TE Vwgh Erkenntnis 1997/12/18 96/11/0080

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Veröffentlicht am 18.12.1997
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §38;
KFG 1967 §66 Abs2 liti;
KFG 1967 §73 Abs3;
StVO 1960 §20 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde der B in W, vertreten durch Dr. Alfred Fürst, Rechtsanwalt in Wien I, Stock im Eisenplatz 3, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 19. Februar 1996, Zl. MA 65-8/10/96, betreffend vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 74 Abs. 1 iVm § 73 Abs. 3 dritter Satz KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B mit Wirkung ab 19. Dezember 1995 (Zustellung des Entziehungsbescheides der Bundespolizeidirektion Wien vom 14. Dezember 1995) für zwei Wochen entzogen.

In ihrer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend; sie beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie den Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde stellt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 66 Abs. 2 lit. i KFG 1967 hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 zu gelten, wenn jemand im Ortsgebiet die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 40 km/h überschritten hat oder außerhalb des Ortsgebietes die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 50 km/h überschritten hat und die Überschreitung mit einem technischen Hilfsmittel festgestellt worden ist. Nach § 73 Abs. 3 dritter Satz KFG 1973 ist bei der erstmaligen Begehung einer Übertretung im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. i, sofern die Übertretung nicht unter besonders gefährlichen Verhältnissen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern begangen worden ist, die im Abs. 2 angeführte Zeit mit zwei Wochen, bei der zweiten Begehung einer solchen Übertretung mit sechs Wochen festzusetzen; eine Entziehung der Lenkerberechtigung gemäß § 66 Abs. 2 lit. i darf erst ausgesprochen werden, wenn das Strafverfahren wegen der Geschwindigkeitsübertretung in erster Instanz durch Strafbescheid abgeschlossen ist.

Die belangte Behörde ging davon aus, daß die Beschwerdeführerin am 4. Dezember 1995 mit dem von ihr gelenkten PKW die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit um ca. 50 km/h überschritten habe. Die Geschwindigkeitsmessung sei durch Nachfahren unter Einhaltung eines gleichbleibenden Abstandes mit einem Streifenkraftwagen und Ablesen der Fahrgeschwindigkeit vom nicht geeichten, aber voll funktionsfähigen Tachometer erfolgt. Die Beschwerdeführerin sei deshalb mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom 3. Jänner 1996 nach § 99 Abs. 3 lit. a iVm § 20 Abs. 2 StVO 1960 rechtskräftig bestraft worden. Damit stehe die Begehung dieser eine bestimmte Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. i KFG 1967 bildenden strafbaren Handlung durch die Beschwerdeführerin bindend fest, womit sich eine nähere Begründung in der Schuldfrage erübrige.

Die Beschwerdeführerin bringt zu Recht vor, daß der erstinstanzliche Entziehungsbescheid im Lichte des § 73 Abs. 3 letzter Halbsatz KFG 1967 "verfrüht" ergangen ist. "Durch Strafbescheid abgeschlossen" im Sinne dieser Bestimmung ist nämlich ein Strafverfahren in erster Instanz erst mit Vorliegen eines Straferkenntnisses oder einer rechtskräftigen Strafverfügung. Diese Voraussetzung lag bei Erlassung des erstinstanzlichen Entziehungsbescheides (am 19. Dezember 1995) nicht vor, weil die Strafverfügung vom 5. Dezember 1995 infolge eines Einspruchs der Beschwerdeführerin außer Kraft getreten war. Allerdings hätte der "verfrühte" Entziehungsausspruch - bei erwiesenem Vorliegen einer bestimmten Tatsache nach § 66 Abs. 2 lit. i KFG 1967 (darauf wird noch einzugehen sein) - letztlich keine Verletzung der Beschwerdeführerin in einem subjektiven Recht bewirkt. Ihr subjektives Recht besteht im gegebenen Zusammenhang darin, daß die Lenkerberechtigung nur bei Vorliegen der besagten bestimmten Tatsache entzogen wird, nicht jedoch darin, daß der erstinstanzliche Entziehungsbescheid von der belangten Behörde als Berufungsbehörde aufgehoben und gleichzeitig - mit Wirkung ab Erlassung des Berufungsbescheides - neuerlich eine zweiwöchige Entziehung der Lenkerberechtigung angeordnet wird. Denn damit wäre der Beschwerdeführerin die Lenkerberechtigung aus Anlaß des gegenständlichen Vorfalles im Ergebnis für vier Wochen entzogen worden (er war aufgrund des sofort wirksamen erstinstanzlichen Bescheides bereits für zwei Wochen entzogen und wäre mit Erlassung des angefochtenen Bescheides neuerlich für zwei Wochen entzogen worden).

Was die von der belangten Behörde angenommene Bindung an das rechtskräftige Straferkenntnis vom 3. Jänner 1996 anlangt, ist festzuhalten, daß sich dessen bindende Wirkung lediglich auf den Umstand bezieht, daß die Beschwerdeführerin eine Geschwindigkeitsüberschreitung begangen hat, also schneller als 50 km/h gefahren ist. In Ansehung des Ausmaßes der Geschwindigkeitsüberschreitung besteht hingegen eine solche Bindungswirkung nicht, weil dieses nicht Tatbestandselement der in Rede stehenden Verwaltungsübertretung ist (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Mai 1996, Zl. 96/11/0111). Die belangte Behörde hat somit insoweit die Rechtslage verkannt. Sie hielt deshalb eine nähere Begründung für das angenommene, von der Beschwerdeführerin ausdrücklich bestrittene Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung für entbehrlich. Die insoweit fehlende Begründung kann schon deshalb nicht durch den bloßen Hinweis auf die "beigeschlossene Anzeigeschrift", aus der die wesentlichen Momente des gegenständlichen Vorfalles hervorgingen, ersetzt werden, weil eine Anzeige naturgemäß keine Beweiswürdigung im Sinne des § 60 AVG enthält. Eine solche war aber angesichts des Bestreitens des - mittels eines ungeeichten Tachometers festgestellten - Ausmaßes der Geschwindigkeitsüberschreitung durch die Beschwerdeführerin unter Berufung auf die örtlichen Gegebenheiten ebenso geboten wie die Aufnahme von Beweisen zur Klärung der strittigen Frage (vgl. das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 96/11/0038). Die belangte Behörde hat aufgrund des besagten Verkennens der Rechtslage Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft einerseits die geltend gemachte Umsatzsteuer (sie ist bereits in dem durch diese Verordnung festgesetzten Pauschbetrag für Schriftsatzaufwand enthalten) und andererseits Stempelgebühren für Beilagen, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich waren.

Schlagworte

Feststellen der Geschwindigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996110080.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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