Index
E3L E19104000Norm
AVG §37Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des Landeshauptmannes von Wien gegen den am 23. Oktober 2019 mündlich verkündeten und mit Datum 17. Dezember 2019 ausgefertigten Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien, VGW-151/006/10356/2019-5, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: M L, vertreten durch Mag. Armin Windhager, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5/9), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Die Mitbeteiligte, eine ukrainische Staatsangehörige, verfügte seit 22. Februar 2017 über Aufenthaltstitel „Studierende“ (nunmehr „Studenten“) gemäß § 64 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), zuletzt gültig bis 23. Februar 2019.
Am 19. Februar 2019 stellte sie den verfahrensgegenständlichen Verlängerungsantrag, der mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien (Revisionswerber) vom 26. Juni 2019 abgewiesen wurde. Der Revisionswerber führte begründend aus, die Mitbeteiligte habe trotz Aufforderung keine Studienbestätigung als ordentliche Studentin für das Sommersemester 2019 vorgelegt, die Ergänzungsprüfung aus Deutsch noch nicht abgelegt und keinen Studienerfolgsnachweis nach Maßgabe der studienrechtlichen Bestimmungen erbracht.
2 Das Landesverwaltungsgericht Wien (VwG) verwies mit dem angefochtenen Beschluss die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG an den Revisionswerber zurück. Weiter erklärte es eine ordentliche Revision für unzulässig.
Begründend führte das VwG im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe „unrichtigerweise den vorliegenden Studienerfolg nicht berücksichtigt und wesentliche Sachverhaltsermittlungen, nämlich weitere Ermittlungen gemäß § 64 Abs. 1 Z 1 NAG betreffend die Erfüllung der Voraussetzungen des 1. Teiles mit Ausnahme des § 11 Abs. 2 Z 2, unterlassen.“ Feststellungen zur Erfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen fehlten ebenso wie die gebotene Interessenabwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG. Aufgrund dieser krassen und besonders gravierenden Ermittlungslücken sei jedenfalls von einem Anwendungsfall des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG und der Zulässigkeit der Zurückverweisung als Ausnahme von der meritorischen Entscheidungspflicht der VwG auszugehen (Hinweis auf VwGH 8.11.2018, Ra 2018/22/0232).
3 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Amtsrevision.
4 Die Mitbeteiligte beantragte die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
5 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, das VwG sei von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Behebung und Zurückverweisung nach § 28 VwGVG abgewichen.
6 Die Revision ist zulässig und auch begründet.
7 Nach ständiger hg. Rechtsprechung zu § 28 VwGVG normiert diese Bestimmung einen prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der VwG. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterließ, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte setzte oder bloß ansatzweise ermittelte (vgl. etwa VwGH 25.4.2019, Ra 2019/22/0010, Rn. 6, mwN).
8 Den Verfahrensakten sind unter anderem ein Benützungsvertrag für eine Wohneinheit in einem Studentenwohnheim, der Nachweis von Barguthaben in der Höhe von € 5.831,74, eine die Mitbeteiligte betreffende Beschäftigungsbewilligung, Lohnabrechnungen des C-R H (Arbeitgeber) betreffend ein Nettoeinkommen von € 639,12 im Februar 2019 beziehungsweise € 655,68 im März 2019, eine e-card sowie eine Bestätigung der WGKK, wonach die Mitbeteiligte seit 28. Jänner 2019 nicht geringfügig beschäftigt sei, zu entnehmen. Der Revisionswerber forderte die Mitbeteiligte mit Schreiben vom 20. März 2019 und neuerlich mit Schreiben vom 7. Mai 2019 auf, weitere Unterlagen nachzureichen und verständigte sie mit Schreiben vom 29. Mai 2019 vom Ergebnis der Beweisaufnahme. Da die Mitbeteiligte keine Studienbestätigung als ordentliche Studentin für das Sommersemester 2019 vorgelegt und die Ergänzungsprüfung aus Deutsch noch nicht abgelegt habe, verneinte der Revisionswerber den Nachweis eines Studienerfolgs nach Maßgabe der studienrechtlichen Bestimmungen.
Angesichts dessen kann nicht gesagt werden, der Revisionswerber habe jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen oder lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt. Der vorliegend zu beurteilende Sachverhalt unterscheidet sich somit wesentlich von jenem, der dem vom VwG zitierten hg. Erkenntnis Ra 2018/22/0232 zugrunde lag. Es ist nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund das VwG die Aktualität der vorliegenden Unterlagen betreffend die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht im Zusammenhang mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung überprüfen und einer rechtlichen Beurteilung unterziehen hätte können (vgl. nochmals VwGH Ra 2019/22/0010, mwN).
9 Wenn das VwG dem Revisionswerber vorwirft, „unrichtigerweise den vorliegenden Studienerfolg nicht berücksichtigt“ zu haben, übersieht es einerseits, dass dieser den Studienerfolg in dem der behördlichen Entscheidung (26. Juni 2019) vorangegangenen Studienjahr - somit im Studienjahr 2017/2018 - zu beurteilen hatte. Andererseits legte die Mitbeteiligte das Zeugnis über die Ergänzungsprüfung Deutsch vom 25. Juni 2019 dem Revisionsvorbringen zufolge, das mit den Verfahrensakten im Einklang steht, erstmals mit der Beschwerde vor, sodass es der Revisionswerber auch aus diesem Grund nicht berücksichtigen hätte können.
10 Das VwG begründete die Zurückverweisung der Angelegenheit an den Revisionswerber auch damit, dass die „gebotene Interessenabwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG“ unterblieben sei. Eine Begründung dafür, aus welchem Grund das VwG im Fall des Fehlens einer besonderen Erteilungsvoraussetzung - wie vorliegend eines ausreichenden Studienerfolges - eine Interessenabwägung iSd Art. 8 EMRK für erforderlich hält, fehlt (vgl. etwa VwGH 9.8.2018, Ra 2018/22/0025, mwN, wonach nach ständiger hg. Rechtsprechung zur Rechtslage vor der Richtlinie (EU) 2016/801 vom 11. Mai 2016 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Forschungs- oder Studienzwecken, zur Absolvierung eines Praktikums, zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst, Schüleraustauschprogrammen oder Bildungsvorhaben und zur Ausübung einer Au-pair-Tätigkeit im Fall des Fehlens einer besonderen Erteilungsvoraussetzung keine Interessenabwägung vorzunehmen ist; diese Rechtsfrage wird mit Blick auf Art. 20 Abs. 4 dieser Richtlinie neu zu beurteilen sein). Jedenfalls bleibt offen, aus welchem Grund das VwG eine allenfalls erforderliche Interessenabwägung nicht im Rahmen einer Verhandlung durchführen hätte können.
11 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 29. Juni 2020
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020220038.L00Im RIS seit
01.09.2020Zuletzt aktualisiert am
01.09.2020