TE Vwgh Beschluss 2020/5/28 Ra 2018/06/0245

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Veröffentlicht am 28.05.2020
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Index

L80007 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan Tirol
L82000 Bauordnung
L82007 Bauordnung Tirol
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §52
AVG §53 Abs1
AVG §7 Abs1
BauO Tir 2018 §2 Abs17 lita
BauO Tir 2018 §33 Abs3 lita
BauRallg
B-VG Art133 Abs4
ROG Tir 2016 §37
ROG Tir 2016 §43
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2018/06/0246

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler und die Hofrätinnen Mag. Rehak und Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schreiber BA, in der Revisionssache 1. des Dr. G P und 2. der Dr. A P beide in I und beide vertreten durch Dr. Mag. Günther Riess, Dr. Erwin Köll und Mag. Christine Schneider, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 38, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 27. April 2018, LVwG-2017/31/2268-13, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Stadtmagistrat Innsbruck; mitbeteiligte Partei: Bgesellschaft m.b.H. in Innsbruck, vertreten durch Dr. Christian Girardi, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 29/P; weitere Partei: Tiroler Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die revisionswerbenden Parteien haben der Stadtgemeinde Innsbruck Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4        Mit dem angefochtenen Spruchpunkt 1. des Erkenntnisses des Landesverwaltungsgerichtes Tirol (im Folgenden: Verwaltungsgericht) wurde die Beschwerde der revisionswerbenden Parteien gegen den Bescheid des Stadtmagistrates der Landeshauptstadt Innsbruck vom 25. Juli 2017, mit welchem der mitbeteiligten Partei die Baubewilligung für die Sanierung und Erweiterung des zentralen Lehr- und Lerngebäudes der Medizinischen Universität I. erteilt worden war, als unbegründet abgewiesen. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt 3.).

5        In den zur Zulässigkeit der Revision vorgetragenen Gründen bringen die revisionswerbenden Parteien vor, dass es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, inwieweit eine über die gesamte Gebäudelänge angebrachte Absturzsicherung, durch die die maximal zulässige Gebäudehöhe erheblich überschritten werde, als „untergeordneter Baukörper“ im Sinn des § 2 Abs. 16 Tiroler Bauordnung 2011 - TBO 2011 „(gleichlautend § 2 Abs 17 TBO 2018)“ zu qualifizieren sei. Untergeordnete Bauteile seien in der genannten Bestimmung taxativ aufgezählt, Absturzsicherungen befänden sich nicht darunter.

6        Weiters habe das Verwaltungsgericht zu Unrecht die geltend gemachte Befangenheit des Amtssachverständigen Ing. S. und des „Verhandlungsrichters“ Mag. H. abgelehnt. Inwieweit das abgelehnte Organ selbst über den Befangenheitsantrag entscheiden könne, hänge von der Lösung einer Rechtsfrage ab, der grundsätzliche Bedeutung zukomme. Die diesbezügliche, nicht einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bedürfe einer Überprüfung. Seit Einführung der Landesverwaltungsgerichte sei der zuvor gegebene Instanzenzug nicht mehr gesichert, da das Verwaltungsgericht die ordentliche Revision für unzulässig erklären könne, sodass faktisch das abgelehnte Organ selbst endgültig in erster und letzter Instanz und unüberprüfbar über die eigene Befangenheit entscheide, soweit nicht die Voraussetzungen für die außerordentliche Revision vorlägen. Der Verfassungsgerichtshof habe den Umstand, dass ein Organ sich (nur) amtswegig für befangen zu erklären habe und den Parteien kein Antragsrecht auf Ablehnung wegen Befangenheit zukomme, verfassungsrechtlich nur mit der Begründung toleriert, dass es jeder Partei offenstehe, eine allenfalls von einem befangenen Organ gesetzte Amtshandlung als Mangelhaftigkeit des Verfahrens im Rechtsmittelweg geltend zu machen. Hilfsweise werde geltend gemacht, dass die Ablehnung der Befangenheitsanträge durch das erkennende Gericht eine grobe Fehlbeurteilung darstelle, die aus Gründen der Rechtssicherheit vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen einer außerordentlichen Revision aufzugreifen sei.

7        Darüber hinaus seien in § 37 Abs. 4 des am 1. Jänner 2016 in Kraft getretenen Tiroler Raumordnungsgesetzes 2016 - TROG 2016 gesetzlich festgelegte maximale Immissionsgrenzwerte normiert und in § 38 Abs. 5 TROG 2016 festgeschrieben worden, dass die Wohnqualität in Bezug auf Lärm durch ein Bauvorhaben jedenfalls dann wesentlich beeinträchtigt werde, wenn die neu eingeführten Grenzwerte überschritten würden. Vor diesem Hintergrund stelle sich „die allgemein rechtserhebliche Frage einer Überprüfung der Judikatur des VwGH zum alten Tiroler Raumordnungsgesetz“, wonach sich derartige Bestimmungen lediglich an den Verordnungsgeber wenden und keine subjektiv-öffentlichen Rechte für Nachbarn statuieren würden.

Mit diesem Vorbringen wird keine Rechtsfrage dargelegt, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

8        Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss VwGH 23.4.2020, Ra 2018/06/0099, unter Hinweis auf den insoweit klaren Wortlaut des § 2 Abs. 17 lit. a TBO 2018 bereits ausgesprochen hat, sind die in dieser Bestimmung genannten Bauteile dann als untergeordnete Bauteile anzusehen, wenn sie im Hinblick auf ihre Abmessungen im Verhältnis zur Fläche und zur Länge der betroffenen Fassaden bzw. Dächer untergeordnet sind, wobei die genannten Voraussetzungen kumulativ vorliegen, die Bauteile somit sowohl im Verhältnis zur Fläche als auch zur Länge der betroffenen Fassaden bzw. Dächer untergeordnet sein müssen. Es liegt daher bereits hg. Rechtsprechung zu dieser in der Zulässigkeitsbegründung aufgeworfenen Frage vor. Darüber hinaus ergibt sich aus der in der genannten Bestimmung enthaltenen Wortfolge „und dergleichen“ klar, dass die Aufzählung entgegen der Ansicht der revisionswerbenden Parteien nicht taxativ ist.

9        Im Übrigen ist die Frage, ob ein konkreter Bauteil als „untergeordneter Bauteil“ im Sinn des § 2 Abs. 17 lit. a TBO 2018 anzusehen ist oder nicht, im Einzelfall anhand der oben dargelegten Kriterien zu beurteilen und unterliegt demnach grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. neuerlich VwGH 23.4.2020, Ra 2018/06/0099, mwN).

10       Eine derartige Fehlbeurteilung wird in der Zulässigkeitsbegründung in Bezug auf die in Rede stehende Absturzsicherung nicht dargestellt und ist auch nicht ersichtlich. So haben sich die revisionswerbenden Parteien weder mit den dazu ergangenen Ausführungen des Verwaltungsgerichtes zu deren Qualifikation als Bauteil im Sinn des § 2 Abs. 17 lit. a TBO 2018 noch mit den im angefochtenen Erkenntnis enthaltenen detaillierten Berechnungen, wonach die Pflanztröge weniger als 50 % der jeweiligen gesamten Fassadenlänge einnähmen, auseinandergesetzt. Der bloße Umstand, dass eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehlt, begründet für sich allein noch keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (vgl. VwGH 26.9.2017, Ra 2017/05/0229, mwN). Bemerkt wird, dass zudem die Behauptung der revisionswerbenden Parteien, die Absturzsicherung sei über die gesamte Länge des Gebäudes angebracht, nach den in den Verfahrensakten aufliegenden, genehmigten Einreichplänen nicht zutrifft.

11       Zum Zulässigkeitsvorbringen betreffend die Geltendmachung der von den revisionswerbenden Parteien behaupteten Befangenheit kann ebenfalls auf dazu bereits nach Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit ergangene Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen werden, wonach sich die Mitglieder des Verwaltungsgerichtes unter Anzeige an den Präsidenten der Ausübung ihres Amtes „wegen Befangenheit“ - und nicht bereits bei bloßer Behauptung des Vorliegens einer Befangenheit durch eine Partei - zu enthalten haben (vgl. VwGH 31.3.2016, Ra 2016/02/0050, mwN). Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichtshof auch schon ausgesprochen, dass die Zulässigkeit einer Revision bei Behauptung einer Befangenheit jedenfalls voraussetzt, dass im Zuge dieser Rüge eine grundsätzliche Rechtsfrage (des Verfahrensrechtes) aufgeworfen wird. Rechtsfragen des Verfahrensrechtes (insbesondere auch solche der Befangenheit) sind nur dann von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes auf dem Spiel stehen bzw. wenn die in der angefochtenen Entscheidung getroffene Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt ist und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis geführt hat (vgl. VwGH 29.6.2017, Ra 2016/06/0150, mwN). Inwiefern die dazu bestehende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich sein soll, legen die revisionswerbenden Parteien nicht dar und ist auch nicht ersichtlich.

12       Dazu kommt, dass die Frage, ob ein Sachverständiger in einem bestimmten Verfahren als befangen anzusehen ist, keine grundsätzliche, sondern eine einzelfallbezogene Rechtsfrage darstellt (vgl. VwGH 28.11.2019, Ra 2019/07/0092, mwN), welche die Zulässigkeit einer Revision nur dann zu begründen vermag, wenn vom Verwaltungsgericht diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. wiederum VwGH 23.4.2020, Ra 2018/06/0099, mwN). Eine derartige Fehlbeurteilung wird in der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden Revision nicht aufgezeigt.

13       Im Übrigen ist festzuhalten, dass die Frage der Rechtmäßigkeit von generellen Normen keine vom Verwaltungsgerichtshof zu lösende Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG darstellt (vgl. etwa VwGH 2.8.2017, Ra 2017/05/0101, mwN) und die revisionswerbenden Parteien ihre diesbezüglichen Bedenken in ihrer Beschwerde gemäß Art. 144 B-VG gegen das auch hier angefochtene Erkenntnis bereits an den Verfassungsgerichtshof herangetragen haben, der deren Behandlung mit Beschluss vom 24. September 2018, E 2362/2018-18, ablehnte. In diesem Beschluss hielt der Verfassungsgerichtshof ausdrücklich fest, dass keine verfassungsrechtlichen Bedenken daran bestünden, dass Befangenheitsgründe gemäß § 7 Abs. 1 und § 53 AVG bzw. gemäß § 6 VwGVG ausschließlich von Amts wegen wahrzunehmen seien.

14       Das Vorbringen der revisionswerbenden Parteien zur Aufnahme von Immissionsgrenzwerten in § 37 TROG 2016 geht schon deshalb ins Leere, weil das im Revisionsfall gegenständliche Baugrundstück nicht die Widmung „Bauland“ aufweist, sondern als „Sonderfläche Universitätseinrichtungen“ gewidmet ist. Dass die raumordnungsrechtlichen Bestimmungen betreffend die Widmungskategorie Sonderfläche einen Immissionsschutz vorsehen würden, behaupten selbst die revisionswerbenden Parteien nicht und ist aus den betreffenden Bestimmungen auch nicht ableitbar (vgl. dazu VwGH 24.10.2017, Ro 2014/06/0067 und 0069, mwN). Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung zeigen die revisionswerbenden Parteien damit nicht auf.

Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

15       Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf § 51 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am 28. Mai 2020

Schlagworte

Befangenheit von Sachverständigen Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Schutz vor Immissionen BauRallg5/1/6 Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Vorschriften, die keine subjektiv-öffentliche Rechte begründen BauRallg5/1/9 Planung Widmung BauRallg3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018060245.L00

Im RIS seit

10.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.07.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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