TE Lvwg Beschluss 2020/2/18 VGW-041/V/057/12487/2019

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Veröffentlicht am 18.02.2020
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Entscheidungsdatum

18.02.2020

Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

VwGVG 2014 32 Abs1 Z3
AVG §38

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin Dr. Doralt über den Antrag des Herrn A. B., vertreten durch Rechtsanwälte, auf Wiederaufnahme des Verfahrens und Abänderung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtes Wien, vom 5.4.2017, GZ: VGW-041/057/14942/2016-1, betreffend zehn Verwaltungsübertretungen nach dem Arbeitsvertragsanpassungsgesetz

zu Recht erkannt:

I. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird gemäß § 32 Abs. 1 Z 3 VwGVG abgewiesen.

II. Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

Begründung

Mit Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt …, vom 21.6.2016 wurde dem nunmehrige Antragsteller als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als nach § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen berufenes Organ der C. d.o.o mit Sitz in Slowenien vorgeworfen, dass diese Gesellschaft als Arbeitgeberin im Sinne des § 7b Abs. 1 entgegen § 7d AVRAG, wonach während des Zeitraumes der Entsendung insgesamt der Arbeitsvertrag oder Dienstzettel, Lohnzettel, Lohnzahlungsnachweise oder Banküberweisungsbelege, Lohnaufzeichnungen, Arbeitsaufzeichnungen und Unterlagen betreffen die Lohneinstufung zur Überprüfung des dem/der entsandten Arbeitnehmers/in für die Dauer der Beschäftigung nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelts in deutscher Sprache am Arbeits(Einsatz)ort bereitzuhalten sind, auch wenn die Beschäftigung des/der einzelnen Arbeitnehmers/in in Österreich früher geendet hat, am 27.01.2016 um 09:30 Uhr auf der Baustelle in Wien, D.-Straße (…), und somit während des Zeitraumes der Entsendung die Lohnunterlagen (Arbeitsvertrag oder Dienstzettel, Lohnzettel, Lohnzahlungsnachweise oder Banküberweisungsbelege, Lohnaufzeichnungen, Arbeitsaufzeichnungen und Unterlagen betreffend die Lohneinstufung) in deutscher Sprache für 10 namentlich genannte Arbeitnehmer nicht bereit gehalten hat, obwohl die Bereithaltung der Unterlagen am Arbeitsort zumutbar war, da ein Baubüro vorhanden war. Deshalb sind über den Beschwerdeführer 10 Strafen von jeweils 3.000 Euro (im Fall der Uneinbringlichkeit 10 Ersatzfreiheitsstrafen von je 2 Tagen und 12 Stunden) verhängt worden.

Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 5.4.2017 zur GZ: VGW-041/057/14942/2016 wurde die dagegen erhobene Beschwerde in der Sache als unbegründet abgewiesen. Die Geldstrafen wurden auf jeweils 2.000 Euro (im Fall der Uneinbringlichkeit 10 Ersatzfreiheitsstrafen von je 1 Tag und 12 Stunden) herabgesetzt.

Mit Schriftsatz vom 24.9.2019, eingebracht am 25.9.2019, stellte der Antragsteller einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens. Begründend wird darin ausgeführt, dass eine wesentliche Vorfrage durch das zuständige Gericht anders entschieden worden sei, als im wieder aufzunehmenden Verfahrens. Es handle sich um die Frage, ob die hinsichtlich der verhängten Sanktionen angewendeten Bestimmungen des AVRAG (nunmehr LSD-BG) mit dem Unionsrecht vereinbar seien. Diesbezüglich habe der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 12.9.2019, C-64/18, C-140/18, C-146/18, C-148/18, entschieden, dass Mindeststrafen für Formaldelikte, wie vorgesehen, bei gleichzeitiger Kumulation der Strafen pro Zahl der betroffenen Arbeitnehmer und ohne eine begrenzende Höchststrafe nicht mit Art 56 AEUV vereinbar sei.

Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

Gemäß § 32 Abs. 1 VwGVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn

1.   ….

2.   ….

3.   Das Erkenntnis von Vorfragen (§38 AVG) abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde …..“

Der Antrag auf Wiederaufnahme ist gemäß § 32 Abs. 2 VwGVG binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen. Ihr Antrag enthält keine Angaben zur Rechtzeitigkeit des Wiederaufnahmebegehrens.

Gemäß §38 AVG ist die Behörde berechtigt, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.

Grundvoraussetzung für die Bewilligung einer Wiederaufnahme des Verfahrens ist, dass eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes nicht mehr zulässig ist. Diese Voraussetzung war im verfahrensgegenständlichen Fall erfüllt. Das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 5.4.2017 zur GZ: VGW-041/057/14942/2016 wurde dem Antragstellervertreter am 18.4.2017 zugestellt. Die gegenständliche Entscheidung des Europäischen Gerichtshof ist mit 12.9.2019 datiert, der vorliegende Antrag vom 24.9.2019, eingelangt am 25.9.2019, ist daher rechtzeitig eingebracht worden.

Nach den Gesetzesmaterialien zum VwGVG entsprechen die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens weitgehend den Bestimmungen der §§ 69 ff. AVG mit den entsprechenden Anpassungen aufgrund der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz.

Der Antragsteller beruft sich darauf, dass das Erkenntnis von Vorfragen (§38 AVG) anhängig gewesen sei und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden sei.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich bei einer Vorfrage um eine Frage, zu deren Beantwortung die in einer Verwaltungsangelegenheit zur Entscheidung berufene Behörde sachlich nicht zuständig ist, die aber für ihre Entscheidung eine notwendige Grundlage bildet und daher von ihr bei ihrer Beschlussfassung berücksichtigt werden muss. Eine Vorfrage ist somit ein vorweg, nämlich im Zuge der Sachverhaltsermittlung zu klärendes rechtliches Element des zur Entscheidung stehenden Rechtsfalles und setzt voraus, dass der Spruch der erkennenden Behörde in der Hauptfrage nur nach Klärung einer in den Wirkungsbereich einer anderen Behörde oder eines Gerichtes fallenden Frage gefällt werden kann. Es muss sich demnach um eine Frage handeln, die den Gegenstand eines Abspruches rechtsfeststellender oder rechtsgestaltender Natur durch eine andere Behörde oder ein Gericht bildet (vgl. VwGH vom 21.11.2001, 98/08/0419).

In dem gegenständlichen Fall handelt es sich aber nicht um eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG. Vielmehr handelt es sich um vergleichbare Fälle über die die Bezirkshauptmannschaft Murtal mit Straferkenntnissen vom 19.4.2017 sowie vom 25.4.2017 und 5.5.2017 entschieden und in denen im Rahmen der Beschwerdeverfahren das Landesverwaltungsgericht Steiermark Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gestellt hat. Von einer Vorfrage kann dabei nicht gesprochen werden.

Unabhängig davon wäre es dabei auch erforderlich, dass die gegenständliche Vorfragen-Rechtsache, im Entscheidungszeitpunkt bereits gerichtsanhängig ist. In dem gegenständlichen „Vorfrage-Fall“ wurden die Bescheide der Bezirkshauptmannschaft Murtal mit 19.4.2017, 25.4.2017 bzw. 5.5.2017 datiert. Da in dem hier gegenständlichen Verfahren die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Wien bereits am 5.4.2017 (zugestellt am 18.4.2017) ergangen ist, liegt auch formal keine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG vor.

Im Übrigen vermittelt das Hervorkommen einer Entscheidung eines innerstaatlichen Höchstgerichtes keine Berechtigung zur Wiederaufnahme all jener (rechtskräftig abgeschlossenen) Verfahren nach dem Vorfragentatbestand (vgl. VwGH vom 21.9.2009, 2008/16/0148). Das gilt wohl auch für im Vorabentscheidungsverfahren ergangene Urteile des EuGH zur Auslegung von Gemeinschaftsrecht.

Des Weiteren gibt es auch unionsrechtlich keine Verpflichtung zur Wiederaufnahme (vgl. Urteil EuGH 16.3.2006, C-234/04 Rosmarie Kapferer gegen Schlank & Schick GmbH). Demnach gebietet der sich aus Art 10 EG ergebende Grundsatz der Zusammenarbeit einem nationalen Gericht nicht, von der Anwendung innerstaatlicher Verfahrensvorschriften zu dem Zweck abzusehen, eine in Rechtskraft erwachsene gerichtliche Entscheidung zu überprüfen und aufzuheben, falls sich zeigt, dass sie gegen Gemeinschaftsrecht verstößt.

Daher liegt der Wiederaufnahmegrund des § 32 Abs. 1 Z. 3 VwGVG nicht vor. Ebenso wenig liegen andere Gründe für eine Wiederaufnahme nach § 32 VwGVG vor.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte in Anwendung des § 24 Abs. 4 VwGVG entfallen, da die Akten erkennen ließen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 EMRK noch Art 47 GRC der EU entgegenstanden.

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Wiederaufnahme des Verfahrens, Wiederaufnahmegrund; Vorfrage

Anmerkung

VfGH v. 8.6.2020, E 1014-1015/2020; Ablehnung
VwGH v. 13.4.2021, Ra 2020/11/0130; Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.041.V.057.12487.2019

Zuletzt aktualisiert am

27.04.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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