TE Vwgh Erkenntnis 1998/1/30 96/19/2258

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Veröffentlicht am 30.01.1998
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §1002;
ABGB §1009;
AVG §10 Abs2;
AVG §63;
AVG §71 Abs1 Z1;
VStG §51;
VwGG §46 Abs1 impl;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winkler, über die Beschwerde des 1958 geborenen AS in Wien, vertreten durch

Dr. Walter Fleissner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stubenring 22, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. Mai 1996, Zl. 305.992/3-III/11/96, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung i.A. Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesministerium für Inneres) Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer beantragte am 12. September 1995 die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 6. November 1995 gemäß § 6 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) abgewiesen. Der Bescheid enthält eine Rechtsmittelbelehrung, wonach gegen ihn binnen zwei Wochen nach Zustellung Berufung erhoben werden könne. Die Zustellung dieses Bescheides an den Beschwerdeführer erfolgte am 14. November 1995.

Mit seiner am 29. November 1995 zur Post gegebenen Eingabe beantragte der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 6. November 1995. Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages erstattete der Beschwerdeführer folgendes Vorbringen:

"In der außen bezeichneten Rechtssache wurde mit der Bescheid vom 6.11.1995 ... am 14.11.1995 zugestellt.

Ich habe daraufhin meiner Frau den Auftrag erteilt, binnen zwei Wochen einen ihr bekannten Rechtsanwalt aufzusuchen, um rechtzeitig den Auftrag zur Bekämpfung dieses Bescheides zu geben. Ich habe deshalb meine Frau beauftragt, da ich der deutschen Sprache - im Gegensatz zu ihr - nicht ausreichend mächtig bin.

Meine Frau hat die ihr von mir bekanntgegebene Berufungsfrist von zwei Wochen falsch verstanden und hat in der Annahme, daß diese Frist drei Wochen betrage, erst am 29.11.1995 ausgewiesenen Rechtsfreund den Auftrag zur Erhebung der Berufung erteilt. Am 29.11.1995 war die Frist zur Erhebung der Berufung allerdings bereits um einen Tag überschritten.

Meine Frau unterlag einem Hörfehler, der letztlich auch dadurch bedingt war, daß zu dem gegebenen Zeitpunkt unsere Großmutter, die 96 Jahre alt ist, an einer schweren Grippe erkrankt war und im Hause daher große Aufregung und Nervosität herrschte. Ich habe meiner Frau jedenfalls mitgeteilt, daß die Berufungsfrist zwei Wochen betrüge. Das Versäumen der Berufungsfrist liegt sohin in einem entschuldbaren Fehler meiner Ehefrau AS, der aufgrund der Ereignisse im Zusammenhang mit der Erkrankung unserer sehr betagten Großmutter auch entschuldbar sein dürfte.

Ich wurde durch dieses Versehen meiner Ehefrau an der rechtzeitigen Erhebung der Berufung durch ein für mich unabwendbares, unvorhergesehenes und von mir nicht verschuldetes Ereignis gehindert."

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. Mai 1996 wurde dieser Antrag gemäß § 71 Abs. 1 AVG abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des Gesetzestextes und des Wiedereinsetzungsvorbringens aus, der Beschwerdeführer wäre verpflichtet gewesen, der ihm zumutbaren und der Sachlage nach gebotenen Überwachungspflicht nachzukommen, zumal eine einfache Nachfrage bei seiner Ehegattin, ob sie ihren Auftrag erfüllt habe, einige Tage vor Ablauf der Berufungsfrist gereicht hätte, den behaupteten Hörfehler zu bereinigen. Die dem Beschwerdeführer zur Last liegende Unterlassung der Überwachungspflicht könne keinesfalls als Versehen minderen Grades im Sinne des § 71 Abs. 1 AVG angesehen werden. Die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei daher ausgeschlossen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof. Der Beschwerdeführer macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes mit dem Antrag geltend, den angefochtenen Bescheid aus diesem Grunde aufzuheben. Er wendet sich im wesentlichen gegen die Rechtsauffassung der belangten Behörde, die Vernachlässigung seiner Überwachungspflicht durch entsprechende Rückfrage bei seiner Ehegattin sei ihm als grobes Verschulden anzulasten.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 71 Abs. 1 AVG lautet (auszugsweise):

"§ 71. (1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:

1. die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder ..."

§ 1009 ABGB lautet:

"§ 1009. Der Gewalthaber ist verpflichtet, das Geschäft seinem Versprechen und der erhaltenen Vollmacht gemäß, emsig und redlich zu besorgen, und allen aus dem Geschäfte entspringenden Nutzen dem Machtgeber zu überlassen. Er ist, ob er gleich eine beschränkte Vollmacht hat, berechtigt, alle Mittel anzuwenden, die mit der Natur des Geschäftes notwendig verbunden, oder der erklärten Absicht des Machtgebers gemäß sind. Überschreitet er aber die Grenzen der Vollmacht, so haftet er für die Folgen."

Nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers in seinem Wiedereinsetzungsantrag erteilte er seiner Ehegattin den Auftrag, einen ihr bekannten Rechtsanwalt aufzusuchen, welcher seinerseits damit beauftragt werden sollte, rechtzeitig Berufung gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 6. November 1995 zu erheben.

Durch die Annahme dieses Auftrages ist zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehegattin ein Auftragsverhältnis im Sinne der §§ 1002 ff ABGB zustande gekommen (sogenannte selbständige Untervertretung, vgl. hiezu Strasser in Rummel I2, Rz 3 zu § 1010 ABGB). Die durch die Zusicherung der Erfüllung des diesbezüglichen Auftrages übernommene Verpflichtung der Ehegattin zur Vornahme einer Rechtshandlung (und nicht bloß zur Überbringung einer Erklärung) schließt es aus, diese als Botin des Beschwerdeführers zu qualifizieren (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Februar 1993, Zl. 92/18/0175). Liegt aber - wie zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehegattin - ein Vertretungsverhältnis vor, ist - im Gegensatz zur Auffassung der belangten Behörde - der Auftraggeber nicht verpflichtet, zu überwachen, ob sein Bevollmächtigter dem ihm erteilten Auftrag (hier: rechtzeitig einen Rechtsanwalt mit der Erhebung der Berufung zu beauftragen) entspricht (vgl. hiezu auch das hg. Erkenntnis vom 5. Oktober 1990, Zlen. 90/18/0050, 0051).

Damit ist jedoch für den Beschwerdeführer nichts gewonnen, weil ihm jedenfalls ein Verschulden seiner Ehegattin und Machthaberin zuzurechnen war (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 1996, Zlen. 95/19/0520, 0521, 0522). Dem Vorbringen des Beschwerdeführers in seinem Wiedereinsetzungsantrag ist nicht zu entnehmen, daß seine Ehegattin ohne ihr Verschulden oder bloß aufgrund eines minderen Grades des Versehens an der rechtzeitigen Beauftragung eines Rechtsanwaltes mit der Berufungserhebung gehindert gewesen wäre. Für den Umfang der Pflichten eines Geschäftsbesorgers, der den Auftrag übernahm, einem Dritten Auftrag bzw. Vollmacht zu erteilen, gelten die Regeln des § 1009 ABGB (vgl. Strasser, a.a.O., Rz 4 zu § 1010 ABGB). Der Geschäftsbesorger hat seine Geschäftsbesorgungspflicht mit der erforderlichen, ihm zumutbaren Sorgfalt, unter Einsatz seines Könnens, das der Geschäftsherr ihm nach der Lage des Falles, eventuell aufgrund eigener Angaben, zutrauen durfte, zu erfüllen, wobei er seine ihm zur Verfügung stehende geistige und körperliche Arbeitskraft im Rahmen des ihm Zumutbaren einzusetzen hat (vgl. Strasser a.a.O., Rz 9 zu § 1009 ABGB). Dabei können die von der Geschäftsbesorgungspflicht ausgehenden Verpflichtungen, die Natur des Geschäftes und erklärte Absicht des Geschäftsherrn zu beachten und die dementsprechenden Mittel einzusetzen, den Geschäftsführer dazu berechtigen oder sogar verpflichten, sich über eine Weisung des Geschäftsherrn hinwegzusetzen (vgl. Strasser a.a.O., Rz 16 zu § 1009 ABGB).

Nach dem Vorgesagten traf die Ehegattin des Beschwerdeführers als Machthaberin die Verpflichtung, eigenverantwortlich für die rechtzeitige Beauftragung eines Rechtsanwaltes zur Berufungserhebung Sorge zu tragen. Sie durfte sich daher nicht auf die von ihr aufgrund eines Hörfehlers so verstandene Auskunft des Beschwerdeführers verlassen, die Berufungsfrist betrage drei Wochen, sondern hätte sich, soweit zumutbar, selbst über die Dauer der Berufungsfrist zu informieren gehabt. Derartige eigene Informationsaufnahmen durch die Ehegattin des Beschwerdeführers wären im vorliegenden Fall auch insbesondere deshalb geboten gewesen, weil der Beschwerdeführer selbst nach dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag nur über unzureichende Deutschkenntnisse verfügte, sodaß auch - ein nach dem Wiedereinsetzungsvorbringen tatsächlich nicht vorgelegenes - fehlerhaftes Verständnis des Beschwerdeführers von Bescheidinhalt und Rechtsmittelbelehrung nicht von vornherein auszuschließen gewesen wäre. Daß der Ehegattin des Beschwerdeführers die Lektüre der dem Bescheid angeschlossenen Rechtsmittelbelehrung unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre, wurde im Wiedereinsetzungsantrag nicht dargetan. Auch behauptete der Beschwerdeführer nicht, daß die Erkrankung der Großmutter und die damit verbundene große Aufregung und Nervosität seiner Ehegattin während der gesamten Berufungsfrist andauerte, sodaß es dahingestellt bleiben kann, ob diesfalls die Unterlassung eigener Erhebungen über die Dauer der Berufungsfrist der Ehegattin des Beschwerdeführers bloß als minderer Grad des Versehens anzulasten gewesen wäre.

Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Allgemein Anwendbarkeit zivilrechtlicher Bestimmungen Verträge und Vereinbarungen im öffentlichen Recht VwRallg6/1 Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5 Vertretungsbefugnis Inhalt Umfang Rechtsmittel Vertretungsbefugnis Inhalt Umfang Vertretungsbefugter Zurechnung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996192258.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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