TE Vwgh Beschluss 2020/8/26 Ra 2020/18/0316

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Veröffentlicht am 26.08.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGG §41

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin und die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision der revisionswerbenden Partei Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Juli 2020, W196 2163063-1/9E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: L J), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Mitbeteiligte, ein somalischer Staatsangehöriger, beantragte am 22. Oktober 2015 internationalen Schutz.

2        Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 12. Juni 2017 zur Gänze ab, erteilte dem Mitbeteiligten keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten nach Somalia zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis statt, erkannte dem Mitbeteiligten den Status des Asylberechtigten zu und stellte fest, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

4        Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, der Mitbeteiligte gehöre zur ethnischen Minderheit der Madhiban und habe vor seiner Ausreise in einer näher bezeichneten Stadt in der Region Hiran gelebt. Das BVwG erachte es - anders als das BFA - für glaubhaft, dass sich der Mitbeteiligte geweigert habe, Mitgliedern der Al-Shabaab die geforderte „Steuer“ zu zahlen. Stattdessen hätten er und seine Mutter bei der Polizei Anzeige gegen den ihm bekannten Erpresser (ein Mitglied vom Clan der Hawiye und Angehöriger der Al-Shabaab) erstattet, der daraufhin festgenommen worden sei. Aufgrund dieser Anzeige und der Weigerung zur Zahlung sei die Mutter des Mitbeteiligten von Al-Shabaab ermordet worden. Der Mitbeteiligte werde sowohl von der Al-Shabaab als auch Familienangehörigen des Angezeigten, die an ihm Rache nehmen wollten, gesucht. Effektiver staatlicher Schutz sei dagegen nicht zu erhalten. Auch wenn Al-Shabaab in vielen größeren Städten die Kontrolle offiziell entzogen sei, so bestehe nach wie vor eine verdeckte Präsenz der Al-Shabaab, die auch gezielt Zivilisten töten würden. Deshalb sei anzunehmen, dass der Mitbeteiligte im Falle der Rückkehr nach Somalia sehr wahrscheinlich mit weiteren Drohungen bzw. Übergriffen von Seiten der Al-Shabaab zu rechnen haben werde. Eine innerstaatliche Fluchtalternative komme dem Antragsteller nicht zu.

5        Dagegen wendet sich die vorliegende Amtsrevision. Zur Zulässigkeit wird geltend gemacht, das BVwG weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht und innerstaatlichen Fluchtalternative ab. Das BVwG gehe davon aus, dass dem Mitbeteiligten keine innerstaatliche Fluchtalternative offen stehe, ohne sich näher damit auseinander zu setzen, dass Puntland und Somaliland nicht unter der Kontrolle der Al-Shabaab stünden und auch der Clan der Hawiye, dem die Verfolgerfamilie angehöre, dort keinen Einfluss habe bzw. dort nicht vertreten sei. Sollte das BVwG davon ausgehen, dass Al-Shabaab in ganz Somalia (d.h. auch in Puntland und Somaliland) gezielte Attentate auf nicht prominente Zielpersonen durchführe, übersehe es, dass Al-Shabaab sein weit verzweigtes Spionagenetzwerk nicht dazu verwende, nicht prominente Zielpersonen aufzuspüren.

6        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

8        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht mit einem Vorbringen begründet werden, das unter das Neuerungsverbot im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof fällt (vgl. etwa VwGH 14.9.2016, Ra 2016/18/0222, mwN; VwGH 14.12.2016, Ra 2016/19/0300). Rechtsausführungen unterliegen dem Neuerungsverbot, wenn zu deren Beurteilung zusätzliche Sachverhaltsfeststellungen erforderlich wären (vgl. etwa VwGH 9.10.2017, Ra 2017/02/0178). Tatsachenvorbringen, das die belangte Behörde im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht nicht erstattet hat, kann auch sie im Revisionsverfahren aufgrund des Neuerungsverbotes nicht mehr vorbringen (vgl. etwa VwGH 24.10.2017, Ra 2016/10/0113; VwGH 10.9.2019, Ra 2019/16/0124).

9        Im gegenständlichen Fall wurde der Antrag des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz mit Bescheid des BFA vom 12. Juni 2017 mit der Begründung abgewiesen, der Mitbeteiligte habe sein Fluchtvorbringen nicht glaubhaft gemacht. Auf das Vorhandensein einer innerstaatlichen Fluchtalternative in irgendeinem näher bezeichneten Teil des Herkunftsstaates wurde die Entscheidung nicht (einmal hilfsweise) gestützt.

10       Über die Beschwerde des Mitbeteiligten gegen diesen Bescheid führte das BVwG am 6. Dezember 2018 eine mündliche Verhandlung durch, zu der kein Vertreter des BFA erschienen ist. Im Beschwerdeverfahren wurde seitens des BFA kein Vorbringen erstattet, dass bei Wahrunterstellung des Fluchtvorbringens die Möglichkeit einer (zumutbaren) innerstaatlichen Fluchtalternative in einem näher bezeichneten Landesteil von Somalia gegeben wäre.

11       Erstmals in der vorliegenden Revision wird geltend gemacht, dass der Mitbeteiligte in Puntland und Somaliland eine innerstaatliche Fluchtalternative vorfinden würde, weil ihm dort weder die Al-Shabaab noch Mitglieder der Rache suchenden Familie nachstellen würden. Diese Sachverhaltselemente, aus denen die Amtsrevisionswerberin auch rechtlich auf das Vorhandensein einer innerstaatlichen Fluchtalternative schließen möchte, wurden weder im verwaltungsbehördlichen Verfahren angesprochen noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltend gemacht. Sie ergeben sich auch nicht aus den getroffenen Länderfeststellungen und unterliegen daher nach dem bisher Gesagten dem im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltenden Neuerungsverbot.

12       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 26. August 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180316.L00

Im RIS seit

28.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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