TE Vfgh Erkenntnis 2020/6/18 E1045/2020

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.06.2020
beobachten
merken

Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55a
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen von Bangladesch; mangelhafte Beweiswürdigung zur behaupteten Verfolgung aus politischen Gründen

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 20. Februar 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei gab er an, dass er auf Grund seiner Mitgliedschaft in der Bangladesh Nationalist Party (im Folgenden: BNP) und seiner Tätigkeit für die BNP vor und kurz nach den Parlamentswahlen im Jahr 2014 von Anhängern der Regierungspartei und der Polizei mehrfach und unter anderem auch mit dem Tod bedroht worden sei und ihm im Falle der Rückkehr nach Bangladesch deswegen Verfolgung drohe.

Mit Bescheid vom 22. November 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) den Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung nach Bangladesch zulässig ist. Ferner setzte es eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise.

2. Mit Erkenntnis vom 26. Februar 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Maßgabe, dass die Frist zur freiwilligen Ausreise bis zum 3. Mai 2020 gehemmt ist, als unbegründet ab. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht insbesondere aus:

Dem Beschwerdeführer sei es nicht gelungen, eine besondere Stellung innerhalb der BNP glaubhaft darzulegen. Da der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben keine "Votar Card" besitze, sei es sogar fraglich, ob er überhaupt Mitglied, geschweige denn Funktionär einer Partei sei. Es erscheine daher wenig plausibel, dass ein junger Mann, der keine höhere politische Funktion in der BNP innegehabt habe und in dieser Hinsicht auch kein Oppositionsführer oder Funktionär im Sinne der Länderfeststellungen sei, tatsächlich verfolgt oder bedroht werden sollte.

Selbst wenn man aber davon ausgehe, dass der Beschwerdeführer politisch aktiv gewesen sei und Vorträge für die Partei gehalten habe, sei auf Grund der unglaubwürdigen Angaben des Beschwerdeführers nicht von einer Verfolgung auszugehen. So sei etwa die politische Verfolgung durch Polizisten nicht glaubwürdig, da die Schilderungen zu diesem Vorfall vor dem Bundesamt und dem Bundesverwaltungsgericht zu stark voneinander abgewichen wären und widersprüchlich seien. Vor dem Bundesverwaltungsgericht habe er angegeben, dass er die Polizeistation freiwillig betreten habe, um eine Anzeige zu machen. Vor dem Bundesamt habe er hingegen behauptet, dass er auf die Polizeistation gebracht worden sei. Außerdem seien die diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers auffallend kurz und oberflächlich gewesen. Da der Beschwerdeführer die wenigen geschilderten Details in den beiden Einvernahmen vor dem Bundesamt exakt gleich erzählt habe, entstehe zudem der Eindruck, dass er diese Erzählung auswendig gelernt habe. Dem Beschwerdeführer sei es daher im Ergebnis nicht gelungen, eine in seinem Herkunftsstaat bestehende konkrete Bedrohungssituation für seine Person glaubhaft zu machen.

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

4. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

II. Erwägungen

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Das Bundesverwaltungsgericht führt zunächst aus, dass es wenig plausibel erscheine, dass ein junger Mann, der "keine höhere politische Funktion in der BNP innegehabt hat – und in dieser Hinsicht auch kein Oppositionsführer oder Funktionär im Sinne der Länderfeststellungen – ist", verfolgt und bedroht werden sollte. Es geht also offensichtlich davon aus, dass nur eine höhere politische Funktion eine Verfolgungsgefahr begründen kann. Auf Grund der vom Beschwerdeführer vor dem Bundesamt getätigten Aussagen verneint das Bundesverwaltungsgericht, dass dem Beschwerdeführer eine solche exponierte Stellung zugekommen sei, wobei es sogar in Frage stellt, ob der Beschwerdeführer "überhaupt Mitglied" gewesen sei, da er keine "Votar Card" besitze. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er als "Werbesekretär" für die BNP aktiv gewesen sei und Vorträge gehalten habe, würdigt das Bundesverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang nicht.

2.2. Für den Verfassungsgerichtshof ist nicht nachvollziehbar, wieso das Bundesverwaltungsgericht vor dem Hintergrund der in seiner Entscheidung wiedergegebenen Länderfeststellungen, die auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Gesamtaktualisierung: 11. März 2019; im Folgenden: Länderinformationsblatt) beruhen, für die grundsätzliche Möglichkeit einer politischen Verfolgung wesentlich auf eine höhere politische Position bzw Funktion abstellt. Aus den einschlägigen Länderberichten geht nicht hervor, dass, insbesondere mit Blick auf den fraglichen Zeitraum im Jahr 2014, nur Personen in höheren politischen Ämtern einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sein können. So wird im Länderinformationsblatt im Kapitel "Sicherheitsbehörden" ausgeführt, dass es "Hinweise auf willkürliche Festnahmen durch die Polizeikräfte […] sowie auf willkürliche Nutzung der gesetzlich erlaubten präventiven Festnahmen" gebe; weiters, dass die "Sicherheitskräfte […] Personen weiterhin routinemäßig 'verschwinden'" ließen, wobei es sich bei den Opfern "zumeist um Anhänger der Opposition" handle. Folter und Misshandlungen seien "noch immer weit verbreitet"; die Behörden würden entsprechenden Anzeigen "nur selten" nachgehen und Betroffene würden "aus Angst vor Vergeltung in der Regel davon ab[sehen], Mitglieder der Sicherheitsbehörden wegen Menschenrechtsvergehen anzuzeigen, so dass diese straflos" blieben. Im Kapitel zur politischen "Opposition" wird berichtet, dass die Mitgliedschaft oder die Unterstützung einer Oppositionspartei zwar nicht per se zu einer Verfolgung durch die Regierung führe, allerdings habe die Regierung seit dem Wahlboykott Anfang 2014 viele Oppositionspolitiker – allein im Jänner 2015 7.000 Aktivisten – verhaften lassen, dabei sei "auch" vor hochrangigen Politikern nicht Halt gemacht worden. Wenn das Bundesverwaltungsgericht aus diesen Länderfeststellungen, wonach im beschwerdegegenständlich relevanten Zeitraum tausende Aktivisten und "auch" hochrangige Politiker verhaftet worden seien, den Schluss zieht, dass eine Verfolgungsgefahr ausschließlich für Personen in höheren politischen Ämtern bestehen könne, geht es – weil die angeführten Länderfeststellungen vielmehr den gegenteiligen Schluss nahelegen – leichtfertig vom Akteninhalt ab.

2.3. Sofern das Bundesverwaltungsgericht mit dem Verweis auf eine fehlende "Votar Card" eine Mitgliedschaft in oder eine Tätigkeit für die BNP überhaupt ausschließt, ist aus der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses nicht erkennbar, was genau eine "Votar Card" ist und warum dieser die vom Bundesverwaltungsgericht zugeschriebene Bedeutung zukommt.

2.4. Da das Bundesverwaltungsgericht somit durch das Abstellen auf eine höhere politische Funktion bzw Tätigkeit als Voraussetzung einer Verfolgungsgefahr leichtfertig vom Akteninhalt abgegangen ist und sich ohne tragfähige Begründung mit der politischen Tätigkeit des Beschwerdeführers, die dieser als Verfolgungsgrund angibt, nicht näher auseinandergesetzt hat, hat es in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen und damit sein Erkenntnis mit Willkür belastet.

2.5. An diesem Ergebnis vermag auch die vom Bundesverwaltungsgericht angenommene Wahrunterstellung nichts zu ändern, wonach selbst bei Vorliegen einer entsprechenden politischen Tätigkeit auf Grund der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens nicht von einer politischen Verfolgung des Beschwerdeführers auszugehen sei.

Das Bundesverwaltungsgericht stützt die Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens wesentlich darauf, dass die Schilderungen des Beschwerdeführers zum vorgebrachten fluchtauslösenden Vorfall vor dem Bundesamt und vor dem Bundesverwaltungsgericht widersprüchlich seien. Wenn das Bundesverwaltungsgericht als entscheidungserheblichen Beleg dafür anführt, dass der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt angegeben habe, dass er auf eine Polizeistation gebracht worden sei, in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hingegen, dass er freiwillig das Polizeirevier betreten habe, deckt sich diese Beweiswürdigung nicht mit den im Akt einliegenden Niederschriften. Sowohl vor dem Bundesamt als auch vor dem Bundesverwaltungsgericht berichtete der Beschwerdeführer, dass er in Sirajdikhan gewesen und in der Folge unfreiwillig zu einer namentlich genannten Polizeistation nach Dhaka gebracht worden sei.

Wenn das Bundesverwaltungsgericht weiters darauf abstellt, dass der Beschwerdeführer das Fluchtvorbringen mit nur wenigen Details vor dem Bundesamt exakt gleich erzählt habe, weshalb es naheliege, dass der Beschwerdeführer die Geschichte auswendig gelernt habe, fehlt es auch diesbezüglich an einer schlüssigen Herleitung aus den Verfahrensergebnissen. Weder hat der Beschwerdeführer in der ersten Einvernahme eines der beiden vom Bundesverwaltungsgericht als Beleg für das Auswendiglernen genannten Details erwähnt, noch ergibt sich ohne Weiteres, dass der Beschwerdeführer nur wenige, jeweils fast wortidente Details genannt hat.

2.6. In seiner Alternativbegründung weicht das Bundesverwaltungsgericht also in wesentlichen Punkten und damit leichtfertig vom Inhalt der Akten ab. Auch auf diese Weise vermag es daher seine Entscheidung nicht willkürfrei zu begründen.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E1045.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.09.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten