgl. VwGH 16.6.2020, Ra 2018/01/0287, Rn. 7, mwN; vgl. im Übrigen zu der weiter als § 30 Abs. 1 SPG gehenden Richtlinie des § 9 RLV VwGH 20.5.2020, Ra 2018/01/0369, Rn. 9).

13       Vorliegend ist die Richtlinie des § 4 RLV (Freiwillige Mitwirkung oder Duldung) maßgeblich.

14       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine Inanspruchnahme der Freiwilligkeit nach § 4 RLV nicht vor, wenn sich die Amtshandlung bereits auf eine andere gesetzliche Ermächtigung stützen kann (vgl. VwGH 13.10.2015, Ra 2015/01/0166, mwN). Solches bringt die Amtsrevision nicht vor.

15       Zum Inhalt des § 4 RLV hat der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten, dass nach dieser Richtlinie die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, wenn ein Mensch an einer Amtshandlung freiwillig mitwirken oder sie freiwillig dulden soll, diese Freiwilligkeit nur in Anspruch nehmen dürfen, wenn nach den Umständen des Falles kein Zweifel daran besteht, dass der Betroffene sich der Freiwilligkeit bewusst ist (vgl. VwGH 13.10.2015, Ra 2015/01/0166).

16       Nach dieser Rechtsprechung kommt es darauf an, ob bei objektiver ex ante-Betrachtung aus dem Blickwinkel des einschreitenden Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes kein Zweifel daran besteht, dass sich der Betroffene der Freiwilligkeit der begehrten Mitwirkung bewusst ist (vgl. zur ex ante-Betrachtung aus dem Blickwinkel der einschreitenden Exekutivbeamten VwGH 5.12.2017, Ra 2017/01/0373, mwN).

17       Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof nach dem Revisionsmodell nicht dazu berufen ist, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern - diese Aufgabe obliegt den Verwaltungsgerichten. Ein Aufgreifen des vom Verwaltungsgericht entschiedenen Einzelfalls durch den Verwaltungsgerichtshof erfolgt, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. zu allem VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003, Rn. 35, mwN). Dies ist bei der vorliegenden einzelfallbezogene Beurteilung des Verwaltungsgerichts, wonach § 4 RLV verletzt wurde, nicht zu sehen.

18       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

19       Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff, insbesondere auf § 51 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 31. August 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019010135.L00

Im RIS seit

20.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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