TE Vwgh Beschluss 2020/7/9 Ra 2020/21/0221

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Veröffentlicht am 09.07.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §34 Abs1
VwGG §63 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant und den Hofrat Dr. Sulzbacher als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des N H in A M, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Jänner 2020, W114 2196274-1/20E, betreffend Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 25. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 18. April 2018 wurde der Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.), kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) sowie eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt VI.).

3        Mit am 30. April 2019 verkündetem und am 13. Mai 2019 schriftlich ausgefertigtem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts wurde die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkte A I. und II.) sowie in Erledigung der Beschwerde die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides aufgehoben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber auf Dauer unzulässig sei (Spruchpunkt A III.) und dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt (Spruchpunkt A IV.).

4        Der gegen die Spruchpunkte A III. und A IV. dieses Erkenntnis erhobenen ordentlichen Amtsrevision des BFA gab der Verwaltungsgerichtshof mit dem Erkenntnis VwGH 5.11.2019, Ro 2019/01/0008, statt, indem er das Erkenntnis im bekämpften Umfang wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufhob.

5        Der Verwaltungsgerichtshof führte begründend im Wesentlichen aus, dass der (damals) etwa dreieinhalbjährige Aufenthalt des Revisionswerbers nicht auf eine solche Verdichtung seiner persönlichen Interessen schließen lasse, dass bereits von „außergewöhnlichen Umständen“ im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gesprochen werden könnte und ihm schon deshalb unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ein dauernder Aufenthalt in Österreich ermöglicht werden müsste. Daran vermöge die Beurteilung der ca. eineinhalb Jahre bestehenden Beziehung des Revisionswerbers zu der „in Österreich aufenthaltsberechtigten“ M. A. als ein schützenswertes Familienleben im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK durch das Bundesverwaltungsgericht nichts zu ändern. Die Feststellungen über die Beziehung des Revisionswerbers zu M. A. reichten nicht aus, um vom Vorliegen einer der Judikatur des EGMR entsprechenden engen und dauerhaften persönlichen Bindung im Sinne einer faktischen Familienbindung ausgehen zu können. Die Feststellungen zum gemeinsamen Familienleben beschränkten sich nämlich darauf, dass der Revisionswerber mit M. A. die Freizeit, insbesondere am Wochenende, verbringe, M. A. im Besonderen auch seinen Wohnsitz in Österreich „maßgeblich gestaltet“ habe und beide in ihrer Freizeit ein Familienleben führten. Ein gemeinsamer Wohnsitz bestehe nicht. Ebenso habe das Verwaltungsgericht keine Feststellungen über das Vorliegen einer Wirtschaftsgemeinschaft getroffen. Was das aufrechte Lehrverhältnis des Revisionswerbers betreffe, so sei dessen Berücksichtigung als öffentliches Interesse zugunsten des Fremden unzulässig; es sei außerdem maßgeblich relativierend, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitraum gesetzt würden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein habe müssen.

6        Zusammenfassend hielt der Verwaltungsgerichtshof fest:

„Indem das BVwG daher insgesamt fallbezogen das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber den festgestellten privaten Interessen des Mitbeteiligten nicht den Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechend gewichtet hat (wobei auch die Berücksichtigung einer Lehre in einem Mangelberuf als öffentliches Interesse zugunsten des Fremden nicht in Betracht kommt, vgl. hierzu nochmals VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003), die Annahme einer faktischen Familienbindung zu der in Österreich aufenthaltsberechtigten M. A. auf nicht ausreichende Feststellungen stützte und gänzlich außer Acht ließ, dass der Mitbeteiligte sämtliche Integrationsschritte in Bewusstsein seines unsicheren Aufenthaltsstatus setzte, hat das BVwG die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet und damit seinen Anwendungsspielraum überschritten.“

7        Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 7. Jänner 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. bis VI. des Bescheides des BFA vom 18. April 2018 als unbegründet ab.

8        Es stellte insbesondere fest, dass sich der Revisionswerber seit „5. Februar 2012“ [gemeint 5. Februar 2018] auf Grund einer Beschäftigungsbewilligung in einer Lehre befinde. Er führe seit ca. zwei Jahren eine Beziehung zu seiner Sprachlehrerin M. A. Die beiden hätten keinen gemeinsamen Wohnsitz und keine gemeinsamen Kinder. Sie verbrächten insbesondere am Wochenende und an Feiertagen die Freizeit miteinander und „führ(t)en eine Beziehung“. Eine eheähnliche Beziehung in Form einer engen und dauerhaften persönlichen Bindung, die eine Familienbindung im Sinn des Art. 8 EMRK begründe, könne nicht festgestellt werden. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass eine Wirtschaftsgemeinschaft bestehe.

9        In rechtlicher Hinsicht folgerte das Bundesverwaltungsgericht - soweit für das vorliegende Revisionsverfahren relevant -, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des Revisionswerbers sein persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiege und durch die Rückkehrentscheidung daher nicht Art. 8 EMRK verletzt werde.

10       Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

11       Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (u.a.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG „nicht zur Behandlung eignen“, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

12       An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

13       Unter diesem Gesichtspunkt rügt die - nach Ablehnung der Behandlung und Abtretung der Verfassungsgerichtshofsbeschwerde (VfGH 26.3.2020, E 511/2020) ausgeführte - Revision das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung. Seit der im ersten Rechtsgang durchgeführten Verhandlung (am 30. April 2019) seien beinahe acht Monate vergangen. Eine maßgebliche, in diesem Zeitraum erfolgte Änderung bestehe darin, dass die Lebensgefährtin des Revisionswerbers, M. A., nunmehr seit dem 10. Dezember 2019 mit Nebenwohnsitz an seiner Adresse gemeldet sei (laut Meldebestätigung ist sie österreichische Staatsbürgerin). In einem Schreiben an das Bundesverwaltungsgericht vom 18. Dezember 2019 sei außerdem begründet worden, warum bislang kein gemeinsamer Hauptwohnsitz bestehe (nämlich wegen der Betreuung der Tochter der Lebensgefährtin an ihrem Hauptwohnsitz im Haus der Eltern der Lebensgefährtin). Zum Vorliegen einer Wirtschaftsgemeinschaft habe das Bundesverwaltungsgericht kein Parteiengehör eingeräumt. Tatsächlich bestehe eine Wirtschaftsgemeinschaft: So seien zB ein Auto und ein Sofa gemeinsam angeschafft und bezahlt worden, und es werde abwechselnd eingekauft und Essen zubereitet. M. A. übernachte regelmäßig beim Revisionswerber und habe von Beginn an einen eigenen Schlüssel zu seiner Wohnung besessen. Sie habe zwei Lebensmittelpunkte: einerseits bei ihrem Lebenspartner, dem Revisionswerber, andererseits bei ihrer Tochter.

14       Diesem Vorbringen ist entgegen zu halten, dass das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 63 Abs. 1 VwGG an die im aufhebenden Erkenntnis VwGH 5.11.2019, Ro 2019/01/0008, geäußerte Rechtsanschauung gebunden war. Der Verwaltungsgerichtshof befand in diesem Erkenntnis folgende Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts nicht als ausreichend, um von einem durch Art. 8 EMRK geschützten Familienleben und letztlich von einer zu Gunsten des Revisionswerbers ausschlagenden Interessenabwägung ausgehen zu können:

„Aus diesem intensiven Sprachtraining hat sich eine Beziehung zu seiner Sprachlehrerin, M. A. ergeben. Der Beschwerdeführer und M. A. führen eine Beziehung, wenngleich sie keinen gemeinsamen Wohnsitz haben, nicht verheiratet sind und deren Beziehung auch nicht eingetragen ist. Sie haben keine gemeinsamen Kinder. Sie verbringen insbesondere am Wochenende die Freizeit miteinander und führen in ihrer Freizeit ein Familienleben. Die Tochter von M. A., als auch die Vermieterin des BF haben übereinstimmend und glaubhaft die Beziehung zwischen M. A. und dem BF bestätigt. M. A. hat im Besonderen auch den Wohnsitz des BF in Österreich maßgeblich mitgestaltet. Sowohl der Beschwerdeführer als auch M. A. hinterlassen einen äußerst harmonischen Eindruck.“

15       Es kann dahingestellt bleiben, ob die darüber hinausgehende Feststellung eines Nebenwohnsitzes der M. A. beim Revisionswerber und (von Elementen) einer Wirtschaftsgemeinschaft dazu führen würde, dass die Beziehung in den Schutzbereich des Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK und nicht nur in jenen des Privatlebens fiele. Die genannten Gesichtspunkte könnten nämlich unabhängig davon nichts daran ändern, dass die Beziehung - wie der Verwaltungsgerichthof in seinem aufhebenden Erkenntnis hervorhob - im Bewusstsein des unsicheren Aufenthaltsstatus des Revisionswerbers eingegangen wurde und - unter Beachtung der tragenden Entscheidungsgründe des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes - bei einem erst wenige Jahre (zum Zeitpunkt der ersten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts dreieinhalb Jahre, nunmehr etwas über vier Jahre) dauernden Inlandsaufenthalt nicht derart ins Gewicht fällt, dass sie insgesamt zu einem Überwiegen der persönlichen Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung führt.

16       Angesichts dessen durfte das Bundesverwaltungsgericht einerseits von einem geklärten Sachverhalt ausgehen und gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG von der Durchführung einer weiteren Beschwerdeverhandlung absehen; andererseits fehlt der behaupteten Verletzung des Parteiengehörs die Relevanz für den Ausgang des Verfahrens.

17       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 9. Juli 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210221.L00

Im RIS seit

01.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

01.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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