TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/8 I403 2141769-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.01.2019
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Entscheidungsdatum

08.01.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §16 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I403 2141769-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, Pulverturmgasse 4/2, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.11.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.11.2018, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsbürger, stellte am 26.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der am 27.09.2015 stattfindenden Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er an, er habe für den amerikanischen Geheimdienst sowie für das englische Militär gearbeitet, wodurch sein Bruder getötet worden sei. Er sei von radikalen Milizen bedroht worden und deshalb geflohen.

Der Beschwerdeführer wurde am 28.10.2016 niederschriftlich durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) einvernommen. Zu seinen Fluchtgründen befragt führte er an, er habe von August 2003 bis Ende 2010 sowohl für die amerikanische Armee als auch für den amerikanischen Militärgeheimdienst gearbeitet. Einer seiner besten Freunde, welcher ebenfalls für die amerikanische Armee gearbeitet habe, sei Ende 2007 von der Al-Mahdi Armee erschossen worden. Der Beschwerdeführer selbst sei auch mehrfach bedroht worden, habe aus Angst wiederholt seinen Wohnsitz gewechselt und im September 2015 den Irak endgültig verlassen.

Mit Bescheid des BFA vom 10.11.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Gegen den am 15.11.2016 zugestellten Bescheid wurde fristgerecht mit Schreiben vom 26.11.2016 in vollem Umfang Beschwerde erhoben. Es wurde vorgebracht, die Entscheidung der belangten Behörde sei inhaltlich falsch sowie die Verfahrensführung mangelhaft, darüber hinaus die Rechtsmittelbelehrung mit einer Beschwerdefrist von 2 Wochen verfassungswidrig. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge nach mündlicher Beschwerdeverhandlung feststellen, dass die Rechtsmittelbelehrung verfassungswidrig sei, dass die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz unrichtig sei, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unzulässig sei und dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten, in eventu den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen oder feststellen, dass eine Ausweisung auf Dauer unzulässig sei. In eventu wurde noch beantragt, die Revision für zulässig zu erklären.

Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 07.12.2016 vorgelegt. Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 27.06.2018 wurde der Akt der Gerichtsabteilung I403 der Kammer I neu zugewiesen und dieser am 04.07.2018 vorgelegt.

Am 05.11.2018 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, im Zuge derer der Beschwerdeführer unter Heranziehung eines Dolmetschers für die arabische Sprache sein Fluchtvorbringen im Wesentlichen wiederholte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer hält sich seit zumindest 26.09.2015 in Österreich auf. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Er ist Staatsangehöriger des Irak, gehört der Volksgruppe der Araber an und ist schiitischer Moslem.

Der Beschwerdeführer hat in seinem Herkunftsland in Bagdad 6 Jahre die Grundschule besucht. Er hat als Verkäufer in einem Geschäft für elektronische Videospiele und in Basra als LKW-Fahrer gearbeitet. Ob er, wie von ihm angegeben, einen Elektro- und Videoshop in der amerikanischen Basis am Bagdader Flughafen betrieben hat, kann nicht abschließend festgestellt werden; festgestellt werden kann aber, dass er nicht Teil der US-Armee bzw. des US-(Militär-)Geheimdienstes war.

Der Beschwerdeführer ist gesund und erwerbsfähig.

Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seine Angehörigen leben nach wie vor im Irak. Der Vater des Beschwerdeführers besitzt ein Haus in Bagdad, er arbeitet in einem Ministerium. Auch die Geschwister seines Vaters verfügen über Grundstücke im Irak. Die finanzielle Situation seiner Familie im Irak ist gut. Neben seiner Frau, seinen Kindern und seinen Eltern leben auch noch seine vier Schwestern in Bagdad; sein Bruder XXXX verstarb im November 2004.

Der Beschwerdeführer hält sich seit knapp dreieinhalb Jahren in Österreich auf. Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten und bestreitet seinen Lebensunterhalt seit der Ankunft in Österreich über die Grundversorgung. Der Beschwerdeführer hat keine maßgeblichen privaten sowie keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich.

1.2. Zu den Fluchtgründen und einer etwaigen Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer war in den Jahren vor seiner Ausreise nicht Mitglied einer Spezialeinheit der gemeinsamen Streitkräfte des Iraks und der USA. Die von ihm vorgebrachte Verfolgung durch schiitische Milizen wegen seiner Tätigkeit für die ausländischen Streitkräfte ist nicht glaubhaft.

Es sind keine Gründe ersichtlich, warum es dem Beschwerdeführer nicht zumutbar wäre, in sein Heimatland zurückzukehren. Er ist gesund und erwerbsfähig, hat Berufserfahrung und eine Familie mit finanziell stabilem Hintergrund in Bagdad.

1.3. Zur Situation im Irak:

Die folgenden Feststellungen sind dem „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zum Irak entnommen und wurden in der mündlichen Verhandlung erörtert.

1.3.1. Zur allgemeinen Lage

Die allgemeine Sicherheitslage im Irak war seit Oktober 2016 von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, im Genaueren nichtstaatlichen bewaffneten Milizen, z.B. den sogenannten Peshmerga der kurdischen Regionalregierung sowie ausländischen Militärkräften auf der einen Seite und den bewaffneten Milizen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) auf der anderen Seite geprägt. Der IS versuchte durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Südirak und im Zentralirak seine - wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte - Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren.

Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premierminister Haider AL-ABADI die Stadt Mossul für vom IS befreit, im Dezember 2017 gab er bekannt, dass der IS besiegt sei.

Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad ist im Wesentlichen nicht unmittelbar beeinträchtigt durch die genannten Ereignisse. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS dazu dienen solle, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte zu richten um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden.

Offiziell ist nach wie vor das ca. 70.000 Mitglieder umfassende und sich aus Soldaten aus der regulären Armee, der Militärpolizei, der normalen Polizei und den Geheimdiensten zusammensetzende „Baghdad Operations Command“ (BOC) für die Sicherheit in der Stadt zuständig. Seitdem der IS im Juli 2017 zurückgedrängt wurde, nahmen die auf Bagdad gerichteten Anschläge kontinuierlich ab. Dennoch kommt es immer wieder zu Selbstmordanschlägen, vor allem in schiitisch dominierten Viertel, wie Sadr City, Shula und Hay Al-Amel als auch an Checkpoints und bei militärischen Einrichtungen. Bagdad erlebte im Jahr 2017 einen Rückgang der Gewalt. Diese Entwicklung wird vor allem der Boc zugeschrieben.

Hinweise auf eine etwaig religiös motivierte Bürgerkriegssituation finden sich in den Länderberichten nicht, allerdings wird berichtet, dass Gewalt gegen sunnitische Araber in Bagdad seit 2014 zugenommen hat und dass es teilweise auch zu gewaltsamen Vertreibungen von Sunniten aus mehrheitlich von Schiiten bewohnten Vierteln Bagdads gekommen war; auch von Seiten der PMF-Milizen würde es zu Kidnappings und Morden an der sunnitischen Bevölkerung kommen und würden diese unzureichend von den Behörden verfolgt werden. Bagdad ist entlang konfessioneller Linien gespalten.

1.3.2. Zu den schiitischen Milizen:

Zu den schiitischen Milizen wird im Länderinformationsblatt festgehalten:

Genese und Entwicklung seit 2014

Der Name „Volksmobilisierungseinheiten“ bzw. Al-Hashd al-Shaabi, englisch: Popular Mobilization Units (PMU) oder Popular Mobilization Forces bzw. Front (PMF)) bezeichnet eine Dachorganisation für etwa vierzig bis siebzig fast ausschließlich schiitische Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen. Schätzungen zufolge haben die Volksmobilisierungseinheiten zwischen 60.000 und 140.000 Mann unter Waffen. Die Entstehung des Milizenbündnisses kann als Reaktion auf die irakische Offensive des sog. „Islamischen Staates„ (IS) verstanden werden und ist somit eng mit dessen militärischen Erfolgen und territorialen Gewinnen verquickt: Im Sommer 2014 drang die Terrororganisation in den Irak ein und nahm am 10. Juni erst Mossul und danach weite Teile der Provinzen Ninewah, Salahuddin, Anbar, Diyala und Kirkuk ein; wenig später waren auch die Städte Erbil und Bagdad in Gefahr (Süß 21.8.2017).

Die reguläre irakische Armee war dem IS nicht gewachsen, weshalb der damalige Ministerpräsident Nuri al-Maliki am 11. Juni zur Mobilisierung einer „Reservearmee“ aufrief. Außerdem ließ der führende irakische schiitische Gelehrte Ayatollah Ali Sistani am 13. Juni ein islamisches Rechtsgutachten (fatwa) verlautbaren, in dem er alle jungen Männer dazu aufrief, sich den Sicherheitskräften zum Schutz von Land, Volk und heiligen Stätten des Irak anzuschließen. Infolge der Fatwa schrieben sich tausende junge schiitische Männer auf Freiwilligenlisten ein, schlossen sich jedoch nicht Armee oder Polizei, sondern bereits existierenden oder neu formierten schiitischen Milizen an. Zwei Tage später bildete die irakische Regierung ein Komitee der Volksmobilisierung, das dem Ministerpräsident Haidar al-Abadi untersteht und vom Nationalen Sicherheitsberater Falih al-Fayyad geleitet wird. Die wahren Kräfteverhältnisse sind allerdings schon daran abzusehen, dass die Gründung durch das irakische Innenministerium verkündet wurde: Dieses unterstand bis Juli 2016 der Führung des „Badr-Politikers“ Muhammad al-Ghabban, die dominante Kraft im Innenministerium und damit der eigentliche irakische Führer des Milizenbündnisses ist jedoch Hadi al-Amiri. Mehrere Milizen stehen außerdem politischen Parteien nahe.

Innerhalb der zahlreichen, meist lokal organisierten Gruppen innerhalb der Volksmobilisierungseinheiten können im Wesentlichen drei Gruppen ausgemacht werden: Erstens schon länger aktive Milizen, die infolge der Fatwa tausende neue Rekruten hinzugewannen (Badr-Organisation, Asa’ib Ahl al-Haqq, Kata’ib Hizbullah und Saraya as-Salam). Zweitens gibt es solche schiitischen Formationen, die ab Juni 2014 entstanden (bspw. Kata’ib al-Imam Ali) und drittens einige kleinere sunnitische Milizen (Süß 21.8.2017).

Die wichtigsten Milizen innerhalb der PMF

Die Badr-Organisation ist die älteste schiitische Miliz im Irak und gleichermaßen die mit den längsten und engsten Beziehungen zum Iran. Sie orientiert sich an der Tradition Khomeinis und der Staatsdoktrin Irans. Hervorgegangen ist sie aus dem Badr-Korps, das 1983/84 als bewaffneter Arm des „Hohen Rates für die Islamische Revolution im Irak“ gegründet wurde und von Beginn an den iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) unterstellt war. Mit der Namensänderung in Badr-Organisation wurde das Korps zum politischen Akteur. Als sich der Rat in „Irakischer Islamischer Hoher Rat“ umbenannte und sich gleichzeitig vom Iran distanzierte, gelang es Badr, sich als wichtigster Verbündeter Irans im Irak zu etablieren und trennte sich 2009 schließlich vom Hohen Rat. Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt und gilt heute als die bedeutendste Teilorganisation und dominierende Kraft des Milizenbündnisses. Sie ist besonders mächtig, weil sie Kontrolle über das irakische Innenministerium und damit auch über die Polizeikräfte besitzt; ein Großteil der bewaffneten Kräfte der Organisation wurde ab 2005 in die irakische Polizei aufgenommen. Sie soll über etwa 20.000 bis 50.000 Mann verfügen und arbeitet mit Kata’ib Hizbullah zusammen. Unklar ist jedoch, ob die genannten Zahlen ausschließlich Kämpfer oder auch sonstiges Personal umfassen, denn die Badr-Organisation ist Miliz und politische Partei in einem. Badr war bisher an allen wichtigen militärischen Auseinandersetzungen in den Provinzen Diyala, Salah ad-Din, Anbar und Ninewah beteiligt; ihr militärisches Hauptquartier befindet sich im Militärlager Camp Ashraf nördlich von Bagdad. In Diyala verfügt Badr außerdem über ein Territorium, das sich zu einer eigenständigen Machtbasis im Sinne eines „Staates im Staate“ ausbauen lässt (Süß 21.8.2017).

Die Kata’ib Hizbullah (Bataillone der Partei Gottes, Hizbullah Brigades) entstanden im Zuge der Umbenennung des Badr-Korps in Badr-Organisation und bekämpften im Gegensatz zu diesem die US-Truppen. Sie wurden 2007 von Abu Mahdi al-Muhandis gegründet und werden auch von diesem angeführt. Die Miliz kann als Eliteeinheit begriffen werden, die häufig die gefährlichsten Operationen übernimmt und vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv ist. Ihre Personalstärke ist umstritten, teilweise ist die Rede von bis zu 30.000 Mann. Die Ausrüstung und militärische Ausbildung ihrer Mitglieder sind besser als die der anderen Milizen innerhalb der Volksmobilisierungseinheiten. Kata’ib Hizbullah arbeiten intensiv mit Badr und der libanesischen Hizbullah zusammen und gelten als Instrument der iranischen Politik im Irak. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (Süß 21.8.2017).

Die Asa’ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz’ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz’ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak. Asa’ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern. Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata’ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierung, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Khaz’ali ist einer der bekanntesten Anführer der Volksmobilisierungseinheiten (Süß 21.8.2017).

Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) wurden im Juni 2014 nach der Fatwa Sistanis auf Anweisung von Muqtada as-Sadr gegründet und sollten möglichst viele der Freiwilligen vereinigen. Die Gruppierung kann de facto als eine Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee bezeichnet werden. Diese ist zwar 2008 offiziell aufgelöst worden, viele ihrer Kader und Netzwerke blieben jedoch aktiv und konnten 2014 leicht wieder mobilisiert werden. Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann, ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert. Das Haupteinsatzgebiet der Miliz liegt im südlichen Zentrum des Irak, wo sie vorgibt, die schiitischen heiligen Stätten zu schützen. Ebenso waren Saraya as-Salam aber auch mehrfach an Kämpfen nördlich von Bagdad beteiligt (Süß 21.8.2017).

Auch Kata’ib al-Imam Ali (Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) ist eine der Milizen, die im Juni 2014 neu gebildet wurden. Sie sticht hervor, weil sie sich rasant zu einer schlagkräftigen Gruppe entwickelte, die an den meisten wichtigen Auseinandersetzungen im Kampf gegen den IS beteiligt war. Dies lässt auf eine beträchtliche Kämpferzahl schließen. Die Funktion des Generalsekretärs hat Shibl az-Zaidi inne, ein früherer Angehöriger der Sadr-Bewegung. Zaidi steht in engem Kontakt zu Muhandis und den Pasdaran, weshalb die Miliz intensive Beziehungen zur Badr-Organisation, Kata’ib Hizbullah und den iranischen Revolutionsgarden unterhält. Die Miliz betreibt außerdem wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit, wodurch ihr Bekanntheitsgrad schnell gestiegen ist. Vor allem der Feld-kommandeur Abu Azrael erlangte durch Videos mit äußerst brutalen Inhalten zweifelhafte Berühmtheit. Die Gruppe scheint Gefangene routinemäßig zu foltern und hinzurichten (Süß 21.8.2017).

Überblick über die wichtigsten PMF:

Anm.: Die folgende Darstellung ist nicht als abschließende Liste aufzufassen. Die angegebenen regionalen Eingrenzungen stellen lediglich eine Momentaufnahme dar, sind laufenden Änderungen unterworfen und ebenfalls nicht als abschließend anzusehen.

 

Name
*Gründung

Anführer und

Gruppengröße

Verbindungen,
Zusammenarbeit

Bekannte regionale
Aktivität

1

Badr-Organisation

(????? ???)

*1983/84

Hadi al-Amiri

20.000 – 50.000

Kata’ib Hizbullah

stark in Kirkuk, Tuzkhurmato, Amerli, Salah ad-Din, Diyala; milit. Hauptquartier im Militärlager Camp Ashraf nördlich von Bagdad

2

Kata’ib Hizbullah

(????? ??? ????, Bataillone der Partei Gottes, Hizbullah Brigades)

*2007

Abu Mahdi

al-Muhandis

ca. 30.000

Badr, Kata’ib Sayyid Shuhada, Kata’ib al-Imam Ali, Haraqat al-Nujaba

vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv

3

Asa’ib Ahl al-Haqq

(????? ??? ????, Liga der Rechtschaffenen oder Khaz’ali-Netzwerk, League of the Righteous)

*2006

Qaiz al-Khaz‘ali

mind. 3.000

unbekannt

Einfluss in neun Provinzen, u.a. Bagdad, Siyala, Tuzkhurmato, Südirak; einflussreichste Gruppe in Basra, Najaf, Kerbela, Muthanna

4

Saraya as-Salam
(????? ??????, Schwadronen des Friedens, Peace Brigades)

*2014

Muqtada as-Sadr

mind. 50.000

unbekannt

Haupteinsatzgebiet im südlichen Zentrum des Irak

5

Kata’ib al-Imam Ali

(????? ?????? ???, Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions)

*2014

Shibl az-Zaidi

Badr, Kata’ib Hizbullah

bedeutend um Tuzkhurmato

6

Saraya Tali’a al-Khorasani

(????? ????? ?????????, Khorasan Brigade)

*2013

Ali Yasiri

mind. 3.000

unbekannt

Kommandozentrum in Qadir Kerem, aktiv in Kirkuk und Salah ad-Din

7

Kata’ib Sayyid ash-Shuhada

(????? ??? ???????, Bataillone der Märtyrer Sayyids, Martyrs of Sayyid Batallions)

*2013

Hajj Abu Ala

Badr, Kata’ib Hizbullah, Asa’ib Ahl al-Haqq

Unterstützungsbasis vor allem im Südirak, aktiv in Salah ad-Din

8

Harakat (Hizbullah)

an-Nujaba

(???? ??? ???? ???????,

Bewegung der Edlen)

*2013

Eqrem al-Qaibi

Asa’ib Ahl al-Haqq, Kata’ib Hizbullah

aktiv in Babel, Samarra und um Bagdad

9

Liwa Abu al-Fadel

al-Abbas

(???? ??? ????? ??????, Abu Fadel Abbas Brigade)

*2012

10.000

unbekannt

Kommandozentrum in Kerbela; aktiv in Bagdad und Umgebung sowie Salah ad-Din

10

Hizbullah al-Mujahidun f-il Iraq

(??? ???? ????????? ?? ??????, Kämpfer der Partei Gottes im Irak)

*2014

Abbas al-Muhammadawi

unbekannt

unbekannt

11

Faylaq al-Wa’ad

as-Sadiq

(????? ?????? ????, Legion des wahren Versprechens)

Mohammad

Hamza at-Tamimi

unbekannt

unbekannt

12

Kata’ib al-Imam al-Hussein

(?????? ?????? ?????, Bataillone des Imam Hussein)

*2014

unbekannt

unbekannt

aktiv in Salah ad-Din

13

Kata’ib al-Imam al-Gha’ib

(????? ?????? ??????, Bataillone des abwesenden Imam)

unbekannt

Splittergruppe von Kata’ib Hizbullah

aktiv in Falluja und Samarra

14

Kata’ib Ansar al-Hijja

(????? ????? ?????, Bataillone der Unterstützer von al-Hijja)

Mohammad

al-Qinani

Kata’ib Martyr Sadr

aktiv in Salah ad-Din und Anbar

15

Kata’ib al-Ghadab

(????? ?????, Bataillone der Wut)

*2014

Abu Fakkar

ash-Shammari

unbekannt

aktiv in Bagdad, Tikrit und Samarra

16

Kata’ib Ruhallah

(????? ??? ????, Bataillone der Seele Allahs)

Abu Talib

al-Mayahi

Kata’ib Ahrar

al-Iraq

aktiv im Norden Bagdads und in Salah ad-Din

17

Kata’ib Ahrar al-Iraq

(????? ????? ??????, Bataillone der freien Männer Iraks)

*2014

Abbas al-Maliki

Kata’ib Ruhallah

unbekannt

18

Saraya Ansar al-Aqida

(??????? ????? ?????, Brigade der Unterstützer des Glaubensbekenntnisses)

*2014

Jalal ad-Din

Sagir

unbekannt

um Bagdad und Samarra, am aktivsten in Dhi Qar and Kerbela

19

Saraya al-Jihad

(????? ?????, Brigade des Heiligen Krieges)

*2014

Hasan as-Sari

unbekannt

Kommandozentrum in Wasit

20

Liwa Youm al-Qaim

(?????? ??? ????, Brigade des Tages des Auferstehenden)

unbekannt

Kata’ib al-Mawt

al-Istishariyya

Bagdad

21

Liwa Dhu al-Fiqar

(?????? ?? ????, Zulfiqar-Brigade)

*2013

Abu Shahad

al-Juburi

unbekannt

Schutz eines Heiligen Schreins in Syrien

22

Liwa Assadullah

al-Ghalip

(?????? ???? ??? ????, Brigade der erobernden Löwen Gottes)

Suhail al-Araji

unbekannt

aktiv in Wasit und Bagdad

23

Liwa al-Muntadar

(???? ???????, Brigade der Erwarteten)

Daghir al-Musavi

Kata’ib Sayyid

al-Shuhada

Kommandozentrum in Basra

24

Liwa al-Youm al-Mau’ud

(???? ????? ???????, Brigade des versprochenen Tages)

*2008

unbekannt

Saraya as-Salam

unbekannt

 

Weitere Milizen:

Harakat al-Abdal, Hizbollah as-Sairun, Hizbullah al-Abrar, Kata’ib ad-Difa al-Muqaddas/Quwwa Shaheed al-Sadr, Kata’ib al-Fatah al-Mobin, Kata’ib al-Shaheed al-Awal, Kata’ib al-Shaheed al-Awal: Quw w-al-Buraq, Kata’ib at-Tayyar ar-Risali, Liwa al-Imam al-Hasan al-Mujtaba, Liwa al-Imam al-Qaim, Liwa al-Qa’im, Liwa al-Qaria, Saraya Ashura, Liwa Ammar ibn Yasir, Liwa ash-Shabab ar-Risali, Liwa as-Sadeqeyn, Saraya az-Zahra.

(Süß 21.8.2017)

Führung und Rechtsstellung der PMF

Generell kann innerhalb der Volksmobilisierung eine Dominanz der älteren Milizen und ihrer Anführer Amiri, Muhandis und Khaz’ali ausgemacht werden. Die personelle Führung des Milizenbündnisses übernimmt dabei eine Trias: Anführer ist Abu Mahdi al-Muhandis, Kommandeur der Kata’ib Hizbullah und enger Verbündeter Badrs und der iranischen Revolutionsgarden. Als eigentlicher starker Mann hinter Muhandis gilt allerdings Hadi al-Amiri, Anführer der Badr-Organisation. Einfluss übt außerdem Qasim Suleimani aus, umstrittener Kommandeur der zu den iranischen Revolutionsgarden gehörigen Quds-Brigaden. Der Iran versorgt die irakischen Milizen mit Geld und Waffen und bildet ihre Kämpfer gemeinsam mit der libanesischen Hizbullah im Iran, im Irak und im Libanon aus. Viele der Milizen vertreten deshalb folgerichtig eine islamistische Ideologie, die sich an jener des Irans orientiert. Der Iran nutzte die Gründung der Volksmobilisierung 2014 auf diese Weise dafür, ihren Einfluss im Irak erheblich zu steigern. Die größten Milizen innerhalb der Volksmobilisierung hängen dabei so stark vom Iran bzw. den iranischen Revolutionsgarden ab, dass sie als Instrument des Nachbarstaates bezeichnet werden können. Auch eine personelle Verbundenheit ist vorhanden: Muhandis und Amiri haben ihre engen Beziehungen zum Iran mehrmals selbst bestätigt. Allerdings gibt es neben besonders eng an den Iran angebundenen Milizen (Badr-Organisation und Kata’ib Hizbullah) auch solche, die zwar ressourcenmäßig vom Iran abhängig sind, aber eine gewisse Distanz zum Iran aufweisen (Saraya as-Salam).

Obwohl das Milizenbündnis unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees steht und Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die Volksmobilisierung dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Ministerpräsidenten als Oberkommandierendem unterstellt, hat der irakische Staat nur mäßige Kontrolle über die Milizen. In diesem Zusammenhang kommt vor allem Badr eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von Badr dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann. Die einzelnen Teilorganisationen agieren größtenteils eigenständig und weisen eigene Kommandostrukturen auf, was zu Koordinationsproblemen führt und letztendlich eine institutionelle Integrität verhindert (Süß 21.8.2017).

In der Tat scheint es sich so zu verhalten, dass innerhalb der PMF die radikal-schiitischen Gruppen mit Bindungen zum Iran die dominierenden Kräfte sind (Posch 8.2017).

Konfessionelle Zusammensetzung der PMF

Der absolute Großteil der PMF- Milizen besteht aus Schiiten, es gibt jedoch durchaus auch Sunniten, Christen oder sogar Jesiden in den Reihen der schiitischen Milizen [abhängig von der jeweiligen Miliz], bzw. gibt es auch gemischte Milizen, oder auch eigene Sunniten- oder Christen-Milizen (Lattimer 26.4.2017; Al-Monitor 21.8.2017).

PMF-Milizen und organisierte Kriminalität

Neben der Finanzierung durch den irakischen, sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf – mit Hilfe der organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem dermaßen hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen – oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat. Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem Ölschmuggel im großen Stil, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen waren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker waren. So lassen sich politische Streitigkeiten innerhalb der schiitischen Milizen ebenso gut als Allokations- und Revierkämpfe von Mafiabanden interpretieren, die sich auch auf parlamentarischer Ebene wiederfinden (Posch 8.2017).

Quellen:

-        Al-Monitor (21.8.2017):Turkey fumes as Sinjar Yazidis declare 'democratic autonomy', http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/08/independence-iraqi-kurdistan-referendum-opposition.html#ixzz4qlVEYvfy, Zugriff 25.8.2017

-        Lattimer, Mark – Director of the Ceasefire Cetre for Civilian Rights (26.4.2017): EASO COI Meeting Report Iraq, Practical Cooperation Meeting 25.- 26. April, Brussels, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/IRQ_Meeting_Report.pdf, Zugriff 24.7.2017

-        Posch, Walter (8.2017): Schiitische Milizen im Irak und in Syrien - Volksmobilisierungseinheiten und andere, per Email

-        Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1504517740_bfa-staatendokumentation-ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31.pdf

1.3.3. Berufsgruppen & Menschen, die einer bestimmten Beschäftigung nachgehen

Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte und alle Mitglieder des Sicherheitsapparats sind besonders gefährdet. Auch Mitarbeiter der Ministerien sowie Mitglieder von Provinzregierungen werden regelmäßig Opfer von gezielten Attentaten (AA 12.2.2018).

Inhaber von Geschäften, in denen Alkohol verkauft wird (fast ausschließlich Angehörige von Minderheiten, vor allem Jesiden und Christen), Zivilisten, die für internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Unternehmen arbeiten sowie medizinisches Personal werden ebenfalls immer wieder Ziel von Entführungen oder Anschlägen (AA 12.2.2018).

Künstler, Dichter, Schriftsteller und Musiker werden gezielt vom IS ins Visier genommen (USDOS 20.4.2018), aber auch von anderen bewaffneten radikalen bzw. streng-religiösen Gruppen angegriffen (USDOS 3.3.2017; vgl. IWPR 25.11.2009).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland- auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf. Zugriff 27.9.2018

-        IWPR - Institute for War and Peace Reporting (25.11.2009): Fear chokes Nasiriya‘s Song, https://iwpr.net/global-voices/fear-chokes-nasiriyas-song. Zugriff 2.10.2009

-        USDOS - United States Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1394979.html. Zugriff 2.10.2018

-        USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html. Zugriff 21.9.2018

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zum Irak. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) sowie der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt. Darüber hinaus wurde am 05.11.2018 im Beisein des Beschwerdeführers vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Verhandlung durchgeführt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen hinsichtlich der Lebensumstände, des Gesundheitszustandes, der Arbeitsfähigkeit, der Herkunft, der Glaubens- und Volkszugehörigkeit sowie der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf dessen diesbezüglich glaubhafte Angaben vor der belangten Behörde (Protokoll vom 28.10.2016) und in der mündlichen Verhandlung (Niederschrift vom 05.11.2018).

In der Einvernahme durch das BFA am 28.10.2016 erklärte der Beschwerdeführer, dass er bei Verwandten in ihren Geschäften als Verkäufer von Videospielen und später auch bei seinem Onkel in Basra als LKW-Fahrer gearbeitet habe.

Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund seines im Original vorgelegten irakischen Personalausweises fest. Ebenso wurden in Kopie Dokumente zur Identitätsfeststellung seiner Kinder und Ehefrau vorgelegt.

Die Feststellung über die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.

Der Tod seines Bruders ergibt sich aus der vorgelegten Sterbeurkunde vom 21.11.2004.

2.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer hatte – auf das Wesentlichste zusammengefasst – behauptet, im Irak in einem irakisch-amerikanischen Militärbataillon tätig gewesen und deswegen von schiitischen Milizen bedroht worden zu sein.

In der Erstbefragung am 27.09.2015 erklärte er, dass er für den amerikanischen Geheimdienst und für das englische Militär gearbeitet habe. In der Einvernahme durch das BFA am 28.10.2016 meinte er dagegen, er habe von August 2003 bis Ende 2010 sowohl für die amerikanische Armee wie auch für den amerikanischen Militärgeheimdienst gearbeitet; von der britischen Armee war keine Rede mehr. In der Beschwerde wird dann allerdings wieder behauptet, dass der Beschwerdeführer „für die Amerikaner und auch für das englische Militär gearbeitet hat“.

Insgesamt gelang es dem Beschwerdeführer nicht, plausibel und nachvollziehbar zu schildern, welche Tätigkeit genau er für die amerikanischen Streitkräfte ausübte. In der Einvernahme durch das BFA am 28.10.2016 erklärte er dazu: „Am Anfang bekam ich die Genehmigung einen Elektro- und Videoshop in der amerikanischen Basis am Bagdader Flughafen zu betreiben. Später, als ich meine Treue und Loyalität unter Beweis gestellt habe, wurde ich vom militärischen Geheimdienst angeworben. Damals wurde eine neue irakische militärische Einheit gegründet, die war den Amerikanern direkt unterstellt. Die wurde Einheit 303 genannt. Als die Amerikaner diese Einheit ausgebildet und ausgestattet haben, habe ich die dabei unterstützt, indem ich zum Beispiel übersetzt habe. Ich war nicht ausschließlich Übersetzer, sondern ich wurde zusammen mit der Einheit von den Amerikanern trainiert. Obwohl ich kein Mitglied dieser Einheit war, trainierte ich mit, damit ich die irakischen Rekruten dieser Einheit beobachten kann, um herauszufinden, ob Spione eingeschleust wurden. Es wurden auch einige Spione erwischt. Ich war nicht die einzige „Aufsichtsperson“. Es gab noch einen Weiteren, der die gleiche Aufgabe hatte.“ (Protokoll vom 28.10.2016, S 8). Nach dieser (sehr vage gehaltenen) Darstellung wäre der Beschwerdeführer – nachdem er als Geschäftsinhaber seine Loyalität unter Beweis gestellt hatte – als Übersetzer und „Spion“ für die US-Armee tätig gewesen.

Obwohl in der Beschwerde ausgeführt wurde, der Beschwerdeführer sei in der Lage „viele interne Informationen“ zu liefern, gelang es ihm aber auch in der mündlichen Verhandlung nicht, überzeugend darzulegen, welche Tätigkeit er für die amerikanische Armee ausübte. In der mündlichen Verhandlung weitete der Beschwerdeführer seine Tätigkeit für das amerikanische Militär nämlich aus. Während er vor dem BFA noch gesagt hatte, dass er bei keiner Einheit gewesen sei, sondern neben seinem Geschäft noch als informeller „Spion“ tätig gewesen sei, erklärte er in der mündlichen Verhandlung zunächst, in den Bataillons „Orion Horse“, „Second Airborne“ und „Ten Mountain“ tätig gewesen zu sein, ehe er dann überhaupt darlegte, dass er bei einer Spezialeinheit („STF“) gewesen sei. Abgesehen davon, dass dies im Widerspruch zu seinen früheren Aussagen vor dem BFA steht, meinte der Beschwerdeführer zunächst, es habe sich um 300 Personen, dann aber, es habe sich um 100 Personen gehandelt. Auch das Auswahlverfahren für eine Spezialeinheit, welche mit dem US-Militärgeheimdienst zusammengearbeitet haben soll, erscheint wenig plausibel: „Die Amerikaner haben gefragt, wer mal Soldat war. Ich habe mich dann freiwillig gemeldet. Sie haben uns angeworben, um das Land zu schützen.“ (Protokoll vom 05.11.2018, S 7) Auch dass sich die Tätigkeit bei einer militärischen Spezialeinheit und das Führen eines Geschäftes – wie vom Beschwerdeführer behauptet - vereinbaren lassen würden, erscheint nicht plausibel. Insgesamt ist – aufgrund seiner vagen, widersprüchlichen und im Verlauf des Verfahrens gesteigerten Schilderung - nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer tatsächlich in irgendeiner operativen Funktion beim amerikanischen Militär oder einer gemischten Kampfeinheit tätig war. Eventuell führte er tatsächlich ein Geschäft in der Nähe des Stützpunktes, dies kann zumindest nicht gänzlich ausgeschlossen werden.

Widersprüchlich ist zudem, dass der Beschwerdeführer dem BFA erklärt hatte, dass er das Geschäft eröffnet hatte und dann aufgrund der dadurch bewiesenen Loyalität vom Geheimdienst angeworben worden sei, während er in der mündlichen Verhandlung explizit erklärt hatte, er habe zuerst als Soldat für die Amerikaner gearbeitet und erst dann das Geschäft eröffnet.

Selbst wenn man aber davon ausgehen würde, dass der Beschwerdeführer tatsächlich ein Geschäft führte, in dem die amerikanische Armee bzw. deren Soldaten einkauften, so konnte er jedenfalls nicht glaubhaft machen, dass er von schiitischen Milizen verfolgt wurde, wie im Folgenden aufgezeigt wird:

In der Einvernahme durch das BFA am 28.10.2016 schilderte der Beschwerdeführer die konkreten Bedrohungen folgendermaßen: Zunächst sei einer seiner besten Freunde, der bei einer anderen Einheit und zwar bei den „Special Forces“ gewesen sei, Ende 2007 getötet worden. Danach habe der Beschwerdeführer Angst bekommen und sich nie mehr länger am gleichen Ort aufgehalten; er sei mehrmals umgezogen. 2009 seien aus einem anderen Auto drei Schüsse auf sein Auto abgefeuert worden, danach habe er das von der amerikanischen Armee gesicherte Flughafengelände drei Monate lang nicht mehr verlassen. Dann sei er mit seiner Familie in einen anderen Stadtteil Bagdads gezogen. Er sei dann für eineinhalb Jahre nach Basra gezogen. Nachdem er wieder nach Bagdad zurückgekommen sei, sei er 2014 schriftlich von der Miliz Asai´b al Ahl Haqq bedroht worden. Er sei dann für einen Monat in die Türkei geflüchtet; danach habe er sich noch eine Weile in Bagdad aufgehalten, ehe er dann den Irak im September 2015 endgültig verlassen habe.

Bereits im Verlauf der Einvernahme selbst begann sich der Beschwerdeführer aber zu widersprechen. Hatte er zunächst davon gesprochen, dass sein Auto 2009 beschossen wurde, meinte er wenig später, dass zweimal auf sein Auto geschossen worden sei und zwar 2007 und 2008. Es erscheint wenig plausibe

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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