TE Vfgh Beschluss 2020/6/8 E1063/2020

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Veröffentlicht am 08.06.2020
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Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

ZPO §146
GOG 1896 §89d
GO-VfGH §7 Abs4
VfGG §7 Abs2, §35

Leitsatz

Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrags mangels Vorliegens eines minderen Grad des Versehens beim Rechtsvertreter

Spruch

I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

II. Die Beschwerde wird als verspätet zurückgewiesen.

III. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang der Befreiung von der Entrichtung der Eingabengebühr wird abgewiesen.

Begründung

Begründung

1. Mit am 27. März 2020 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachtem Schriftsatz begehrt der Antragsteller die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde, erhebt unter einem Beschwerde gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 4. Februar 2020 und stellt einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang der Gebührenbefreiung. Dem Antrag liegt ein Versendeprotokoll vom 16. März 2020 bei.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages wird im Wesentlichen ausgeführt, der Vertreter des Antragstellers habe am 16. März 2020 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eine Beschwerde gemäß Art144 B-VG gegen ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes an den Verfassungsgerichtshof versendet. Am Versendeprotokoll sei ua der Vermerk "Erstellt am: 16.03.2020 15:36:36" und "Status: Gesendet" sowie der Vermerk "16.03.2020 15:43:17 […] AUSGANG_VERSANDT" enthalten.

Erst am 19. März 2020 – somit einen Tag nach Fristablauf – habe der Vertreter des Antragstellers per ERV den Vermerk erhalten, dass die Eingabe zurückgewiesen worden sei.

Die Beschwerdefrist habe bereits am 18. März 2020 geendet, der Vertreter des Antragstellers habe jedoch erst am 19. März 2020 im ERV die Rückmeldung erhalten, dass die Eingabe zurückgewiesen worden sei. Es sei ihm daher nicht möglich gewesen, die Beschwerde nochmals fristgerecht einzubringen. Darin liege ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis, das nicht in der Machtsphäre des Antragstellers bzw dessen Rechtsvertreters gelegen sei. Auf Grund des technischen Fehlers und der späten Rückantwort des ERV liege jedenfalls ein minderer Grad des Versehens vor.

2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist ist zulässig, aber nicht begründet:

2.1. Da das VfGG die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 VfGG die entsprechenden Bestimmungen der §§146 ff. ZPO sinngemäß anzuwenden:

2.1.1. Nach §146 ZPO ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Unter einem "minderen Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (s etwa VfSlg 9817/1983, 14.639/1996, 15.913/2000 und 16.325/2001 mwN).

Aus §39 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG ergibt sich, dass das Verschulden des Bevollmächtigten eines Beschwerdeführers einem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten ist.

2.1.2. Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung muss gemäß §148 Abs2 ZPO innerhalb von vierzehn Tagen gestellt werden. Diese Frist beginnt mit dem Tage, an welchem das Hindernis, welches die Versäumung verursachte, weggefallen ist; sie kann nicht verlängert werden. Zugleich mit dem Antrag ist dem §149 Abs1 ZPO zufolge auch die versäumte Prozesshandlung nachzuholen.

2.2. Das Hindernis für die rechtzeitige Einbringung der Beschwerde fiel am 19. März 2020 weg. Mit dem am 27. März 2020 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde daher diese Frist gewahrt.

2.3. Jedoch kann von einem minderen Grad des Versehens des Bevollmächtigten im vorliegenden Fall nicht gesprochen werden:

Ein beruflicher rechtskundiger Parteienvertreter hat seine Kanzlei so zu organisieren, dass nach menschlichem Ermessen die Versäumung von Fristen ausgeschlossen ist. Es gehört zu einer den gebotenen Sorgfaltsmaßstäben entsprechenden Kanzleiorganisation, ein Postausgangsbuch anzulegen, um zu verhindern, dass ein für die Postaufgabe bestimmtes Schriftstück am Weg zur Post – aus welchem Grund auch immer – verloren geht, ohne dass dies spätestens bei der Postaufgabe bemerkt wird (VfSlg 15.539/1999).

Dies gilt im selben Maß für die Übermittlung im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs: Weil diese fehleranfällig ist, trifft den Absender die Verpflichtung zur Kontrolle, ob die Eingabe tatsächlich und richtig abgesendet wurde und ob sie auch beim Adressaten eingelangt ist (vgl zur Kontrolle des Sendeberichts bei der Übermittlung mittels Telefax VwGH 8.7.2004, 2004/07/0100; 30.3.2004, 2003/06/0043; 15.9.2005, 2005/07/0104 bzw zur Kontrolle des Postausgangsordners bei der Benützung von E-Mail-Programmen VwSlg 16.834 A/2006). Unterbleibt diese Kontrolle aus welchen Gründen auch immer, etwa weil sich der Absender mit den technischen Möglichkeiten nicht oder nur unzureichend vertraut gemacht hat, stellt dies jedenfalls ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden dar (vgl VfGH 21.11.2013, B629/2013; 30.11.2016, G535/2015).

Dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag ist zu entnehmen, dass sich der berufliche rechtskundige Parteienvertreter des Antragstellers mit der Prüfung des Vermerks des Programmes über die erfolgte Versendung im Versendeprotokoll begnügte. Die Sorgfaltspflicht gebietet es jedoch nicht nur, dass überprüft wird, ob die Beschwerde versendet wurde, sondern auch, ob sie an den Verfassungsgerichtshof übermittelt, dh eingebracht, wurde, oder ob sie – warum auch immer – von der Übermittlungsstelle gemäß §7 Abs4 der Geschäftsordnung des Verfassungsgerichtshofs über die elektronische Durchführung von Verfahren (BGBl II 218/2013 idF BGBl II 235/2016) automatisch zurückgewiesen wurde. Dementsprechend ist von der Sorgfaltspflicht auch umfasst, die Rückmeldung der Übermittlungsstelle nach §89d Gerichtsorganisationsgesetz (RGBl. 2017/1896 idF BGBl I 26/2012) abzuwarten und insofern innerhalb der offenen Beschwerdefrist zu kontrollieren, ob die Übermittlungsstelle die Daten der Eingabe zur Weiterleitung übernommen hat (vgl VfGH 23.11.2017, E178/2017). Im vorliegenden Fall wurde nicht einmal behauptet, eine entsprechende Kontrolle vorgenommen zu haben. Allein der Hinweis, dass der berufliche rechtskundige Parteienvertreter den Vermerk über die Zurückweisung der Eingabe erst nach Ablauf der Beschwerdefrist erhalten habe, reicht nicht aus, um von einem minderen Grad des Versehens auszugehen.

2.4. Damit liegen aber die Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vor, weshalb der darauf gerichtete Antrag abzuweisen ist.

3. Die Beschwerde wurde erst nach Ablauf der sechswöchigen Frist (§82 Abs1 VfGG) eingebracht und ist somit als verspätet zurückzuweisen.

4. Da die Beschwerde zurückzuweisen ist, ist der –

nicht auf das Vorliegen sämtlicher Formerfordernisse hin geprüfte – Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wegen offenbarer Aussichtslosigkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung (§63 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG) abzuweisen (vgl zB VfSlg 14.582/1996; VfGH 17.3.1999, B311/99).

5. Diese Beschlüsse konnten gemäß §149 Abs2 ZPO iVm §35 VfGG und §19 Abs3 Z2 litb VfGG bzw §72 Abs1 ZPO iVm §35 VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

Schlagworte

VfGH / Wiedereinsetzung, elektronischer Rechtsverkehr, VfGH / Fristen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E1063.2020

Zuletzt aktualisiert am

22.09.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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