TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/17 W116 2223970-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.06.2020
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Entscheidungsdatum

17.06.2020

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
IPRG §16 Abs2
IPRG §6
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W116 2223970-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Mario DRAGONI als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.08.2019, Zl. 1156342706-190114525, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Die Beschwerdeführerin, eine syrische Staatsbürgerin, Araberin und sunnitische Moslemin, stellte am 02.05.2017 einen Einreiseantrag gemäß § 35 AsylG 2005 bei dem österreichischen Generalkonsulat in Istanbul und führte dabei ihre minderjährige Schwester XXXX als Bezugsperson in Österreich an. Infolge eines Verbesserungsauftrages wurden die Reisedokumente der Beschwerdeführerin beim Generalkonsulat in Istanbul in Vorlage gebracht und die Unbedenklichkeit dieser Dokumente festgestellt.

1.2. Am 12.11.2018 wurde die Beschwerdeführerin vom österreichischen Generalkonsulat in Istanbul zu ihrem Familienstand niederschriftlich einvernommen. Sie gab dabei im Wesentlichen an, dass sie 17 Jahre alt geworden sei. Sie sei 15 Jahre alt gewesen, als sie schwanger geworden sei und habe ihr Kind im Alter von 16 Jahren bekommen. Sie sei islamisch getraut worden, aber nicht standesamtlich verheiratet. Die Hochzeit habe am XXXX in XXXX , Türkei, stattgefunden. Sie habe ihren Mann in der Schule kennengelernt, als dieser 18 und sie 15 Jahre alt gewesen seien und sie sei zwei Monate später schwanger geworden. Sie habe nur ihrer Mutter über die Schwangerschaft erzählt, denn ihre Brüder hätten sie getötet, wenn diese davon erfahren hätten. Schließlich habe der Vater des Kindes sie geheiratet und sie hätten später allen erzählt, dass sie eine Frühgeburt gehabt habe. Sie habe nach der Heirat kurze Zeit mit ihrem Mann zusammengelebt, jedoch habe dieser sie zwei bis drei Monate nach der Geburt ihres Kindes verlassen. Sie hätten keinen Kontakt miteinander. Als er sie verlassen habe, habe er ihr gesagt, dass er weder sie noch deren Kind gewollt habe. Schließlich erklärte die Beschwerdeführerin, dass sie ihren Mann nie wieder sehen wolle und ihm niemals verzeihen werde.

1.3. Darauf übermittelte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Mitteilung gemäß § 35 Abs. 4 AsylG 2005 an das Generalkonsulat Istanbul, wonach eine Statusgewährung im Falle der Einreise der Beschwerdeführerin als wahrscheinlich anzusehen sei.

1.4. Die Beschwerdeführerin stellte am 02.02.2019 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Bei ihrer Erstbefragung am selben Tag gab sie bezüglich ihres Antrags im Familienverfahren (Botschaftsantrag) an, dass sie am 29.01.2019 mit dem Flugzeug legal und in Besitz eines österreichischen Visums von Istanbul nach Wien/Schwechat gereist sei. Befragt, weshalb sie ihren Herkunftsstaat verlassen habe, teilte sie mit, dass sie keine eigenen Fluchtgründe hätte und den gegenständlichen Asylantrag wegen ihrer Schwester XXXX stellen würde, die in Österreich den Status der Asylberechtigten erlangt habe. Sie beantrage denselben Schutz wie ihre Schwester und verzichte aus diesem Grund auch auf eine weitere Einvernahme.

1.5. Am 06.06.2019 wurde die Beschwerdeführerin von einem Organ des Bundeamtes für Fremdenwesen und Asyl zu ihrem Asylantrag niederschriftlich einvernommen. Dabei legte sie zunächst ihren syrischen Reisepass vor und gab ergänzend zu ihren Angaben bei der Erstbefragung an, dass sie im Zeitpunkt der Erstbefragung schwanger gewesen sei und einen Sohn in der Türkei habe. Ihr Mann sei damals verschollen gewesen, jedoch habe sie später erfahren, dass sich dieser in der Türkei aufhalte. Sie habe die Türkei verlassen müssen, weil ihr Visum demnächst abgelaufen wäre. Ihr Sohn habe noch kein Visum gehabt, aber inzwischen auch eines bekommen.

Ferner teilte sie mit, in Syrien lediglich entfernte Verwandte zu haben, zu denen sie keinen Kontakt pflege. Sie sei in Idlib geboren und als kleines Kind mit ihrer Familie nach Damaskus gezogen, wo sie durchgehend gewohnt habe. Kurz vor ihrer Ausreise in die Türkei, sei sie noch einmal in Idlib gewesen. Zu ihren Kindern befragt, gab sie an, dass sich ihr erstgeborener Sohn XXXX , geboren am XXXX , in XXXX , Türkei, bei ihrem Bruder befinde. Ihr Ehemann und Vater ihres Sohnes XXXX , geboren am XXXX , lebe in der Nähe von XXXX in einer Männer-Wohngemeinschaft und könne sich deswegen nicht um das Kind kümmern. Ihr Sohn XXXX , der am XXXX in Österreich geboren wurde, sei ebenso das Kind ihres Ehemannes. Ihren Sohn hätte sie nicht alleine zurückgelassen, wenn ihr bei ihrer Ausreise nicht gesagt worden wäre, dass dieser auch nachreisen könne. Ihr Ehemann sei nicht gemeinsam mit ihr ausgereist, weil dieser eine Zeit lang verschollen gewesen sei. Er sei gezwungen worden, nach Syrien zu seiner Familie zu reisen, jedoch sei er bei dieser nicht angekommen, da er entführt worden sei. Bis auf den Umstand, dass die Entführer von seiner Familie Geld gefordert hätten, wisse sie zu diesem Vorfall keine Einzelheiten. Derzeit habe sie mehrmals Kontakt zu ihrem Ehemann und es gebe in ihrer Beziehung keine Probleme. Auch zuvor habe es keinen Konflikt mit ihrem Mann gegeben.

Auf Vorhalt erläuterte sie ihre Angaben beim österreichischen Generalkonsulat in Istanbul dahingehend, dass ihre Schwiegereltern sie angerufen und ihr mitgeteilt hätten, dass ihr Mann schon ausgereist sei und dass er sie und ihr Kind nicht wolle. Als sie aber später, nachdem sie nach Österreich gekommen sei, mit ihm gesprochen habe, habe er ihr gesagt, dass dies nicht stimme. Sie habe ca. sieben Monate lang von ihrem Mann nichts gewusst. Des Weiteren gab sie zu ihrer persönlichen und familiären Situation an, dass sie sechs Jahre lang die Schule in Syrien und sowie vier Jahre lang eine Schule in der Türkei besucht habe und anschließend Hausfrau gewesen sei. Sie habe ihren Mann in der Schule kennengelernt und kurz darauf geheiratet. Es sei eine Liebesheirat gewesen, aber sie hätten schnell heiraten müssen, da sie vor der Heirat schon schwanger gewesen sei. Sie hätten eine traditionelle Ehe geschlossen und diese Ehe auch eintragen lassen. In diesem Zusammenhang legte die Beschwerdeführerin eine Urkunde über die Anmeldung der Eheschließung samt deutschsprachiger Übersetzung vor. Im Zuge dieser Einvernahme wurden außerdem unter anderem eine syrische Geburtsurkunde der Beschwerdeführerin samt deutschsprachiger Übersetzung, eine Geburtsurkunde ihres zweitgeborenen Sohnes, ein Personalausweis ihres Mannes und eine Geburtsbescheinigung betreffend den erstgeborenen Sohn vorgelegt.

1.6. Am 19.08.2019 wurde die Beschwerdeführerin von einem Organ des Bundeamtes für Fremdenwesen und Asyl zu ihrem Asylantrag abermals niederschriftlich einvernommen. Zu Beginn bestätigte die Beschwerdeführerin ihre Angaben in der Erstbefragung, wonach sie keine eigenen Fluchtgründe habe und sich auf jene ihrer Schwester berufe.

In der Folge gab sie abweichend bzw. ergänzend zu ihren bisherigen Angaben zusammenfassend an, dass sie in Damaskus geboren und aufgewachsen sei. Als in Syrien die Revolution begonnen habe, seien sie nach Idlib gegangen, wo sie sich ca. acht Monate aufgehalten hätten. Aufgrund der Luftangriffe in Idlib sei sie mit ihrer gesamten Familie vor ca. acht oder neun Jahren illegal in die Türkei eingereist. In der Türkei würden noch ihre Schwestern, die dort verheiratet seien, und ein Bruder mit seiner Frau, bei denen sich ihr Sohn befinde, leben. Ihr Bruder sei Altmetallhändler und sorge für den Lebensunterhalt ihres Sohnes. Befragt, warum sie nicht gemeinsam mit ihrer Familie in der Türkei leben könnte, führte sie aus, dass die Lebenssituation in der Türkei sehr schwierig sei.

Zu ihren Fluchtgründen gab die Beschwerdeführerin an, dass sie Syrien wegen des Krieges verlassen hätten. Sie könne sich daran aber nicht genau erinnern, da sie bei ihrer Ausreise neun bis zehn Jahre alt gewesen sei. Ihre Familie sei gegen das Regime gewesen, was auch ein Grund für das Verlassen ihres Heimatstaates gewesen sei. Sie sei niemals persönlich bedroht worden.

Zu ihrem Privat- und Familienleben führte sie an, dass ihre ganze Familie in Österreich sei. Sie kümmere sie sich um ihr Kind und den Haushalt und sei in Österreich keiner Beschäftigung nachgegangen. Zuerst wolle sie einen Deutschkurs besuchen und danach eine Arbeit in einem Kindergarten oder einem Altersheim suchen. Sie beziehe Grundversorgung und sei in einer privaten Unterkunft bei ihrem Bruder untergebracht. Weiters habe sie keine Kurse oder sonstige Ausbildungen absolviert. Abschließend hielt die Beschwerdeführerin fest, dass sie für ihre Kinder keine eigenen Asylgründe vorzubringen habe und ihre Angaben auch für ihre Kinder gelten würden.

2. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl:

2.1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.08.2019, zugestellt am 02.09.2019, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde der Beschwerdeführerin der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 29.08.2020 erteilt (Spruchpunkt III.).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Syrien, stellte die Identität der Beschwerdeführerin fest und begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass sich die Beschwerdeführerin im Laufe des Asylverfahrens auf die Fluchtgründe ihrer Schwester, welcher der Asylstatus insbesondere aufgrund ihrer Minderjährigkeit zuerkannt worden sei, berufen habe, während sie selbst vorgebracht habe, Syrien aufgrund der allgemeinen Sicherheits- und Wirtschaftslage verlassen zu haben. Dabei habe sie keine konkrete Verfolgung oder Bedrohungsgefahr vorgebracht. Außerdem seien ihre Angaben zur Verfolgung ihrer Familie durch das syrische Regime nicht glaubhaft, zumal ihrem Bruder der Status des Asylberechtigten aufgrund der abstrakten Gefahr menschenrechtswidriger Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung oder alternativ der Gefahr einer zwangsweisen Rekrutierung zuerkannt worden sei und gerade nicht aufgrund einer konkreten, bereits eingetretenen Verfolgung. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Beschwerdeführerin Repressionen unterliegen würde, da sich ihr Bruder dem Wehrdienst entzogen habe, sei verschwindend gering. Solche seien im Wesentlichen nur für Deserteure bekannt und nur gegen schwerwiegende Fälle. Außerdem habe das Assad-Regime ausweislich der Länderfeststellungen bereits in der Vergangenheit mehrere Amnestien erlassen. Darüber hinaus gebe es keine Hinweise für eine Verfolgung aus Gründen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen und sei die Beschwerdeführerin nicht als alleinstehende Frau anzusehen, da ihr Ehemann über ausgeprägte Kontakte zu seiner offenbar zahlreichen in Syrien lebenden Familie verfüge. Da aber die Rückkehrverbringung in ihre Heimat angesichts des innerstaatlichen Konflikts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit einer realen Gefahr eines schweren Schadens verbunden wäre, sei ihr der Status der subsidiär Schutzberechtigten zu erteilen.

Ferner stellte die belangte Behörde fest, dass aufgrund der aufrechten Ehe der Beschwerdeführerin kein Familienverfahren zu führen sei. Aufgrund der Angaben der Beschwerdeführerin in ihrer Einvernahme durch das österreichische Generalkonsulat in Istanbul sei die belangte Behörde davon ausgegangen, dass eine "Talaq-Scheidung" vorliege und damit einhergehend die Nichtigkeit der Ehe aufgrund des ordre public im Sinne der §§ 6, 16 und 17 IPRG. Da in weiterer Folge die Beschwerdeführerin einen zweiten Sohn geboren habe und dadurch ein Geschlechtsverkehr mit einem Mann frühestens im Juli 2018 schlüssig erwiesen gewesen sei, habe die belangte Behörde ihre Angaben in Zweifel gezogen. Als die Beschwerdeführerin vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen wurde, tätigte diese zu mehreren vor dem Generalkonsulat geäußerten Behauptungen widersprüchliche Angaben. Folglich sei festzustellen gewesen, dass die Beschwerdeführerin weiterhin in aufrechter Ehe lebe und auch gewillt sei, diese aufrecht zu erhalten. Auch sei festzustellen gewesen, dass die Beschwerdeführerin vor dem Generalkonsulat Istanbul im Rahmen ihrer Befragung wissentlich falsche Angaben gemacht habe und sich dadurch die Erteilung eines Einreisetitels erschlichen habe. Da die Ehe am XXXX ins syrische Familienregister eingetragen worden sei, sei die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Antragstellung vor dem Generalkonsulat in Istanbul am 02.05.2017 verheiratet gewesen. Die Beschwerdeführerin sei zum Zeitpunkt der Eheschließung 16 Jahre alt gewesen und somit, die Zustimmung des Gerichts und der Erziehungsberechtigten vorausgesetzt, ehefähig. Die erforderlichen Zustimmungen seien laut ihrer Angaben und der vorliegenden Dokumente konkludent vorgelegen, weshalb kein Verstoß gegen den ordre-public-Grundsatz gegeben sei. Zudem handle es sich um eine freiwillig geschlossene Ehe. Die Beschwerdeführerin falle somit nicht mehr unter dem Begriff eines Familienangehörigen, welcher explizit auf die Ledigkeit eines minderjährigen Kindes abstelle.

2.2. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG vom 30.08.2019 wurde der Beschwerdeführerin die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

2.3. Gegen Spruchpunkt I. des oben genannten Bescheides brachte die Beschwerdeführerin über ihre rechtliche Vertretung am 27.09.2019 rechtzeitig eine Beschwerde beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein. Darin wird im Wesentlichen inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend gemacht. In der Beschwerdebegründung wurde zunächst ausgeführt, dass die Feststellung, wonach die Beschwerdeführerin vor dem Generalkonsulat in Istanbul wissentlich falsche Angaben zu ihrem Familienstand gemacht habe, als unrichtig zu bekämpfen sei. Ihre Aussage sei angesichts der erhaltenen falschen Informationen seitens ihrer Schwiegereltern nicht wissentlich falsch gewesen und diesbezügliche Angaben habe sie in ihrer Einvernahme vor der belangten Behörde präzisiert bzw. richtiggestellt.

Unrichtig sei vor allem auch die Feststellung, dass aufgrund einer aufrechten Ehe ein Familienverfahren nicht zu führen sei, da die belangte Behörde unzutreffend davon ausgegangen sei, dass die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Antragstellung vor dem Generalkonsulat in Istanbul am 02.05.2017 verheiratet gewesen wäre. Diese Feststellung sei im Übrigen nicht dem Tatsachenbereich zuzuordnen, da sie eine reine Rechtsfrage darstelle. Entgegen den Ausführungen der belangten Behörde ergebe eine Überprüfung nach Maßgabe des Ordre-public-Grundsatzes, dass die genannte Ehe nicht anzuerkennen sei. Die belangte Behörde habe übersehen, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 des EheG nicht vorliegen würden, weil der Ehegatte der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt des Eheschlusses nach den getroffenen Feststellungen 17 Jahre alt und daher ebenfalls noch minderjährig gewesen sei. Folglich liege in diesem Fall eine unzulässige Kinderehe vor, welche als grundsätzlich gegen die Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung stehend einzustufen sei und gegen die Vorgaben des ordre public verstoße. Deshalb sei bei Beurteilung des Antrages der Beschwerdeführerin davon auszugehen, dass sie nicht verheiratet, sondern ledig sei und aus diesem Grund ein Familienverfahren durchzuführen sei.

Darüber hinaus sei die Argumentation der belangten Behörde, dass es sich gegenständlich um eine freiwillig geschlossene Ehe gehandelt habe, nicht richtig. Die Beschwerdeführerin sei nach ihren Angaben zur Ehe gezwungen worden bzw. habe sie sich zum Eheschluss gezwungen gefühlt, weil sie von ihrem Ehemann schwanger gewesen sei und sich erhebliche Nachteile aufgrund des damit belegten unehelichen Geschlechtsverkehrs erwartet habe. Auch wenn eine Minderjährige die Ansicht vertreten möge, dass es eine Liebesheirat gewesen sei, belege dies keinesfalls die Freiwilligkeit des Eheschlusses im Sinne der herrschenden Rechtsprechung und Rechtslage. Demnach seien Minderjährige in ihrer Persönlichkeitsentwicklung üblicherweise nicht derart weit fortgeschritten, um die Bedeutung der freiwilligen Entscheidung für das Eingehen einer Ehe in allen Punkten hinreichend überblicken und abschätzen zu können.

Zusammenfassend wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin nicht verheiratet sei bzw. die von ihr geschlossene Ehe nach den Grundsätzen der österreichischen Rechtsordnung nicht anzuerkennen sei, weil es sich dabei um eine Kinderehe handle, welche darüber hinaus von den betroffenen Ehepartnern nicht freiwillig geschlossen worden sei. Der Antrag der Beschwerdeführerin sei damit als Familienverfahren im Sinne des § 34 AsylG 2005 abzuhandeln gewesen. Das Verfahren könne nur dergestalt enden, dass der Beschwerdeführerin der Status einer Asylberechtigten zuerkannt werde, da sowohl ihren Eltern als auch ihrer Schwester der Status von Asylberechtigten zuerkannt worden sei. Die Beschwerdeführerin stelle daher den Antrag, der gegenständlichen Beschwerde Folge zu geben und den bekämpften Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

3. Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht:

3.1. Die gegenständliche Beschwerde wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl samt dem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht am 02.10.2019 zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Entscheidungswesentlicher Sachverhalt:

Auf Grundlage des Einreiseantrages, des Antrages auf internationalen Schutz, der Einvernahmen der Beschwerdeführerin durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Zuge ihrer Erstbefragung sowie durch die Organe des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zu gegenständlichem Asylantrag, der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Dokumente, der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Syrien, Araberin und sunnitische Moslemin. Sie wurde in Idlib geboren und übersiedelte als Kind mit ihrer Familie nach Damaskus, wo sie bis zu ihrer Ausreise in die Türkei lebte. Angesichts des in Syrien herrschenden Bürgerkrieges reiste die Beschwerdeführerin im Alter von etwa 8 oder 9 Jahren gemeinsam mit ihrer Familie illegal in die Türkei. Die Beschwerdeführerin besuchte sowohl in Syrien als auch in der Türkei die Schule und war bisher Hausfrau.

Ihre Eltern, ein Bruder und eine Schwester sind in Österreich asylberechtigt. Die Beschwerdeführerin hat in der Türkei weitere Schwestern, die verheiratet sind, und einen Bruder mit seiner Frau, bei denen sich ihr Sohn befindet. Mit ihren Familienangehörigen in der Türkei pflegt die Beschwerdeführerin regelmäßigen Kontakt. Weiters verfügt sie in Syrien über entfernte Verwandte, zu welchen sie hingegen in keinem Kontakt steht.

Die Beschwerdeführerin ist seit XXXX mit dem syrischen Staatsangehörigen XXXX , geboren XXXX , verheiratet und hat mit diesem zwei Söhne. Die traditionelle-muslimische Eheschließung wurde in das syrische Familienregister eingetragen. Ihr Ehemann und ihr erstgeborener Sohn befinden sich derzeit in XXXX , Türkei. Ihr zweiter Sohn XXXX wurde am XXXX in Österreich geboren.

Die Beschwerdeführerin stellte am 02.05.2017 einen Einreiseantrag gemäß § 35 AsylG 2005 bei dem österreichischen Generalkonsulat in Istanbul und führte darin als Bezugsperson ihre minderjährige Schwester XXXX an. Festgestellt wird, dass zu diesem Zeitpunkt bereits eine aufrechte Ehe der Beschwerdeführerin bestand.

In weiterer Folge reiste sie am 29.01.2019 mit dem Flugzeug legal und in Besitz eines österreichischen Visums von Istanbul nach Österreich ein, wo sie am 02.02.2019 im Familienverfahren einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Dem Bruder der Beschwerdeführerin XXXX , geboren am XXXX , wurde mit Bescheid vom 17.06.2016, IFA: 1069432906, der Status eines Asylberechtigten aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung zuerkannt.

Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführerin in Syrien bei einer Rückkehr die reale Gefahr droht, dass sie als Schwester eines Wehrdienstverweigerers von der syrischen Regierung verfolgt wird.

Der Beschwerdeführerin droht bei einer Rückkehr nach Syrien die reale Gefahr, dass sie alleine aufgrund ihrer Herkunft aus der umkämpften Provinz Idlib von der syrischen Regierung eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und als Oppositionelle verfolgt, festgenommen, gefoltert oder gar hingerichtet wird und wäre daher der Gefahr erheblicher Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Darüber hinaus ist auch seine Zugehörigkeit zum sunnitischen Islam durchaus geeignet, die Beschwerdeführerin zum Ziel von Verfolgungen zu machen. Der bewaffnete Konflikt wird nämlich zunehmend konfessionell und sunnitische Zivilisten sind aktuell das Hauptziel der Regimetruppen und von Pro-Regime-Milizen.

Eine hinsichtlich des Reiseweges zumutbare und legale Rückkehr nach Syrien ist nur über den Flughafen in Damaskus möglich, der sich in der Hand der Regierung befindet. Für einer nach Syrien zurückkehrenden, abgelehnten Asylwerberin besteht im Allgemeinen bei der Ankunft die reale Gefahr, aufgrund einer angenommenen politischen Gesinnung inhaftiert zu werden, und in der Folge schweren Misshandlungen ausgesetzt zu sein. Die Sicherheitsorgane haben am Flughafen freie Hand, und es gibt keine Schutzmechanismen, wenn eine Person verdächtigt und deswegen misshandelt wird. Es kann passieren, dass die Person sofort inhaftiert und dabei Opfer von Verschwindenlassen oder Folter wird.

Die Beschwerdeführerin ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:

"Folter, Haftbedingungen und unmenschliche Behandlung

Das Gesetz verbietet Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen, wobei das Strafgesetzbuch eine Strafe von maximal drei Jahren Gefängnis für Täter vorsieht. Nichtsdestotrotz wenden die Sicherheitskräfte in Tausenden Fällen solche Praktiken an (USDOS 13.3.2019). Willkürliche Festnahmen, Misshandlung, Folter und Verschwindenlassen sind in Syrien weit verbreitet (HRW 18.1.2018; vgl. AI 22.2.2018, USDOS 13.3.2019, AA 13.11.2018). Sie richten sich von Seiten der Regierung insbesondere gegen Oppositionelle oder Menschen, die vom Regime als oppositionell wahrgenommen werden (AA 13.11.2018).

NGOs berichten glaubhaft, dass die syrische Regierung und mit ihr verbündete Milizen physische Misshandlung, Bestrafung und Folter an oppositionellen Kämpfern und Zivilisten begehen (USDOS 13.3.2019; vgl. TWP 23.12.2018). Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und Minderjährigen sind weit verbreitet. Die Regierung soll hierbei auch auf Personen abzielen, denen Verbindungen zur Opposition vorgeworfen werden (USDOS 13.3.2019). Es sind zahllose Fälle dokumentiert, bei denen Familienmitglieder wegen der als regierungsfeindlich wahrgenommenen Tätigkeit von Verwandten inhaftiert und gefoltert wurden, auch wenn die als regierungsfeindlich wahrgenommenen Personen ins Ausland geflüchtet waren (AA 13.11.2018; vgl. AI 22.2.2018).

Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod der Insassen. Die Gefängnisse sind stark überfüllt, es mangelt an Nahrung, Trinkwasser, Hygiene und Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung. Diese Bedingungen waren so durchgängig, dass die UN Commission of Inquiry zu dem Schluss kam, diese seien Regierungspolitik. Laut Berichten von NGOs gibt es zahlreiche informelle Hafteinrichtungen in umgebauten Militärbasen, Schulen, Stadien und anderen unbekannten Lokalitäten. So sollen inhaftierte Demonstranten in leerstehenden Fabriken und Lagerhäusern ohne angemessene sanitäre Einrichtungen festgehalten werden. Die Regierung hält weiterhin Tausende Personen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt ("incommunicado") an unbekannten Orten fest (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 13.11.2018, SHRC 24.1.2019). Von Familien von Häftlingen wird Geld verlangt, dafür dass die Gefangenen Nahrung erhalten und nicht mehr gefoltert werden, was dann jedoch nicht eingehalten wird. Große Summen werden gezahlt, um die Freilassung von Gefangenen zu erwirken (MOFANL 7.2019).

In jedem Dorf und jeder Stadt gibt es Haft- bzw. Verhörzentren für die ersten Befragungen und Untersuchungen nach einer Verhaftung. Diese werden von den Sicherheits- und Nachrichtendiensten oder auch regierungstreuen Milizen kontrolliert. Meist werden Festgenommene in ein größeres Untersuchungszentrum in der Provinz oder nach Damaskus und schließlich in ein Militär- oder ziviles Gefängnis gebracht. Im Zuge dieses Prozesses kommt es zu Folter und Todesfällen. Selten wird ein Häftling freigelassen. Unschuldige bleiben oft in Haft, um Geldsummen für ihre Freilassung zu erpressen oder um sie im Zuge eines "Freilassungsabkommens" auszutauschen (SHRC 24.1.2019).

Seit Sommer 2018 werden von den Regierungsbehörden Sterberegister veröffentlicht, wodurch erstmals offiziell der Tod von 7.953 Menschen in Regierungsgewahrsam bestätigt wurde, wenn auch unter Angabe wenig glaubwürdiger amtlich festgestellter natürlicher Todesursachen (Herzinfarkt, etc.). Berichte von ehemaligen Insassen sowie Menschenrechtsorganisationen benennen als häufigste Todesursachen Folter, Krankheit als Folge mangelnder Ernährung und Hygiene in den Einrichtungen und außergerichtliche Tötung (AA 13.11.2018; vgl. SHRC 24.1.2019). Die syrische Regierung übergibt die Überreste der Verstorbenen nicht an die Familien (HRW 17.1.2019).

Mit Stand Dezember 2018 ist der Verbleib von 100.000 syrischen Gefangenen noch immer unbekannt. Laut Menschenrechtsgruppen und den Vereinten Nationen sind wahrscheinlich Tausende, wenn nicht Zehntausende davon umgekommen (TWP 23.12.2018).

Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind jedoch keine Neuerung der Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019).

Russland, der Iran und die Türkei haben im Zusammenhang mit den Astana-Verhandlungen wiederholt zugesagt, sich um die Missstände bezüglich willkürlicher Verhaftungen und Verschwindenlassen zu kümmern. Im Dezember 2017 gründeten sie eine Arbeitsgruppe zu Inhaftierungen und Entführungen im syrischen Konflikt, es waren bisher jedoch nur geringe Fortschritte zu verzeichnen (HRW 17.1.2019).

Auch die Rebellengruppierungen werden außergerichtlicher Tötungen und der Folter von Inhaftierten beschuldigt (FH 1.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Opfer sind vor allem (vermutete) regierungstreue Personen und Mitglieder von Milizen oder rivalisierenden bewaffneten Gruppen. Zu den Bedingungen in den Hafteinrichtungen der verschiedenen regierungsfeindlichen Gruppen ist wenig bekannt, NGOs berichten von willkürlichen Verhaftungen, Folter und unmenschlicher Behandlung. Der IS bestrafte häufig Opfer in der Öffentlichkeit und zwang Bewohner, darunter auch Kinder, Hinrichtungen und Amputationen mitanzusehen. Es gibt Berichte zu Steinigungen und Misshandlungen von Frauen. Dem sogenannten Islamischen Staat (IS) werden systematische Misshandlungen von Gefangenen der Freien Syrischen Armee (FSA) und der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) vorgeworfen. Berichtet werden auch Folter und Tötungen von Gefangenen durch den IS (USDOS 13.3.2019).

Quellen:

- AA - Deutsches Auswärtiges Amt (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges- amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf, Zugriff 10.12.2018

- AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/2018 - The State of the Wolrd's Human Rights - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/1425112.html. Zugriff 12.12.2018

- FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Syria. https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/syria. Zugriff 12.12.2018

- HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Syria. https://www.ecoi.net/en/ document/1422595.html. Zugriff 12.12.2018

- HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): Annual report on the human rights situation in 2018 - Syrian Arab Republic. https://www.ecoi.net/en/document/2002172.htm l. Zugriff 29.1.2019

- MOFANL - Ministry of Foreign Affairs of the Netherlands - Department for Country of Origin Information Reports (7.2019): Country of Origin Information Report Syria - The security situation. per E-Mail am 27.8.2019

- SHRC - Syrian Human Rights Committee (24.1.2019): The 17th Annual Report on Human Rights in Syria 2018. http://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2019/01/English_Web.pdf. Zugriff 31.1.2019

- TWP - The Washington Post (23.12.2018): Syria's once teeming prison cells being emptied by mass murder. https://www.washingtonpost.com/graphics/2018/world/svria-bodies/?noredirect=on&utm term=.6a8815bb3721. Zugriff 14.2.2019

- USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Syria. https://www.ecoi.net/en/document/2004226.htm I . Zugriff 19.3.2019

Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von 18 oder 21 Monaten gesetzlich verpflichtend. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten (CIA 3.4.2019; vgl. AA 13.11.2018, FIS 14.12.2018). Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palestinian Liberation Army (PLA) unter palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Armee (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018). Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018).

Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Erreichen des 42. Lebensjahres in den aktiven Dienst einberufen werden. Vor dem Ausbruch des Konflikts bestand der Reservedienst im Allgemeinen nur aus mehreren Wochen oder Monaten Ausbildung zur Auffrischung der Fähigkeiten, und die Regierung berief Reservisten nur selten ein. Seit 2011 hat sich das jedoch geändert. Es liegen außerdem einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Manche Personen werden wieder zum aktiven Dienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird. Männer können ihren Dienst-/Reservedienststatus bei der Militärbehörde überprüfen. Die meisten tun dies jedoch nur auf informellem Weg, um zu vermeiden, sofort rekrutiert zu werden (BFA 8.2017).

Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit, oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (BFA 8.2017).

Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen (TIMEP 6.12.2018).

Aktuell ist ein "Herausfiltern" von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints weit verbreitet. In der Praxis wurde die Altersgrenze erhöht und auch Männer in ihren späten 40ern und frühen 50ern sind gezwungen Wehr-/Reservedienst zu leisten. Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab, als vom allgemeinen Gesetz. Dem Experten zufolge würden jedoch jüngere Männer genauer überwacht, ältere könnten leichter der Rekrutierung entgehen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht (FIS 14.12.2018). Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis 27 ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise nach oben angehoben, sodass auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen wurden, bzw. Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen können. Ebenso wurden seit Ausbruch des Konflikts aktive Soldaten auch nach Erfüllung der Wehrpflicht nicht aus dem Wehrdienst entlassen (ÖB 7.2019).

Die Militärpolizei verhaftet in Gebieten unter der Kontrolle der Regierung junge Männer, die für den Wehrdienst gesucht werden. Nachdem die meisten fixen Sicherheitsbarrieren innerhalb der Städte aufgelöst wurden, patrouilliert nun die Militärpolizei durch die Straßen. Diese Patrouillen stoppen junge Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln und durchsuchen Wohnungen von gesuchten Personen (SHRC 24.1.2019). Es gab in der Vergangenheit Fälle, in denen Familienmitglieder von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren Vergeltungsmaßnahmen wie Unterdrucksetzung und Inhaftierung ausgesetzt waren (TIMEP 6.12.2018).

Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten haben und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in SYP leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2000 USD oder das Äquivalent in SYP nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet. Außerdem kann basierend auf einem Beschluss des Finanzministers das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert den Betrag zu bezahlen, konfisziert werden (SANA 8.11.2017; vgl. SLJ 10.11.2017, PAR 15.11.2017).

Quellen:

- AA - Deutsches Auswärtiges Amt (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges- amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf, Zugriff 10.12.2018

- BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 13.12.2018

- CIA - Central Intelligence Agency (3.4.2019): The World Factbook: Syria - Military and Security, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/sy.html. Zugriff 6.4.2019

- FIS - Finnish Immigration Service (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact- finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf. Zugriff 1.2.2019

- ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus (7.2019): Asylländerbericht Syrien 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014213/SYRI_ÖB+Bericht_2019_07.pdf. Zugriff 19.8.2019

- PAR - Webseite des Parlaments der Arabischen Republik Syrien (15.11.2017): /35/ ^ij jjjläJII2007/ ^l*J /30/ (vijj^l^JI pl*JI http://parliament.gov.sy/arabic/index.php?node=201 &nid=18681&RID=-1&Last=10262&First=0&CurrentPage=0&Vld=-1&Mode=&Service=- 1 &Loc1 =&Key1 =&SDate=&EDate=&Year=&Country=&Num=&Dep=-1 &, Zugriff 7.12.2017

- SANA - Syrian Arab News Agency (8.11.2017): jj- JA jl*ii jjjli ßj. ^*^Jl ÄJJ Ä^AUJI SJJJJ ÄJJAJI ^UJl J-^Jl ^JJ J^IJ iuJjNi i. ojl'xill http://www.sana.sy/?p=656572, Zugriff 15.1.2019

- SHRC - Syrian Human Rights Committee (24.1.2019): The 17th Annual Report on Human Rights in Syria 2018, http://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2019/01/English_Web.pdf. Zugriff 31.1.2019

- SLJ - Syrian Law Journal [Twitter] (10.11.2017): Kurznachricht vom 10.11.2017 08:37, https://twitter.com/syrian_law/status/929025146429624320. Zugriff 15.1.2019

- TIMEP - The Tahrir Institute for Middle East Policy (6.12.2018): TIMEP Brief: Legislative Decree No. 18: Military Service Amnesty.

https://timep.org/wp-content/uploads/2018/12/LegislativeDecree18SyriaLawBrief2018-FINAL12-6-18a.pdf. Zugriff 19.2.2019

Wehrdienstverweigerung / Desertion

Im Verlauf des syrischen Bürgerkrieges verlor die syrische Armee viele Männer aufgrund von Wehrdienstverweigerung, Desertion, Überlaufen und zahlreichen Todesfällen (TIMEP 6.12.2018).

Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft, die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach den Umständen, mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft (AA 13.11.2018). Bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichsetzen, sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (Landinfo 3.1.2018).

Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen "terroristische" Bedrohungen zu schützen (BFA 8.2017).

Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt (Landinfo 3.1.2018).

Desertion wird gemäß dem Militärstrafgesetz von 1950 in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (sogenannte "externe Desertion"), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen. In schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt (BFA 8.2017).

Deserteure werden härter bestraft als Wehrdienstverweigerer. Deserteure riskieren, inhaftiert, gefoltert und getötet zu werden. Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von "high profile"-Deserteuren der Fall sein, also z.B. Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet haben oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 3.1.2018).

Seit Ausbruch des Syrienkonflikts werden syrische Armeeangehörige erschossen, gefoltert, geschlagen und inhaftiert, wenn sie Befehle nicht befolgen (AA 13.11.2018).

In Gebieten, welche durch sogenannte Versöhnungsabkommen wieder unter die Kontrolle der syrischen Regierung gebracht wurden, werden häufig Vereinbarungen bezüglich des Wehrdienstes getroffen. Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt, sondern stattdessen bei der Polizei eingesetzt werden (BFA 8.2017). Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018). Auch in den "versöhnten Gebieten" sind Männer im entsprechenden Alter also mit der Wehrpflicht oder mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht die Regierungseinheiten unterstützt (FIS 14.12.2018).

Quellen:

- AA - Deutsches Auswärtiges Amt (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598 1542722823 auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-November-2018-13-11-2018.pdf, Zugriff 10.12.2018

- BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf. Zugriff 13.12.2018

- FIS - Finnish Immigration Service (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact- finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf, Zugriff 1.2.2019

- Landinfo (3.1.2018): Syria: Reactions against deserters and draft evaders, https://www.ecoi.net/en/file/local/1441219/1226_1534943446_landinfo-report-syria-reactions-against-deserters-and-draft-evaders.pdf, Zugriff 20.2.2019

- TIMEP - The Tahrir Institute for Middle East Policy (6.12.2018): TIMEP Brief: Legislative Decree No. 18: Military Service Amnesty, https://timep.org/wp-content/uploads/2018/12/LegislativeDecree18SyriaLawBrief2018-FINAL12-6-18a.pdf, Zugriff 19.2.2019

Rückkehr

Im Juli 2018 zählte die syrische Bevölkerung geschätzte 19,5 Millionen Menschen (CIA 3.4.2019).

Die Zahl der Binnenvertriebenen belief sich im September 2018 auf insgesamt 6,2 Millionen Menschen (UNHCR 30.9.2018). 2018 sind insgesamt etwa 1,2 bis 1,4 Millionen IDPs in Syrien zurückgekehrt (UNHCR 18.3.2019).

Mit März 2019 waren 5.681.093 Personen in den Nachbarländern Syriens und Nordafrika als syrische Flüchtlinge registriert (UNHCR 11.3.2019). 2018 sind laut UNHCR insgesamt etwa 56.000 Flüchtlinge nach Syrien zurückgekehrt (UNHCR 18.3.2019).

Weder IDPs noch Flüchtlinge sind notwendigerweise in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt (UNHCR 18.3.2019).

Wenn eine Person in ihre Heimat zurückkehren möchte, können viele unterschiedliche Faktoren die Rückkehrmöglichkeiten beeinflussen. Ethno-religiöse, wirtschaftliche und politische Aspekte spielen ebenso eine Rolle, wie Fragen des Wiederaufbaus und die Haltung der Regierung gegenüber Gemeinden, die der Opposition zugeneigt sind (FIS 14.12.2018). Über die Zustände, in welche die Flüchtlinge zurückkehren und die Mechanismen des Rückkehrprozesses ist wenig bekannt. Da Präsident Assad die Kontrolle über große Gebiete wiedererlangt, sind immer weniger Informationen verfügbar und es herrschen weiterhin Zugangsbeschränkungen und Beschränkungen bei der Datenerhebung für UNHCR (EIP 6.2019). Die Behandlung von Einreisenden ist stark vom Einzelfall abhängig, und über den genauen Kenntnisstand der syrischen Behörden gibt es keine gesicherten Kenntnisse (ÖB 7.2019).

Das Fehlen von vorhersehbarer und nachhaltiger physischer Sicherheit in Syrien ist der Hauptfaktor, der die Rückkehrvorhaben von Flüchtlingen negativ beeinflusst. Weiters werden das Fehlen einer adäquaten Unterkunft oder Wohnung oder fehlende Möglichkeiten den Lebensunterhalt zu sichern als wesentliche Hindernisse für die Rückkehr genannt. Als wichtiger Grund für eine Rückkehr wird der Wunsch nach Familienzusammenführung genannt (UNHCR 7.2018). Rückkehrüberlegungen von syrischen Männern werden auch von ihrem Wehrdienststatus beeinflusst (DIS/DRC 2.2019).

Bereits im Jahr 2017 haben die libanesischen Behörden trotz des Konfliktes und begründeter Furcht vor Verfolgung vermehrt die Rückkehr syrischer Flüchtlinge gefordert. Eine kleine Anzahl von Flüchtlingen ist im Rahmen lokaler Abkommen nach Syrien zurückgekehrt. Diese Rückkehrbewegungen werden nicht von UNHCR überwacht. Einige Flüchtlinge kehren aufgrund der harschen Politik der Regierung ihnen gegenüber und sich verschlechternden Bedingungen im Libanon nach Syrien zurück, und nicht weil sie der Meinung sind, dass Syrien sicher sei. Gemeinden im Libanon haben Tausende von Flüchtlingen in Massenausweisungen/Massenvertreibungen ohne Rechtsgrundlage oder ordnungsgemäßes Verfahren vertrieben. Zehntausende sind weiterhin der Gefahr einer Vertreibung ausgesetzt (HRW 17.1.2019). Viele syrische Flüchtlinge kehren aufgrund der schlechten Bedingungen im Libanon und Jordanien nach Syrien zurück, und weil sie außerhalb Syriens keine Zukunft für sich sehen (IT 19.8.2018). UNHCR hat nur vereinzelt und für kurze Zeit Zugang zu Personen, die aus dem Libanon nach Syrien zurückkehren, und kann auch keine ungestörten Interviews mit ihnen führen (AA 13.11.2018).

Flüchtlinge, die aus dem Libanon nach Syrien zurückkehren möchten, müssen dies bei den lokalen Sicherheitsbehörden melden und diese leiten den Antrag an die syrischen Behörden weiter (IT 19.8.2018; vgl. Reuters 25.9.2018). Die syrischen Behörden überprüfen die Antragsteller. Anträge auf Rückkehr können von der Regierung auch abgelehnt werden. Der Anteil der Personen, denen die Rückkehr nicht gestattet wird, wird von den verschiedenen Quellen mit 5% (SD 16.1.2019), 10% (Reuters 25.9.2018), bis hin zu 30% (ABC 6.10.2018) angegeben. In vielen Fällen wird auch Binnenvertriebenen die Rückkehr in ihre Heimatgebiete nicht erlaubt (USDOS 13.3.2019).

Gründe für eine Ablehnung können (wahrgenommene) politische Aktivitäten gegen die Regierung bzw. Verbindungen zur Opposition oder die Nicht-Ableistung der Wehrpflicht sein (Reuters 25.9.2018; vgl. ABC 6.10.2018, SD 16.1.2019). Personen, die von der syrischen Regierung gesucht werden, und darum die Genehmigung zur Rückkehr nicht erhalten, sind aufgefordert ihren Status zu "regularisieren", bevor sie zurückkehren können (Reuters 25.9.2018; vgl. SD 16.1.2019). In Jordanien gibt es für diese Regularisierung jedoch bisher keine Abläufe. Im Januar 2019 fanden erstmals organisierte Rückkehrbewegungen einer geringen Anzahl von syrischen Flüchtlingen aus Jordanien am syrisch-jordanischen Jaber-Nassib-Grenzübergang statt. Organisiert wurde die Rückkehr von einem zivilen Komitee, ohne Beteiligung der jordanischen Behörden und auch hier wurden die Namen der Antragsteller den syrischen Behörden zur Rückkehrgenehmigung übermittelt (SD 16.1.2019).

Der Sicherheitssektor kontrolliert den Rückkehrprozess in Syrien. Die Sicherheitsdienste institutionalisieren ein System der Selbstbeschuldigung und Informationsweitergabe über Dritte, um große Datenbanken mit Informationen über reale und wahrgenommene Bedrohungen aus der syrischen Bevölkerung aufzubauen. Um intern oder aus dem Ausland zurückzukehren, müssen Geflüchtete umfangreiche Formulare ausfüllen (EIP 6.2019).

Gesetz Nr. 18 von 2014 sieht eine Strafverfolgung für illegale Ausreise in der Form von Bußgeldern oder Haftstrafen vor. Entsprechend einem Rundschreiben wurde die Bestrafung für illegale Ausreise jedoch aufgehoben und Grenzbeamte sind angehalten Personen, die illegal ausgereist sind, "bei der Einreise gut zu behandeln". Einem syrischen General zufolge müssen Personen, die aus dem Ausland zurückkehren möchten, in der entsprechenden syrischen Auslandsvertretung "Versöhnung" beantragen und unter anderem angeben wie und warum sie das Land verlassen haben und Angaben über Tätigkeiten in der Zeit des Auslandsaufenthaltes etc. machen. Diese Informationen werden an das syrische Außenministerium weitergeleitet, wo eine Sicherheitsüberprüfung durchgeführt wird. Syrer, die über die Landgrenzen einreisen, müssen dem General zufolge dort ein "Versöhnungsformular" ausfüllen (DIS 6.2019).

Syrer benötigen in unterschiedlichen Lebensbereichen eine Sicherheitsfreigabe von den Behörden, so z.B. auch für die Eröffnung eines Geschäftes, eine Eheschließung und Organisation einer Hochzeitsfeier, um den Wohnsitz zu wechseln, für Wiederaufbautätigkeiten oder auch um eine Immobilie zu kaufen (FIS 14.12.2018; vgl. EIP 6.2019). Die Sicherheitsfreigabe kann auch Informationen enthalten, z.B. wo eine Person seit dem Verlassen des konkreten Gebietes aufhältig war. Der Genehmigungsprozess könnte sich einfacher gestalten für eine Person, die in Damaskus aufhältig war, wohingegen der Aufenthalt einer Person in Orten wie Deir ez-Zour zusätzliche Überprüfungen nach sich ziehen kann. Eine Person wird für die Sicherheitserklärung nach Familienmitgliedern, die von der Regierung gesucht werden, befragt, wobei nicht nur Mitglieder der Kern- sondern auch der Großfamilie eine Rolle spielen (FIS 14.12.2018).

Für Personen aus bestimmten Gebieten Syriens erlaubt die Regierung die Wohnsitzänderung aktuell nicht. Wenn es darum geht, wer in seinen Heimatort zurückkehren kann, können einem Experten zufolge ethnisch-konfessionelle aber auch praktische Motive eine Rolle spielen. Genannt werden zum Beispiel Sayyida Zeinab - eine schiitisch dominierte Gegend, in welcher der Sayyida Zeinab Schrein gelegen ist - oder die christliche Stadt Ma'lula in Damaskus-Umland, in die Muslime nicht zurückkehren können (FIS 14.12.2018). Ehemalige Bewohner von Homs müssen auch vier Jahre nach der Wiedereroberung durch die Regierung noch immer eine Sicherheitsüberprüfung bestehen, um in ihre Wohngebiete zurückkehren und ihre Häuser wieder aufbauen zu können (TE 28.6.2018). Syrer, die nach Syrien zurückkehren, können sich nicht an jedem Ort, der unter Regierungskontrolle steht, niederlassen. Die Begründung eines Wohnsitzes ist nur mit Bewilligung der Behörden möglich (ÖB 21.8.2019). Das syrische Innenministerium kündigte Anfang 2019 an, keine Sicherheitserklärung mehr als Voraussetzung für die Registrierung eines Mietvertrages bei Gemeinden zu verlangen (SLJ 29.1.2019; vgl. ÖB 10.5.2019), sondern Mieten werden dort registriert und die Daten an die Sicherheitsbehörden weitergeleitet (ÖB 10.5.2019), sodass die Sicherheitsbehörden nur im Nachhinein Einspruch erheben können. Abgesehen von Damaskus wurde dies bisher nicht umgesetzt (ÖB 21.8.2019). Außerhalb von Damaskus muss die Genehmigung nach wie vor eingeholt werden. Auch hinsichtlich Damaskus wurde berichtet, dass Syrer aus anderen Gebieten nicht erlaubt wurde, sich in Damaskus niederzulassen (ÖB 7.2019).

Eine Reihe von Vierteln in Damaskus bleiben teilweise oder vollständig geschlossen, selbst für Zivilisten, die die Wohnviertel nur kurz aufsuchen wollen, um nach ihren ehemaligen Häusern zu sehen (SD 19.11.2018).

Es ist schwierig Informationen über die Lage von Rückkehrern in Syrien zu erhalten. Regierungsfreundliche Medien berichten über die Freude der Rückkehrer, oppositionelle Medien berichten über Inhaftierungen und willkürliche Tötungen von Rückkehrern. Zudem wollen viele Flüchtlinge aus Angst vor Repressionen der Regierung nicht mehr mit Journalisten (TN 10.12.2018) oder sogar mit Verwandten sprechen, nachdem sie nach Syrien zurückgekehrt sind (Syria Direct 16.1.2019; vgl. TN 10.12.2018). Zur Situation von rückkehrenden Flüchtlingen aus Europa gibt es wohl auch aufgrund deren geringen Zahl keine Angaben (ÖB 7.2019).

Die syrische Regierung führt Listen mit Namen von Personen, die als in irgendeiner Form regierungsfeindlich angesehen werden. Die Aufnahme in diese Listen kann aus sehr unterschiedlichen Gründen erfolgen und sogar vollkommen willkürlich sein. Zum Beispiel kann die Behandlung einer Person an einer Kontrollstelle wie einem Checkpoint von unterschiedlichen Faktoren abhängen, darunter die Willkür des Checkpoint-Personals oder praktische Probleme, wie die Namensgleichheit mit einer von der Regierung gesuchten Person. Personen, die als regierungsfeindlich angesehen werden, können unterschiedliche Konsequenzen von Regierungsseite, wie Festnahme und im Zuge dessen auch Folter, riskieren. Zu als oppositionell oder regierungsfeindlich angesehenen Personen gehören einigen Quellen zufolge unter anderem medizinisches Personal, insbesondere wenn die Person diese Tätigkeit in einem von der Regierung belagerten oppositionellen Gebiet ausgeführt hat, Aktivisten und Journalisten, die sich mit ihrer Arbeit gegen die Regierung engagieren und diese offen kritisieren, oder Informationen oder Fotos von Geschehnissen in Syrien wie Angriffe der Regierung verbreitet haben sowie allgemein Personen, die offene Kritik an der Regierung üben. Einer Quelle zufolge kann es sein, dass die Regierung eine Person, deren Vergehen als nicht so schwerwiegend gesehen wird, nicht sofort, sondern erst nach einer gewissen Zeit festnimmt (FIS 14.12.2018).

Ein weiterer Faktor, der die Behandlung an einem Checkpoint beeinflussen kann, ist das Herkunftsgebiet oder der Wohnort einer Person. In einem Ort, der von der Opposition kontrolliert wird oder wurde, zu wohnen oder von dort zu stammen kann den Verdacht des Kontrollpersonals wecken (FIS 14.12.2018).

Es wird regelmäßig von Verhaftungen von und Anklagen gegen Rückkehrer gemäß der Anti-Terror-Gesetzgebung berichtet, wenn diesen Regimegegnerschaft unterstellt wird. Diese Berichte erscheinen laut Deutschem Auswärtigen Amt glaubwürdig, können im Einzelfall aber nicht verifiziert werden (AA 13.11.2018).

Es muss davon ausgegangen werden, dass syrische Sicherheitsdienste in der Lage sind, exilpolitische Tätigkeiten auszuspähen und darüber zu berichten (AA 13.11.2018; vgl. ÖB 7.2019). Es gibt Berichte, dass syrische Sicherheitsdienste mit Drohungen gegenüber noch in Syrien lebenden Familienmitgliedern Druck auf in Deutschland lebende Verwandte ausüben (AA 13.11.2018). Die syrische Regierung hat Interesse an politischen Aktivitäten von Syrern im Ausland. Eine Gefährdung eines Rückkehrers im Falle von exilpolitischer Aktivität hängt jedoch von den Aktivitäten selbst, dem Profil der Person und von zahlreichen anderen Faktoren, wie dem familiären Hintergrund und den Ressourcen ab, die der Regierung zur Verfügung stehen (BFA 8.2017). Der Sicherheitssektor nützt den Rückkehr- und Versöhnungsprozess, um, wie in der Vergangenheit, lokale Informanten zur Informationsgewinnung und Kontrolle der Bevölkerung zu institutionalisieren. Die Regierung weitet ihre Informationssammlung über alle Personen, die nach Syrien zurückkehren oder die dort verblieben sind, aus. Historisch wurden Informationen dieser Art benutzt, um Personen, die aus jedwedem Grund als Bedrohung für die Regierung gesehen werden, zu erpressen oder zu verhaften (EIP 6.2019).

Es gibt Berichte über Menschenrechtsverletzungen gegenüber Personen, die nach Syrien zurückgekehrt waren (IT 17.3.2018). Hunderte syrische Flüchtlinge wurden nach ihrer Rückkehr verhaftet und verhört - inklusive Geflüchteten, die aus dem Ausland nach Syrien zurückkehrten, IDPs aus Gebieten, die von der Opposition kontrolliert wurden, und Personen, die in durch die Regierung wiedereroberten Gebieten ein Versöhnungsabkommen mit der Regierung geschlossen haben. Sie wurden gezwungen Aussagen über Familienmitglieder zu machen und in manchen Fällen wurden sie gefoltert (TWP 2.6.2019; vgl. EIP 6.2019).

Daten der Vereinten Nationen weisen darauf hin, dass 14% von mehr als 17.000 befragten IDP- und Flüchtlingshaushalten, die im Jahr 2018 zurückgekehrt sind, während ihrer Rückkehr angehalten oder verhaftet wurden, 4% davon für über 24 Stunden. In der Gruppe der (ins Ausland) Geflüchteten wurden 19% verhaftet. Diese Zahlen beziehen sich spezifisch auf den Heimweg und nicht auf die Zeit nach der Rückkehr (EIP 6.2019).

Syrische Flüchtlinge benötigen für die Heimreise üblicherweise die Zustimmung der Regierung und die Bereitschaft vollständige Angaben über ihr Verhältnis zur Opposition zu machen. In vielen Fällen hält die Regierung die im Rahmen der "Versöhnungsabkommen" vereinbarten Garantien nicht ein, und Rückkehrer sind Belästigungen oder Erpressungen durch die Sicherheitsbehörden oder auch Inhaftierung und Folter ausgesetzt, mit dem Ziel Informationen über die Aktivitäten der Flüchtlinge im Ausland zu erhalten (TWP 2.6.2019).

Laut UNHCR ist unter den in Syrien herrschenden Bedingungen eine freiwillige Rückkehr in Sicherheit und Würde derzeit nicht möglich und UNHCR fördert oder unterstützt die Rückkehr von Flüchtlingen nach Syrien weiterhin nicht (UNHCR 18.3.2019).

Quellen:

- AA - Deutsches Auswärtiges Amt (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-svrien-stand-november-2018-13-11-2018. pdf, Zugriff 10.12.2018

- ABC - ABC News - Australian Broadcasting Cooperation (6.10.2018): Syrians return home after years as unwelcome refugees, but there's little cause for celebration, https://www.abc.net.au/news/2018-10-06/syria-refugees-returning-home-from-lebanon/ 10319154, Zugriff 5.3.2019

- BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf. Zugriff 13.12.2018

- CIA - Central Intelligence Agency (3.4.2019): The World Factbook: Syria - Military and Security, https://www.cia.gov/librarv/publications/the-world-factbook/geos/sv.html. Zugriff 6.4.2019

- DIS - Danish Immigration Service (6.2019): Consequences of illegal exit, consequences of leaving civil a servant position without notice and the situation of Kurds in Damascus, per E¬Mail

- DIS/DRC - Danish Immigration Service / Danish Refugee Council (2.2019): Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, https://nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landerapporter/Syrien_FFM_rapport_2019_Final_3101

2019. pdf?la=da&hash=A4D0089B4FB64FC6E812AF6240757FC0097849AC. Zugriff 27.2.2019

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- IT - Irish Times (19.8.2018)

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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