RS Vfgh 2020/6/17 WI4/2020

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Veröffentlicht am 17.06.2020
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Index

40/01 Verwaltungsverfahrensgesetze außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren
L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art141 Abs1 lita
Nö GRWO 1994 §29 Abs2, §32
ZustellG §7, §13, §16, §17, §26
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Stattgabe der Anfechtung der Wahl des Gemeinderates der Marktgemeinde Kottingbrunn; keine rechtmäßige Zustellung des Verbesserungsauftrags durch Einwurf in den Briefkasten des Vertreters der anfechtungswerbenden Wählergruppe anstelle einer RSb-Zustellung; offensichtliche Einflussmöglichkeit am Wahlergebnis durch Teilnahme einer weiteren Wahlpartei; Aufhebung der Wahl ab Prüfung der eingelangten Wahlvorschläge

Rechtssatz

Der Gemeindebedienstete warf den an den zustellungsbevollmächtigten Vertreter der anfechtungswerbenden Wählergruppe adressierten Verbesserungsauftrag der Gemeindewahlbehörde am 20.12.2019 an der Wohnadresse des Empfängers in den Briefkasten. Damit erfolgte jedoch weder die für die rechtswirksame Zustellung eines RSb-Briefes nötige Ausfolgung des Dokuments an den (Ersatz-)Empfänger gemäß §13 bzw §16 ZustellG noch die für den Fall der Abwesenheit eines (Ersatz-)Empfängers vorgesehene Hinterlegung gemäß §17 ZustellG. Der Einwand der Landes-Hauptwahlbehörde, dass durch den Einwurf in den Postkasten die Zustellung "im Wege einer Zustellung ohne Zustellnachweis faktisch durchgeführt" worden sei, geht schon insofern ins Leere, als eine solche Zustellung nicht von der konkreten Zustellverfügung gedeckt ist. Dabei spielt es auch keine Rolle, dass eine Zustellung gemäß §26 ZustellG mangels gegenteiliger gesetzlicher Bestimmungen im vorliegenden Fall grundsätzlich zulässig hätte sein können, da es nur auf die konkrete Zustellverfügung ankommt. Die fehlerhafte Zustellung des RSb-Briefes durch den Einwurf in den Briefkasten kann keinesfalls in eine Zustellung gemäß §26 ZustellG umgedeutet werden.

Auf Grund dieses Zustellmangels konnte gemäß §7 ZustellG erst zu dem Zeitpunkt eine wirksame Zustellung erfolgen, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist. Die Beweislast hiefür trägt die Behörde. "Tatsächlich zugekommen" ist eine Sendung jedoch nur dann, wenn sie den Empfänger selbst wirklich erreicht hat, wobei der bloße Einwurf in den Briefkasten - wie im vorliegenden Fall - hiefür noch nicht ausreichend ist. Ein tatsächliches Zukommen des Dokuments zu einem bestimmten Zeitpunkt vor dem 13.01.2020 kann weder aus dem Wahlakt noch aus den beim VfGH eingelangten Stellungnahmen zweifelsfrei angenommen werden. Die von der Gemeindewahlbehörde am 31.12.2019 beschlossene, am 07.01.2020 zugestellte Zurückweisung des Wahlvorschlages der anfechtungswerbenden Wählergruppe erfolgte daher entgegen der Vorschrift des §32 Abs2 NÖ GRWO 1994 vor der Erteilung eines Verbesserungsauftrages. Das in der Folge ohne eine weitere Teilnahme der anfechtungswerbenden Wählergruppe durchgeführte Wahlverfahren erweist sich daher als rechtswidrig.

Der Einwand der Gemeindewahlbehörde, dass der Wahlvorschlag daher ohnehin auch mangels Vorliegens hinreichender Unterstützungserklärungen nach §32 Abs2 lite NÖ GRWO 1994 zurückzuweisen gewesen wäre ist nicht zutreffend, als der behauptete alternative Zurückweisungsgrund nicht vorliegt:

Zwar enthält die Liste der Unterstützungserklärungen in der Tabelle zur Eintragung der Daten der Unterstützenden die Überschrift "Unterstützungserklärungen für Wolfgang Muhsger; Neues Kottingbrunn NK". Jedoch geht dieser Liste eine Seite voran, auf der unter Punkt I. die Parteibezeichnung "NEUES KOTTINGBRUNN" mit der Kurzbezeichnung "NK" angegeben und unter Punkt II. darauf hingewiesen wird, dass die in der anschließenden Liste gefertigten Wahlberechtigten "den Wahlvorschlag mit der oben stehenden Parteibezeichnung" unterstützen. Insgesamt besteht somit kein begründeter Zweifel daran, dass sich die Unterstützungserklärungen auf den von der anfechtungswerbenden Wählergruppe eingebrachten Wahlvorschlag mit der Parteibezeichnung "NEUES KOTTINGBRUNN" und der Kurzbezeichnung "NK" beziehen. Auch der Einwand, dass die anfechtungswerbende Wählergruppe ein Formular verwendet habe, das von dem in der Verordnung vorgesehenen Formular 7 abweicht, hätte keine Zurückweisung des Wahlvorschlages begründen können, weil das im vorliegenden Fall verwendete Formular lediglich eine andere Formatierung, ansonsten jedoch sämtliche vom Gesetz und der genannten Verordnung geforderten Inhalte aufweist.

Durch die rechtswidrige Zurückweisung des Wahlvorschlages der anfechtungswerbenden Wählergruppe wurde eine Teilnahme dieser Wählergruppe als Wahlpartei an der Gemeinderatswahl der Marktgemeinde Kottingbrunn am 26.01.2020 ausgeschlossen. Damit ist jedoch die Einflussmöglichkeit der festgestellten Rechtswidrigkeit offensichtlich, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Teilnahme einer weiteren Wahlpartei das Wahlergebnis beeinflusst hätte.

Um die Rechtswidrigkeit zu beseitigen, ist es erforderlich, die Wahl ab der Prüfung der eingelangten Wahlvorschläge aufzuheben. Die Gemeindewahlbehörde wird die geprüften Wahlvorschläge im zu wiederholenden Wahlverfahren allenfalls neuerlich zur Verbesserung gemäß §32 Abs2 NÖ GRWO 1994 zurückzustellen haben.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Wahlen, Gemeinderat, Zustellung, VfGH / Wahlanfechtung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:WI4.2020

Zuletzt aktualisiert am

25.08.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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