TE Vwgh Beschluss 2020/7/1 Ra 2020/14/0266

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Veröffentlicht am 01.07.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des XY, vertreten durch Mag. Thomas Loos, Rechtsanwalt in 4400 Steyr, Schönauerstraße 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Mai 2020, W153 2159278-1/17E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 28. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.

2        Mit Bescheid vom 28. April 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 15. Mai 2020 nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        Zur Begründung ihrer Zulässigkeit wendet sich die Revision gegen die Annahme des BVwG, dass die von ihr im Rahmen der Prüfung der Gewährung von subsidiärem Schutz angenommenen innerstaatlichen Fluchtalternativen, nämlich die Städte Herat und Mazar-e Sharif, sicher erreichbar seien. Es stelle sich die Frage, ob die Abschiebung des Revisionswerbers zulässig sei, wenn zwar eine innerstaatliche Fluchtalternative vorliege, die Abschiebung dorthin aber tatsächlich nicht „direkt“ erfolgen könne, sondern nur über als nicht als sicher eingestufte Gebiete (Kabul). Das BVwG hätte darüber hinaus aktuelle Länderberichte heranziehen müssen, auf Grund derer die Beurteilung möglich sei, ob die genannten Städte trotz der im Entscheidungszeitpunkt aktuellen „COVID-19-Pandemie“, welche auch in Afghanistan zu Sperren des Flug- und Straßenverkehrs sowie der öffentlichen Verkehrsmittel geführt habe, erreichbar seien. Ferner sei das BVwG von der Judikatur zur Abwägung nach § 9 BFA-Verfahrensgesetz abgewichen, weil es nicht berücksichtigt habe, dass der Revisionswerber zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährig gewesen sei.

8        Ausgangspunkt der Prüfung, ob eine grundsätzliche Rechtsfrage vorliegt, ist der festgestellte Sachverhalt. Entfernt sich der Revisionswerber in der Zulässigkeitsbegründung vom festgestellten Sachverhalt, wird schon deshalb keine fallbezogene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt (vgl. VwGH 15.5.2020, Ra 2020/14/0176, mwN).

9        Im konkreten Fall bejahte das BVwG die sichere Erreichbarkeit der von ihm als innerstaatliche Fluchtalternative angenommenen Städte Herat und Mazar-e Sharif. Bei seiner Beurteilung stützte es sich auf die auf Basis eingeholter Berichte zur Situation in Afghanistan getroffenen Feststellungen, wonach die Flughäfen der beiden Städte auch mit internationalen Anbindungen erreichbar seien. Die Revision entfernt sich daher von den Feststellungen, wenn es in der Zulässigkeitsbegründung allein von einer Erreichbarkeit dieser Städte mittels Durchreisemöglichkeit über den Flughafen Kabul ausgeht (vgl. betreffend eine Reiseroute über Kabul im Übrigen VwGH 30.10.2019, Ra 2019/14/0451).

10       Soweit die Revision vorbringt, das BVwG hätte aktuelle Länderberichte heranziehen müssen, um zu prüfen, ob die Erreichbarkeit der genannten Städte - als eine Voraussetzung für das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative - trotz COVID-19-Pandemie gegeben sei, macht sie einen Verfahrensmangel geltend. Es reicht jedoch nach der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, der genannten Verfahrensmängel darzulegen. Die Relevanz des geltend gemachten Verfahrensfehlers ist in konkreter Weise - also fallbezogen- darzulegen (vgl. VwGH 15.4.2019, Ra 2019/01/0119, mwN). Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. etwa VwGH 26.2.2020, Ra 2020/20/0049, mwN).

11       Die Ausführungen in der Zulässigkeitsbegründung werden diesen Anforderungen an eine konkrete Relevanzdarlegung nicht gerecht. Das bloß allgemein gehaltene Vorbringen, dass der Entscheidungszeitpunkt „mitten in der Covid-19-Pandemie“ liege und der pauschale Hinweis auf daraus resultierende Flug- und Straßensperren in Afghanistan, reichen für eine hinreichende Relevanzdarlegung nicht. Insbesondere führt die Revision nicht an, welche konkreten weiteren für den Revisionswerber günstigeren Feststellungen vom BVwG zu treffen gewesen wären. Es geht nicht hervor, ob und in welchem Ausmaß die vom BVwG in seiner Entscheidung angeführten Verkehrswege nach Herat und Mazar-e Sharif betroffen sein sollen.

12       Soweit sich die Revision schließlich gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidung wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 19.2.2020, Ra 2020/14/0001, mwN).

13       Der Revision gelingt es nicht, aufzuzeigen, dass sich das BVwG von den in der Rechtsprechung entwickelten Leitlinien entfernt hätte, oder die fallbezogen vorgenommene Interessenabwägung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise erfolgt wäre.

14       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 1. Juli 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140266.L00

Im RIS seit

26.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

26.08.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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