TE Vwgh Erkenntnis 1998/2/27 96/21/0663

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Veröffentlicht am 27.02.1998
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

FlKonv Art1;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
MRK Art3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Robl,

Dr. Rosenmayr, Dr. Baur und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Oberdorfer, über die Beschwerde des SE (geboren am 10. April 1972) in Graz, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 11. Juni 1996, Zl. Fr 1423/1-1995, betreffend Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in die Türkei, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesministerium für Inneres) Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die vorliegende Beschwerde ist gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 11. Juni 1996 gerichtet, mit welchem festgestellt wurde, es bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, daß der Beschwerdeführer in der Türkei gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 des Fremdengesetzes (FrG) bedroht wäre. Diese Entscheidung wurde im wesentlichen damit begründet, daß der am 3. Februar 1995 gestellte Asylantrag des am 2. Februar 1995 nach Österreich eingereisten Beschwerdeführers mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. März 1995 abgewiesen worden sei. Der Beschwerdeführer habe angegeben, der Volksgruppe der Aleviten anzugehören, welche in der Türkei etwa auf die gleiche Weise wie die Kurden verfolgt werde, und zwar von den Sünni, wie auch von den Türken. Im Dorf des Beschwerdeführers herrsche eine strenge Trennung zwischen den Volksgruppen. Der Beschwerdeführer sei auf offener Straße mehrfach angegriffen und niedergeschlagen worden und hätte für sich auch keinen Reisepaß erhalten können. Diese Umstände hätten dazu geführt, daß er beschlossen habe, seinem Bruder nach Österreich zu folgen. Eine Rückkehr in die Türkei sei ihm im Hinblick auf die allgemeine Verfolgung der Aleviten nicht möglich. Er sei in der Nähe einer Schule von zwei ihm bekannten Männern dreimal geschlagen und verjagt worden. Diese hätten den Beschwerdeführer aber gekannt und gewußt, wer er sei; alle Bewohner seines Dorfes seien geschlagen worden.

Die belangte Behörde schließe sich der Ansicht der Asylbehörde an, daß die vom Beschwerdeführer behaupteten Beeinträchtigungen und Belästigungen, die sich aus der allgemeinen Situation in seinem Heimatdorf ergäben und jedermann treffen könnten, einerseits nicht als vom Staat iniziierte oder geduldete Verfolgungshandlungen anzusehen seien und andererseits allgemeine soziale Schwierigkeiten sowie atmosphärische Diskriminierungen darstellten, welche mangels ausreichender "Eingriffsintensität" nicht als Verfolgung (im Sinne des § 37 Abs. 2 FrG) zu qualifizieren seien. Die Nichtausstellung eines Reisepasses stelle keinen ausreichend gravierenden Eingriff in die Grundrechte des Beschwerdeführers dar. Der Beschwerdeführer habe auch in seiner Berufungsschrift lediglich allgemein gehaltene Hinweise auf die Brisanz der derzeitigen politischen Situation für die alevitische Glaubensgemeinschaft in der Türkei gemacht und auf regelmäßige Folterungen in türkischen Gefängnissen hingewiesen, er habe jedoch nicht aufzeigen können, daß er sich aus objektiv wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes befinde. Der Beschwerdeführer habe in seiner Berufung am 7. September 1995 seine Einvernahme verlangt. Eine solche habe am 9. Mai 1995 jedoch bereits stattgefunden; der Beschwerdeführer habe jedoch auch bei dieser bloß angegeben, daß er nicht mehr in die Türkei zurückkönne, da er wieder der allgemeinen Verfolgung gegen Aleviten ausgesetzt sei. Durch den Hinweis des Beschwerdeführers auf Länderberichte von Flüchtlingshilfsorganisationen werde nicht dargelegt, inwieweit sich aus diesen Berichten für den Beschwerdeführer eine konkrete Gefährdung oder Bedrohung erkennen lassen könne. Der Beschwerdeführer habe somit entgegen der ihm obliegenden Mitwirkungspflicht keine konkreten Umstände zumindest glaubhaft gemacht, daß ihm in der Türkei die in § 37 Abs. 1 und/oder 2 FrG genannte Gefahr konkret drohe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht und dessen Aufhebung beantragt wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren gemäß § 54 Abs. 1 FrG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vom Antragsteller mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen, also im Falle seiner Abschiebung in den im Antrag genannten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt durch diese nicht abwendbaren Bedrohung im Sinne des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 4. Dezember 1996, Zl. 96/21/0543, und vom 19. Februar 1997, Zl. 96/21/0096) und von der Behörde das Vorliegen konkreter Gefahren für jeden einzelnen Fremden für sich zu prüfen. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 1997, Zl. 95/21/0381, m.w.N.).

Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde vor, daß sie ihn zur Frage seiner Situation in der Türkei nicht einvernommen und ihn in seinem Recht auf Parteiengehör verletzt habe. Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer deswegen keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf, weil er auch in der Beschwerde keinerlei Hinweis darauf gibt, welches sachverhaltsbezogene Vorbringen die Behörde zu einer - für ihn günstigeren - Entscheidung hätte veranlassen können. Der Beschwerdeführer behauptet nämlich zwar, daß in der Türkei eine "Folterpraxis" bestehe, sowie eine Praxis des "Verschwinden-Lassens" von Personen kurdischer Herkunft. Die Beschwerde läßt jedoch keinen Zusammenhang des Beschwerdeführers mit derartigen Informationen erkennen.

Zwar hätte der Umstand, daß der Beschwerdeführer bloß durch türkische Privatpersonen bedroht sei, für sich allein genommen dann nicht zu einer Verneinung einer Bedrohung des Beschwerdeführers führen können, wenn eine durch staatliche Stellen zumindest gebilligte oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) durch diese nicht abwendbare Bedrohung vorliegt.

Das Vorliegen einer Bedrohung gemäß § 37 Abs. 2 FrG setzt jedoch - ebenso wie das Vorliegen einer begründeten Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention - die Gefahr einer Verfolgung in einer Intensität voraus, daß der weitere Verbleib des Betroffenen in seiner Heimat als objektiv unerträglich erscheint (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. September 1993, Zl. 92/01/0751) oder daß eine massive Bedrohung der Lebensgrundlagen vorliegt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. September 1996, Zl. 95/20/0429). Die Bedrohung mit einer Mißhandlung kann nur dann als eine Bedrohung im Sinne des § 37 Abs. 1 FrG gewertet werden, wenn ein Mindestmaß an Schwere gegeben ist, wobei es auf alle Umstände des Falles, z.B. auf die Art und Weise ihrer Ausführung, ihre Dauer, die physischen und psychischen Auswirkungen sowie in manchen Fällen auf das Geschlecht, das Alter oder den Gesundheitszustand des Betroffenen ankommt (vgl. das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 7. Juli 1989 im Fall Soering, Rz 100, EuGRZ 1989, 314 ff, zu Art. 3 MRK, welcher Bestimmung durch § 37 Abs. 1 FrG einfachgesetzlich Rechnung getragen wird). Vorliegend hat der Beschwerdeführer bloß behauptet, beim Vorbeigehen bei einer bestimmten Schule von zwei ihm unbekannten Personen wegen seiner Zugehörigkeit zur alevitischen Volksgruppe geschlagen und vertrieben worden zu sein. Ohne qualifizierende Umstände sind derartige Vorfälle nicht als eine ausreichend intensive Bedrohung im Sinne des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG zu werten. Dies gilt auch für die Versagung der Ausstellung eines Reisepasses für den Beschwerdeführer durch die türkischen Behörden.

Daß in der Türkei für den Beschwerdeführer aber aus anderen Gründen eine massive Bedrohung seiner Lebensgrundlagen bestünde, hat er im Verwaltungsverfahren nicht behauptet, weshalb der Beschwerde der Erfolg versagt bleiben mußte.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996210663.X00

Im RIS seit

13.08.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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