TE Vwgh Erkenntnis 2020/5/28 Ra 2018/07/0453

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.05.2020
beobachten
merken

Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E13309900
E3L E15102000
L62006 Umwelthaftung Steiermark
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
81/01 Wasserrechtsgesetz
83 Naturschutz Umweltschutz

Norm

B-UHG 2009 §2 Abs1 Z1
EURallg
LUHG Stmk 2010 Anl1
LUHG Stmk 2010 Anl1 Z5
LUHG Stmk 2010 §2 Abs1 Z1 lita
VwGG §42 Abs2 Z1
VwRallg
WRG 1959
32004L0035 Umwelthaftung-RL Erwägungsgrund1
32004L0035 Umwelthaftung-RL Erwägungsgrund2
32004L0035 Umwelthaftung-RL Erwägungsgrund8

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth und die Hofräte Dr. N. Bachler, Dr. Lukasser, Mag. Haunold und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der Umweltanwältin des Landes Steiermark in 8010 Graz, Stempfergasse 7, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 27. Juli 2018, Zl. LVwG 46.1-646/2018-5, betreffend eine Angelegenheit nach dem Steiermärkischen Umwelthaftungsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Stadt Graz; mitbeteiligte Partei: MGmbH in G, vertreten durch die Onz, Onz, Kraemmer, Hüttler Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Der Umweltsenat erteilte der Rechtsvorgängerin der mitbeteiligten Partei mit Berufungsbescheid vom 26. August 2013 in Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides der UVP-Behörde die Bewilligung zur Errichtung und zum Betrieb eines Flusskraftwerkes nach dem Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 (UVP-G 2000), umfassend unter anderem die dafür erforderlichen Bewilligungen nach dem Wasserrechtsgesetz 1959 (WRG 1959) sowie die artenschutzrechtliche Ausnahmebewilligung vom Verbot der Beschädigung oder Vernichtung von Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der Würfelnatter nach § 13d Abs. 2 Z 4 iVm § 13d Abs. 5 Steiermärkisches Naturschutzgesetz 1976 (NschG 1976).

2        Bei der Würfelnatter (Natrix tessellata) handelt es sich um eine geschützte Art u.a. nach dem NschG 1976. Der Entscheidung des Umweltsenates lag zu Grunde, dass mit dem Projekt die Beeinträchtigung gefährdeter und geschützter Tierarten (vor allem Würfelnatter, Fledermäuse und Huchen) und ihrer Lebensräume durch den Verlust der Korridore, durch die quantitative und qualitative Veränderung der Gewässerkörper und durch die Kumulation mit anderen Maßnahmen, vor allem in der Bauphase, verbunden sei. Hinsichtlich der Würfelnatter sei diesbezüglich von einer Beschädigung oder Vernichtung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten der Würfelnatter auszugehen, was - ungeachtet der vorgesehenen Schutz- und Sicherungsmaßnahmen - die erteilte Ausnahmebewilligung erfordere.

3        Der Umweltsenat fasste in Abänderung des erstinstanzlichen Bescheides die auf die Würfelnatterpopulation bezogene Auflage E.2. „strenger“ und verfügte dabei unter anderem: „Vor Rodungsbeginn sind die Würfelnattern möglichst vollzählig abzusammeln (...) und zu übersiedeln.“ Er führte ausdrücklich aus, dass bei Einhaltung der verschärften Auflagen nicht mehr davon gesprochen werden könne, dass ein Töten von Würfelnattern billigend in Kauf genommen werde. Eine Ausnahmebewilligung in dieser Hinsicht (also vom Tötungsverbot des § 13d Abs. 2 Z 1 NschG 1976) sei daher nicht erforderlich.

4        Der Verwaltungsgerichtshof wies die dagegen erhobenen Beschwerden mit Erkenntnis vom 24. Juli 2014, 2013/07/0215, 0224, 0286, VwSlg. 18893 A, ab bzw. zurück.

5        Die Umweltanwältin (§ 6 des Gesetzes über Einrichtungen zum Schutz der Umwelt - StESUG, nunmehrige Revisionswerberin) stellte am 7. Februar 2017 den Antrag, die Behörde möge gemäß § 5 Abs. 4 Steiermärkisches Umwelthaftungsgesetz (StUHG) einen sofortigen Rodungs- und Baustopp für den Uferbereich der Baustelle für das Flusskraftwerk verhängen, damit eine Schädigung der geschützten Würfelnatter vermieden werden könne. Weiters beantragte sie die Vorschreibung von Sanierungsmaßnahmen nach den §§ 6 und 7 StUHG. Begründend führt sie aus, dass nach den vorliegenden Ergebnissen der Reptilienabsammlung 2016 nach Auflage E.2. des Bewilligungsbescheides lediglich etwa 84 Stück Würfelnattern abgesammelt worden seien. Ein von der Revisionswerberin beauftragter Monitoringbericht habe jedoch ergeben, dass „im Untersuchungsgebiet eine Würfelnatterpopulation mit einer Individuenzahl von 436 bis maximal 1.243 Würfelnattern (Mittelwert 840 Individuen) vorhanden“ sei. Die nunmehr erfolgten Rodungen und Bautätigkeiten im Uferbereich und damit im Überwinterungslebensraum der Würfelnatter führten somit dazu, dass eine Vielzahl von Tieren getötet und damit eine Schädigung geschützter Arten verwirklicht werde. Dies stelle einen Umweltschaden im Sinne des StUHG dar. Die einzig sinnvolle „Vermeidungsmaßnahme“ (§ 5 StUHG) sei ein sofortiger Rodungs- und Baustopp im Bereich der Uferböschung, den die Behörde mangels Ergreifung dieser Maßnahme durch die Betreiberin gemäß § 5 Abs. 4 StUHG aufzutragen bzw. anzuordnen habe. Soweit bereits Würfelnattern getötet worden seien, seien „Sanierungsmaßnahmen“ (§§ 6, 7 StUHG) auszuarbeiten und der Behörde zu übermitteln. Gemäß § 11 StUHG (Umweltbeschwerde) werde die Behörde daher aufgefordert, im Sinne des § 6 und § 7 Abs. 2 StUHG tätig zu werden.

6        Mit Bescheid der belangten Behörde vom 10. Jänner 2018 wurden die Anträge der nunmehrigen Revisionswerberin als unberechtigt abgewiesen. Darin wird in rechtlicher Hinsicht zunächst ausgeführt, dass in den verfahrensgegenständlichen Erd- und Rodungsarbeiten als Vorbereitungshandlungen für die Errichtung eines Flusskraftwerkes eine Tätigkeit im Sinne der Z 5 der Anlage 1 zum StUHG („Wasserentnahme und Aufstauung von Gewässern, die einer Bewilligung nach dem WRG 1959 bedürfen“) erblickt werden könne, was den Anwendungsbereich des StUHG nach dessen § 2 Abs. 1 Z 1 lit. a eröffne. Ein Umweltschaden sei jedoch nicht eingetreten und drohe auch nicht einzutreten, zumal nachteilige Auswirkungen von Vorhaben auf geschützte Arten oder natürliche Lebensräume, die - wie vorliegend - nach einer Naturverträglichkeitsprüfung bzw. nach den Kriterien des Artenschutzes bewilligt worden seien, unbeachtlich seien. Die Auflage E.2. des Bewilligungsbescheides sei nach den Ergebnissen des behördlichen Verfahrens gehörig erfüllt worden, alle erforderlichen Maßnahmen seien getroffen worden, es bestehe keine Gefahr in Verzug. Eine Tötung von Würfelnattern sei auch nicht glaubhaft gemacht worden.

7        Die dagegen von der nunmehrigen Revisionswerberin erhobene Beschwerde wurde vom Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 27. Juli 2018 als unbegründet abgewiesen. Die ordentliche Revision dagegen wurde für nicht zulässig erklärt.

8        Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, dass entgegen der Ansicht der Revisionswerberin und der belangten Behörde die Voraussetzungen für eine verschuldensunabhängige Anwendung des StUHG nach dessen § 2 Abs. 1 Z 1 lit. a iVm Anlage 1 Z 5 nicht gegeben sei. Die Erd- und Rodungsarbeiten als bloße Vorbereitungstätigkeiten könnten gerade nicht unter die Tätigkeit „Wasserentnahme und Aufstauung von Gewässern“ subsumiert werden. Unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien führte das Verwaltungsgericht aus, dass Umweltschäden, „die lediglich im Zusammenhang oder aus Anlass einer (der in Anlage 1 angeführten) Tätigkeiten stehen“, aus dem Anwendungsbereich ausschieden. Im Hinblick auf § 2 Abs. 1 Z 1 lit. b StUHG, wonach das Gesetz auch für Schädigungen gelte, die durch die Ausübung anderer beruflicher Tätigkeiten entstünden, sofern der Betreiber/die Betreiberin vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt habe, sei jedoch das Verschulden der Mitbeteiligten zu prüfen. Ein solches Verschulden sei jedoch auszuschließen, da die Mitbeteiligte nach den Feststellungen eine Vorgehensweise gewählt habe, welche „exakt nach der Auflage E.2.“ (der Bewilligung in der Fassung des Bescheides des Umweltsenates) erfolgt sei. Ob die unmittelbare Gefahr der Schädigung einer geschützten Art vorliege, müsse daher nicht weiter geprüft werden. Soweit die Anträge der Revisionswerberin auf die Anordnung von Vermeidungsmaßnahmen nach § 5 Abs. 4 StUHG abgezielt hätten, wären diese zwar mangels Antragslegitimation zurückzuweisen gewesen. Die stattdessen erfolgte Abweisung der Anträge stelle aber keine Rechtsverletzung dar.

9        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision der Umweltanwältin, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, es fehle an Rechtsprechung zur Frage, ob „Maßnahmen im Zuge der Errichtung eines Wasserkraftwerks als ‚Ausübung einer der in der Anlage 1 angeführten beruflichen Tätigkeit‘ - konkret Z 5 - im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 1 lit. a StUHG anzusehen sind.“ Das angefochtene Erkenntnis sei inhaltlich rechtswidrig, weil die Erdbau- und Rodungsarbeiten Teil der beruflichen Tätigkeit „Wasserentnahme und Aufstauung von Gewässern ...“ seien. Ohne Zusammenhang mit der Errichtung des Flusskraftwerkes bzw. dieser beruflichen Tätigkeit würde die Mitbeteiligte die Erdbau- und Rodungsarbeiten an den Ufern des betreffenden Flusses, die zur Schädigung der geschützten Art Würfelnatter führen, nicht durchführen. Damit sei der Tatbestand des § 2 Abs. 1 Z 1 lit. a StUHG erfüllt, sodass die Ausführungen des Verwaltungsgerichtes zu lit. b (fehlendes Verschulden) ohne Belang seien.

10       Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurückweisung, allenfalls Abweisung der Revision beantragte. Darauf erstattete die Revisionswerberin eine Replik.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

11       1. Die Revision ist wegen der fehlenden Rechtsprechung zum Verständnis des Begriffs der „beruflichen Tätigkeiten“ im Sinne der Anlage 1 zum StUHG zulässig. Sie ist im Ergebnis auch begründet.

12       2. § 2 Abs. 1 des Steiermärkischen Umwelthaftungsgesetzes (StUHG), LGBl. Nr. 10/2020, lautet:

„§ 2 Anwendungsbereich

(1) Dieses Gesetz gilt für:

1.Schädigungen geschützter Arten und natürlicher Lebensräume und für jede unmittelbare Gefahr solcher Schädigungen

a)durch die Ausübung einer der in der Anlage 1 angeführten beruflichen Tätigkeiten oder

b)durch die Ausübung einer anderen als der in der Anlage 1 angeführten beruflichen Tätigkeiten, sofern die Betreiberin/der Betreiber vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat, und

2.Schädigungen des Bodens und für jede unmittelbare Gefahr solcher Schädigungen durch die Ausübung einer der in der Anlage 1 Z 12 bis 14 angeführten beruflichen Tätigkeiten.“

13       Anlage 1 Z 5 StUHG lautet: „5. Wasserentnahme und Aufstauung von Gewässern, die einer Bewilligung nach dem WRG 1959 bedürfen.“

14       Die Gesetzesmaterialien (ErläutRV EZ 3243/1 15. GPStLT) führen zu § 2 StUHG aus:

„Der Paragraf regelt den sachlichen Anwendungsbereich der Bestimmungen unter Bezugnahme auf Legaldefinitionen in § 4. Der Umweltschaden muss durch die Ausübung einer der angeführten beruflichen Tätigkeiten verursacht werden. Umweltschäden, die lediglich im Zusammenhang mit oder aus Anlass einer dieser Tätigkeiten stehen, scheiden aus. Der Unfall eines firmeneigenen Kraftfahrzeuges kann daher beispielsweise nur bei Gefahrgut- und Abfalltransporten tatbestandsrelevant sein. (...)“

15       Das StUHG dient, wie sich aus dessen § 16 ergibt, der Umsetzung der Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden in der geltenden Fassung (im Folgenden: Umwelthaftungsrichtlinie). In der genannten Richtlinie findet sich zum Anwendungsbereich bereits die gleiche Regelungstechnik: Nach Art. 3 Abs. 1lit. a gilt die Richtlinie für „Umweltschäden, die durch die Ausübung einer der in Anhang III aufgeführten beruflichen Tätigkeiten verursacht werden, ...“ und nach lit. b für „Schädigungen geschützter Arten und natürlicher Lebensräume, die durch die Ausübung einer anderen als der in Anhang III aufgeführten beruflichen Tätigkeiten verursacht werden, ..., sofern der Betreiber vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat.“ Anhang III enthält als Z 6 die berufliche Tätigkeit der „Wasserentnahme und Aufstauung von Gewässern, die gemäß der Richtlinie 2000/60/EG einer vorherigen Genehmigung bedürfen“.

16       Die Erwägungsgründe zur Umwelthaftungsrichtlinie führen diesbezüglich aus:

„(1) Es gibt in der Gemeinschaft heute zahlreiche kontaminierte Standorte, die ein erhebliches Gesundheitsrisiko darstellen, und der Verlust an biologischer Vielfalt hat sich in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch beschleunigt. Werden keine entsprechenden Maßnahmen ergriffen, könnte in Zukunft die Anzahl kontaminierter Standorte weiter ansteigen und der Verlust an biologischer Vielfalt noch stärker zunehmen. Die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, soweit dies möglich ist, trägt zur Umsetzung der im Vertrag genannten Ziele und Grundsätze der Umweltpolitik der Gemeinschaft bei. Bei Entscheidungen darüber, wie die Schäden saniert werden sollen, sollten die örtlichen Gegebenheiten berücksichtigt werden.

(2) Die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden sollte durch eine verstärkte Orientierung an dem im Vertrag genannten Verursacherprinzip und gemäß dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung erfolgen. Grundlegendes Prinzip dieser Richtlinie sollte es deshalb sein, dass ein Betreiber, der durch seine Tätigkeit einen Umweltschaden oder die unmittelbare Gefahr eines solchen Schadens verursacht hat, dafür finanziell verantwortlich ist; hierdurch sollen die Betreiber dazu veranlasst werden, Maßnahmen zu treffen und Praktiken zu entwickeln, mit denen die Gefahr von Umweltschäden auf ein Minimum beschränkt werden kann, damit das Risiko ihrer finanziellen Inanspruchnahme verringert wird.

...

(8) Diese Richtlinie sollte in Bezug auf Umweltschäden für berufliche Tätigkeiten gelten, die eine Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellen. Bei der Bestimmung dieser Tätigkeiten sollte generell auf das einschlägige Gemeinschaftsrecht Bezug genommen werden, in dem ordnungsrechtliche Vorschriften für bestimmte Tätigkeiten oder Praktiken festgelegt sind, bei denen von einer potenziellen oder tatsächlichen Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt ausgegangen wird.

(9) Diese Richtlinie sollte im Hinblick auf Schäden an geschützten Arten und natürlichen Lebensräumen auch für sämtliche berufliche Tätigkeiten gelten, die nicht bereits durch Bezugnahme auf das Gemeinschaftsrecht direkt oder indirekt als Tätigkeiten ausgewiesen sind, die eine potenzielle oder tatsächliche Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellen. In diesen Fällen sollte der Betreiber gemäß dieser Richtlinie nur dann haften, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat.“

17       Für den Kompetenzbereich des Bundes wurde die Umwelthaftungsrichtlinie durch das Bundes-Umwelthaftungsgesetz (B-UHG), BGBl I Nr. 74/2018, umgesetzt. Auch dieses bedient sich hinsichtlich des Anwendungsbereiches der oben dargestellten Regelungstechnik. Die diesbezüglichen Gesetzesmaterialien (IA 464/A 24. GP 17) führen wie jene zum StUHG aus, dass Umweltschäden, die „lediglich im Zusammenhang mit oder aus Anlass“ einer der in Anhang 1 genannten Tätigkeiten stehen, aus der verschuldensunabhängigen Haftung für Umweltschäden ausscheiden würden, sodass etwa der Unfall eines firmeneigenen Kraftfahrzeuges nur bei Gefahrgut- und Abfalltransporten tatbestandsrelevant sein könne.

18       3. Ausgehend vom Wortlaut des § 2 Abs. 1 Z 1 lit. a StUHG („Schädigungen ... durch die Ausübung einer der ... Tätigkeiten“) und im Einklang mit den Gesetzesmaterialien ist zunächst davon auszugehen, dass von dieser Bestimmung solche (drohenden oder eingetretenen) Umweltschäden erfasst sind, die durch die betreffende in Anhang 1 genannte Tätigkeit selbst verursacht werden (oder drohen). Aktivitäten, die bloß anlässlich oder gelegentlich dieser Tätigkeiten ausgeübt werden oder auch sonst lediglich in irgendeinem Zusammenhang mit diesen stehen - seien sie begleitend oder vorbereitend -, fallen daher nicht darunter.

19       Als wesentliches Abgrenzungskriterium erweist sich angesichts des Erwägungsgrundes 8 zur Umwelthaftungsrichtlinie vielmehr als sachgerecht, inwieweit sich in der jeweiligen Aktivität jene „potenzielle oder tatsächliche Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt“ verwirklicht, die zur Aufnahme der betroffenen beruflichen Tätigkeit in die in den Anhängen genannten gemeinschaftsrechtlichen bzw. diese umsetzenden Rechtsvorschriften geführt haben - im vorliegenden Fall also zur Bewilligungspflicht nach dem WRG 1959. Der Umfang der beruflichen Tätigkeit lässt sich daher nicht abstrakt umschreiben, sondern ist unter Berücksichtigung dieser Leitlinie materienspezifisch für die einzelnen Aktivitäten (Ziffern der Anhänge) abzugrenzen.

20       Die Argumentationen einerseits der belangten Behörde, wonach die verfahrensgegenständlichen Erd- und Rodungsarbeiten allein wegen ihrer Qualifikation als Vorbereitungshandlungen für die Errichtung eines Flusskraftwerkes von Z 5 des Anhangs 1 umfasst seien, oder der Revisionswerberin, die darauf abstellt, dass die Mitbeteiligte diese Arbeiten nur deshalb durchführe, weil sie (anschließend) ein Flusskraftwerk betreiben werde, greifen daher zu kurz. Ebensowenig kann aber der Anwendungsbereich schon deshalb ausgeschlossen werden, weil der behauptete (drohende) Umweltschaden nicht bei der Aufstauung des Gewässers selbst eintritt.

21       Die Gefahren bzw. Schäden für die menschliche Gesundheit und Umwelt, deren Vermeidung bzw. Sanierung die Umwelthaftungsrichtlinie umfassen soll, bestehen nach deren Erwägungsgründen 1 und 2 insbesondere im Verlust an biologischer Vielfalt. Im Fall der hier zu beurteilenden „Aufstauung von Gewässern“ verwirklichen sich Gefahren für die biologische Vielfalt aber gerade nicht nur oder erst beim Akt des Aufstauens selbst, sondern schon durch jene massiven Natureingriffe, die typischerweise bereits bei der Errichtung der entsprechenden Anlagen - wie eben Wasserkraftwerken - erfolgen. Hingegen wären Schäden, die durch den Aufstau selbst zu befürchten wären, typischerweise Schädigungen von Gewässern (welche aus kompetenzrechtlichen Gründen in § 2 Abs. 1 Z 1 B-UHG geregelt sind), nicht aber geschützter Arten und natürlicher Lebensräume, die den Regelungsumfang der landesrechtlichen Umwelthaftungsgesetze bilden, sodass auch insofern eine enge Interpretation von Anhang 1 Z 5 des StUHG ausscheidet. Erd- und Rodungsarbeiten im vorliegenden Zusammenhang sind daher nach dem Zweck der Umwelthaftungsrichtlinie und der diese umsetzenden Rechtsakte in das verschuldensunabhängige Haftungsregime miteinzubeziehen.

Somit sind Erd- und Rodungsarbeiten, die der Umsetzung einer wasserrechtlich bewilligungspflichtigen Aufstauung von Gewässern dienen, von der beruflichen Tätigkeit nach Anhang 1 Z 5 des StUHG umfasst.

22       4. Das Verwaltungsgericht hat nach dem Gesagten das angefochtene Erkenntnis mit seiner Ansicht, der auf die Umweltbeschwerde der Revisionswerberin bezogene Sachverhalt sei vom Anwendungsbereich des StUHG nach dessen § 2 Abs. 1 Z 1 lit a nicht umfasst, mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet und auf dieser Basis insbesondere nicht das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen für ein behördliches Tätigwerden nach diesem Gesetz geprüft.

23       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 28. Mai 2020

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Besondere Rechtsgebiete Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018070453.L00

Im RIS seit

04.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.08.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten