TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/24 I401 2207419-2

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Veröffentlicht am 24.06.2020
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Entscheidungsdatum

24.06.2020

Norm

AsylG 2005 §12
AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §27
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I401 2207419-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gerhard AUER über

den am 15.06.2020 mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle Ost (EASt-Ost), Zl. XXXX , mit dem der faktische Abschiebeschutz gegen XXXX (alias XXXX alias XXXX ), geb. XXXX , StA. MAROKKO alias Algerien, aufgehoben wurde,

zu Recht:

A)

Der mündliche verkündete Bescheid vom 15.06.2020 wird ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte in Österreich am 03.03.2005 und am 04.11.2012 Anträge auf internationalen Schutz unter Verwendung verschiedener Identitäten. Die abweisenden Entscheidungen wurden vom Asylgerichtshof bzw. Bundesverwaltungsgericht jeweils bestätigt.

Während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet wurde der Beschwerdeführer achtmal von österreichischen Strafgerichten zu teils mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Der Beschwerdeführer unterzog sich auch einer Drogentherapie.

Zuletzt stellte er am 08.11.2019 einen weiteren Folgeantrag, welcher mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge als Bundesamt bezeichnet) vom 31.01.2020 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.

Über den Beschwerdeführer wurde zur Sicherung der Abschiebung am 10.05.2020 die Schubhaft verhängt. Am 05.06.2020 setzte er sich mit dem Bundesamt in Verbindung, weil er ein Problem habe, welches er besprechen wolle. Es wurde veranlasst, dass vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes eine Niederschrift über den „Antrag auf internationalen Schutz Erstbefragung nach AsylG - Folgeantrag Asyl durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes“ aufzunehmen ist. Bei der Erstbefragung am 05.06.2020 gab er unter anderem an, keine Rückkehrbefürchtung zu haben und eine Bestätigung von der österreichischen Behörde zu benötigen, dass er seine Haftstrafen in Österreich abgesessen, sich vom Drogenmilieu entfernt und einem Drogenentzug unterzogen habe. Unter Pkt. 11. („Sonstige sachdienstliche Hinweise“) wurde vom einvernehmenden Organ vermerkt: „Im Zuge der Einvernahme stellt sich heraus, dass AW keinen erneuten Asylantrag stellen will. Er will den Antrag lediglich als Informationsquelle nutzen.“

Am 15.06.2020 fand eine niederschriftliche Einvernahme durch das Bundesamt statt und gab der Beschwerdeführer auf Vorhalt, dass er angegeben habe, keine Probleme zu haben, wenn er nach Marokko zurückkehren würde, und er somit keine Fluchtgründe habe, Folgendes an: „Es gibt keinen Grund, dass ich geflüchtet bin. Ich brauche noch einen Beschluss vom Therapiezentrum, nur eine Bestätigung, dass ich das erledigt habe und clean bin. Damit könnte ich dann nach Marokko fahren. […]“. Die Frage, weshalb er dann neuerlich einen Asylantrag gestellt habe, wenn er freiwillig zurückkehren wolle, beantwortete er wie folgt: „Ich habe kein Asyl beantragt. Ich habe den Referenten angerufen und ihm gesagt, dass ich Probleme habe und mit ihm sprechen möchte. Von Asyl habe ich gar nichts gesagt. Sie hat dann die Polizei gerufen, die haben mich dann geholt. Ich habe gefragt, was das soll, sie meinten ich hätte einen Asylantrag gestellt. Das stimmt nicht, ich wollte wegen der Bestätigungen sprechen.“

Nach wörtlicher Rückübersetzung der Niederschrift wurde mit mündlich verkündetem Bescheid der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufgehoben.

Der Verwaltungsakt wurde am 22.06.2020 der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichts vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der oben unter Pkt. I. dargestellte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt.

Mit rechtskräftigem Bescheid des Bundesamtes vom 31.01.2020 wurde der zuletzt vom Beschwerdeführer gestellte Antrag auf internationalen Schutz vom 08.11.2019 wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen.

Am 05.06.2020 stellte der Beschwerdeführer keinen weiteren Folgeantrag auf internationalen Schutz.

2. Beweiswürdigung:

Die Angaben zu den bisherigen Verfahren und dem Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus dem Verwaltungsakt, den Gerichtsakten zu den vorherigen Asylverfahren vor dem Asylgerichtshof und dem Bundesverwaltungsgericht und den Abfragen im Zentralen Fremdenregister und Strafregister der Republik Österreich.

Dass der Beschwerdeführer am 05.06.2020 keinen Folgeantrag gestellt hat, ergibt sich aus nachstehenden Überlegungen:

Der Verwaltungsgerichtshof führt in seinem Erkenntnis vom 21.12.2000, 2000/01/0057, aus: „Parteienerklärungen im Verfahren sind ausschließlich nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen; es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muß. Besondere Vorsicht ist bei der Annahme eines Verzichtes der Partei auf eine in den Verfahrensvorschriften oder im materiellen Recht begründete Rechtsposition geboten; diese Annahme ist nur zulässig, wenn die entsprechenden Erklärungen der Partei keinen Zweifel offenlassen. Gegebenenfalls hat die Behörde eine Klarstellung durch die Partei herbeizuführen.“

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ist ein Antrag auf internationalen Schutz das - auf welche Weise auch immer artikulierte - Ersuchen eines Fremden in Österreich, sich dem Schutz Österreichs unterstellen zu dürfen; der Antrag gilt als Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und bei Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten als Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten.

Z 23 leg. cit. definiert einen Folgeantrag als jeden einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag nachfolgenden weiteren Antrag.

Der Beschwerdeführer brachte weder vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, noch vor dem Bundesamt zum Ausdruck, sich dem Schutz Österreichs (erneut) unterstellen zu wollen. Er gab in der Erstbefragung am 05.06.2020 wörtlich an: „Ich benötige von der österreichischen Behörde eine Bestätigung oder einen Beschluss, welcher bestätigt, dass ich hier in Österreich meine Haftstrafen abgesessen habe, mich vom Drogenmilieu entfernt habe und mich einem Drogenentzug unterzogen habe, damit ich etwas in der Hand habe, wenn ich nach Marokko abgeschoben werde. In Marokko möchte ich keine Probleme haben und versuchen, normal zu leben.“ und insbesondere „Ich befürchte jetzt nichts mehr, ich habe kein Problem nach Marokko zurückkehren zu müssen.“

Auch aus dem vom einvernehmenden Organ der Landepolizeidirektion Wien unter Pkt. 11. der Erstbefragung vom 05.06.2020 verfassten Vermerkt, im Zuge der Einvernahme habe sich herausgestellt, dass der Beschwerdeführer keinen erneuten Asylantrag stellen wolle, ist zu erschließen, dass das Begehren des Beschwerdeführers nicht darauf gerichtet war, neuerlich einen (Folge-) Antrag auf internationalen Schutz stellen zu wollen.

Vor dem Hintergrund der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hätte das Bundesamt bei (allenfalls) bestehenden Zweifeln über den Parteiwillen für eine Klarstellung sorgen müssen. Nach der Antwort des Beschwerdeführers bei seiner Einvernahme am 15.06.2020 auf die Frage, warum er einen Asylantrag gestellt habe, wenn er keinerlei Rückkehrbefürchtung habe, hätten Zweifel aufkommen müssen, ob der Beschwerdeführer tatsächlich einen Asylantrag zu stellen beabsichtige; er gab wiederholt und widerspruchsfrei an, nur wegen dem Problem (der Ausstellung von Bestätigungen über die von ihm absolvierte Therapie und verbüßten Haftstrafen) sich beim Bundesamt gemeldet zu haben. Daraus ist der unmissverständliche Parteiwille des Beschwerdeführers zu erkennen, dass er nicht (erneut) den Schutz Österreichs vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention habe begehren wollen. Dies insbesondere auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass er mehrmals betonte, nach Marokko zurückkehren zu wollen, weil er dort keinerlei Probleme befürchte.

3. Rechtliche Beurteilung:

Die letzte rechtskräftige Entscheidung über einen (Folge-) Antrag auf internationalen Schutz datiert vom 31.01.2020. Wie sich aus der Beweiswürdigung ergibt, stellte der Beschwerdeführer am 05.06.2020 keinen Folgeantrag.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers ist somit wieder unrechtmäßig. Der Beschwerdeführer befindet sich nicht in einem laufenden Asylverfahren.

Hat ein Fremder in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, kann er beispielsweise bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung nicht zurückgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben werden. Ihm kommt gemäß § 12 AsylG 2005 der faktische Abschiebeschutz zu.

Gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 kann das Bundesamt den faktischen Abschiebeschutz des Fremden unter bestimmten Voraussetzungen aufheben.

§ 22 Abs. 10 AsylG 2005 normiert die Vorgehensweise: Entscheidungen des Bundesamtes über die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 ergehen mündlich in Bescheidform. Die Beurkundung gemäß § 62 Abs. 2 AVG gilt auch als schriftliche Ausfertigung gemäß § 62 Abs. 3 AVG. Die Verwaltungsakten sind dem Bundesverwaltungsgericht unverzüglich zur Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG zu übermitteln. Diese gilt als Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht; dies ist in der Rechtsmittelbelehrung anzugeben. Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG mit Beschluss zu entscheiden.

Da im gegenständlichen Fall kein Folgeantrag vorliegt und dem Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12 AsylG 2005 zukam, fehlt es an der rechtlichen Grundlage für das Bundesamt, eine Aufhebung desselben zu erlassen. Wie bereits oben dargelegt, hat der Beschwerdeführer erkennbar keinen weiteren Antrag auf internationalen Schutz stellen wollen. Vielmehr hat das Bundesamt dessen Parteiwillen verkannt und zu Unrecht angenommen, dass er gegenständlich neuerlich einen Folgeantrag gestellt hat.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Rechtssache gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

§ 27 VwGVG lautet: Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es den angefochtenen Bescheid und die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Die speziellere Regelung des § 22 Abs. 10 AsylG 2005 greift im gegenständlichen Fall nicht. Danach hat das Bundesverwaltungsgericht über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung mit Beschluss zu entscheiden. Die inhaltliche Rechtsmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes wurde gegenständlich nicht überprüft. Ein faktischer Abschiebeschutz kam dem Beschwerdeführer mangels Stellung eines Folgeantrages nicht zu und fehlt es daher an der Grundlage für die Erlassung des mündlich verkündeten Bescheides (betreffend die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes).

Der mündlich verkündete Bescheid vom 15.06.2020 war daher ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung wegen Rechtswidrigkeit ersatzlos zu beheben.

Zu Spruchpinkt B) - Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung zum objektiven Erklärungswert von Parteienerklärungen und zur Erkundungspflicht der Behörde, noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Antragstellung Behebung der Entscheidung ersatzlose Behebung faktischer Abschiebeschutz Folgeantrag Kassation Rechtsgrundlage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I401.2207419.2.00

Im RIS seit

18.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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