TE Vwgh Erkenntnis 2020/5/27 Ra 2020/19/0058

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Veröffentlicht am 27.05.2020
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Index

E3L E19103010
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG 2014 §21 Abs7
MRK Art2
MRK Art3
VwGG §42 Abs2 Z1
32011L0095 Status-RL Art15

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens und die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des S N, vertreten durch Dr. Malena Stürzenbecher, Rechtsanwältin in 1080 Wien, Laudongasse 20/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Jänner 2019, G314 2191946-1/8E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Kosovo, stellte am 25. März 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, sein Bruder habe einen Autounfall verursacht, bei dem drei Menschen ums Leben gekommen seien. Die Familien der Unfallopfer hätten im Rahmen der Blutrache gedroht, den Revisionswerber zu töten.

2        Mit Bescheid vom 6. März 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Kosovo zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Das BFA führte - soweit hier maßgeblich - zum Fluchtvorbringen des Revisionswerbers aus, dieser habe divergierende Aussagen zum Zeitpunkt des Unfalls seines Bruders und zu den Bedrohungen durch die Angehörigen der Unfallopfer gemacht. Der Revisionswerber habe sich im Jahr 2015 einer Prostatektomie unterzogen, sei nunmehr aber grundsätzlich gesund. Er könne bei einer Rückkehr seinen Lebensunterhalt durch eigene Arbeitsleistung bestreiten, wie er dies bereits in der Vergangenheit getan habe. Der Revisionswerber verfüge auch über ein familiäres Netzwerk im Kosovo, mit dem er in Kontakt stehe und welches ihn bei einer Rückkehr auch unterstützen könne. Nach den Länderfeststellungen gebe es im Kosovo auch staatliche Unterstützung, etwa in Form von Geld-, Sach- und Beratungsleistungen.

4        Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde. Darin brachte er u.a. vor, er leide neben seiner Krebserkrankung auch an einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung, die einer psychiatrischen Behandlung bedürfe. Im Fall eines Ortswechsels würde er einen schweren gesundheitlichen Schaden erleiden. Dazu legte er eine fachärztliche Stellungnahme vom 22. März 2018 vor. Weiters brachte der Revisionswerber vor, er sei nicht arbeitsfähig und könne sich daher eine medizinische Behandlung im Kosovo nicht leisten. Er habe dort keinen Rentenanspruch und verfüge über kein Vermögen. Seine im Kosovo befindlichen Schwestern seien nicht berufstätig und sein Bruder sei erst kürzlich aus der Haft entlassen worden, sodass eine Unterstützung durch seine Familie ausgeschlossen sei. Außerdem erstattete er ein Vorbringen zu seinem Privatleben in Österreich, machte zwei Zeugen namhaft und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

5        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde des Revisionswerbers - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Begründend führte das BVwG - soweit hier maßgeblich - aus, der Revisionswerber werde bei einer Rückkehr in den Kosovo ausreichend Schutz vor der von ihm geltend gemachten Verfolgung durch Privatpersonen erhalten. Zum Gesundheitszustand des Revisionswerbers stellte das BVwG fest, dieser habe infolge der Prostatektomie in den Jahren 2015 bis 2017 eine Hormontherapie bekommen. Aktuell sei er beschwerdefrei, habe aber regelmäßig Kontrolluntersuchungen. Bei einem Anstieg des PSA-Wertes sei geplant, die Hormontherapie wiederaufzunehmen. Dazu führte das BVwG beweiswürdigend aus, das für die Hormontherapie notwendige Medikament sei zwar im Kosovo nicht erhältlich, jedoch sollte ein Alternativmedikament in den öffentlichen Gesundheitszentren gratis zur Verfügung stehen. Auch bestünden im Kosovo Möglichkeiten zur Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung, wofür sich das BVwG auf eine von ihm eingeholte Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 21. März 2018 und auf eine ACCORD-Anfragebeantwortung vom 4. Mai 2017 stützte. Der Revisionswerber habe im Kosovo familiäre Anknüpfungspunkte und könne von seiner Familie weiterhin finanziell unterstützt werden. Auch könne er dort eine Rente und Sozialhilfeleistungen erhalten.

7        Rechtlich ging das BVwG u.a. davon aus, dass die gesundheitlichen Probleme des Revisionswerbers die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht rechtfertigen könnten. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (Hinweis auf das Urteil vom 18.12.2014, M`Bodj, C-542/13) und des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 6.11.2018, Ra 2018/01/0106) sei § 8 Abs. 1 AsylG 2005 unionsrechtskonform so auszulegen, dass subsidiärer Schutz nur bei einem auf ein Verhalten eines Akteurs zurückzuführenden ernsthaften Schaden oder bei Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt iSd Statusrichtlinie, nicht aber wegen der realen Gefahr jeglicher etwa auf allgemeine Unzulänglichkeiten (des Gesundheitssystems) im Heimatland zurückzuführender Verletzungen von Art. 3 EMRK, zuerkannt werden könnte.

8        Mit Beschluss vom 27. November 2019, E 846/2019-11, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers ab und trat die Beschwerde mit Beschluss vom 20. Dezember 2019, E 846/2019-13, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

9        Gegen das Erkenntnis des BVwG vom 25. Jänner 2019 richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

10       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, der schwerkranke Revisionswerber wäre mangels angemessener Behandlungsmöglichkeiten im Kosovo einer solchen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes ausgesetzt, die zu einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 und 3 EMRK führen würde (Verweis auf EGMR 13.12.2016, Paposhvili/Belgien, 41738/10). Auch habe das BVwG gegen die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht verstoßen.

11       Die Revision ist zulässig und auch begründet.

12       Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem vom BVwG zitierten Erkenntnis vom 6. November 2018, Ra 2018/01/0106, die Frage, ob § 8 Abs. 1 AsylG 2005 einer dem Unionsrecht (im Sinn der zu Art. 15 Statusrichtlinie ergangenen Rechtsprechung des EuGH) Genüge tuenden Auslegung zugänglich ist, ausdrücklich dahingestellt gelassen (Rn. 60 der Entscheidungsgründe). In seinem Erkenntnis vom 21. Mai 2019, Ro 2019/19/0006, hat der Verwaltungsgerichtshof dargelegt, dass eine Interpretation, mit der die Voraussetzungen der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 mit dem in der Judikatur des EuGH dargelegten Verständnis des subsidiären Schutzes nach der Statusrichtlinie in Übereinstimmung gebracht würde, unter Beachtung des klaren Wortlautes des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 sowie der Entstehungsgeschichte und der systematischen Stellung der Norm die Grenzen der Auslegung nach den innerstaatlichen Auslegungsregeln überschreiten und zu einer - unionsrechtlich nicht geforderten - Auslegung contra legem führen würde. Infolge dessen ist an der bisherigen Rechtsprechung, wonach eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat - auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird - die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 begründen kann, festzuhalten. Es wird insoweit gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG des Näheren auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.

13       Das BVwG hat daher, indem es davon ausgegangen ist, dass die gesundheitlichen Probleme des Revisionswerbers bzw. die Möglichkeit ihrer Behandlung im Herkunftsstaat die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten von vornherein nicht begründen könnten, seine Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

14       Im Übrigen hat das BVwG - wie dargestellt - eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu den Behandlungsmöglichkeiten der psychischen Erkrankung und eine zu den Nachsorgemöglichkeiten der Prostatakrebserkrankung des Revisionswerbers eingeholt und ist damit sichtlich selbst davon ausgegangen, dass der Sachverhalt iSd. § 21 Abs. 7 BFA-VG nicht geklärt war. Das BVwG hätte daher schon aus diesem Grund nicht von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung absehen dürfen.

15       Das angefochtene Erkenntnis war folglich wegen vorrangig wahrzunehmender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

16       Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG und die VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 27. Mai 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190058.L01

Im RIS seit

09.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

14.07.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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