TE Vwgh Erkenntnis 2020/5/28 Ra 2020/22/0040

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Veröffentlicht am 28.05.2020
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Index

E3L E02100000
E3L E05100000
E3L E19100000
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §56
AVG §59 Abs1
NAG 2005 §10 Abs3
NAG 2005 §19 Abs2
NAG 2005 §20 Abs1
NAG 2005 §54
NAG 2005 §64 Abs1
NAG 2005 §64 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §28
VwRallg
32004L0038 Unionsbürger-RL

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des Landeshauptmannes von Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 18. Dezember 2019, VGW-151/011/8403/2019/E-7, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: J Z in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Die Mitbeteiligte, eine serbische Staatsangehörige, verfügte über einen Aufenthaltstitel „Studierende“, der bis 16. November 2016 gütig war. Am 16. Jänner 2017 stellte sie einen Verlängerungsantrag, der vom Landeshauptmann von Wien (Behörde, Revisionswerber) mit Bescheid vom 15. Mai 2017 abgewiesen wurde, weil kein Rechtsanspruch auf eine ortsübliche Unterkunft nachgewiesen worden sei.

2        Der vom Verwaltungsgericht Wien (VwG) im ersten Rechtsgang erteilte Aufenthaltstitel wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 28.5.2019, Ra 2019/22/0036, aufgehoben.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis erteilte das VwG erneut einen „Aufenthaltstitel Student gem. § 64 Abs. 1 NAG idgF auf Basis des serbischen Reisepasses mit Gültigkeit bis 10.10.2029“. Eine ordentliche Revision wurde für unzulässig erklärt.

In der Begründung führte das VwG - soweit für das gegenständliche Verfahren relevant - aus, „[d]er Reisepass ist bei den Einreichunterlagen ausgewiesen, verkürzt jedoch die grundsätzliche Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels, da der Reisepass mit 19.10.2019 befristet ist.“

4        Dagegen richtet sich die Amtsrevision der Behörde mit dem Begehren, das angefochtene Erkenntnis wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

5        Die Mitbeteiligte wies in ihrer Revisionsbeantwortung darauf hin, dass sie am 11.12.2019 dem VwG Unterlagen unter anderem betreffend ihre Eheschließung mit einem Unionsbürger sowie ihre Antragstellung auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte übermittelt und mitgeteilt habe, dass sie „den Aufenthaltstitel Studierende nicht mehr verlängern werde.“

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

6        In der Zulässigkeitsbegründung rügt der Revisionswerber einerseits ein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von der hg. Rechtsprechung hinsichtlich der Festlegung der Dauer des Aufenthaltstitels im Spruch (Hinweis auf VwGH 19.11.2014, Ra 2014/22/0010). Andererseits fehle hg. Rechtsprechung zur Frage, ob durch die spätere Erteilung des Aufenthaltstitels gemäß § 64 NAG die zuvor (am 18.11.2019) ausgestellte Aufenthaltskarte - ungeachtet dessen, dass das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht weiterhin bestehen bleibe - gemäß § 10 Abs. 3 NAG gegenstandslos geworden sei.

7        Die Revision ist zulässig und auch begründet.

8        Gemäß § 20 Abs. 1 NAG sind befristete Aufenthaltstitel für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen, es sei denn, es wurde eine kürzere Dauer der Aufenthaltstitel beantragt oder das Reisedokument weist nicht die entsprechende Gültigkeitsdauer auf.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das VwG bei Vorliegen der Voraussetzungen den beantragten Aufenthaltstitel selbst in konstitutiver Weise zu erteilen (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/22/0125, mwN); dabei hat das VwG auch die Gültigkeitsdauer des erteilten Aufenthaltstitels festzulegen; die fehlende Bestimmtheit des Zeitraumes, für den der beantragte Aufenthaltstitel erteilt werden soll, belastet die Titelerteilung mit Rechtswidrigkeit (vgl. VwGH 26.2.2015, Ra 2014/22/0116).

9        Im vorliegenden Fall rügt der Revisionswerber zutreffend, dass der Spruch des angefochtenen Erkenntnisses nicht rechtskonform formuliert ist. Geht man davon aus, dass sich die Formulierung „mit Gültigkeit bis 10.10.2029“ auf den Reisepass bezieht, wurde im Spruch - entgegen der oben zitierten hg. Rechtsprechung - keine Gültigkeitsdauer des erteilten Aufenthaltstitels festgelegt; sollte sich die Formulierung „mit Gültigkeit bis 10.10.2029“ auf den Aufenthaltstitel beziehen, wurde dieser für zehn Jahre erteilt, was § 20 Abs. 1 NAG widerspricht.

In jedem Fall war das angefochtene Erkenntnis schon aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

10       Den Verfahrensunterlagen zufolge wurde der Mitbeteiligten - nach ihrer Eheschließung mit einem Unionsbürger - ein Reisepass mit Gültigkeit bis 10.10.2029 ausgestellt. Angesichts der von der Mitbeteiligten dem VwG am 11.12.2019 persönlich übergebenen Unterlagen, unter anderem des Bescheides über die Verleihung eines akademischen Grades, des Nachweises über die Eheschließung mit einem Unionsbürger sowie der Einreichbestätigung betreffend den Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte, wäre das VwG gehalten gewesen, vor der Entscheidung über den Verlängerungsantrag zu ermitteln, ob die Mitbeteiligte ungeachtet der Änderungen im Sachverhalt nach wie vor an ihrem ursprünglichen Antrag vom Jänner 2017 festhält. Den Verfahrensakten des VwG ist zwar keine Willensäußerung der Mitbeteiligten zu entnehmen, wonach sie „den Aufenthaltstitel Studierende nicht mehr verlängern werde.“ Da die Mitbeteiligte jedoch über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht verfügte, das auch im Fall eines später konstitutiv erteilten Aufenthaltstitels nicht gegenstandslos wird (vgl. VwGH 20.8.2013, 2012/22/0039), und ihr bereits vor der Entscheidung des VwG eine Aufenthaltskarte ausgestellt wurde, durfte das VwG nicht ohne weiteres davon

ausgehen, dass die nicht rechtsfreundlich vertretene Mitbeteiligte weiterhin die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Studierende“ anstrebte.

Wien, am 28. Mai 2020

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Inhalt des Spruches Diverses Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020220040.L00

Im RIS seit

09.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

14.07.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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