TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/30 G311 2214441-1

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Veröffentlicht am 30.04.2020
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Entscheidungsdatum

30.04.2020

Norm

AsylG 2005 §55 Abs2
B-VG Art133 Abs4
NAG §3
NAG §47

Spruch

G311 2214441-1/15E

Schriftliche Ausfertigung des am 06.02.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses!

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Eva WENDLER als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit: Serbien, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Timo GERERSDORFER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.01.2019, Zahl: XXXX, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 06.02.2020, zu Recht erkannt:

A) XXXX, geboren am XXXX, wird gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin beantragte am 07.12.2018 beim Magistrat der Stadt XXXX die Ausstellung eines Aufenthaltstitels "Familienangehörige von ÖsterreicherInnen".

Am 27.12.2018 stellte die Beschwerdeführerin beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl weiters den verfahrensgegenständlichen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK "Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens" gemäß § 55 Abs. 2 AsylG.

Mit Verbesserungsauftrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 27.12.2018 erging an die Beschwerdeführerin der Auftrag, ihren Antrag in deutscher Sprache ausführlich schriftlich zu begründen.

Mit Schriftsatz der bevollmächtigten Rechtsvertretung vom 08.01.2019 reichte die Beschwerdeführerin ihre Antragsbegründung nach. Sie sei mit einem österreichischen Staatsangehörigen verheiratet und erwarte aus dieser Ehe Ende Jänner/Anfang Februar 2019 ein gemeinsames Kind. Dem Kind komme nach der Geburt ebenso die österreichische Staatsbürgerschaft wie dem Ehemann zu. Diesem werde daher ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukommen und müsse das minderjährige Kind mit seiner drittstaatsangehörigen Mutter das Bundesgebiet verlassen, würden dessen Rechte nach Art. 20 AEUV verletzt werden.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 17.01.2019 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 2 AsylG gemäß § 47 Abs. 2 NAG iVm § 3 NAG wegen Unzuständigkeit der Behörde als unzulässig zurückgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Beschwerdeführerin würde im Wesentlichen nach den NAG-Bestimmungen zuwandern wollen und liege daher die Zuständigkeit beim Magistrat der Stadt XXXX und nicht beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. Es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Mit Schreiben vom 02.02.2019, beim Magistrat der Stadt XXXX am 08.02.2019 einlangend, beantragte die Beschwerdeführerin die Änderung des Aufenthaltszwecks in "Aufenthaltsberechtigung plus" und ersuchte um Abtretung des Aktes an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl.

Gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 17.01.2019 erhob die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz ihres Rechtsvertreters vom 04.02.2019, beim Bundesamt am 06.02.2019 einlangend, das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den angefochtenen Bescheid aufheben und den beantragten Aufenthaltstitel erteilen; in eventu den angefochtenen Bescheid aufheben und die Rechtssache an das Bundesamt zurückverweisen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin am XXXX.2019 inzwischen eine Tochter geboren habe. Nunmehr liege eine Zuständigkeit des Bundesamtes vor und hätte das Bundesamt mit seiner Entscheidung die Geburt abwarten müssen. Der vorübergehende oder dauerhafte Ausschluss eines Unionsbürgers (der neugeborenen Tochter) aus dem Gebiet der Mitgliedsstaaten sei gemäß Art. 20 AEUV unzulässig.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und langten am 13.02.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Beschwerdenachreichung vom 27.03.2019, beim Bundesverwaltungsgericht am 29.03.2019 einlangend, wurde dem Bundesamt der Originalakt des Magistrats der Stadt XXXX zur Beschwerdeführerin übermittelt.

Mit Schriftsatz des Rechtsvertreters vom 14.05.2019, einlangend am 20.05.2019, wurden dem Bundesverwaltungsgericht Lohnzettel des Ehegatten von Jänner bis April 2019 zum Nachweis eines geregelten Einkommens vorgelegt.

Mit Schriftsatz des Rechtsvertreters vom 21.06.2019, einlangend am 25.06.2019, wurde dem Bundesverwaltungsgericht eine gegen die Beschwerdeführerin wegen unrechtmäßigem Aufenthalt im Bundesgebiet von der LPD XXXX ergangene Strafverfügung vom 05.06.2019 sowie der dagegen erhobene Einspruch vom 19.06.2019 übermittelt und um Bearbeitung des Aktes ersucht.

Am 05.12.2019 langte mittels Beschwerdenachreichung die Ermittlung der Ehefähigkeit vom 28.11.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Schriftsatz des Rechtsvertreters vom 12.12.2019, einlangend am 17.12.2019, wurden dem Bundesverwaltungsgericht Lohnzettel des Ehegatten von Mai 2019 bis September 2019 zum Nachweis eines geregelten Einkommens vorgelegt.

Mit Schriftsatz des Rechtsvertreters vom 09.01.2020, einlangend am 13.01.2020, wurden dem Bundesverwaltungsgericht die Bestätigung der Mitversicherung der minderjährigen Tochter der Beschwerdeführerin in Österreich vorgelegt.

Mit Schriftsatz des Rechtsvertreters vom 29.01.2020 wurden neuerlich Unterlagen und Urkunden (teils schon aktenkundig) vorgelegt, darunter ein Mutter-Kind-Pass bezüglich einer weiteren Schwangerschaft (errechneter Geburtstermin 01.08.2020).

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 06.02.2020 in der gegenständlichen Rechtssache eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher die Beschwerdeführerin, ein weiterer bevollmächtigter Rechtsvertreter, ein Vertreter des Bundesamtes sowie ein Dolmetscher für die Sprache Serbisch teilnahmen. Der Ehemann der Beschwerdeführerin wurde als Zeuge vernommen.

Im Anschluss an die Verhandlung wurde die gegenständliche Entscheidung samt wesentlichen Entscheidungsgründen gemäß § 29 Abs. 2 VwGVG verkündet und die Rechtsmittelbelehrung erteilt.

Mit Schreiben vom 10.02.2020 beantragte das Bundesamt fristgerecht die schriftliche Ausfertigung des gegenständlichen Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist serbische Staatsangehörige (vgl aktenkundige Kopie der serbischen Reispässe, Verwaltungsakt Magistrat; aktenkundige Kopie der serbischen Geburtsurkunde).

Sie ist mit XXXX, geboren am XXXX in Österreich, österreichischer Staatsangehöriger, seit XXXX.2018 verheiratet und lebt mit ihm in Österreich zumindest seit 16.10.2018 durchgehend im gemeinsamen Haushalt (vgl aktenkundige Kopien des österreichischen Reisepasses, Verwaltungsakt Magistrat, der österreichischen Geburtsurkunde und des österreichischen Staatsbürgerschaftsnachweises des Ehemannes; aktenkundige Kopie der serbischen Heiratsurkunde sowie des österreichischen Ehefähigkeitszeugnisses vom 15.05.2018; Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 06.02.2020; Meldebestätigung des Ehemannes vom 28.04.2017).

Im Zentralen Melderegister weist die Beschwerdeführerin nachfolgende Wohnsitzmeldungen im Bundesgebiet auf (vgl Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 06.02.2020):

- 23.04.2018-12.07.2018 Hauptwohnsitz

- 16.10.2018-Entscheidungszeitpunkt Hauptwohnsitz

Aus der Ehe stammt die gemeinsame minderjährige Tochter XXXX, geboren am XXXX in Österreich, die wie ihr Vater österreichische Staatsangehörige ist und mit den Eltern im gemeinsamen Haushalt in Österreich lebt (vgl aktenkundige Kopien der österreichischen Geburtsurkunde und des österreichischen Staatsbürgerschaftsnachweises der Tochter; Meldebestätigung der Tochter vom 21.01.2019).

Zum Entscheidungszeitpunkt ist die Beschwerdeführerin erneut schwanger. Der errechnete Geburtstermin ist der XXXX.08.2020 (vgl aktenkundige Kopie des Mutter-Kind-Passes).

Die Beschwerdeführerin und die minderjährige Tochter sind beide beim erwerbstätigen Ehemann/Vater in der Sozialversicherung mitversichert. Er arbeitet als Installateur bei jenem Unternehmen, bei welchem er auch seine Lehre absolviert hat (vgl aktenkundige Kopien diverser Lohn- und Gehaltsabrechnungen des Ehemannes/Vaters; Versicherungsbestätigung; Versicherungsdatenauszug der Beschwerdeführerin vom 06.02.2020 sowie des Ehemannes vom 03.10.2019; Kopie der eCard der Beschwerdeführerin; Zeugeneinvernahme Ehemann, Verhandlungsprotokoll vom 06.02.2020, S 4).

Die Beschwerdeführerin verfügt über ein am 29.11.2018 bestandenes ÖSD-Deutsch-Zertifikat auf Niveau A1 (vgl aktenkundige Kopie des ÖSD-Zertifikates). Sie ist in Serbien und in Österreich strafgerichtlich unbescholten (vgl österreichischer Strafregisterauszug vom 06.02.2020; serbischer Strafregisterauszug vom 10.10.2018 samt deutscher Übersetzung; Verwaltungsakt Magistrat).

Die Beschwerdeführerin ist in Serbien geboren und aufgewachsen. Sie hat dort die Volks- und Hauptschule absolviert und einige Monate eine Friseurlehre begonnen, die Ausbildung aber nicht abgeschlossen. Manchmal hat sie in Serbien Gelegenheitsarbeiten ausgeführt. Sie betreut in Österreich das gemeinsame Kleinkind (vgl Verhandlungsprotokoll vom 06.02.2020, S 3 f).

Die Beschwerdeführerin beantragte am 07.12.2018 beim Magistrat der Stadt XXXX die Ausstellung eines Aufenthaltstitels "Familienangehörige von ÖsterreicherInnen" (vgl Antrag und Einreichbestätigung vom 07.12.2018 des Magistrats, Verwaltungsakt Magistrat).

Am 27.12.2018 stellte die Beschwerdeführerin beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl weiters den verfahrensgegenständlichen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK "Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens" gemäß § 55 Abs. 2 AsylG (vgl aktenkundiger Antrag, AS 1 ff Verwaltungsakt).

Mit Schreiben vom 02.02.2019, beim Magistrat der Stadt XXXX am 08.02.2019 einlangend, beantragte die Beschwerdeführerin die Änderung des Aufenthaltszwecks in "Aufenthaltsberechtigung plus" und ersuchte um Abtretung des Aktes an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (vgl Änderungsantrag vom 02.02.2019, Verwaltungsakt Magistrat). Der Akt wurde sodann vom Magistrat an das Bundesamt am 20.03.2019 abgetreten (vgl Fremdenregisterauszug der Beschwerdeführerin vom 06.02.2020).

2. Beweiswürdigung:

Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Zur Person der beschwerdeführenden Partei:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität (Namen, Geburtsdatum, Geburtsort), Staatsangehörigkeit und Familienstand der Beschwerdeführerin getroffen wurden, beruhen diese auf den aktenkundigen Dokumenten und Unterlagen.

Das Bundesverwaltungsgericht nahm weiters Einsicht in das Fremdenregister, das Strafregister, das Zentrale Melderegister sowie in die Sozialversicherungsdaten der Beschwerdeführerin.

Überzeugend und nachvollziehbar haben die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht dargelegt, dass die Beschwerdeführerin - insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass der Ehemann voll erwerbstätig ist und des Alters des gemeinsamen Kindes - die Betreuung des gemeinsamen Kindes übernimmt.

Die übrigen Feststellungen ergeben sich aus den im Verwaltungs- bzw. Gerichtsakt einliegenden Beweismitteln, welche in der jeweiligen Klammer konkret angeführt und von der Beschwerdeführerin oder der belangten Behörde zu keiner Zeit bestritten wurden, sowie den Angaben der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Darüber hinaus ist der Sachverhalt gegenständlich unstrittig. Strittig ist ausschließlich die rechtliche Beurteilung.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Die Beschwerdeführerin beantragte am 07.12.2018 die Ausstellung eines Aufenthaltstitels "Familienangehörige von ÖsterreicherInnen" bei der zuständigen Magistratsabteilung des Magistrats der Stadt XXXX.

Am 27.12.2018 stellte die Beschwerdeführerin zudem bei der belangten Behörde einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 2 AsylG.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 17.01.2019, zugestellt am 19.01.2019, wurde dieser Antrag als unzulässig zurückgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 02.02.2019, eingelangt beim Magistrat am 08.02.2019, beantragte die Beschwerdeführer die Änderung des Aufenthaltszwecks in "Aufenthaltsberechtigung plus" und ersuchte um Abtretung des Aktes an das Bundesamt.

§ 58 Abs. 9 AsylG lautet:

"(9) Ein Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach diesem Hauptstück ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige

1. sich in einem Verfahren nach dem NAG befindet,

2. bereits über ein Aufenthaltsrecht nach diesem Bundesgesetz oder dem NAG verfügt oder

3. gemäß § 95 FPG über einen Lichtbildausweis für Träger von Privilegien und Immunitäten verfügt oder gemäß § 24 FPG zur Ausübung einer bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit berechtigt ist

soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt. Dies gilt auch im Falle des gleichzeitigen Stellens mehrerer Anträge."

Die belangte Behörde hat daher in ihrem Entscheidungszeitpunkt den Antrag der Beschwerdeführerin im Ergebnis zutreffend zurückgewiesen.

Das VwG hat, wenn es "in der Sache selbst" entscheidet, nicht nur über die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde zu entscheiden, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde entschieden wurde. Dabei hat das VwG seine Entscheidung in der Regel an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten (VwGh vom 25.07.2019, Ra 2018/22/0270, mwN).

Mit Eingabe vom 02.02.2019 wurde mithin der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG zurückgezogen und der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 2 AsylG aufrechterhalten.

Das Bundesverwaltungsgericht hat daher in der Sache selbst zu entscheiden:

Die Beschwerdeführerin hatte die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 aus Gründen des Art. 8 EMRK beantragt.

Der mit "Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK" betitelte § 55 AsylG lautet:

"§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen."

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ist bei Abweisung eines Antrages eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 AsylG vorliegt.

Wird ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG zurück- oder abgewiesen, so hat das Bundesamt gemäß § 58 Abs. 8 AsylG darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

Fallbezogen ergibt sich daraus:

Die Beschwerdeführerin ist serbische Staatsbürgerin und als solche Fremde und Drittstaatsangehörige iSd § 2 Abs. 4 Z 1 und Z 10 FPG.

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554). Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 EMRK, ÖJZ 2007, 852 ff).

Das Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem minderjährigen Unionsbürger und dem Drittstaatsangehörigen, dem ein Aufenthaltsrecht verweigert wird, kann die praktische Wirksamkeit der Unionsbürgerschaft beeinträchtigen, weil diese Abhängigkeit dazu führt, dass der Unionsbürger sich als Folge einer solchen Verweigerung de facto gezwungen sieht, das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen. Zur Beurteilung dieses Risikos ist zu ermitteln, welcher Elternteil die tatsächliche Sorge für das Kind wahrnimmt und ob ein tatsächliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Kind und dem Elternteil mit Drittstaatsangehörigkeit besteht. Für diese Beurteilung bildet der Umstand, dass der andere Elternteil, der Unionsbürger ist, wirklich in der Lage und bereit ist, die tägliche und tatsächliche Sorge für das Kind allein wahrzunehmen, einen Gesichtspunkt von Bedeutung, der aber allein nicht für die Feststellung genügt, dass zwischen dem Elternteil mit Drittstaatsangehörigkeit und dem Kind kein Abhängigkeitsverhältnis in der Weise besteht, dass sich das Kind zum Verlassen des Unionsgebiets gezwungen sähe, wenn dem Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsrecht verweigert würde. Einer solchen Feststellung muss die Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles im Interesse des Kindeswohles zugrunde liegen, so insbesondere das Alter des Kindes, seiner körperlichen und emotionalen Entwicklung, des Grades seiner affektiven Bindung sowohl zu dem Elternteil, der Unionsbürger ist, als auch zu dem Elternteil mit Drittstaatsangehörigkeit und des Risikos, das mit der Trennung von Letzterem für das innere Gleichgewicht des Kindes verbunden wäre (vgl EuGH vom 10.05.2017, Chavez-Vilchez, C-133/15; vom 08.05.2018, K.A. u.a., C-82/16). Der Umstand des Zusammenlebens des drittstaatsangehörigen Elternteils mit dem minderjährigen Unionsbürger zählt zu den relevanten Gesichtspunkten, die zu berücksichtigen sind, um das Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses zu bestimmen (VwGH vom 17.06.2019, Ra 2018/22/0195).

Die Beschwerdeführerin als Drittstaatsangehörige ist mit einem österreichischen Staatsangehörigen verheiratet. Sie haben eine gemeinsame Tochter, die ebenfalls österreichische Staatsangehörige und zum Entscheidungszeitpunkt ein Jahr alt ist. Sie leben alle im gemeinsamen Haushalt in XXXX. Der Ehemann der Beschwerdeführerin/Vater der minderjährigen Unionsbürgerin ist vollbeschäftigt erwerbstätig. Es ist naheliegend und wurde auch überzeugend dargelegt, dass die Beschwerdeführerin als Mutter der erst einjährigen Tochter deren überwiegende Bezugs- und Betreuungsperson darstellt und die minderjährige Tochter die Beschwerdeführerin im Fall einer Ausreise nach Serbien begleiten müsste. Damit wäre die minderjährige Tochter entsprechend der angeführten Rechtsprechung des EuGH und des VwGH aber in ihren Rechten als Unionsbürgerin verletzt. Darüber hinaus erwartet die Beschwerdeführer im August 2020 ihr zweites Kind mit ihrem Ehemann, auf welches derselbe Sachverhalt zutreffen würde.

Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 liegen daher gegenständlich vor. Da die Beschwerdeführerin aber die Voraussetzungen der Z 2 leg. cit. nicht erfüllt, da sie weder über eine Integrationsprüfung und damit auch nicht über die Erfüllung des Modul 1 der Integrationsvereinbarung verfügt noch zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 ASVG erreicht wird, war der Beschwerdeführerin gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchteil B): Zur Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es dazu an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch ist diese Rechtsprechung als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen somit keine Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der gegenständlich zu lösenden Rechtsfragen vor.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung Interessenabwägung Privat- und Familienleben Unionsbürger Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G311.2214441.1.01

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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