RS Vfgh 2020/7/14 G202/2020 ua, V408/2020 ua

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Veröffentlicht am 14.07.2020
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Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art139 Abs1 Z3
B-VG Art139 Abs4
B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
StGG Art2
StGG Art5
EMRK 1. ZP Art1
COVID-19-MaßnahmenG §2 Abs4, §4
COVID-19-MaßnahmenV BGBl II 96/2020 idF BGBl II 151/2020 §1, §2
EpidemieG 1950 §20, §32
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Kein Verstoß gegen das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums durch das nach dem COVID-19-MaßnahmenG erlassene Betretungsverbot für Betriebsstätten; Verhältnismäßigkeit dieser Eigentumsbeschränkung infolge Einbettung des Betretungsverbots in ein umfangreiches Maßnahmen- und Rettungspaket zur Abfederung der wirtschaftlichen Auswirkungen des Betretungsverbots; Zuerkennung einer darüber hinausgehenden Entschädigung für den Verdienstentgang verfassungsrechtlich nicht geboten; kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz; rechtspolitischer Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bekämpfung der Folgen der COVID-19-Pandemie nicht überschritten; keine Verletzung des Vertrauensschutzes; Anspruch auf Vergütung für den Verdienstentgang nach dem Epidemiegesetz 1950 begründet keine wohlerworbenen Rechte; Zulässigkeit des Individualantrags trotz Außerkrafttretens der angefochtenen Bestimmung im Zeitpunkt der Entscheidung des VfGH

Rechtssatz

Gesetzwidrigkeit der Wortfolge ", wenn der Kundenbereich im Inneren maximal 400 m2 beträgt" sowie der vierte Satz - "Veränderungen der Größe des Kundenbereichs, die nach dem 7. April 2020 vorgenommen wurden, haben bei der Ermittlung der Größe des Kundenbereichs außer Betracht zu bleiben." - in §2 Abs4 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II 96/2020 (COVID-19-Maßnahmenverordnung-96) idF BGBl II 151/2020.

Abweisung der Anträge auf Aufhebung des §4 Abs2 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl I 12/2020, idF BGBl I 16/2020 (COVID-19-MaßnahmenG) sowie auf Feststellung, dass §1 sowie §2 Abs4 dritter Satz der COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 gesetzwidrig waren. Im Übrigen Zurückweisung der Anträge.

Im Zeitpunkt der Einbringung ihrer Anträge beim VfGH, dem 27. bzw 30.04.2020, standen die genannten Bestimmungen der COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 idF BGBl II 151/2020 in Kraft. Die COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 und damit auch die angefochtenen Bestimmungen dieser Verordnung sind auf Grund des §13 Abs2 Z1 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen wurden (COVID-19-Lockerungsverordnung), BGBl II 197/2020, mit Ablauf des 30.04.2020 außer Kraft getreten. §4 Abs2 COVID-19-MaßnahmenG ist nach wie vor in Kraft.

Durch die angefochtene Regelung des zweiten Halbsatzes des §2 Abs4 erster Satz der COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 wird den antragstellenden Parteien weiterhin, also über den Ablauf des 13.04.2020 hinaus, gemäß §1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 untersagt, dass Kunden bestimmte ihrer Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen betreten. Dieses Verbot greift unmittelbar in die Rechtssphäre der antragstellenden Parteien ein und es steht ihnen - im Hinblick darauf, dass §3 Abs2 COVID-19-MaßnahmenG Inhaber einer Betriebsstätte, die eine verbotene Betretung nicht untersagen, mit Verwaltungsstrafe von bis zu € 30.000,- bedroht - kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung, die behauptete Rechtswidrigkeit des Eingriffes an den VfGH heranzutragen.

Aus dem Wortlaut des Art139 Abs1 Z3 B-VG ("verletzt zu sein behauptet") ergibt sich, dass die angefochtenen Verordnungsbestimmungen zum Zeitpunkt der Antragstellung tatsächlich unmittelbar in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreifen müssen. Der VfGH geht weiters davon aus, dass die bekämpften Verordnungsbestimmungen auch im Zeitpunkt seiner Entscheidung für den Antragsteller noch entsprechend wirksam sein müssen, was in der Regel dann nicht mehr der Fall ist, wenn die bekämpften Bestimmungen bereits außer Kraft getreten oder wesentlich geändert worden sind und damit das Ziel des Art139 Abs1 Z3 B-VG schon erreicht ist. Es ist aber nicht von vornherein ausgeschlossen, dass auch bereits außer Kraft getretene Regelungen die Rechtssphäre des Antragsstellers aktuell berühren. Solches hat der VfGH bislang insbesondere dann angenommen, wenn es sich um einen auf einzelne Kalenderjahre bezogenen Anspruch handelt oder wenn die außer Kraft getretene Bestimmung die Rechtssphäre des Antragstellers weiterhin etwa in Beziehung auf privatrechtliche Verträge, die der Anfechtende während des Zeitraums der Geltung abgeschlossen hat, unmittelbar berührt.

Insbesondere erachtet der VfGH eine entsprechende Wirksamkeit angefochtener Verordnungsbestimmungen und damit die Antragslegitimation ungeachtet des Umstandes, dass die Verordnung bereits außer Kraft getreten ist, bei zeitraumbezogenen Regelungen für gegeben, weil diese für den entsprechenden Zeitraum weiterhin anzuwenden sind.

Dem Rechtsschutzinteresse der antragstellenden Parteien an der Klärung, ob der durch die angefochtenen Verordnungsbestimmungen bewirkte Eingriff in ihre (Grund-)Rechtssphäre, den zunächst hinzunehmen sie unter Strafsanktion verpflichtet sind, recht- und letztlich verfassungsmäßig erfolgte, kann angesichts des Umstandes, dass ansonsten Rechtsschutz nur bei Setzen einer strafbaren Handlung zu erlangen (gewesen) wäre, nur in einem Verfahren nach Art139 Abs1 Z3 B-VG Rechnung getragen werden. Dieses Rechtsschutzinteresse, das insoweit über den kurzen Zeitraum hinausreicht, in dem die angefochtenen Bestimmungen in Kraft gestanden sind, bewirkt, dass im vorliegenden Fall die Rechtssphäre der antragstellenden Parteien auch im Zeitpunkt der Entscheidung des VfGH berührt wird, und begründet - noch - die Wirksamkeit der angefochtenen Bestimmungen, auch wenn diese zwischenzeitig außer Kraft getreten sind.

Kein Verstoß gegen das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums sowie keine Auferlegung eines "Sonderopfers":

§1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 untersagte unter anderem das Betreten von Kundenbereichen des Handels zum Zweck des Erwerbes von Waren. Wenngleich sich dieses Verbot dem Wortlaut nach an die Kunden von Betrieben richtete, kam diese Maßnahme für die betroffenen Unternehmen einem weitgehenden Betriebsverbot und damit auch einem Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG und Art1 1. ZPEMRK gleich. Da das zivilrechtliche Eigentumsrecht jedoch unangetastet geblieben ist und keine Vermögensverschiebung stattfand, bewirkte §1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 keine Enteignung im formellen Sinn. Angesichts der kurzen Geltungsdauer des Betretungsverbotes kann auch nicht davon gesprochen werden, dass dieses in seinen Wirkungen einer formellen Enteignung gleichgekommen wäre (sogenannte materielle Enteignung). Es handelte sich um eine gravierende Eigentumsbeschränkung, welche die betroffenen Unternehmen dulden mussten.

Der VfGH hat in diesem Verfahren lediglich die Frage zu beantworten, ob die durch das Betretungsverbot des §1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 (iVm §1 COVID-19-MaßnahmenG) bewirkte Eigentumsbeschränkung entschädigungslos vorgesehen werden konnte oder ob den davon betroffenen Unternehmen von Verfassungs wegen ein Anspruch auf Entschädigung eingeräumt werden muss. Die Bestimmungen des COVID-19-MaßnahmenG iVm §1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 bewirkten im Ergebnis, dass keine Betriebsschließungen nach §20 EpidemieG 1950 angeordnet wurden, weshalb insbesondere Ansprüche auf Vergütung des Verdienstentganges nach §32 Abs1 Z5 EpidemieG 1950 ausgeschlossen sind.

Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, eine Entschädigung vorzusehen, hat jedoch stets zu prüfen, ob die Eigentumsbeschränkung im konkreten Fall dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Gemäß stRsp des VfGH kann in jenen Fällen eine Entschädigung verfassungsrechtlich geboten sein, in denen einem Einzelnen oder einer Gruppe von Personen ein sachlich nicht gerechtfertigtes "Sonderopfer" auferlegt wird. Die Rechtsprechung zu entschädigungspflichtigen "Sonderopfern" betraf zunächst Fallkonstellationen, in denen von einem einzelnen Planungsakt Eigentümer in unterschiedlicher und unsachlicher Weise betroffen waren. Darüber hinaus können aber auch gravierende, unverhältnismäßige Eigentumsbeschränkungen in speziellen Einzelfällen eine Entschädigungspflicht begründen.

Kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums durch die auf Grund von §1 und §4 Abs2 COVID-19-MaßnahmenG iVm §1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 bewirkte Entschädigungslosigkeit der Eigentumsbeschränkung:

Der Gesetzgeber hat das Betretungsverbot nicht als isolierte Maßnahme erlassen, sondern hat dieses in ein umfangreiches Maßnahmen- und Rettungspaket eingebettet, das funktionell darauf abzielt, die wirtschaftlichen Auswirkungen des Betretungsverbotes auf die davon betroffenen Unternehmen bzw allgemein die Folgen der COVID-19-Pandemie abzufedern, und damit eine im Wesentlichen vergleichbare Zielrichtung wie die Einräumung von Ansprüchen auf Vergütung des Verdienstentganges nach §32 EpidemieG 1950 hat.

So hatten bzw haben betroffene Unternehmen insbesondere die Möglichkeit, Beihilfen bei Kurzarbeit gemäß §37b ArbeitsmarktserviceG (AMSG) zu erhalten. Der Gesetzgeber hat das Härtefallfondsgesetz geschaffen, durch das der Härtefallfonds errichtet und mit zwei Milliarden Euro ausgestattet worden ist. Darüber hinaus wurde der COVID-19-Krisenbewältigungsfonds geschaffen und ist mit bis zu 28 Milliarden Euro dotiert, woraus einerseits Unterstützungsmaßnahmen im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung, andererseits Beihilfen zur Kurzarbeit gemäß §37b AMSG finanziert werden.

Eine weitere Maßnahme zur Abfederung der wirtschaftlichen Auswirkungen des Betretungsverbotes ist der sogenannte "Fixkostenzuschuss", der in Abhängigkeit von der Höhe des Umsatzrückganges einen nicht rückzahlbaren Zuschuss in Höhe bestimmter Prozentsätze der förderfähigen Kosten an Unternehmen für näher festgelegte Zeiträume vorsieht.

Der Gesetzgeber hat in §1155 Abs3 ABGB angeordnet, dass Arbeitnehmer, deren Dienstleistungen auf Grund von Maßnahmen nach dem COVID-19-MaßnahmenG nicht zustande kommen, verpflichtet sind, unter bestimmten Voraussetzungen auf Verlangen des Arbeitgebers in dieser Zeit Urlaubs- und Zeitguthaben zu verbrauchen. Auch die - freilich bereits seit 1916 in dieser Fassung in Geltung stehende - Regelung des §1104 ABGB, die vorsieht, dass für die in Bestand genommene Sache, die auf Grund einer Seuche nicht gebraucht oder benutzt werden kann, kein Miet- oder Pachtzins zu entrichten ist, ist in diesem Zusammenhang zu nennen.

Bei dieser Beurteilung kommt nicht zuletzt auch dem Umstand besondere Bedeutung zu, dass von dem Betretungsverbot alle Handels- und Dienstleistungsunternehmen betroffen waren. Gerade bei Eigentumsbeschränkungen, die aus Anlass einer akut krisenhaften Situation - die massive volkswirtschaftliche Auswirkungen nach sich zieht und (nahezu) alle Wirtschaftszweige erfasst - zur Vermeidung einer weiteren Verbreitung der Krankheit als erforderlich erachtet wurden, kann aus dem Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums - in der vorliegenden Konstellation - keine Verpflichtung abgeleitet werden, einen darüber hinaus gehenden Anspruch auf Entschädigung für alle von dem Betretungsverbot erfassten Unternehmen vorzusehen.

Kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz:

Im Hinblick auf Betretungsverbote von Betriebsstätten, die wegen COVID-19 auf Grundlage des §1 COVID-19-MaßnahmenG angeordnet werden, kommt eine Vergütung des dadurch entstandenen Verdienstentganges nach §32 EpidemieG 1950 nicht in Betracht. Der Gesetzgeber schloss die Geltung der Regelungen des EpidemieG 1950 über die Schließung von Betriebsstätten betreffend Maßnahmen nach §1 COVID-19-MaßnahmenG aus. Mit der Schaffung des COVID-19-MaßnahmenG verfolgte der Gesetzgeber offenkundig (auch) das Anliegen, Entschädigungsansprüche im Fall einer Schließung von Betriebsstätten nach dem EpidemieG 1950, konkret nach §20 iVm §32 EpidemieG 1950, auszuschließen.

Der Gesetzgeber hat das Betretungsverbot gemäß §1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 nicht bloß als isolierte Maßnahme erlassen, sondern hat dieses in ein umfangreiches Maßnahmenpaket eingebettet. Der VfGH geht davon aus, dass dem Gesetzgeber in der Frage der Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zukommt. Wenn sich der Gesetzgeber daher dazu entscheidet, das bestehende Regime des §20 iVm §32 EpidemieG 1950 auf Betretungsverbote nach §1 COVID-19-MaßnahmenG iVm §1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 nicht zur Anwendung zu bringen, sondern stattdessen ein alternatives Maßnahmen- und Rettungspaket zu erlassen, so ist ihm aus der Perspektive des Gleichheitsgrundsatzes gemäß Art2 StGG sowie Art7 B-VG nicht entgegenzutreten.

In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die vom Gesetzgeber vorgesehenen Leistungen zwar (teilweise) im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung (Art17 B-VG) erbracht werden. Aus der Fiskalgeltung der Grundrechte folgt aber, dass Betroffene einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch darauf haben, dass ihnen solche Förderungen in gleichheitskonformer Weise und nach sachlichen Kriterien ebenso wie anderen Förderungswerbern gewährt werden.

Eine unsachliche Differenzierung liegt auch deshalb nicht vor, weil das Betretungsverbot alle in §1 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 bezeichneten Betriebsstätten gleichermaßen betrifft. Der Umstand, dass auf Grundlage des §20 EpidemieG 1950 wegen COVID-19 geschlossene Betriebe vor Inkrafttreten des COVID-19-MaßnahmenG allenfalls einen Anspruch auf Vergütung des Verdienstentganges gemäß §32 EpidemieG 1950 hatten, vermag eine unsachliche Differenzierung nicht aufzuzeigen.

Eine gleichheitswidrige Ungleichbehandlung liegt auch deshalb nicht vor, weil die Maßnahme der Betriebsschließung nach §20 EpidemieG 1950 den Maßnahmen wegen der COVID-19-Pandemie nicht ohne weiteres gleichzuhalten ist:

§20 und §32 EpidemieG 1950 berücksichtigen nach Auffassung des VfGH nicht die Notwendigkeit einer großflächigen Schließung aller - oder zumindest einer Vielzahl von - Kundenbereiche(n) von Unternehmen infolge einer Pandemie. Der Gesetzgeber des EpidemieG 1950 ging vielmehr davon aus, dass - im Rahmen einer lokal begrenzten Epidemie - einzelne Betriebsstätten, von denen eine besondere Gefahr ausgeht (so ausdrücklich §20 Abs1 EpidemieG 1950), geschlossen werden müssen, um ein Übergreifen der Krankheit auf andere Landesteile zu verhindern. Der Nachteil, der diesen (vereinzelten) Betrieben durch eine Betriebsschließung entsteht, soll durch einen Anspruch auf Vergütung des Verdienstentganges gemäß §32 EpidemieG 1950 ausgeglichen werden. Eine großflächige Schließung von Betriebsstätten hatte der Gesetzgeber des EpidemieG 1950 demgegenüber nicht vor Augen.

Kein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz:

Die behauptete nachträgliche Beeinträchtigung einer vom verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz umfassten Vertrauensposition liegt bereits deshalb nicht vor, weil es sich bei der in §32 EpidemieG 1950 vorgesehenen Vergütung für den Verdienstentgang um keine rechtliche Anwartschaft (sogenanntes "wohlerworbenes Recht") handelt; einem allfälligen Anspruch auf Vergütung des Verdienstentganges gemäß §32 EpidemieG 1950 steht keine Beitragszahlung oder sonstige Leistung des Berechtigten gegenüber.

Auch das in §4 Abs1a COVID-19-MaßnahmenG vorgesehene rückwirkende Inkrafttreten des §4 Abs2 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I 16/2020 mit 16.03.2020 begegnet aus Sicht des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes keinen Bedenken: Der Ausschluss der Anwendbarkeit der Bestimmungen des EpidemieG 1950 betreffend die Schließung von Betriebsstätten war bereits in der - am 16.03.2020 in Kraft getretenen - Stammfassung des §4 Abs2 COVID-19-MaßnahmenG, BGBl I 12/2020, enthalten. Mit der Novellierung BGBl I 16/2020 wurde die Bestimmung lediglich insofern präzisiert, als die Bestimmungen des EpidemieG 1950 betreffend die Schließung von Betriebsstätten "im Rahmen des Anwendungsbereiches dieser Verordnung" nach §1 COVID-19-MaßnahmenG nicht gelten. Eine rückwirkende Beeinträchtigung einer Vertrauensposition ist darin nicht zu erblicken.

Im Übrigen haben die antragstellenden Parteien auch kein Vorbringen erstattet, dass vor dem COVID-19-MaßnahmenG eine Rechtslage bestand, bei der bestimmte Dispositionen - etwa "beträchtliche Investitionen" (vgl VfSlg 12.944/1991) oder sonstige (nunmehr frustrierte) Verhaltensweisen (vgl VfSlg 13.655/1993 betreffend die Bildung von Rücklagen oder VfSlg 15.739/2000 betreffend den vorbereitenden Anteilserwerb) - von Betreibern gewerblicher Unternehmungen iSd §20 EpidemieG 1950 durch den Gesetzgeber geradezu angeregt und gefördert worden seien, die sich durch das Inkrafttreten des COVID-19-MaßnahmenG als nachteilig erwiesen hätten.

Entscheidungstexte

Schlagworte

COVID (Corona), Eigentumsbeschränkung, Verhältnismäßigkeit, Rechtspolitik, Geltungsbereich Anwendbarkeit, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Rückwirkung, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:G202.2020

Zuletzt aktualisiert am

08.09.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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