TE Vfgh Beschluss 2020/6/9 E1320/2020 ua

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Veröffentlicht am 09.06.2020
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Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

ZPO §146
COVID-19-VwBG §2, §6
VfGG §7 Abs2, §35

Leitsatz

Abweisung von Wiedereinsetzungsanträgen; Rechtsirrtum über das Inkrafttreten des verwaltungsrechtlichen COVID-19-BegleitG ist kein Wiedereinsetzungsgrund

Spruch

I. Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand werden abgewiesen.

II. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

1. Mit am 5. Mai 2020 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachtem Schriftsatz begehren die Antragsteller die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde und erheben unter einem Beschwerden gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7. Februar 2020.

Zur Begründung der Wiedereinsetzungsanträge wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die "gewöhnliche" Beschwerdefrist am 20. März 2020 geendet habe. Der Rechtsvertreter der Antragsteller habe allerdings seine Kanzleimitarbeiter ab 13. März 2020 von ihrer Arbeit freigestellt. Dies sei auf Grund der Regierungsauflagen geschehen, die durch eine Pressekonferenz des Bundeskanzlers am selben Tag bekannt gegeben und in Medien kommuniziert worden seien. Dadurch sei der Eindruck erweckt worden, dass die Verfahrensfristen mit 13. März 2020 unterbrochen und ab 1. Mai 2020 in vollem Umfang neu zu laufen beginnen werden. Zu diesem Zeitpunkt sei die Frist zur Einbringung der Beschwerden gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes noch offen gestanden.

Mit dem 2. COVID-19-Gesetz sei jedoch klargestellt worden, dass diese "Unterbrechungsregel" nur Fristen erfasse, die bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes am 22. März 2020 noch nicht abgelaufen seien. Damit werde jedoch außer Acht gelassen, dass erste Erkrankungen mit COVID-19 bereits im Februar aufgetreten seien.

Die für das Verfassen der Beschwerden zuständige Mitarbeiterin des Rechtsvertreters habe sich auf Grund der Pandemie intensiv um einen nahen Angehörigen kümmern müssen, wodurch die Mitarbeiterin an der rechtzeitigen Erhebung der Beschwerden gehindert gewesen sei. Die Pandemie sei ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis. Wie sehr sich die Betreuungspflichten auf die Arbeit der Mitarbeiterin auswirken würden, habe nicht vorhergesehen und abgewendet werden können.

Nachdem die Mitarbeiterin ihre gewöhnliche Tätigkeit am 4. Mai 2020 in der Kanzlei des Rechtsvertreters wieder aufgenommen habe, habe die vierzehntägige Frist für die Stellung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu laufen begonnen.

2. Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist sind zulässig, aber nicht begründet:

2.1. Da das VfGG die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 VfGG die entsprechenden Bestimmungen der §§146 ff. ZPO sinngemäß anzuwenden.

2.1.1. Nach §146 ZPO ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Unter einem "minderen Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (s etwa VfSlg 9817/1983, 14.639/1996, 15.913/2000 und 16.325/2001 mwN).

Aus §39 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG ergibt sich, dass das Verschulden des Bevollmächtigten eines Beschwerdeführers einem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten ist.

2.1.2. Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung muss gemäß §148 Abs2 ZPO innerhalb von vierzehn Tagen gestellt werden. Diese Frist beginnt mit dem Tage, an welchem das Hindernis, welches die Versäumung verursachte, weggefallen ist; sie kann nicht verlängert werden. Zugleich mit dem Antrag ist dem §149 Abs1 ZPO zufolge auch die versäumte Prozesshandlung nachzuholen.

2.2. Das Hindernis für die rechtzeitige Einbringung der Beschwerde fiel am 4. Mai 2020 weg. Mit den am folgenden Tag im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachten Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde daher diese Frist gewahrt.

2.3. Von einem minderen Grad des Versehens des Rechtsvertreters der Antragsteller kann im vorliegenden Fall nicht gesprochen werden:

2.3.1. Die sechswöchige Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7. Februar 2020 endete am 20. März 2020. Der Rechtsvertreter der Antragsteller ging hingegen davon aus, dass diese Frist durch die am 13. März 2020 in einer Pressekonferenz verkündeten "Regierungsauflagen" unterbrochen worden sei.

Mit dieser Annahme, wonach von einer Ankündigung eines Regierungsmitgliedes Rechtswirkungen auf den Ablauf einer Frist, in der ein verfahrenseinleitender Antrag gemäß §15 Abs1 VfGG zu stellen ist, ausgehen, unterliegt er einem Rechtsirrtum. Erst das Inkrafttreten des §6 Abs2 iVm §2 des Verwaltungsrechtlichen COVID-19-Begleitgesetzes – COVID-19-VwBG, BGBl I Nr 16/2020, entfaltete Rechtswirkungen für den Ablauf der Beschwerdefrist. Ein Rechtsirrtum stellt allerdings kein Ereignis dar, das eine Wiedereinsetzung zu rechtfertigen vermag (vgl zB VfGH 12.06.2015, E464/2014).

2.3.2. Der Rechtsvertreter der Antragsteller bringt zudem vor, dass es der zuständigen Kanzleimitarbeiterin auf Grund der Erkrankung eines nahen Angehörigen nicht möglich gewesen sei, rechtzeitig Beschwerde zu erheben.

Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes stellt eine Erkrankung der Partei oder ihres Rechtsvertreters dann einen Wiedereinsetzungsgrund dar, wenn sie plötzlich auftritt und für eine rechtzeitige Vertretung nicht mehr gesorgt werden kann (vgl etwa VfSlg 14.576/1996 und 17.454/2005 jeweils mwN). Im vorliegenden Fall kann dahin gestellt bleiben, ob dies auch für den Fall der Erkrankung eines nahen Angehörigen des Rechtsvertreters gilt. Weder wird vorgebracht, zu welchem Zeitpunkt die Erkrankung aufgetreten ist noch warum es der Kanzleimitarbeiterin nicht möglich war, für ihre rechtzeitige Vertretung zu sorgen bzw weshalb der Rechtsvertreter nicht selbst die entsprechende Prozesshandlung vornehmen konnte.

Ein beruflicher rechtskundiger Parteienvertreter hat seine Kanzlei so zu organisieren, dass nach menschlichem Ermessen die Versäumung von Fristen ausgeschlossen ist (vgl VfGH 23.11.2017, E178/2017). Auch wenn es sich bei der Covid-19-Pandemie um eine Ausnahmesituation handelt, ist festzuhalten, dass die Beschwerdefrist im vorliegenden Fall am 13. März 2020 bereits fünf Wochen offen gestanden ist und noch eine weitere Woche offen stand und dass der Rechtsvertreter Kenntnis von der Situation der „zuständigen“ Kanzleimitarbeiterin hatte.

2.4. Aus diesen Gründen liegen aber die Voraussetzungen für die Bewilligung der

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vor, weshalb der darauf gerichtete Antrag abzuweisen ist.

3. Die Beschwerden wurden erst nach Ablauf der sechswöchigen Frist (§82 Abs1 VfGG) eingebracht und sind somit als verspätet zurückzuweisen.

4. Diese Beschlüsse konnten gemäß §149 Abs2 ZPO iVm §35 VfGG und §19 Abs3 Z2 litb VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

Schlagworte

VfGH / Wiedereinsetzung, VfGH / Fristen, Beschwerdefrist

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E1320.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.07.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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