TE Vwgh Beschluss 2020/7/22 Ra 2020/03/0049

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Veröffentlicht am 22.07.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §56
AVG §58 Abs1
B-VG Art135 Abs2
B-VG Art135 Abs3
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art87 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger und die Hofräte Dr. Lehofer und Mag. Nedwed als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des Mag. DDr. J T in S, vertreten durch Dr. Eva M. Schulze, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Rudolfsplatz 4, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Oktober 2019, Zl. W122 2211848-1/3E, betreffend eine Angelegenheit der Geschäftsverteilung des Verwaltungsgerichts Wien (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Präsident des Verwaltungsgerichts Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber ist Richter des Verwaltungsgerichts Wien. Die Angelegenheit, die letztlich zu der hier vorliegenden Revision führte, nahm ihren Ausgang bei einem Beschwerdeschriftsatz, der dem Revisionswerber nach Protokollierung in der Einlaufstelle des Verwaltungsgerichts Wien zur Behandlung vorgelegt wurde. Der Revisionswerber vertrat die Auffassung, dass in diesem Beschwerdeschriftsatz Beschwerden gegen zwei voneinander unabhängige Rechtsakte enthalten seien, und dass damit zwei Rechtssachen vorlägen, die auch nicht als „Annexsachen“ anzusehen seien (Annexsachen sind Rechtssachen, die mit einer anhängigen oder anhängig gewesenen Rechtssache im sachlichen Zusammenhang stehen und die deshalb - mit einer neuen Geschäftszahl versehen - abweichend von den allgemeinen Grundsätzen der Zuweisung von Rechtssachen - wie eine neue Rechtssache demselben Richter zugewiesen werden, dem die anhängige oder anhängig gewesene Rechtssache zugewiesen worden ist). Nach Auffassung des Revisionswerbers hätten daher „vom Protokoll zwei volle Geschäftszahlen vergeben werden müssen.“

2        Nach den Ausführungen des Revisionswerbers in der Revision sei in der Folge die zunächst vergebene zweite Geschäftszahl - bei der es sich um eine Geschäftszahl für einen Annexfall gehandelt habe - „vom Protokoll“ storniert worden, dies auf „mittelbar mündliche Weisung“ des Präsidenten des Verwaltungsgerichts Wien, der damit indirekt zum Ausdruck gebracht habe, dass er „vom Revisionswerber die Behandlung der gegenständlichen Geschäftssache im Rahmen der Geschäftszahl [...] fordere“.

3        Mit Schreiben vom 4. Oktober 2018, gerichtet an den „Präsidenten des Verwaltungsgerichts Wien in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Geschäftsverteilungs-Ausschusses des Verwaltungsgerichts Wien“ stellte der Revisionswerber als Richter des Verwaltungsgerichts Wien daraufhin einen „Antrag auf Feststellung der Unzuständigkeit der Geschäftsabteilung 42 zur Entscheidung über die Beschwerde der [S.] gegen den Spruchpunkt II der Bescheidausfertigung des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 22. Bezirk, vom 19.6.2018 GZ [...].“ (im Original durchgehend in Großbuchstaben und fett gedruckt).

4        In der Sachverhaltsdarlegung der vorliegenden Revision führt der Revisionswerber dazu aus, dass für ihn Klärungsbedarf bestanden habe, ob die Rechtssache zu Recht zur Erledigung „im Rahmen der Geschäftszahl [...]“ zugewiesen worden sei. Ein Klärungsbedarf habe für den Revisionswerber insbesondere auch deshalb bestanden, da „durch die mittelbar mündliche Weisung an das Protokoll“ der Revisionswerber gerichtsintern „mit der Erledigung der gegenständlichen Geschäftssache im Rahmen der Geschäftszahl [...] belastet“ worden sei, und da „aufgrund dieser Weisung“ fest gestanden sei, dass diese Geschäftssache keinem anderen Richter zugewiesen werden würde. Damit hätte der Revisionswerber aber „im Falle der Nichterfüllung der Erwartung des Präsidenten disziplinarrechtliche, amtshaftungsrechtliche, dienstrechtliche und strafrechtliche Konsequenzen zu gewärtigen.“ Schon diese zu befürchtenden rechtlichen Konsequenzen der Nichtbefolgung „der Rechtsauslegung und Anordnung des Präsidenten im Falle des Zutreffens der Rechtsauslegung des Präsidenten“ indizierten „ein subjektives öffentliches rechtliches Interesse des Revisionswerbers an der hoheitlichen Behandlung seines an den Geschäftsverteilungsausschuss (und nicht an den Präsidenten des Verwaltungsgerichts Wien) gerichteten Feststellungsantrags vom 2.10.2018“ [laut vorgelegten Akten: vom 4. Oktober 2018].

5        Mit Schreiben vom 10. Oktober 2018 teilte der Präsident des Verwaltungsgerichts Wien unter Bezugnahme auf den Antrag des Revisionswerbers diesem mit, dass entgegen dessen Meinung kein „Feststellungsbeschluss“ zu erlassen sei.

6        Gegen diese Erledigung erhob der Revisionswerber einerseits Revision an den Verwaltungsgerichtshof, die mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. November 2018, Ro 2018/03/0049, zurückgewiesen wurde. Andererseits erhob der Revisionswerber gegen diese Erledigung auch - da „nicht auszuschließen“ sei, „dass der Verwaltungsgerichtshof diese Entscheidung des Präsidenten des Verwaltungsgerichts Wien nicht der kollegialen Justizverwaltung, sondern der monokratischen Justizverwaltung“ zuordne - Beschwerde, die nach Beschwerdevorentscheidung durch den Präsidenten des Verwaltungsgerichtes Wien (in der die Beschwerde „mangels Vorliegens eines Bescheides gemäß § 14 VwGVG iVm § 4a VGW-DRG“ zurückgewiesen wurde), dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt wurde.

7        In der Beschwerde erachtete sich der Revisionswerber „in seinem subjektiv öffentlichen Recht, nur im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben (insbesondere des § 7 Abs. 2 i.V.M. § 18 VGW-G und der rechtmäßig beschlossenen und ordnungsgemäß kundgemachten Geschäftsverteilung des Verwaltungsgerichts Wien) als Richter mit der Behandlung von Geschäftssachen betraut werden zu dürfen, und nur im Fall einer rechtmäßigen Zuteilung einer Geschäftssache zu einer bestimmten Geschäftszahl der Gerichtsabteilung 42 zur Behandlung dieser Geschäftssache verpflichtet werden zu dürfen“, verletzt.

8        Mit dem nun angefochtenen Beschluss hat das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers zurückgewiesen und die Beschwerdevorentscheidung bestätigt. Weiters sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist.

9        Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen - unter Hinweis auf VwGH 21.11.2018, Ro 2018/03/0049 - aus, dass das vom Revisionswerber behauptete subjektive Recht auf Prüfung seiner Zuständigkeit, eine bestimmte Angelegenheit erledigen zu müssen, nicht bestehe. Bereits aus diesem Grunde sei der Beschwerde keine Folge zu geben. Bei der gegenständlichen Erledigung handle es sich zudem nicht um einen Bescheid, sondern um ein bloßes Informationsschreiben, was unter Hinweis auf einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes näher ausgeführt wird.

10       Gegen diesen Beschluss erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluss vom 24. Februar 2020, E 4231/2019-16, die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie mit Beschluss vom 27. März 2020, E 4231/2019-18, dem Verwaltungsgerichtshof ab.

11       In seiner daraufhin erhobenen außerordentlichen Revision beantragt der Revisionswerber, der Verwaltungsgerichtshof möge in der Sache entscheiden, in eventu den angefochtenen Beschluss wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufheben. Weiters beantragt der Revisionswerber die Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf ein vom Verwaltungsgericht Wien gestelltes Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH (C-256/19) und regt die Stellung eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH durch den Verwaltungsgerichtshof an.

12       Die Revision ist nicht zulässig.

13       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

14       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

15       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

16       In den Ausführungen zur Zulässigkeit der Revision behauptet der Revisionswerber zunächst, das Bundesverwaltungsgericht habe mehrfach gegen gesetzliche Vorgaben und die zu diesen Vorgaben ergangene ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verstoßen. So habe das Bundesverwaltungsgericht einen alle Merkmale eines Bescheids aufweisenden Rechtsakt als Nicht-Bescheid qualifiziert. Weiters habe das Bundesverwaltungsgericht eine mit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu vereinbarende Rechtsansicht „zur Frage des Rechtsanspruchs eines Antragstellers im Falle der Stellung eines Antrags bei einem hoheitlichen Vollzugsorgan“ vertreten. Sodann habe das Bundesverwaltungsgericht - im Widerspruch zur ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - verkannt, dass die Behörde „Präsident des Verwaltungsgerichts Wien“ nicht zum Abspruch über den vom Revisionswerber an den Geschäftsverteilungsausschuss gerichteten Antrag zuständig gewesen sei; das Bundesverwaltungsgericht hätte daher den bekämpften Bescheid ersatzlos zu beheben gehabt. Zu diesen Ausführungen werden jeweils zahlreiche mit Datum und Geschäftszahl bezeichnete Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes angeführt, ohne dass allerdings dargelegt wird, inwieweit der vorliegende Sachverhalt vergleichbar wäre mit den Sachverhalten, die der bezeichneten Rechtsprechung zugrunde lagen, sodass diese Ausführungen schon deshalb nicht geeignet sind, die Zulässigkeit der Revision darzutun. Im Übrigen setzt sich dieses Zulässigkeitsvorbringen nicht mit der tragenden Begründung des angefochtenen Beschlusses auseinander, wonach die Beschwerde schon deshalb zurückzuweisen sei, weil kein subjektives Recht des Richters „auf separate Prüfung der Geschäftsverteilungskonformität bzw. seiner Gerichtszuständigkeit“ besteht.

17       Nur der Vollständigkeit halber ist zudem darauf hinzuweisen, dass die vom Revisionswerber angefochtene Erledigung - entgegen den Ausführungen des Revisionswerbers - keineswegs „alle Merkmale eines Bescheids“ aufweist. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist Voraussetzung für die Qualifikation eines Verwaltungsakts als Bescheid, dass es im Willen des Organs liegt, den Akt in Ausübung der hoheitlichen Gewalt zu setzen, und das Organ diesen Willen entsprechend zum Ausdruck bringt (vgl. VwGH 6.9.1995, 95/12/0195, mwN). Auf die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid kann nur dann verzichtet werden, wenn sich aus dem Spruch eindeutig ergibt, dass die Behörde nicht nur einen individuellen Akt der Hoheitsverwaltung gesetzt hat, sondern auch normativ rechtsgestaltend oder rechtsfeststellend entschieden hat. Der normative Inhalt muss sich aus der Formulierung der Erledigung, also in dem Sinn auch aus deren Form ergeben. Die Wiedergabe einer Rechtsansicht, von Tatsachen, der Hinweis auf Vorgänge im Verfahren, Rechtsbelehrungen und dergleichen können nicht als verbindliche Erledigung und damit als Spruch im Sinn des § 58 Abs. 1 AVG gewertet werden (vgl. etwa VwGH 15.12.1977, 0934/73, VwSlg. 9458 A (verstärkter Senat)). Mangelt es einer Erledigung an der für Bescheide vorgesehenen Form, so muss deutlich hervorgehen, dass die Behörde dennoch den objektiv erkennbaren Willen hatte, mit der Erledigung gegenüber einer individuell bestimmten Person die normative Regelung einer konkreten Verwaltungsangelegenheit zu treffen (vgl. VwGH 19.12.2001, 2001/12/0053). An eine nicht ausdrücklich als Bescheid bezeichnete behördliche Erledigung ist hinsichtlich der Wertung als Bescheid ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. VwGH 18.10.2000, 95/17/0180).

18       Die vom Revisionswerber mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht bekämpfte Erledigung war weder als Bescheid bezeichnet, noch ihrem Aufbau nach als Bescheid in Spruch, Begründung und Rechtsmittelbelehrung gegliedert, und es ließ sich aus ihr auch nicht entnehmen, dass der Präsident des Verwaltungsgerichtes Wien damit eine normative Regelung einer konkreten Verwaltungsangelegenheit hatte treffen wollen. Vielmehr erklärte der Präsident des Verwaltungsgerichts Wien in diesem Schreiben ausdrücklich, dass er dem Revisionswerber etwas „mitteile“ (nämlich dass seiner Ansicht nach die Gerichtsabteilung des Revisionswerbers zur Erledigung der verfahrensgegenständlichen Sache zuständig sei), und er beendete das Schreiben mit dem Ausdruck der Hoffnung, damit die beim Revisionswerber bestehenden Unklarheiten beseitigt zu haben. Schließlich tritt hinzu, dass selbst der Revisionswerber der Auffassung ist, dass der Präsident des Verwaltungsgerichts Wien zu einer Entscheidung über den von ihm eingebrachten Antrag nicht zuständig sei. Es fehlt damit jeder Anhaltspunkt dafür, dass es sich bei der vom Revisionswerber mit Beschwerde bekämpften Erledigung des Präsidenten des Verwaltungsgerichts Wien um einen Bescheid handeln würde.

19       Zum weiteren Zulässigkeitsvorbringen des Revisionswerbers, das sich umfassend damit befasst, dass ihm seiner Ansicht nach mit der von ihm bekämpften Erledigung des Präsidenten des Verwaltungsgerichts Wien eine Handlungs- oder Rechtspflicht auferlegt worden sei und er daher in subjektiv-öffentlichen Rechten betroffen und potentiell verletzt sei, genügt es auf den - denselben Revisionswerber und dieselbe angefochtene Erledigung des Präsidenten des Verwaltungsgerichts Wien betreffenden - Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. November 2018, Ro 2018/03/0049, zu verweisen. In diesem Beschluss, auf dessen nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass das Verwaltungsgericht und seine Organwalter auch bezüglich der Prüfung der gerichtlichen Zuständigkeit grundsätzlich nicht über subjektiv-öffentliche Rechte, sondern über behördliche Zuständigkeiten verfügen.

20       Das Bundesverwaltungsgericht ist im angefochtenen Beschluss daher zutreffend zum Ergebnis gekommen, dass der Revisionswerber durch die angefochtene Erledigung nicht in dem von ihm geltend gemachten „subjektiv öffentlichen Recht, nur im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben [...] als Richter mit der Behandlung von Geschäftssachen betraut werden zu dürfen, und nur im Fall einer rechtmäßigen Zuteilung einer Geschäftssache zu einer bestimmten Geschäftszahl der Gerichtsabteilung 42 zur Behandlung dieser Geschäftssache verpflichtet werden zu dürfen“, verletzt sein konnte. Da das Bundesverwaltungsgericht damit nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist, erweist sich die Revision auch unter diesem Gesichtspunkt als unzulässig.

21       Der Revisionswerber vertritt in seinem Zulässigkeitsvorbringen weiters die Auffassung, durch den angefochtenen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts werde „im Ergebnis die Unabhängigkeit der Justiz in ihren Grundfesten ausgehebelt, zumal es nach dieser Rechtsansicht im Belieben der weisungsabhängigen Verwaltungsbehörde ‚Präsident‘ bzw. des diesem weisungsbefugten obersten Organs bzw. jeder Zugriff auf Gerichtspersonal habenden Behörde liegt, alle generell-abstrakten Rechtsakte der kollegialen Justizverwaltung auszuhebeln und jedenfalls im Einzelfall jede Willkürentscheidung zu treffen“ (was der Revisionswerber umfänglich weiter ausführt). Dazu ist einerseits festzuhalten, dass es im angefochtenen Beschluss keinen Ansatzpunkt für die vom Revisionswerber dem Bundesverwaltungsgericht hier unterstellte Rechtsansicht gibt. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass der Revisionswerber offenbar einem grundlegenden Irrtum zu seiner Rechtsstellung als Verwaltungsrichter unterliegt.

22       Gemäß Art. 87 Abs. 1 B-VG sind die Richter in Ausübung ihres richterlichen Amtes unabhängig. Gemäß Art. 87 Abs. 2 B-VG befindet sich ein Richter in Ausübung seines richterlichen Amtes „bei der Besorgung aller ihm nach dem Gesetz und der Geschäftsverteilung zustehenden gerichtlichen Geschäfte, mit Ausschluss der Justizverwaltungssachen, die nicht nach Vorschrift des Gesetzes durch Senate oder Kommissionen zu erledigen sind.“ Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben werden für Mitglieder des Verwaltungsgerichts Wien in § 7 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über das Verwaltungsgericht Wien (VGWG) wiederholt.

23       Der dem (für die „ordentliche“ Gerichtsbarkeit geltenden) Art. 87 Abs. 3 B-VG nachgebildete Art. 135 Abs. 3 B-VG statuiert auch für die Verwaltungsgerichte den „Grundsatz der festen Geschäftsverteilung“. Dieser Grundsatz gilt für die Aufteilung der von den Verwaltungsgerichten zu besorgenden Geschäfte „auf die Einzelrichter und Senate“ (Art. 135 Abs. 2 B-VG). Er steht - worauf der Verwaltungsgerichtshof auch bereits in dem den Revisionswerber betreffenden Beschluss vom 21. November 2018, Ra 2018/03/0049, hingewiesen hat - (unter anderem) auch im engen Zusammenhang mit dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter im Sinne des Art. 83 Abs. 2 B-VG (VwGH 29.6.2017, Ra 2017/21/0032; OGH 18.2.2015, 3 Ob 188/14i). Der Grundsatz der festen Geschäftsverteilung bedeutet, dass die Verteilung der Geschäfte auf die einzelnen Spruchkörper durch Regeln, nämlich durch den Beschluss über die Geschäftsverteilung, von vornherein feststehen muss, dass in der Folge niemand Einfluss auf die Verteilung der Geschäfte nehmen kann und dass ferner die Einhaltung dieser Regeln nachprüfbar sein muss (ausgenommen sind lediglich die in Art. 135 Abs. 3 B-VG vorgesehenen besonderen Fälle der Verhinderung oder Überlastung des Mitglieds eines Verwaltungsgerichts).

24       Entgegen der vom Revisionswerber offenbar vertretenen Rechtsansicht kann er als Richter daher weder durch eine vom Revisionswerber angenommene (und zugleich ohnehin als rechtswidrig oder auch nichtig angesehene) „Weisung“ des Präsidenten des Verwaltungsgerichtes, noch durch einen vom Revisionswerber beantragten „Feststellungsbescheid“ oder „Feststellungsbeschluss“ des Geschäftsverteilungsausschusses „mit der Behandlung von Geschäftssachen betraut“ werden (der Fall einer Abnahme nach Art. 135 Abs. 3 B-VG, die gemäß § 18 Abs. 3 VGWG durch den Geschäftsverteilungsausschuss vorzunehmen wäre, ist für das vorliegende Verfahren nicht relevant). Ob ein Richter nach der Geschäftsverteilung für die Behandlung einer Rechtssache zuständig ist, hat er vielmehr von Amts wegen bei Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Gerichtsbesetzung wahrzunehmen (vgl. VwGH 9.7.1984, 84/10/0122; vgl. im Übrigen zur „Unzuständigkeitseinrede“ nach der Geschäftsverteilung des Verwaltungsgerichts Wien das - das vergleichbare Instrument der „Unzuständigkeitsanzeige“ nach der Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichts betreffende - Erkenntnis VwGH 29.6.2017, Ra 2017/21/0032).

25       Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, in welcher Weise der Revisionswerber durch die Erledigung des Präsidenten oder auch durch die Zurückweisung der gegen diese Erledigung erhobenen Beschwerde in seiner Unabhängigkeit beeinträchtigt sein könnte.

26       Abschließend ist überdies anzumerken, dass der Revisionswerber ohnehin nicht - zumindest nicht durchgängig - die Auffassung vertreten hat, zur Erledigung der verfahrensgegenständlichen Rechtssachen nicht zuständig zu sein, hat er doch in seiner Unzuständigkeitseinrede den Antrag gestellt, „das gegenständliche Verfahren mit einer vollen Zahl zu protokollieren und allenfalls im Wege der Verfahrenskonzentration“ seiner Geschäftsabteilung zuzuweisen. Er ist damit davon ausgegangen, dass ihm die Sache - unter Zugrundelegung seiner Rechtsansicht, dass es sich um keine Annexsache handle - nach den Regeln über die Zuweisung im Falle der Verfahrenskonzentration (wonach Rechtssachen derselben Protokollgruppen, die sich auf denselben Sachverhalt gründen, jenem Richter zuzuweisen sind, bei dem die erste Rechtssache anhängig geworden und noch nicht abgeschlossen ist) zugewiesen werden könnte (und damit - dem Grundsatz der festen Geschäftsverteilung entsprechend - auch zugewiesen werden müsste).

27       Für den Revisionswerber steht offenbar die Frage im Vordergrund, unter welcher Geschäftszahl eine Rechtssache protokolliert ist. So stößt er sich, wie aus seinen Revisionsausführungen hervorgeht, nicht daran, dass er die strittige Rechtssache zu behandeln habe, sondern dass dies „im Rahmen der Geschäftszahl [...]“ (und nicht unter zwei verschiedenen Geschäftszahlen) zu geschehen hätte. Diese Frage betrifft allerdings nicht seine Zuständigkeit, wird diese doch durch die Geschäftsverteilung begründet und nicht durch den im Bereich der Justizverwaltung liegenden Prozess der Erfassung und Protokollierung von Beschwerden (und der Zuweisung von Geschäftszahlen). Auch ob es sich bei einer Rechtssache um eine „Annexsache“ handelt oder nicht und welche „Wertigkeit“ derartigen Rechtssachen gegebenenfalls im Rahmen der - in kollegialer Justizverwaltung durch den Geschäftsverteilungsausschuss vorzunehmenden - Beschlussfassung über die jeweils nächste Geschäftsverteilung zugemessen wird, berührt nicht die Frage der Zuständigkeit zur Erledigung einer bestimmten Rechtssache nach der Geschäftsverteilung.

28       Schließlich ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb der Revisionswerber die Auffassung vertritt, er hätte „im Falle der Nichterfüllung der Erwartung des Präsidenten“ disziplinarrechtliche, amtshaftungsrechtliche (gemeint wohl eine Inanspruchnahme im Wege der Organhaftung), dienstrechtliche und strafrechtliche Konsequenzen zu gewärtigen, da die Frage, ob er seine Dienstpflichten erfüllt, nicht anhand allfälliger (vom Revisionswerber angenommener) „Erwartungen“ des Präsidenten zu beurteilen ist, sondern ausschließlich aufgrund des Gesetzes.

29       Soweit der Revisionswerber beantragt, der Verwaltungsgerichtshof möge das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Vorabentscheidungsverfahren C-256/19, S.A.D. Maler und Anstreicher OG, aussetzen, genügt der Hinweis darauf, dass der EuGH mit Beschluss vom 2. Juli 2020 ausgesprochen hat, dass dieses vom Verwaltungsgericht Wien - durch den Revisionswerber als Richter - gestellte Vorabentscheidungsersuchen unzulässig ist.

30       Schließlich regt der Revisionswerber noch an, der Verwaltungsgerichtshof möge ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union stellen, im Wesentlichen zur Frage, ob ein effektiver Rechtsschutz im Sinne des Art. 47 GRC „im hier vorliegenden Kontext“ vorliege und ob Österreich seine unionsrechtliche Verpflichtung aus Art. 19 Abs. 1 Unterabsatz 2 EUV verletze. Auch diese Anregung zur Stellung eines Vorabentscheidungsersuchens beruht erkennbar auf der irrigen Annahme des Revisionswerbers, dass durch Entscheidung des Präsidenten des Verwaltungsgerichts Wien eine „freie Entscheidung über Aktenzuteilung in strittigen Fällen“ (so der Revisionswerber in seiner Anregung zur Stellung eines Vorabentscheidungsersuchens) erfolgen könne. Schon aus diesem Grund sieht sich der Verwaltungsgerichtshof nicht veranlasst, das vom Revisionswerber angeregte Vorabentscheidungsersuchen zu stellen. Hinzuweisen ist im Übrigen darauf, dass der EuGH das vom Verwaltungsgericht Wien - durch den Revisionswerber als Richter - gestellte Vorabentscheidungsersuchen zu C-256/19, dem ungeachtet der anderen Formulierung der Vorlagefragen inhaltlich dieselben Bedenken zugrunde liegen, wie bereits erwähnt mit Beschluss vom 2. Juli 2020 als unzulässig beurteilt hat.

31       Der Vollständigkeit halber ist schließlich noch festzuhalten, dass die Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht - und zwar in einer für dienstrechtliche Angelegenheiten vorgesehenen Senatsbesetzung - zuständig war, über die Beschwerde des Revisionswerbers zu entscheiden (obgleich - ungeachtet der vom Revisionswerber offenbar befürchteten dienst- oder disziplinarrechtlichen Folgen seines Handelns bzw. Nichthandelns - der Sache nach weder eine dienst- noch eine disziplinarrechtliche Streitigkeit vorliegt) in der Zulässigkeitsbegründung der Revision nicht thematisiert wird, sodass diese Frage auch vom Verwaltungsgerichtshof nicht aufzugreifen war (vgl. VwGH 24.9.2014, Ra 2014/03/0025).

32       In der Revision werden damit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 22. Juli 2020

Schlagworte

Bescheidcharakter Bescheidbegriff Bescheidcharakter Bescheidbegriff Formelle Erfordernisse Einhaltung der Formvorschriften Offenbare Unzuständigkeit des VwGH Mangelnder Bescheidcharakter Bescheidbegriff Allgemein

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020030049.L00

Im RIS seit

29.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

30.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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