TE Vfgh Erkenntnis 1996/3/6 V164/95

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Veröffentlicht am 06.03.1996
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art18 Abs2
FahrverbotsV des Magistrats der Stadt Wien vom 29.08.94 betreffend ein Fahrverbot in der Neubaugasse
FahrverbotsV des Magistrats der Stadt Wien vom 29.08.94 betreffend ein Fahrverbot in der Richtergasse
Halte- und ParkverbotsV des Magistrats der Stadt Wien vom 29.08.94 betreffend ein Halte- und Parkverbot in der Richtergasse
StVO 1960 §94f Abs1

Leitsatz

Keine Gesetzwidrigkeit von Fahrverbotsverordnungen und einer Halte- und ParkverbotsV in Wien wegen Unterlassung der Anhörung von gesetzlichen Interessenvertretungen; keine eine Anhörung der Rechtsanwalts- bzw Ingenieurkammer erfordernde spezifische Interessenbetroffenheit von Rechtsanwälten und Architekten mit Berufssitz innerhalb des Geltungsbereiches der Verordnungen

Spruch

Die Verordnung des Magistrats der Stadt Wien vom 31. Oktober 1989, Z MA 46-U6-251/89, MA 46-U7-252/89, soweit damit für den Bereich Amerlingstraße Nr. 19 ein Halte- und Parkverbot in der Zeit vom Montag bis Freitag (werktags) von 07.00 bis 17.00 Uhr, ausgenommen die Ladetätigkeit mit Lastfahrzeugen, verfügt wurde, war nicht gesetzwidrig.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Magistrat der Stadt Wien hat mit Verordnung vom 31. Oktober 1989, Z MA 46-U6-251/89, MA 46-U7-252/89, für den Bereich Amerlingstraße Nr. 19 ein Halte- und Parkverbot in der Zeit von Montag bis Freitag (werktags) von 07.00 bis 17.00 Uhr, ausgenommen die Ladetätigkeit mit Lastfahrzeugen, verfügt (im folgenden: Ladezone).

2. Beim Verfassungsgerichtshof ist eine zu B1822/95 protokollierte Beschwerde gegen einen Bescheid anhängig, mit dem dem Beschwerdeführer für die am 9. Oktober 1992 um 12.45 Uhr vorgenommene Entfernung und nachfolgende Aufbewahrung aus der Ladezone Kosten vorgeschrieben wurden.

Aus Anlaß dieser Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof am 26. September 1995 beschlossen, gemäß Art139 Abs1 B-VG die Gesetzmäßigkeit der Ladezone zu prüfen.

Der Verfassungsgerichtshof ging in seinem Prüfungsbeschluß vorläufig davon aus, daß die Rechtsanwälte, die unmittelbar im Geltungsbereich der Ladezone ihren Sitz haben, in ihren Interessen berührt wurden. Da die Ladezone aber ohne Anhörung der Rechtsanwaltskammer erlassen wurde, hegte der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, daß die Ladezone in einem gegen die Bestimmung des §94 f Abs1 StVO 1960 verstoßenden Verfahren erlassen wurde.

3. Der Magistrat der Stadt Wien erstattete unter Vorlage der Verordnungsakten eine Äußerung, in der er zunächst darauf verweist, daß die Ladezone mit Verordnung vom 25. Mai 1993, Z MA 46-V6-1130/93, aufgehoben worden ist.

Zum Bedenken der unterlassenen Anhörungsverpflichtungen gesetzlicher Interessenvertretungen vertritt der Magistrat der Stadt Wien die Ansicht, daß die Interessen der "im weiteren Umfeld des gegenständlichen Halteverbotes etablierten Anwälte, Notare, Ärzte, Apotheker und Architekten" durch die Errichtung einer eher kleinräumigen Ladezone für Lastfahrzeuge nicht in dem erforderlichen wesentlichen Umfang berührt worden seien, daß die Anhörung der jeweiligen Interessenvertretungen im Sinne des §94 f Abs1 litb Z2 StVO 1960 geboten gewesen wäre.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof hat bei seiner Entscheidung über die bei ihm zu B1822/95 anhängigen - zulässigen - Beschwerde die Verordnung des Magistrats der Stadt Wien vom 31. Oktober 1989, mit der im Bereich der Amerlingstraße 19 eine Ladezone eingerichtet wurde, anzuwenden, weil dem Beschwerdeführer für die vorgenommene Entfernung und nachfolgende Aufbewahrung seines in dieser Ladezone verkehrsbeeinträchtigend abgestellten PKW Kosten vorgeschrieben wurden.

2. Gemäß §94 f Abs1 litb Z2 StVO 1960 hat die zuständige Behörde (außer bei Gefahr im Verzuge) vor Erlassung einer straßenpolizeilichen Verordnung, "wenn Interessen von Mitgliedern einer Berufsgruppe berührt werden, die gesetzliche Interessenvertretung dieser Berufsgruppe" anzuhören.

a. Der Verfassungsgerichtshof hat dazu ganz allgemein in seinem Erkenntnis vom 3. März 1995, V24/93, ausgeführt, daß nur Umstände, welche die Interessen von Mitgliedern einer Berufsgruppe "in spezifischer Weise" durch eine straßenpolizeiliche Verordnung berührt erscheinen lassen, die Anhörungspflicht gemäß §94 f Abs1 StVO 1960 begründen. Insoweit Mitglieder einer Berufsgruppe hingegen "ebenso wie alle anderen Verkehrsteilnehmer" durch eine straßenpolizeiliche Verordnung betroffen sind, wird nicht bewirkt, daß die Mitglieder der Berufsgruppe "im Sinne des §94 f Abs1 lita Z3 StVO 1960 spezifisch 'berührt werden' ".

Der Verfassungsgerichtshof begründete seine Auffassung wie folgt:

"Wollte man das Gesetz anders auslegen, wäre schlechthin jedwede verkehrsbeschränkende Verordnung gemäß §43 StVO 1960 erst nach vorhergehender Anhörung aller gesetzlichen beruflichen Interessenvertretungen zu erlassen, weil jede Verkehrsbeschränkung auch beliebige Angehörige gesetzlicher beruflicher Vertretungen (wie etwa auch Ärzte und Rechtsanwälte) betreffen kann, wenn diese als Kraftfahrer die verordneten Verkehrsbeschränkungen zu beachten haben. Hätte der Gesetzgeber eine derart weitreichende Beteiligung gesetzlicher Interessenvertretungen am Verfahren zur Erlassung verkehrsbeschränkender Verordnungen gewünscht, so hätte er dies durch Verzicht auf die Einschränkung zum Ausdruck gebracht, daß Voraussetzung des Anhörungsrechtes gesetzlicher Interessenvertretungen ist, daß Interessen von Mitgliedern der betreffenden Berufsgruppe 'berührt werden'."

Im Sinne des zitierten Erkenntnisses kann sohin

   "lediglich eine spezifische Interessenbetroffenheit ... jene

Anhörungspflicht gemäß §94 f Abs1 StVO 1960 begründen, deren

Verletzung die ohne Anhörung erlassene, verkehrsbeschränkende

Verordnung ... gesetzwidrig macht".

Eine derartige "spezifische Interessenbetroffenheit" hat der Verfassungsgerichtshof (zur seinerzeitigen, beinahe gleichlautenden Vorschrift des §43 Abs8 StVO 1960) angenommen, "wenn durch die Verkehrsbeschränkung die Ausübung des betreffenden Gewerbes (hier Steinbruchgewerbe) erschwert oder gar unterbunden wird" (VfSlg. 5784/1968). In VfSlg. 11920/1988 führte der Verfassungsgerichtshof weiter aus, daß die Erlassung eines Nachtfahrverbotes auf bestimmten Straßen der Innenstadt

"angesichts der Erfordernisse der Führung von - üblicherweise auch nachts geöffneten - Gastgewerbebetrieben und angesichts dessen, daß auch die Besucherfrequenz von Gastgewerbebetrieben in nicht unwesentlichem Umfang von der Zufahrtsmöglichkeit zu dem Gastgewerbebetrieb abhängt, Mitglieder dieses Berufsstandes im Sinne einer Erschwerung der Berufsausübung spezifisch 'berühren' mußte".

b. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 29. Februar 1996, V176/95 ua., unter Berufung auf seine Vorjudikatur festgestellt, daß eine spezifische Interessenbetroffenheit der Berufsgruppe der Rechtsanwälte bei Erlassung einer straßenpolizeilichen Verordnung nur dann vorliegt,

"wenn eine straßenpolizeiliche Verordnung für einen Ort (, - wie etwa für Verkehrsflächen vor einem Gerichtsgebäude - ,) erlassen wird, der von 'Rechtsanwälte(n) im allgemeinen - und nicht etwa nur (von dem) ... einen oder anderen Angehörigen dieses Berufsstandes -' (so ausdrücklich VfSlg. 9818/1983) aus beruflichen Gründen besonders häufig aufgesucht wird. Der Berufssitz eines oder auch mehrerer Rechtsanwälte ist hingegen kein Ort, an dem die Erlassung einer straßenpolizeilichen Verordnung eine spezifische Betroffenheit der Rechtsanwälte als Berufsstand begründet. Rechtsanwälte sind (ebenso wie Architekten ...) insofern von straßenpolizeilichen Verordnungen im Einzugsbereich ihres jeweiligen Berufssitzes nicht anders betroffen als die gesamte Bevölkerung, insbesondere Wohnbevölkerung, im Bereich des von der Verordnung erfaßten Gebietes."

Der Umstand, daß einzelne Rechtsanwälte ihren Berufssitz im Bereich der eingangs angeführten straßenpolizeilichen Verordnung haben, begründet sohin keine spezifische Interessenbetroffenheit der Mitglieder dieser Berufsgruppe, welche kraft §94 f Abs1 StVO 1960 die Behörde verpflichtet hätte, vor Erlassung jener Verordnung die Rechtsanwaltskammer anzuhören.

3. Da die im Beschluß vom 26. September 1995 zu B1822/95 vom Verfassungsgerichtshof geäußerten Bedenken nicht zutreffen, war auszusprechen, daß die Verordnung des Magistrats der Stadt Wien über eine Ladezone in der Amerlinggasse nicht gesetzwidrig war.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG vom Verfassungsgerichtshof ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Straßenpolizei, Fahrverbot, Halte(Park-)verbot, Verordnungserlassung, Anhörungsrecht (bei Verordnungserlassung), Kurzparkzone

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:V164.1995

Dokumentnummer

JFT_10039694_95V00164_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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