TE Vwgh Erkenntnis 2020/6/29 Ra 2020/01/0119

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Veröffentlicht am 29.06.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
MRK Art3
VwGG §42 Abs2 Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. März 2020, Zl. W175 2194190-1/12E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: S H, in L, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7-11/15), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird in seinen Spruchpunkten A) II. bis A) IV. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Der Mitbeteiligte, ein volljähriger afghanischer Staatsangehöriger aus Kabul, stellte am 30. Jänner 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 27. März 2018 wurde der Antrag vollinhaltlich abgewiesen (I., II.), dem Mitbeteiligten kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (IV.), die Zulässigkeit der Abschiebung des Mitbeteiligten nach Afghanistan festgestellt (V.) und eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise festgesetzt (VI.).

3        Mit dem nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen vom Mitbeteiligten erhobene Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des Bescheides gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet ab (Spruchpunkt A) I.), erkannte dem Mitbeteiligten gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt A) II.), erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt A) III.) und behob die Spruchpunkte III. bis VI. des Bescheides ersatzlos (Spruchpunkt A) IV.). Weiters sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B)).

4        Die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das BVwG zusammengefasst damit, dass dem Mitbeteiligten eine Verletzung in seinen Rechten nach Art. 3 EMRK drohe. Der Mitbeteiligte verfüge weder über ein soziales Netzwerk noch über „nennenswerte“ Berufserfahrung. Neben einer prekären Sicherheitslage stelle sich die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wohnraum für alleinstehende Rückkehrer ohne familiären Rückhalt und finanzielle Unterstützung nur unzureichend dar. Der Mitbeteiligte werde kaum in der Lage sein, sich eine das Überleben sichernde Existenz aufzubauen. Er verfüge über keine abgeschlossene Berufsausbildung, sei mittellos und in diesem Sinne besonders vulnerabel, weshalb ihm eine Rückkehr nach Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat nicht zumutbar sei.

5        Gegen die Spruchpunkte A) II. bis A) IV. dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision des BFA, die zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst und unter Verweis auf näher bezeichnete Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorbringt, das angefochtene Erkenntnis sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes zum Vorliegen einer realen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK abgewichen.

6        Der Mitbeteiligte erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.

7        Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8        Die Revision ist zulässig und berechtigt.

9        Der vorliegende Revisionsfall gleicht in den für die Entscheidung wesentlichen Punkten jenem, den der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 5. November 2019, Ra 2018/01/0188 (mit Hinweisen auf die Vorjudikatur), entschieden hat. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird auf die Entscheidungsgründe (Rn. 6 bis 9) dieses Erkenntnisses verwiesen.

10       In diesem Zusammenhang wird weiters darauf hingewiesen, dass der EGMR seit 2013 in ständiger Judikatur die Auffassung vertritt, dass die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert sei, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde. Der EGMR hat diese Einschätzung jüngst in seinem Urteil vom 25. Februar 2020, A.S.N. u. a. gg Niederlande, 68377/17 und 530/18, bestätigt (vgl. VwGH 12.3.2020, Ra 2019/01/0347, mwN).

11       Das BVwG hat zwar die Möglichkeit einer schwierigen Lebenssituation für den Mitbeteiligten bei einer Rückführung nach Afghanistan aufgezeigt, nach den Grundsätzen der zitierten hg. Rechtsprechung aber das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz zu Unrecht angenommen.

12       Das BVwG ist somit von der angeführten Rechtsprechung abgewichen.

13       Das angefochtene Erkenntnis war daher im erwähnten Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 29. Juni 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020010119.L00

Im RIS seit

04.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.08.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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