TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/28 I409 2229791-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.05.2020
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Entscheidungsdatum

28.05.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §13 Abs1
AsylG 2005 §13 Abs2 Z1
AsylG 2005 §13 Abs2 Z2
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §18 Abs1 Z2
BFA-VG §18 Abs1 Z3
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I409 2229791-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Florian Schiffkorn als Einzelrichter über die Beschwerde des BXXXX MXXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Nigeria alias Simbabwe, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17. Februar 2020, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abwiesen, dass einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 1 Z 3 BFA-Verfahrensgesetz aberkannt wurde.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 18. Juni 2010 unter der Behauptung, Staatsangehöriger von Simbabwe zu sein, einen Antrag auf internationalen Schutz.

Dieser Antrag wurde nach einem Dublin-Konsultationsverfahren aufgrund der Zuständigkeit Griechenlands mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. September 2010 als unzulässig zurückgewiesen und der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Griechenland ausgewiesen.

Dieser Bescheid erwuchs am 19. Oktober 2010 in zweiter Instanz in Rechtskraft.

Am 31. August 2012 stellte der Beschwerdeführer einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen seiner am selben Tag erfolgten Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes behauptete er abermals, Staatsangehöriger von Simbabwe zu sein, und gab unter der Rubrik "Fluchtgrund" Folgendes an:

"Als ich noch ein Kind war, wurde mein Vater umgebracht. Ich kann jedoch nicht angeben, von wem. Anschließend wurde meine Mutter krank und starb. Die gleichen Leute, welche meinen Vater umgebrachten haben, entführten auch meine beiden Schwestern und töteten diese. Der Grund dieser Tat war politisch. Nachdem meine Eltern und beiden Schwestern verstorben sind, bin ich bei einem Freund meines Vaters namens Lugat aufgewachsen. Dieser sagte mir, dass er mir die Flucht aus meiner Heimat organisieren wird, da die Personen, welche meinen Vater und meine Schwestern umgebracht haben, auch mich suchen und mich töten wollen. Wegen diesem Grund habe ich meine Heimat verlassen."

Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 11. April 2017 niederschriftlich von der belangten Behörde einvernommen. Zu seinen Fluchtgründen befragt machte er folgende Angaben:

"F (Frage): Schildern Sie die Gründe, warum Sie Ihr Heimatland verlassen und einen Asylantrag gestellt haben, von sich aus vollständig und wahrheitsgemäß. Sie werden darauf hingewiesen, dass falsche Angaben die Glaubwürdigkeit Ihres Vorbringens beeinträchtigen können.

A (Antwort): Ich habe mein Land verlassen, weil mein Vater von Politikern getötet wurde. Es war die Oppositionspartei. Meine Mutter wurde nachher auch getötet, weil Sie die Leute kannte, die meinen Vater getötet haben. Dieselben Leute wollten meinen Bruder und mich auch töten. Deswegen sagte mir der Freund meines Vaters, dass ich weggehen muss, da ich sonst getötet werde.

F: Wann ereignete sich dieser Vorfall?

A: Das war nach dem Tod meines Vaters und meiner Mutter, als der Freund meines Vaters entschied, dass ich das Land verlassen muss, weil ich sonst getötet werde. Befragt gebe ich an, dass mein Vater 2007 oder 2006 gestorben ist - ich kann mich nicht genau erinnern. Befragt gebe ich an, 11 gewesen zu sein. Weiters befragt gebe ich an, 1992 geboren zu sein.

F: Beschreiben Sie die Leute.

A: Ich kenne die Leute nicht, ich war noch klein. Ich weiß nur, was meine Mutter und der Freund meines Vaters mir erzählt haben.

F: Was ist der Name der Oppositionspartei?

A: Das weiß ich nicht.

F: Wie ist der Name der Partei Ihres Vaters?

A: Das weiß ich nicht.

F: Welche Funktion hatte Ihr Vater in dieser Partei?

A: Er hatte im House of Assembly jemandem die Position streitig gemacht.

F: Haben Sie sämtliche Gründe, die Sie veranlasst haben, Ihr Heimatland zu verlassen, vollständig geschildert?

A: Ja, ich habe alles vorgebracht."

Aufgrund der im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme am 11. April 2017 demonstrierten, kaum vorhandenen Landeskenntnisse des Beschwerdeführers in Bezug auf seinen behaupteten Herkunftsstaat Simbabwe beauftragte die belangte Behörde den nichtamtlichen linguistischen sowie landeskundlichen Sachverständigen Dr. XXXX mit der Erstellung eines Gutachtens zur Abklärung des Herkunftsstaates des Beschwerdeführers.

Der Sachverständige gelangte in seinem Gutachten vom 25. Jänner 2020 zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer angesichts seiner demonstrierten Sprach- sowie Landeskenntnisse mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Nigeria hauptsozialisiert wurde, während sich keinerlei tragfähige oder überhaupt positive Hinweise auf seine behauptete Sozialisierung in Simbabwe oder auch irgendeinem anderen Ort als dem Süden Nigerias ergeben hätten.

Am 13. Februar 2020 wurde der Beschwerdeführer abermals vor der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen und ihm Parteiengehör zu dem eingeholten Gutachten vom 25. Jänner 2020 gewährt. Der Beschwerdeführer bestritt die in dem Gutachten getroffenen Feststellungen und behauptete weiterhin, aus Simbabwe zu stammen; bezüglich Nigeria machte der Beschwerdeführer keine Fluchtgründe geltend.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 17. Februar 2020 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß "§ 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF" (Spruchpunkt I) und hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria gemäß "§ 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG" (Spruchpunkt II) als unbegründet ab. Dem Beschwerdeführer wurde überdies ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß "§ 57 AsylG" nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß "§ 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF" wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß "§ 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF" erlassen (Spruchpunkt IV) und gemäß "§ 52 Absatz 9 FPG" festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß "§ 46 FPG" nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V) und dass gemäß "§ 55 Absatz 1a FPG" keine Frist für eine freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VI). Zudem wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß "§ 18 Absatz 1 Ziffer 2 BFA-VG" die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII). Weiters wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß "§ 53 Absatz 1 iVm Absatz 3 Ziffer 1 FPG" ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII). Gemäß "§ 13 Absatz 2 Ziffer 1, 2 AsylG" wurde überdies ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 18. April 2012 verloren hat (Spruchpunkt IX).

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht mit Schriftsatz vom 17. März 2020 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Entscheidung über die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid

A) 1. Feststellungen

A) 1.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos, gesund und erwerbsfähig, Staatsangehöriger von Nigeria und er bekennt sich zum christlichen Glauben. Seit 31. August 2012 hält er sich in Österreich auf. Seine Identität steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keine maßgeblichen privaten sowie über keine familiären Anknüpfungspunkte. Er spricht Deutsch auf A1-Niveau und hat sich zeitweise ehrenamtlich betätigt.

Er ging in Österreich zu keinem Zeitpunkt einer legalen Erwerbstätigkeit nach und bestreitet seinen Lebensunterhalt über die staatliche Grundversorgung.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 18. April 2012 wurde der Beschwerdeführer rechtskräftig wegen des (teils versuchten) gewerbsmäßigen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall sowie Abs. 2 und 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten, davon sechs Monate bedingt, verurteilt.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 14. Dezember 2016 wurde der Beschwerdeführer rechtskräftig wegen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 zweiter und achter Fall SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verurteilt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Nigeria aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt werden würde. Er wird im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria also mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

A) 1.2. Zu den Feststellungen zur Lage in Nigeria:

Zur Lage in Nigeria werden folgende Feststellungen getroffen:

"Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 1 8.12.201 9 : Update - Mitglieder der Gruppe IPOB (betrifft: Abschnitt 13.1 / Opposition inkl. MASSOB und IPOB ) Die UN zitiert für die vergangenen Jahre sporadische Übergriffe von Sicherheitskräften gegen Anhänger der IPOB (Indigenous People of Biafra). Dabei wurde auch von der Schusswaffe Gebrauch gemacht. Bekannt sind 2015-2016 mehrere Vorfälle in den Bundesstaaten Abia und Anambra, wobei alleine am 29. und 30.5.2016 in Onitsha mindestens 60 Personen getötet und 70 verletzt worden sind. Bei einer Demonstration in Abia wurden am 14.9.2017 durch die Armee angeblich 150 Personen getötet, der Anführer der IPOB, Nnamdi Kanu, ging daraufhin ins Exil (OHCHR 2.9.2019). Nach anderen Angaben wurden bei dem Vorfall, bei welchem Kanu verhaftet hätte werden sollen, zehn Personen getötet und zwölf weitere verletzt, als sie versuchten, die Festnahme von Kanu zu verhindern (AI 23.5.2019). Es gibt auch noch weitere Anschuldigungen zu Tötungen durch die Armee und zur Haltung von Verdächtigen ohne Anklage in Incommunicado-Haft (OHCHR 2.9.2019).

Seit 2017 hat es nur noch vereinzelt Versuche von IPOB und MASSOB gegeben, in der Öffentlichkeit für die (verfassungswidrige) Unabhängigkeit eines fiktiven Staates "Biafra" zu werben. Diese wurden von den nigerianischen Sicherheitsbehörden regelmäßig unterbunden (ÖB 10.2019).

Gelegentlich demonstrierte IPOB friedlich, so am 29.7.2019 in Abakaliki (Ebonyi) und am 1.2.2019 in Abasi (Delta) (ACLED 12.2019). Allerdings kam es auch im Jahr 2019 sporadisch zu Übergriffen gegen öffentlich auftretende Mitglieder der - verbotenen - IPOB. Das Polizeikommando im Bundesstaat Enugu bestätigte am 22.5.2019 die Verhaftung von 130 Männern und zehn Frauen. Diese hätten an einer nicht genehmigten Demonstration teilgenommen und verbotene Gegenstände zur Schau gestellt (PT 23.5.2019; vgl. ACLED 12.2019). Am 27.10.2019 kam es im Bundesstaat Ebonyi erneut zu Zusammenstößen von voll uniformierten IPOB-Mitgliedern mit Armee und Polizei (DT 30.10.2019; vgl. DP 28.10.2019; DP 29.10.2019). Einerseits wird angegeben, dass Sicherheitskräfte ohne Vorwarnung das Feuer eröffnet hätten (DP 29.10.2019).

Die Pressesprecherin der IPOB, Emma Powerful, behauptete, dass 17 IPOB-Mitglieder verletzt worden seien (DT 30.10.2019; vgl. ACLED 12.2019); außerdem sollen mehr als 70 Personen verhaftet worden sein (ACLED 12.2019). Nach Polizeiangaben hingegen hatten IPOB-Mitglieder Sicherheitsbeamte angegriffen. Sechs Personen seien festgenommen worden (DT 30.10.2019; vgl. DP 29.10.2019). Ein Polizist ist verletzt worden, ein weiterer soll getötet worden sein (DT 30.10.2019).

Zuletzt kam es am 2.12.2019 zu einem Zwischenfall in Zusammenhang mit der IPOB. Dabei wurde das Haus des Anwalts von Nnamdi Kanu, Ifeanyi Ejiofor, in Anambra von einem gemeinsamen Team aus Polizei und Armee durchsucht. Ejiofor war wegen Gewaltvorwürfen gesucht worden. Bei der Aktion wurden zwei IPOB-Mitglieder sowie zwei Polizisten getötet (ACLED 12.2019; vgl. PT 11.12.2019). Ejiofor hat über seinen Anwalt aufgrund des Vorfalls bei Gericht Klage gegen die Sicherheitskräfte eingereicht (PT 11.12.2019).

IPOB werden Gewalttaten im Jahr 2019 zugeschrieben. Am 27.1.2019 griff die Gruppe in Aba (Abia) eine Kirche an und verprügelte den Pastor. Am 15.4.2019 stürmten bewaffnete Milizionäre der IPOB eine Polizeistation in Asaba (Delta) und eröffnete das Feuer auf Polizisten. Mehrere IPOB-Milizionäre wurden verhaftet. Am 30.5.2019 töteten IPOB-Mitglieder fünf Christen (darunter ein Priester) in Nnewi (Anambra), da diese Anweisungen der IPOB nicht befolgt hatten (ACLED 12.2019). Bereits 2017 hat das Bundeshöchstgericht in Abuja die IPOB auf die Liste terroristischer Vereinigungen gesetzt. Wenn tatsächlich eine Anklage gegen Inhaftierte erhoben wird, erfolgt diese als Anschuldigung der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation, wegen Teilnahme an unerlaubten Versammlungen und in einigen Fällen wegen Entführung. Es gab aber noch keine einzige Verurteilung (OHCHR 2.9.2019).

In der Vergangenheit wurden IPOB-Mitglieder wegen Mordes, Brandstiftung und anderer Verbrechen verhaftet. Festnahmen oder Verhaftungen von IPOB-Mitgliedern einzig aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu der Organisation sind hingegen bislang nicht bekannt geworden (ÖB 10.2019).

Quellen:

- ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (12.2019): Africa (Data through 12 December 2019), https://www.acleddata.com/curated-data-files/, Zugriff 17.12.2019

- AI - Amnesty International (23.5.2018): Amnesty International Report 2017/18, Zur weltweiten Lage der Menschenrechte, Nigeria, https://www.amnesty.org/download/Documents/POL1067002018GERMAN.PDF, Zugriff 16.12.2019

- DP - Daily Post (28.12.2019): Biafra: Nnamdi Kanu alleges attack on IPOB members in Ebonyi, https://dailypost.ng/2019/10/28/biafra-nnamdi-kanu-alleges-attack-on-ipob-members-in-ebonyi/,Zugriff 17.12.2019

- DP - Daily Post (29.10.2019): Police allegedly shoot 17 IPOB members, 70 others arrested, https://dailypost.ng/2019/10/29/police-allegedly-shoot-17-ipob-members-70-others-arrested/,Zugriff 17.12.2019

- DT - Daily Trust in Pressreader.com (30.10.2019): IPOB members, police trade words over attack in Ebonyi, https://www.pressreader.com/nigeria/daily-trust/20191030/281706911475886, Zugriff 17.12.2019

- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria (Stand: Oktober 2019) - OHCHR - UN Office of the High Commissioner for Human Rights: End of visit statement of the Special Rapporteur on extrajudicial, summary or arbitrary executions on her visit to Nigeria, 2 September 2019, https://www.ecoi.net/en/document/2015952.html, Zugriff 13.12.2019

- PT - Premieum Times (23.5.2019): Police arrest 140 IPOB members in Enugu, https://www.premiumtimesng.com/regional/ssouth-east/331301-police-arrest-140-ipob-membersin-enugu.html, Zugriff 16.12.2019

- PT - Premium Times (4.12.2019): UPDATED: Nnamdi Kanu's lawyer speaks from hiding, https://www.premiumtimesng.com/news/headlines/366435-nnamdi-kanus-lawyer-speaks-fromhiding.html, Zugriff 16.12.2019

- PT - Premium Times (11.12.2019): Nnamdi Kanu's lawyer sues police over house invasion, demands N2 billion, https://www.premiumtimesng.com/news/headlines/367830-nnamdi-kanuslawyer-sues-police-over-house-invasion-demands-n2-billion.html, Zugriff 16.12.2019

Politische Lage

Nigeria ist in 36 Bundesstaaten (ÖB 10.2018; vgl. AA 10.12.2018; AA 9.2018a; GIZ 4.2019a) und einen Bundeshauptstadtbezirk sowie 774 Local Government Areas (LGA/Bezirke) untergliedert. Die Bundesstaaten werden von direkt gewählten Gouverneuren regiert (AA 12.10.2018; vgl. AA 9.2018a; GIZ 4.2019a). Sie verfügen auch über direkt gewählte Parlamente (AA 9.2018a).

Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die am System der USA orientierte Verfassung enthält alle Attribute eines demokratischen Rechtsstaates (inkl. Grundrechtskatalog, Gewaltenteilung). Dem starken Präsidenten - zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte - und dem Vizepräsidenten stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und eine unabhängige Justiz gegenüber (AA 10.12.2018; vgl. AA 9.2018a). Die Verfassungswirklichkeit wird von der Exekutive in Gestalt des direkt gewählten Präsidenten und von den direkt gewählten Gouverneuren dominiert. Der Kampf um politische Ämter wird mit großer Intensität, häufig auch mit undemokratischen, gewaltsamen Mitteln geführt. Die Justiz ist der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 10.12.2018).

Die Parteienzugehörigkeit orientiert sich meist an Führungspersonen, ethnischer Zugehörigkeit und vor allem strategischen Gesichtspunkten. Parteien werden primär als Zweckbündnisse zur Erlangung von Macht angesehen. Politische Führungskräfte wechseln die Partei, wenn sie andernorts bessere Erfolgschancen sehen. Entsprechend repräsentiert keine der Parteien eine eindeutige politische Richtung (AA 10.12.2018).

Bei den Präsidentschaftswahlen am 23.2.2019 wurde Amtsinhaber Muhammadu Buhari im Amt bestätigt (GIZ 4.2019a). Er erhielt 15,1 Millionen Stimmen und siegte in 19 Bundesstaaten, vor allem im Norden und Südwesten der Landes. Sein Herausforderer, Atiku Abubakar, erhielt 11,3 Millionen Stimmen und gewann in 17 Bundesstaaten im Südosten, im Middle-Belt sowie in der Hauptstadt Abuja (GIZ 4.2019a; vgl. BBC 26.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag mit 36 Prozent deutlich niedriger als 2015. Überschattet wurden die Wahlen von gewaltsamen Zwischenfällen mit mindestens 53 Toten (GIZ 4.2019a).

Die Opposition sprach von Wahlmanipulation. Am 18.3.2019 focht Abubakar das Ergebnis aufgrund von Unregelmäßigkeiten vor dem Obersten Gerichtshof an. Das Verfahren muss gemäß der gesetzlichen Vorgaben innerhalb von 180 Tagen bis spätestens Mitte September abgeschlossen werden. Die Aussichten, dass die Beschwerde Erfolg hat, sind gering. So hatte Präsident Buhari nach den Wahlen von 2003, 2007 und 2011 als Oppositionskandidat ebenfalls vergleichbare Beschwerden eingelegt und diese verloren (GIZ 4.2019a).

Am 9.3.2019 wurden Wahlen für Regionalparlamente und Gouverneure in 29 Bundesstaaten durchgeführt. In den restlichen sieben Bundesstaaten hatten die Gouverneurswahlen bereits in den Monaten zuvor stattgefunden. Auch hier kam es zu Unregelmäßigkeiten und gewaltsamen Ausschreitungen (GIZ 4.2019a). Kandidaten der APC von Präsident Buhari konnten 15 Gouverneursposten gewinnen, jene der oppositionellen PDP 14 (Stears 12.4.2019).

Neben der modernen Staatsgewalt haben auch die traditionellen Führer immer noch einen - wenn auch weitgehend informellen - Einfluss. Sie gelten als Kommunikationszentrum und moralische Instanz und können wichtige Vermittler in kommunalen und in religiös gefärbten Konflikten sein (AA 9.2018a).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

- AA - Auswärtiges Amt (9.2018a): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844, Zugriff 7.11.2018

- BBC News (26.2.2019): Nigeria Presidential Elections Results 2019, https://www.bbc.co.uk/news/resources/idt-f0b25208-4a1d-4068-a204-940cbe88d1d3, Zugriff 12.4.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (4.2019a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html, Zugriff 11.4.2019

- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria

- Stears News (12.4.2019): Governorship Election Results, https://nigeriaelections.stearsng.com/ governor/2019, Zugriff 12.4.2019

Sicherheitslage

Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 10.12.2018). Im Wesentlichen lassen sich mehrere Konfliktherde unterscheiden: Jener von Boko Haram im Nordosten; jener zwischen Hirten und Bauern im Middle-Belt; sowie Spannungen im Nigerdelta (AA 10.12.2018; vgl. EASO 11.2018a) und eskalierende Gewalt im Bundesstaat Zamfara (EASO 11.2018a). Außerdem gibt es im Südosten zwischen der Regierung und Igbo-Gruppen, die für ein unabhängiges Biafra eintreten, (EASO 11.2018a; vgl. AA 10.12.2018), sowie zwischen Armee und dem Islamic Movement in Nigeria (IMN) Spannungen (EASO 11.2018a). Die 2017 deutlich angespannte Lage im Südosten des Landes ("Biafra") hat sich mit dem Eingriff des Militärs und der mutmaßlichen Flucht des Anführers der stärksten separatistischen Gruppe IPOB derzeit wieder beruhigt (AA 10.12.2018).

In den nordöstlichen Bundesstaaten Adamawa, Borno, Gombe und Yobe kommt es häufig zu Selbstmordanschlägen (BMEIA 12.4.2019). Außenministerien warnen vor Reisen dorthin sowie in den Bundesstaat Bauchi (BMEIA 12.4.2019; vgl. AA 12.4.2019; UKFCO 12.4.2019). Vom deutschen Auswärtige Amt wird darüber hinaus von nicht notwendigen Reisen in die übrigen Landesteile Nordnigerias abgeraten (AA 12.4.2019).

Zu Entführungen und Raubüberfällen kommt es im Nigerdelta und einigen nördlichen Bundesstaaten. Betroffen sind: Abia, Akwa Ibom, Anambra, Bauchi, Bayelsa, Cross River, Delta, Ebonyi, Enugu, Imo, Jigawa, Kaduna, Kano, Katsina, Kogi, Nasarawa, Plateau, Rivers und Zamfara. Für die erwähnten nordöstlichen und nördlichen Bundesstaaten sowie jenen im Nigerdelta gelegenen gilt seitens des österreichischen Außenministeriums eine partielle Reisewarnung; Hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3) in den übrigen Landesteilen (BMEIA 12.4.2019).

Das deutsche Auswärtige Amt rät von Reisen in die Bundesstaaten Kaduna (insbesondere Süd- Kaduna), Plateau, Nasarawa, Benue, Delta, Bayelsa, Rivers, Imo (insbesondere die Hauptstadt Owerri), Abia, Anambra, Ebonyi, Edo, Enugu, Delta, Kogi, den südlichen Teil von Cross Rivers, Ogun und Akwa Ibom ab (AA 12.4.2019). Das britische Außenministerium warnt (neben den oben erwähnten nördlichen Staaten) vor Reisen in die am Fluss gelegenen Regionen der Bundesstaaten Delta, Bayelsa, Rivers, Akwa Ibom and Cross River im Nigerdelta. Abgeraten wird außerdem von allen nicht notwendigen Reisen in die Bundesstaaten Bauchi, Zamfara, Kano, Kaduna, Jigawa, Katsina, Kogi, Abia, im 20km Grenzstreifen zum Niger in den Bundesstaaten Sokoto und Kebbi, nicht am Fluss gelegene Gebiete von Delta, Bayelsa und Rivers (UKFCO 29.11.2018).

In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Meist dauern diese Auseinandersetzungen nur wenige Tage und sind auf einzelne Orte bzw. einzelne Stadtteile begrenzt. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, das Sokoto (Nordteil) und Plateau (Südteil) sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen betroffen (AA 12.4.2019).

In der Zeitspanne April 2018 bis April 2019 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (2.333), Zamfara (1.116), Kaduna (662), Benue (412), Adamawa (402), Plateau (391). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Jigawa (2), Gombe (2), Kebbi (3) und Osun (8) (CFR 2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

- AA - Auswärtiges Amt (12.4.2019): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/ 205788#content_6, Zugriff 12.4.2019

- BMEIA - Österreichisches Außenministerium (12.4.2019): Reiseinformationen - Nigeria, https:// www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/nigeria/, Zugriff 12.4.2019

- CFR - Council on Foreign Relations (2019): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/nigeria/ nigeria-security-tracker/p29483, Zugriff 12.4.2019

- EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 12.4.2019

- UKFCO - United Kingdom Foreign and Commonwealth Office (12.4.2019): Foreign Travel Advice - Nigeria - summary, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria, Zugriff 12.4.2019

Nigerdelta

Von 2000 bis 2010 agierten im Nigerdelta militante Gruppen, die den Anspruch erhoben, die Rechte der Deltabewohner zu verteidigen und die Forderungen auf Teilhabe an den Öleinnahmen auch mittels Gewalt (Sabotage der Ölinfrastruktur) durchzusetzen. 2009 gelang dem damaligen Präsidenten Yar'Adua mit einem Amnestieangebot eine Beruhigung des Konflikts. Unter Buhari lief das Programm am 15.12.2015 aus. Nach Wiederaufnahme der Attacken gegen die Ölinfrastruktur ist das Amnestieprogramm bis 2019 verlängert worden. Auch wenn Dialogprozesse zwischen der Regierung und Delta-Interessengruppen laufen und derzeit ein "Waffenstillstand" zumindest grundsätzlich hält, scheint die Regierung nicht wirklich an Mediation interessiert zu sein, sondern die Zurückhaltung der Aufständischen zu "erkaufen" und im Notfall mit militärischer Härte durchzugreifen (AA 10.12.2018).

Im Nigerdelta, dem Hauptgebiet der Erdölförderung, bestehen zahlreiche bewaffnete Gruppierungen, die sich neben Anschlägen auf Öl- und Gaspipelines auch auf Piraterie im Golf von Guinea und Entführungen mit Lösegelderpressung spezialisiert haben. Im Herbst 2016 konnte mit den bewaffneten Gruppen ein Waffenstillstand vereinbart werden, der bislang großteils eingehalten wird (ÖB 10.2018). Die Lage im Nigerdelta hat sich seit damals beruhigt, ist aber weiterhin volatil; die Bedrohung der dort angesiedelten Öl- und Gasförderung durch militante Gruppen und Piraten bleibt ein Risiko (AA 9.2018c). Im Berichtszeitraum 1.10.2017 bis 30.9.2018 registrierte ACLED, eine von einer NGO betriebene Datenbank sicherheitsrelevanter Vorfälle, in der Kategorie "Violence against civilians" in den Bundesstaaten des Nigerdeltas insgesamt 116 Vorfälle (insg. 350 sicherheitsrelevante Vorfälle). Die Exekutive war nicht in der Lage kommunale Gewalt zu verhindern. Daher wird auch die Armee im Zuge gemeinsamer Sicherheitsoperationen und -übungen eingesetzt (EASO 11.2018a). Das Militär hat auch die Federführung bei der zivilen Bürgerwehr Civilian Joint Task Force inne, die u.a. gegen militante Gruppierungen im Nigerdelta eingesetzt wird. Auch wenn sie stellenweise recht effektiv vorgeht, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen (AA 10.12.2018).

Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta handelte es sich sowohl um einen Konflikt zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im ersten Fall stehen in der Regel finanzielle Partikularinteressen der bewaffneten Gruppen im Vordergrund, im zweiten Fall geht es um einen Verteilungskampf rivalisierender Gruppen (AA 10.12.2018).

Entführungen sind im Nigerdelta und in den südöstlichen Bundesstaaten Abia, Imo und Anambra besonders häufig. Politiker, Wohlhabende und Ausländer sind die häufigsten Opfer (FH 1.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

- AA - Auswärtiges Amt (9.2018c): Nigeria - Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205790, Zugriff 22.11.2018

- EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 12.4.2019

- FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/1443869.html, Zugriff 7.11.2018

- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria

Middle-Belt inkl. Jos/Plateau

Seit Jahrzehnten kommt es in Nigeria - vorwiegend im Middle-Belt - zu religiös motivierter Gewalt zwischen christlichen ansässigen Bauern und nomadisch lebenden muslimischen Viehhirten (USCIRF 4.2018; vgl. EASO 2.2019). Ursprünglich ein Konflikt um natürliche Ressourcen wie Wasser und Land, hat der Konflikt zunehmend eine ethnisch-religiöse Dimension bekommen (EASO 2.2019). Der Konflikt lädt sich immer stärker ideologisch auf und verstärkt den Antagonismus zwischen Christen und Muslimen bzw. verschiedenen Ethnien (AA 10.12.2018). Eine Polarisierung erfolgt anhand religiöser Linien, da Angriffe oft als religiös motiviert wahrgenommen werden. Im Jahr 2017 setzte sich der Konflikt fort und war Ursache für Todesfälle, Zerstörung und Vertreibung. Desertifikation und Konflikte im Norden führen dazu, dass Viehhirten Richtung Süden ziehen. Der Konflikt um die Landnutzung wird oft gewaltsam ausgetragen. Beide Seiten fühlen sich durch die Sicherheitskräfte nicht ausreichend geschützt, Angreifer bleiben ungestraft. Es wird auch von ethnische Säuberungen im Rahmen des Konflikts berichtet (USCIRF 4.2018).

Immer wieder kommt es zu lokalen Konflikten zwischen einzelnen ethnischen, sozialen und religiösen Gruppen, insbesondere zwischen Hirten und Bauern in Zentralnigeria (AA 9.2018a). Dort flammten im Verlauf des Jahres 2017 die Konflikte zwischen muslimischen Hausa-Fulani Hirten und einheimischen christlichen Bauern wieder stärker auf, besonders in den Bundesstaaten Kaduna, Plateau, Taraba, Nasarawa und Benue. In einzelnen Fällen forderten diese Auseinandersetzungen mehrere hundert Tote (AA 9.2018a; vgl. FH 1.2018; EASO 2.2019). Auch Adamawa ist betroffen (EASO 2.2019). Der Konflikt um Land und Ressourcen nimmt durch die fortschreitende Wüstenbildung in Nordnigeria, das Bevölkerungswachstum und die allgemein angespannte wirtschaftliche Lage zu (AA 9.2018a). Nach einer Eskalation im Jänner 2018 waren in der ersten Jahreshälfte 2018 mehr als 1.300 Todesopfer zu verzeichnen, 300.000 Personen wurden vertrieben. Beide Seiten begingen schwere Menschenrechtsverletzungen wie Morde, Zerstörung von Häusern und anderem Eigentum (EASO 2.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (9.2018a): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844, Zugriff 7.11.2018

- EASO - European Asylum Support Office (2.2019): Country Guidance: Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf, Zugriff 12.4.2019

- FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/1443869.html, Zugriff 7.11.2018

- USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom (4.2018): Annual Report 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/1435651/1226_1529393816_tier1- nigeria.pdf, Zugriff 29.11.2018

Nordnigeria - Boko Haram

"Boko Haram" ist seit Mitte 2010 für zahlreiche schwere Anschläge mit Tausenden von Todesopfern verantwortlich (AA 9.2018a). Dem Konflikt fielen unterschiedlichen unabhängigen Schätzungen zufolge zwischen 20.000 und 30.000 Menschen zum Opfer (AA 9.2018a; vgl. HRW 18.1.2018; EASO 11.2018a). Im August 2016 spaltete sich Boko Haram als Folge eines Führungsstreits in Islamic State West Africa (ISIS-WA) und Jama'atu Ahlis Sunna Lidda'awati wal- Jihad (JAS) auf (EASO 11.2018a). Diese Gruppen waren weiterhin für Tötungen, Bombenanschläge und Angriffe auf militärische und zivile Ziele in Nordnigeria verantwortlich. Diese Aktivitäten forderten tausende Todesopfer und Verletzte und verursachten bedeutende Zerstörung von Eigentum (USDOS 19.9.2018).

In den ersten eineinhalb Jahren Amtszeit hatte es Präsident Buhari geschafft, die Bedrohung durch Boko Haram weitgehend einzudämmen (AA 9.2018a). Die von Boko Haram betroffenen Staaten haben sich im Februar 2015 auf die Aufstellung einer 8.700 Mann starken Multinational Joint Task Force (MNJTF) zur gemeinsamen Bekämpfung von Boko Haram verständigt (AA 9.2018a). Im Vorfeld der Wahlen 2015 wurde die Militärkampagne gegen die Islamisten auf Druck und unter Beteiligung der Nachbarstaaten Kamerun, Niger und Tschad intensiviert und hat nach dem Amtsantritt von Staatspräsident Buhari zu einem von der Regierung behaupteten "technischen Sieg" geführt (ÖB 10.2018). Bis Oktober 2015 konnte Boko Haram aus allen von ihr kontrollierten Städten und aus fast allen Landkreisen im Nordosten Nigerias vertrieben werden, ohne das es den nigerianischen Sicherheitsbehörden bisher gelungen ist, diese Gebiete dann auch abzusichern und vor weiteren Angriffen der Islamisten zu schützen (AA 9.2018a; vgl. AA 1.12.2018). Nach dem Rückzug in unwegsames Gelände und dem Treueeid einer Splittergruppe gegenüber dem sogenannten "Islamischen Staat" ist Boko Haram mittlerweile zu seiner ursprünglichen Guerillataktik von Überfällen auf entlegenere Dörfer und Selbstmordanschlägen - oft auch durch Attentäterinnen - zurückgekehrt (ÖB 10.2018). Mit Selbstmordanschlägen auf Streitkräfte, Vertriebenenlager, Moscheen in ländlichen Bereich oder in Einzugsgebieten von größeren Städten im Nordosten, besonders Maiduguri, sowie Entführungen bleiben die Islamisten weiterhin regional aktiv (AA 9.2018a). Die seit 2015 erzielten Fortschritte im Kampf gegen Boko Haram nutzen sich langsam ab (erhöhte Anschlagsaktivitäten, insbesondere auf nigerianische Streitkräfte). Die nigerianischen Streitkräfte beschränken sich auf das Verteidigen einiger urbaner Zentren im Bundesstaat Borno (AA 10.12.2018). Die Zahl und Qualität der Anschläge, insbesondere auf nigerianische Streitkräfte und Polizei, hat 2018 wieder zugenommen (AA 9.2018a). Boko Haram verübte 2017 mindestens 65 Angriffe, bei denen insgesamt 411 Zivilpersonen getötet wurden. Außerdem entführte die Gruppe mindestens 73 Menschen (AI 22.2.2018). Im Jahr 2018 kamen zumindest 1.200 Personen durch Boko Haram ums Leben, knapp 200.000 Personen wurden intern vertrieben (HRW 17.1.2019).

Auch wenn die zivile Bürgerwehr Civilian Joint Task Force stellenweise recht effektiv gegen Boko Haram vorging, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen (AA 10.12.2018).

In Lagos gibt es keine Fälle von Tötungen durch Boko Haram. Die Terroristen sind nicht in der Lage, eine Person überall in Nigeria aufzuspüren. Wenn sich Menschen von Boko Haram bedroht fühlen, dann können sie im Land umsiedeln (VA1 16.11.2015). Zwar gibt es im Süden Schläferzellen der Boko Haram. Trotzdem können z.B. Deserteure der Boko Haram in den Süden umsiedeln, wo sie sicher sind (VA2 16.11.2015).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

- AA - Auswärtiges Amt (9.2018a): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844, Zugriff 7.11.2018

- AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425079.html, Zugriff 8.11.2018

- EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 12.4.2019

- HRW - Human Rigths Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/ dokument/1422531.html, Zugriff 28.11.2018

- HRW - Human Rigths Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/ document/2002184.html, Zugriff 11.4.2019

- USDOS - U.S. Department of State (19.9.2018): Country Report on Terrorism 2017 - Nigeria, https://www.refworld.org/docid/5bcf1f8e13.html, Zugriff 30.11.2018

- VA1 - Vertrauensanwalt 1 der Österreichischen Botschaft Abuja (16.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

- VA2 - Vertrauensanwalt 2 der Österreichischen Botschaft Abuja (16.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Verfassung unterscheidet zwischen Bundesgerichten, Gerichten des Hauptstadtbezirks sowie Gerichten der 36 Bundesstaaten (AA 10.12.2018). Letztere haben die Befugnis, per Gesetz erstinstanzliche Gerichte einzusetzen (AA 10.12.2018; vgl. ÖB 10.2018). Daneben bestehen noch für jede der 774 LGAs eigene Bezirksgerichte (District Courts) (ÖB 10.2018). Bundesgerichte, die nur staatlich kodifiziertes Recht anwenden, sind der Federal High Court (Gesetzgebungsmaterie des Bundes, Steuer-, Körperschafts- und auch Verwaltungssachen), der Court of Appeal (Berufungssachen u.a. der State Court of Appeal und der State Sharia and Customary Court of Appeal) sowie der Supreme Court (Revisionssachen, Organklagen) (AA 10.12.2018). Für Militärangehörige gibt es eigene Militärgerichte (USDOS 13.3.2019).

Mit Einführung der erweiterten Scharia-Gesetzgebung in neun nördlichen Bundesstaaten sowie den überwiegend muslimischen Teilen dreier weiterer Bundesstaaten 2000/2001 haben die staatlichen Schariagerichte strafrechtliche Befugnisse erhalten, während sie zuvor auf das islamische Personenstandsrecht beschränkt waren (AA 10.12.2018). Laut Bundesverfassung wird die Verfassung und Zuständigkeit der Gerichte seit 1999 betreffend das anzuwendende Rechtssystem ("Common Law" oder "Customary Law") durch Gesetze der Gliedstaaten festgestellt. Einzelne Bundesstaaten haben "Scharia-Gerichte" neben "Common Law"- und

"Customary Courts" geschaffen. Mehrere Bundesstaaten, einschließlich die gemischt- konfessionellen Bundesstaaten Benue und Plateau, haben auch Scharia-Berufungsgerichte eingerichtet (ÖB 10.2018).

Die Verfassung sieht Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz vor (AA 10.12.2018; vgl. FH 1.2019; ÖB 10.2018; USDOS 13.3.2019). In der Realität ist die Justiz allerdings der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 10.12.2018; vgl. USDOS 13.3.2019; FH 1.2019). Vor allem auf Bundesstaats- und Bezirksebene (LGA) versuchen Politiker die Justiz zu beeinflussen (USDOS 13.3.2019). Die insgesamt zu geringe personelle und finanzielle Ausstattung sowie mangelnde Ausbildung behindern die Funktionsfähigkeit des Justizapparats und machen ihn chronisch korruptionsanfällig (AA 10.12.2018; vgl. FH 1.2019; USDOS 13.3.2019; ÖB 10.2018). Die Gehälter im Justizbereich sind niedrig, und es mangelt an Infrastruktur (ÖB 10.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Zusätzlich widersprechen sich die Rechtssysteme mitunter (ÖB 10.2018). Trotz allem hat die Justiz in der Praxis ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Professionalität erreicht (FH 1.2019).

Eine willkürliche Strafverfolgung bzw. Strafzumessungspraxis durch Polizei und Justiz, die nach Rasse, Nationalität o. ä. diskriminiert, ist nicht erkennbar. Das bestehende System benachteiligt jedoch tendenziell Ungebildete und Arme, die sich weder von Beschuldigungen freikaufen noch eine Freilassung auf Kaution erwirken oder sich einen Rechtsbeistand leisten können. Zudem ist vielen eine angemessene Wahrung ihrer Rechte auf Grund von fehlenden Kenntnissen selbst elementarster Grund- und Verfahrensrechte nicht möglich (AA 10.12.2018). Gesetzlich vorgesehen sind prozessuale Rechte wie die Unschuldsvermutung, zeitnahe Information über die Anklagepunkte, das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren, das Recht auf einen Anwalt, das Recht auf ausreichende Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung, Zeugen zu befragen und das Recht auf Berufung. Diese Rechte werden jedoch nicht immer gewährleistet (USDOS 13.3.2019). Auch der gesetzlich garantierte Zugang zu einem Rechtsbeistand oder zu Familienangehörigen wird nicht immer ermöglicht (AA 10.12.2018).

Der Zugang zu staatlicher Prozesskostenhilfe ist in Nigeria beschränkt: Das Institut der Pflichtverteidigung wurde erst vor kurzem in einigen Bundesstaaten eingeführt. Lediglich in den Landeshauptstädten existieren NGOs, die sich zum Teil mit staatlicher Förderung der rechtlichen Beratung von Beschuldigten bzw. Angeklagten annehmen. Gerade in den ländlichen Gebieten gibt es jedoch zahlreiche Verfahren, bei denen Beschuldigte und Angeklagte ohne rechtlichen Beistand mangels Kenntnis ihrer Rechte schutzlos bleiben (AA 10.12.2018). Das Recht auf ein zügiges Verfahren wird zwar von der Verfassung garantiert, ist jedoch kaum gewährleistet. Dauerinhaftierungen ohne Anklage oder Urteil, die sich teils über mehrere Jahre hinziehen, sind weit verbreitet (AA 10.12.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Entgegen gesetzlicher Vorgaben ist die Untersuchungshaft nicht selten länger als die maximal zu erwartende gesetzliche Höchststrafe des jeweils in Frage stehenden Delikts. Außerdem bleiben zahlreiche Häftlinge auch nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen in Haft, weil ihre Vollzugsakten unauffindbar sind (AA 10.12.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

- FH - Freedom House (1.2019): Freedom in the World 2018 - Nigeria, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2019/nigeria, Zugriff 20.3.2019

- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria

- USDOS - U.S. Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/document/2004182.html, Zugriff 20.3.2019

Scharia

Mit der Wiedereinführung des Scharia-Strafrechts auf landesgesetzlicher Ebene in den zwölf mehrheitlich muslimisch bewohnten nördlichen Bundesstaaten erhielten erstinstanzliche Scharia- Gerichte auch strafrechtliche Befugnisse (z.B. Verhängung von Körperstrafen bis hin zu Todesurteilen wie Steinigung); dies gilt allerdings grundsätzlich nur für Muslime (AA 10.12.2018). Scharia- bzw. gewohnheitsrechtliche Gerichte können nur angerufen werden, wenn beide Parteien einwilligen (ÖB 10.2018). Während Muslime sich den Scharia-Gerichten unterwerfen müssen, steht es Christen, die in den zwölf Bundesstaaten leben, frei, sich einem Scharia- oder staatlichen Gerichtsverfahren zu unterwerfen. Oft werden Scharia-Gerichte gewählt, da diese schneller zu einem Urteil kommen als die Gerichte des staatlichen Justizsystems (AA 9.2018a).

Den rigorosen Strafandrohungen der Scharia stehen ebenso rigorose Beweisanforderungen gegenüber, so dass bei prozedural einwandfreien Scharia-Verfahren ein für eine Verurteilung ausreichender Zeugenbeweis oft nicht zu führen ist. In der Vergangenheit ist es aufgrund der Komplexität des auch für viele Richter zunächst noch neuen islamischen Beweisrechts insbesondere in der Eingangsinstanz oft zu unbefriedigenden und mit Rechtsfehlern behafteten Urteilen gekommen. Allerdings erregten Ermittlungen und Anklagen wegen so genannter Hudud- Straftatbestände (z.B. außerehelicher Geschlechtsverkehr, Diebstahl, Straßenraub, Alkoholgenuss) in den letzten Jahren weit weniger öffentliche Aufmerksamkeit als noch in den ersten Jahren nach der Wiedereinführung des islamischen Strafrechts (AA 10.12.2018). Durch eine bessere Ausbildung der Richterschaft und Entpolitisierung des strafrechtlichen Aspekts der Scharia sind spektakuläre Fälle in den letzten Jahren nicht mehr zu verzeichnen (AA 9.2018a).

Die Scharia-Berufungsgerichte wandeln konsistent Steinigungs- und Amputationsurteile in andere Strafen um. Es gab keine Berichte über durchgeführte Prügelstrafen im Jahr 2018 (USDOS 13.3.2019). Der Scharia-Instanzenzug endet auf der Ebene eines Landesberufungsgerichts, gegen dessen Urteile Rechtsmittel vor dem (säkularen) Bundesberufungsgericht in Abuja zulässig sind (AA 10.12.2018). Urteile von Scharia-Gerichten können somit auch im formalen Rechtssystem angefochten werden, die Umwandlung der Steinigungs- und Amputationsurteile erfolgt allerdings aus prozessualen und Beweisgründen, ein grundsätzlicher Verstoß gegen die Verfassung wird bis dato nicht hinterfragt (USDOS 13.3.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

- AA - Auswärtiges Amt (9.2018a): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844, Zugriff 7.11.2018

- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria

- USDOS - U.S. Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/document/2004182.html, Zugriff 20.3.2019

Sicherheitsbehörden

Die allgemeinen Polizei- und Ordnungsaufgaben obliegen der rund 360.000 Mann starken (Bundes-) Polizei (National Police Force - NPF), die dem Generalinspekteur der Polizei in Abuja untersteht (AA 10.12.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Zusätzlich zu der üblichen polizeilichen Verantwortung zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung in den Bundesstaaten und im Federal Capital Territory (FCT) unterstehen dem Generalinspekteur die Strafverfolgungsbehörden im ganzen Land, die in Grenzschutz, Terrorismusbekämpfung und Marineangelegenheiten (Navigation) involviert sind (USDOS 13.3.2019). Etwa 100.000 Polizisten sollen bei Personen des öffentlichen Lebens und einflussreichen Privatpersonen als Sicherheitskräfte tätig sein (AA 10.12.2018).

Neben der Polizei werden im Inneren auch Militär, Staatsschutz sowie paramilitärische Einheiten (sogenannte Rapid Response Squads) eingesetzt (AA 10.12.2018). Das Department of State Service (DSS), das via nationalem Sicherheitsberater dem Präsidenten unterstellt ist, ist ebenfalls für die innere Sicherheit zuständig. Polizei, DSS und Militär sind zivilen Autoritäten unterstellt, sie operieren jedoch zeitweise außerhalb ziviler Kontrolle (USDOS 13.3.2019). Die National Drug Law Enforcement Agency (NDLEA) ist für alle Straftaten in Zusammenhang mit Drogen zuständig. Der NDLEA, in deren Zuständigkeit Dekret 33 fällt, wird Professionalität konstatiert (ÖB 10.2018).

Die NPF und die Mobile Police (MOPOL) zeichnen sich hingegen durch geringe Professionalität, mangelnde Disziplin, häufige Willkür und geringen Diensteifer aus (ÖB 10.2018). Die Polizei ist durch niedrige Besoldung sowie schlechte Ausrüstung, Ausbildung und Unterbringung gekennzeichnet. Die staatlichen Ordnungskräfte sind personell, technisch und finanziell nicht in der Lage, die Gewaltkriminalität umfassend zu kontrollieren bzw. einzudämmen. Zudem sind nach allgemeiner Auffassung die Sicherheitskräfte teilweise selbst für die Kriminalität verantwortlich (AA 10.12.2018). Da die Polizei oft nicht in der Lage ist, durch gesellschaftliche Konflikte verursachte Gewalt zu unterbinden, verlässt sich die Regierung in vielen Fällen auf die Unterstützung durch die Armee (USDOS 13.3.2019). Jedoch sind im Allgemeinen die nigerianischen Behörden gewillt und fähig, Schutz vor nichtstaatlichen Akteuren zu bieten (UKHO 8.2016a).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria

- UKHO - United Kingdom Home Office (8.2016a): Country Information and Guidance Nigeria: Women fearing gender-based harm or violence, https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/595734/CIG_- _Nigeria_-_Women.pdf, Zugriff 13.11.2018

- USDOS - U.S. Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/document/2004182.html, Zugriff 20.3.2019

Vigilantengruppen, Bürgerwehren, Hisbah

In verschiedenen Regionen des Landes haben sich bewaffnete Organisationen in Form von ethnischen Vigilantengruppen gebildet, z.B. der Odua People's Congress (OPC) im Südwesten oder die Bakassi Boys im Südosten. Bei diesen Gruppen kann man sich gegen Zahlung eines Schutzgeldes "Sicherheit" erkaufen. Die Behörden reagieren unterschiedlich auf diese Gruppen: Im Bundesstaat Lagos ging die Polizei gegen den OPC vor, im Osten des Landes wurde die Existenz dieser Gruppen dagegen von einigen Gouverneuren begrüßt. Die Polizei arbeitet zum Teil mit ihnen zusammen. Generell scheint die Bedeutung von Vigilantengruppen in Städten etwas abzunehmen, in einigen ländlichen Regionen haben sie aber weiterhin eine dominante Machtposition. Im Kampf gegen Boko Haram hat sich unter Federführung der Armee im Nordosten eine inter-ethnische Vigilantengruppe - die Civilian Joint Task Force (CJTF) - herausgebildet (AA 10.12.2018).

Vigilantengruppen wie etwa die CJTF verhaften Personen bei Massenverhaftungen, oftmals ohne Beweismaterial. Im September 2017 unterzeichneten die UN und die CJTF einen Aktionsplan zur Unterbindung der Rekrutierung und Verwendung von Kindern, seitdem kommt es nicht mehr zur Rekrutierung von Kindern. Ehemalige Kindersoldaten werden reintegriert (USDOS 13.3.2019).

In verschiedenen Bundesstaaten überwacht die Hisbah-Polizei die Einhaltung der religiösen Vorschriften (AA 10.12.2018). Vier Bundesstaaten mit erweitertem Scharia-Geltungsbereich (Zamfara, Niger, Kaduna, Kano) haben private Gruppen, wie die Hisbah, zur Rechtsdurchsetzung ermächtigt und gewähren hierfür staatliche Zuschüsse. In bestimmten Fällen sind diese Gruppen ermächtigt, Verhaftungen vorzunehmen. Bislang beschränkt sich ihre Zuständigkeit in erster Linie auf Verkehrsdelikte und die Marktaufsicht (ÖB 10.2018). Nach anderen Informationen verhaftet die Hisbah auch Straßenbettler und Prostituierte, und sie beschlagnahmt und vernichtet Alkohol (USDOS 29.5.2018). In Kano wird die Hisbah direkt vom Bundesstaat betrieben, während sie in anderen Bundesstaaten ähnlich den nichtstaatlichen Bürgerwehren organisiert ist. Die Hisbah wurde vom Obersten Gericht zwar als verfassungswidrig bezeichnet, da polizeiliche Aufgaben ausschließlich in die Zuständigkeit des Bundes fallen, sie hat ihre Tätigkeit jedoch bisher nicht eingestellt, sondern wurde lediglich umorganisiert. Der Gouverneur von Kano begründete dies damit, dass die Hisbah keine polizeilichen, sondern gesellschaftlich-moralische Aufgaben und Befugnisse wahrnehme (AA 10.12.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria

- USDOS - U.S. Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436835.html, Zugriff 8.11.2018

- USDOS - U.S. Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/document/2004182.html, Zugriff 20.3.2019

Folter und unmenschliche Behandlung

Durch Verfassung und Gesetze sind Folter und andere unmenschliche Behandlungen verboten. Seit Dezember 2017 sind gemäß Anti-Folter-Gesetz Strafen vorgesehen. Gesetzlich ist die Verwendung von unter Folter erlangten Geständnissen in Prozessen nicht erlaubt. Die Behörden respektieren diese Regelung jedoch nicht (USDOS 13.3.2019).

Die nigerianischen Sicherheitskräfte sehen sich immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, schwerste Menschenrechtsverletzungen zu begehen: Allen glaubwürdigen Hinweisen zufolge gehören Folter, willkürliche Verhaftungen und extralegale Tötungen nach wie vor zum Handlungsrepertoire staatlicher Sicherheitsorgane (AA 10.12.2018; vgl. AI 22.2.2018; USDOS 13.3.2019), unter denen insbesondere die ärmeren Bevölkerungsschichten zu leiden haben (AA 10.12.2018). Neben der Polizei wird auch dem Militär vorgeworfen, extralegale Tötungen, Folter und andere Misshandlungen anzuwenden, unter anderem bei Operationen gegen Aufständische im Nordosten und gegen separatistische Bewegungen im Südosten (FH 1.2019). Als Reaktion auf Angriffe der Boko Haram und ISIS-WA begehen die Sicherheitskräfte außergerichtliche Hinrichtungen und wenden Folter, sexuelle Ausbeutung und Misshandlung, willkürliche Haft, Misshandlung von Gefangenen an. Es kommt auch zu Plünderungen und Zerstörung von Eigentum (USDOS 19.9.2018). Die Sicherheitskräfte bleiben bei Vergehen weitgehend straffrei (USDOS 13.3.2019). Das Vertrauen in den Sicherheitsapparat ist durch immer wieder gemeldete Fälle von widerrechtlichen Tötungen, Folter und unmenschlicher Behandlung in Polizeihaft unterentwickelt (ÖB 10.2018).

Extralegale Tötungen seitens der Sicherheitskräfte sind nach wie vor festzustellen, deren Zahl ist aber tendenziell rückläufig. 2012 waren es ca. 5.000 Fälle. Trotzdem gibt es immer noch eine hohe Zahl an extralegalen Tötungen durch die Polizei, manche NGOs schätzen die aktuelle Zahl sogar höher als jene aus 2012 (AA 10.12.2018). Die Special Anti-Robbery Squad (SARS) geht brutal gegen Verdächtige vor. Häufig kommt es zu Folter, erzwungenen Geständnissen oder Tötungen unter dem Vorwand, dass Häftlinge fliehen wollten (AA 10.12.2018; vgl. GIZ 4.2019a; USDOS 13.3.2019). Die nationale Menschenrechtskommission untersucht derzeit diese Polizeieinheit. Sie wurde bereits einer Umstrukturierung unterzogen, deren Auswirkungen noch nicht eingeschätzt werden können. Dabei handeln die Täter in der Gewissheit weitgehender Straflosigkeit, da es nur in den seltensten Fällen zu unabhängigen Untersuchungen, geschweige denn zu disziplinar- oder gar strafrechtlichen Konsequenzen kommt. Wenn Polizisten beschuldigt werden, an extralegalen Tötungen beteiligt zu sein, werden sie durch ihre Vorgesetzten gedeckt und oft bewusst in andere Regionen versetzt, um eine Klärung der Vorwürfe zu verhindern. Hauptbetroffene sind in der Regel Personen, die eines Gewaltverbrechens verdächtig sind; diese werden nach dem Ablegen eines (häufig durch Folter erlangten) Geständnisses oft noch im Polizeigewahrsam exekutiert (AA 10.12.2018). Berichten zufolge führten Folter und andere Misshandlungen in einigen Fällen zum Tod in Gewahrsam (AI 22.2.2018). Immer wieder kommt es auch vor, dass Sicherheitskräfte an von ihnen errichteten Straßensperren unvermittelt das Feuer eröffnen, etwa wenn sich jemand weigert, ein gefordertes Schmiergeld zu zahlen (AA 10.12.2018).

Es gibt Berichte über Verschwindenlassen (AI 22.2.2018). Gesicherte Erkenntnisse über systematisches Verschwindenlassen unliebsamer Personen durch staatliche Organe liegen nicht vor. Nigerianische Menschenrechtsgruppen werfen regelmäßig insbesondere der Polizei das Verschwindenlassen von Untersuchungshäftlingen und anderen in Polizeigewahrsam befindlichen Personen vor. Es wird von Fällen von Verschwindenlassen angeblicher Boko Haram-Mitglieder im Norden des Landes berichtet, dafür wird u.a. die Joint Task Force verantwortlich gemacht. Überhaupt gehen Polizei und Militär bei der Bekämpfung von Boko Haram häufig mit unverhältnismäßiger Härte vor (AA 10.12.2018).

Die Polizei versucht mittels Misshandlungen von Zivilisten von diesen Geld zu erpressen (USDOS 13.3.2019).

Es kommt also trotz Folterverbots in der Verfassung oft zu teilweise schweren Misshandlungen von (willkürlich) Inhaftierten, Untersuchungshäftlingen, Gefängnisinsassen und anderen Personen im Gewahrsam der Sicherheitsorgane. Die Gründe für dieses Verhalten liegen zum einen in der nur schwach ausgeprägten Menschenrechtskultur der Sicherheitskräfte, zum anderen in der mangelhaften Ausrüstung, Ausbildung und Ausstattung insbesondere der Polizei, was sie in vielen Fällen zu dem illegalen Mittel der gewaltsamen Erpressung von Geständnissen als einzigem erfolgversprechenden Weg der "Beweisführung" greifen lässt. Die große Zahl glaubhafter und übereinstimmender Berichte über die Anwendung von Folter in Gefängnissen und Polizeistationen im ganzen Land, die von forensischen Befunden gestützt und von der Polizei teilweise zugegeben werden, bestätigen den Eindruck, die Anwendung von Folter sei ein integraler Bestandteil der Arbeit der Sicherheitsorgane (AA 10.12.2018).

Verfassung und Gesetze verbieten willkürliche Verhaftungen, dennoch praktizieren Polizei und Sicherheitskräfte diese Praktiken. Beim Kampf gegen Boko Haram wurden im Nordosten Nigerias seit 2013 tausende Personen willkürlich inhaftiert. Sie befinden sich in nicht überwachten militärischen Haftanstalten (USDOS 13.3.2019). Zahlreiche Kinder und Jugendliche wurden - ohne Anklageschrift oder Verurteilung - inhaftiert (AA 10.12.2018). Die Armee inhaftierte Hunderte von Frauen rechtswidrig und ohne Anklage, u. a. weil man annahm, sie seien mit Mitgliedern von Boko Haram verwandt. Unter den Inhaftierten waren auch Frauen und Mädchen, die angaben, Opfer von Boko Haram geworden zu sein (AI 22.2.2018).

Frauen und Kinder gerieten in den vergangenen zwei Jahren zunehmend ins Visier von Boko Haram. Die Regierung des nordöstlichen Bundesstaats Borno schätzt die Zahl der von Boko Haram entführten Frauen und Mädchen auf insgesamt 3.000. Im Oktober 2016 und Mai 2017 sind über hundert der 2014 aus Chibok entführten Mädchen freigelassen worden. Im März 2018 wurden 110 Mädchen aus einer Schule in Dapchi entführt, die meisten kamen kurz darauf wieder frei. Boko Haram setzt außerdem Kinder gezielt als Lastenträger, in Kampfhandlungen und insbesondere Mädchen für Selbstmordattentate ein. Mädchen werden zudem häufig sexuell missbraucht und an Mitglieder der Boko Haram zwangsverheiratet (AA 10.12.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

- AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425079.html, Zugriff 8.11.2018

- FH - Freedom House (1.2019): Freedom in the World 2018 - Nigeria, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2019/nigeria, Zugriff 20.3.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (4.2019a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html, Zugriff 11.4.2019

- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria

- USDOS - U.S. Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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