TE Bvwg Beschluss 2020/1/23 I408 2225990-1

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Veröffentlicht am 23.01.2020
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Entscheidungsdatum

23.01.2020

Norm

B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1a
StGB §107 Abs2
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs3 Satz 2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

I408 2225990-1/7E

Beschluss

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Nigeria, vertreten durch: VEREIN MENSCHENRECHTE ÖSTERREICH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.10.2019, Zl. 226145409-190159613, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid zur Gänze behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsbürger hält sich seit Juni 2001 durchgehend in Österreich auf. Seit 18.12.2002 ist sein Aufenthalt rechtmäßig und er verfügt über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt EU", gültig bis 23.06.2020.

Der Beschwerdeführer weist beginnend mit 2004 (Körperverletzung), 2007 (Widerstand gegen die Staatsgewalt), 2009 (Suchtgiftdelikte), 2014 (Körperverletzung) und zuletzt 2017 (gefährliche Drohung) fünf Vorstrafen auf. Die vier ersten Vorstrafen sind getilgt und wurden nicht zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen herangezogen.

Am 19.11.2016 suchte der Beschwerdeführer eine Polizeidienststelle auf und erklärte dem diensthabenden Beamten auf Englisch, von Gott geschickt worden zu sein und Hilfe zu benötigen. Da er nicht schlüssig angeben konnte, welche Art von Hilfe er benötige, wurde er aufgefordert, die Dienststelle zu verlassen. Darauf äußerte er aufgebracht gegenüber dem Beamten "If I have to go, I kill somebody" und wiederholte auf Rückfrage diese Äußerung dreimal.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 27.02.2017, XXXX, wurde erkannt, dass die o.a. Tathandlung als Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 2 StGB anzusehen ist, aber unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB) erfolgt ist und der Beschwerdeführer daher in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen ist.

Der Beschwerdeführer leidet an einer paranoiden Schizophrenie F20.0 und befindet sich seit seiner Einweisung in die Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher in ständiger psychiatrischer, psychologischer und soziotherapeutischer Behandlung.

Das Krankheitsbild des Beschwerdeführers besteht schon seit Jahren und ist durch eine Affektverflachung und Affektarmut gekennzeichnet. Darüber hinaus sind psychomotorische Verlangsamung, Passivität und Initiativmangel präsent und die Sprache ist verarmt (Arztbrief vom 11.03.2019).

Derzeit nimmt der Beschwerdeführer an allen Behandlungen aktiv teil, legt großen Wert auf seine Körperhygiene, erledigt die ihm aufgetragenen Arbeiten genau und ordentlich und hält sein Zimmer selbständig in Ordnung. Bei der bestehenden Behandlungs- und Medikamentenadhärenz sind beim Beschwerdeführer in diesem Zeitraum weder selbst- noch fremdgefährdende Verhaltensweisen aufgetreten. Halluzinationen werden vom Beschwerdeführer verneint, sind jedoch im Hintergrund nicht gänzlich auszuschließen. Aufgrund der anhaltenden psychopathologischen Stabilität wurde der Beschwerdeführer bereits im Feber 2018 zur weiteren Förderung der Selbständigkeit und Eigenverantwortung in den sozialtherapeutischen Bereich des Forensischen Zentrums der Justizanstalt verlegt, verbunden mit begleiteten Ausgängen und der Teilnahme an einem externen Beschäftigungsprogramm im XXXX-Projekt. Im weiteren Behandlungsverlauf ist zudem eine UdU (Unterbrechung der Unterbringung) im Wohnhaus pro mente plus angedacht (ärztliche Stellungnahme vom 20.12.2018).

Der Beschwerdeführer war bis zu seiner Verhaftung selbsterhaltungfähig (AS 127) und besuchte noch im Mai/Juni 2016 seine Angehörigen in Nigeria (AS 119). Auch seine geschiedene Ehefrau, eine österreichische Staatsbürgerin, die zudem Opfer einer vom Beschwerdeführer begangenen Körperverletzung war (Strafurteil vom 14.05.2004/AS 63), möchte wieder Kontakt mit ihrem Exmann aufnehmen (AS 165).

Mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom 11.01.2019, XXXX, wurde eine bedingte Entlassung aus der Unterbringung für geistig abnorme Rechtsbrecher abgelehnt (AS 161).

Am 28.02.2019 wurde dem Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf seine letzte Verurteilung am 27.02.2017, die zur Einweisung in die Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher führte, Parteiengehör zur beabsichtigten Rückkehrentscheidung und der Erlassung eines Einreiseverbotes gewährt. Den dabei übermittelten Fragenkatalog beantwortete der Beschwerdeführer am 12.03.2019 und verwies unter Beischluss eines Arztbriefes auf seine psychische Erkrankung (AS 117).

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.10.2019 wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.) und festgestellt, dass eine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt II.). Zudem wurde gegen ihn ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.), ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt IV.) und einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).

Mit der fristgerecht eingebrachten Beschwerde durch seine bevollmächtigte Rechtsvertretung vom 19.11.2019 bekämpfte der Beschwerdeführer diese Entscheidung zu den Spruchpunkten I. bis IV., beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und regte an, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Mit Teilerkenntnis vom 05.12.2019 wurde der Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung Folge gegeben und der Spruchpunkt ersatzlos behoben sowie der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Die belangte Behörde hat sich bei ihrer Entscheidung keinen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer, insbesondere in Bezug auf seine Persönlichkeit und sein Krankheitsbild gemacht. Sie hat sowohl den 19-jährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers als auch sein Krankheitsbild nicht gesetzeskonform berücksichtigt und daher zweckdienliche Ermittlung nicht vorgenommen. Insbesondere kann aus dem Akteninhalt nicht geschlossen werden, ob die Erkrankung bereits vor November 2016 bekannt war bzw. behandelt wurde.

2. Beweiswürdigung:

Der erkennende Richter stützt sich auf den Inhalt des vorgelegten Aktes der belangten Behörde, insbesondere auf die schriftliche Stellungnahme des Beschwerdeführers, den beiden genannten Arztbriefen sowie den Ausdrucken aus GVS, ZMR und Strafregister.

Auch wenn, wie die belangte Behörde in ihrem Bescheid dargelegt hat, aus dem SV- und ZMR-Auszug eine gewisse Verwahrlosung in den letzten Jahren herauszulesen ist, wurde nicht abgeklärt, ob die Ursachen in der nicht erfolgten Behandlung liegen. Aus der ärztlichen Stellungnahme vom 20.12.2018 lässt (AS 159) sich das nicht entnehmen. Vielmehr wird darin hingewiesen, dass der Beschwerdeführer das therapeutische Angebot annimmt und zuverlässig seinen Aufgaben nachkommt (AS 163). Eine Abklärung wurde nicht vorgenommen.

Vor allem findet aber der fast 20.-jährige Aufenthalt, die sich daraus ergebenden sozialen Kontakte sowie seine, aufgrund der ausgewiesenen Beschäftigungsverhältnisse erlangten Selbsterhaltungsfähigkeit in der Entscheidung nicht die entsprechende Berücksichtigung. Immerhin hat der Beschwerdeführer noch im Mai/Juni 2016 eigenfinanziert seine Angehörigen in Nigeria besucht (AS 119), ging von 01.05.2015 bis 15.08.2016 einer durchgehenden Beschäftigung nach und auch der Kontakt zu seiner geschiedenen Ehefrau, einer österreichischen Staatsbürgerin ist offenbar nicht zur Gänze abgebrochen (AS 165). Auch diese Umstände wurden nicht berücksichtigt bzw. abgeklärt.

3. Rechtliche Beurteilung:

A) Zur Zurückweisung an die belangte Behörde

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Absatz 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist dabei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Der VwGH hat die Möglichkeit der Zurückverweisung nur auf krasse bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken eingeschränkt. Das ist u. a. dann der Fall, wenn die belangte Behörde nur ansatzweise erhoben hat.

Im gegenständlichen Fall erfolgte, wie bereits in den Feststellungen dargelegt, keine Erörterung von nicht eindeutig geklärten Sachverhalten. Insbesondere fand der lange Aufenthalt des Beschwerdeführers, seine Selbsterhaltungsfähigkeit aufgrund der lt. SV-Ausdruck ersichtlichen beruflichen Tätigkeiten erlangten Selbsterhaltungsfähigkeit nicht - wie gesetzliche vorgesehen - entsprechende Berücksichtigung bzw. wurden dazu entsprechende Erhebungen unterlassen. Auch aus den beiden Arztbriefen ist nicht zweifelsfrei erkennbar, dass ein weiterer Aufenthalt des in Österreich integrierten Beschwerdeführers tatsächlich eine "hinreichende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit" darstellt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa VwGH 10.9.2014, Ra 2014/08/0005; 24.3.2015, Ra 2014/09/0043, 14.12.2015, Ra 2015/09/0057, und 20.2.2018, Ra 2017/20/0498, jeweils mwN) und es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Abschiebung, Behebung der Entscheidung, Einreiseverbot,
Ermittlungspflicht, Gefährdung der Sicherheit, gefährliche Drohung,
Kassation, Körperverletzung, Krankheit, mangelhaftes
Ermittlungsverfahren, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
Rückkehrentscheidung, Selbsterhaltungsfähigkeit, Straffälligkeit,
strafrechtliche Verurteilung, Straftat, Suchtmitteldelikt,
Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I408.2225990.1.00

Zuletzt aktualisiert am

02.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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