TE Vwgh Erkenntnis 2020/6/2 Ra 2018/11/0084

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Veröffentlicht am 02.06.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
40/01 Verwaltungsverfahren
68/01 Behinderteneinstellung

Norm

AVG §18
AVG §56
AVG §58 Abs2
AVG §59 Abs1
AVG §60
BEinstG §12
BEinstG §13
BEinstG §13 Abs2
B-VG Art83 Abs2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl, die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Hainz-Sator sowie den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision der H GmbH & Co KG in H, vertreten durch die Stock Rafaseder Gruszkiewicz Rechtsanwälte GmbH in 1040 Wien, Schwindgasse 7/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. März 2018, Zl. W133 2179356-1/10E, betreffend Zustimmung zur Kündigung eines begünstigten Behinderten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Behindertenausschuss beim Sozialministeriumservice - Landesstelle Niederösterreich; mitbeteiligte Partei: M B in L, vertreten durch die Gruböck & Lentschig Rechtsanwälte OG in 2500 Baden, Beethovengasse 4-6), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Der Revisionswerber hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Die Revisionswerberin ist Arbeitgeberin des Mitbeteiligten und stellte einen Antrag auf Zustimmung zu einer künftig auszusprechenden Kündigung des Mitbeteiligten gemäß § 8 Behinderteneinstellungsgesetz - BEinstG. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 20. September 2017 wurde diese Zustimmung erteilt, der Mitbeteiligte erhob Beschwerde dagegen.

2        Mit dem angefochtenen Erkenntnis hob das Bundesverwaltungsgericht den zugrundeliegenden Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde auf (Spruchpunkt A) und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei (Spruchpunkt B).

Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, dass bei der Sitzung und Abstimmung des beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, eingerichteten Behindertenausschusses am 26. Juni 2017 über den Antrag der Revisionswerberin auf Zustimmung zu einer künftig auszusprechenden Kündigung des Mitbeteiligten zwar die gemäß § 13 Abs. 2 BEinstG erforderliche Anzahl der Ausschussmitglieder anwesend gewesen sei, sich jedoch ein Ausschussmitglied der Stimme enthalten habe. Eine Stimmenthaltung sei jedoch bei Beschlüssen des Behindertenausschusses nicht vorgesehen. Im Gegenteil normiere § 13 BEinstG, dass alle Mitglieder ihr Stimmrecht persönlich auszuüben hätten. Eine Stimmenthaltung sei nicht zulässig, weil dabei dieses Stimmrecht nicht ausgeübt werde.

Die Bestellung zum Mitglied einer Kollegialbehörde, wie dies auch der Behindertenausschuss sei, bringe die Verpflichtung zur Mitwirkung bei der Willensbildung dieser Behörde mit sich. Eine Stimmenthaltung könne nur dann als zulässig angesehen werden, wenn sie im Gesetz vorgesehen sei. Für den Fall, dass ein Beschluss einer Kollegialbehörde unter rechtswidriger Stimmenthaltung zustande komme, widerspreche der damit erlassene Bescheid dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, dem gesetzlichen Richter nicht entzogen zu werden (Hinweis auf VfGH 11.3.1959, B 179/58).

Da der Bescheid unter unzulässiger Stimmenthaltung zustande gekommen sei, sei den Parteien der gesetzliche Richter entzogen worden, was wiederum bedeute, dass die belangte Behörde für die Erlassung des Bescheides unzuständig gewesen sei. Diese Unzuständigkeit sei amtswegig aufzugreifen gewesen (Hinweis auf VwGH 28.1.2016, Ra 2015/07/0140).

3        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, zu deren Zulässigkeit vorgebracht wird, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur erwähnten Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtes fehle. Die vom Verwaltungsgericht zitierten Entscheidungen würden sich ausschließlich mit der Frage beschäftigen, unter welchen Umständen das Gericht die Unzuständigkeit der Behörde aufgreifen könne. Die Frage, ob sich ein Mitglied des Behindertenausschusses bei der Abstimmung der Stimme enthalten könne oder verpflichtet sei, sein Stimmrecht auszuüben, sei noch nicht geklärt.

4        Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.

5        Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6        Die Revision ist aus dem in ihr genannten Grund zulässig, sie ist jedoch nicht begründet.

7        In den Revisionsgründen wird im Wesentlichen vorgebracht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes behaftet sei. Die zitierte Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs sei im Zusammenhang mit einer Entscheidung einer Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag nach alter Rechtslage ergangen. Die dort betroffene Kollegialbehörde habe letztinstanzlich entschieden und ein weiterer ordentlicher Rechtszug sei nicht möglich gewesen. Der in erster Instanz entscheidende Behindertenausschuss sei keine Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag, es sei ein Rechtszug an das Verwaltungsgericht möglich, weshalb eine Verletzung des Rechtes auf den gesetzlichen Richter nicht vorliege. Der Behindertenausschuss habe rechtmäßig entschieden und sei nicht unzuständig gewesen.

Auch sei die Begründung des Verwaltungsgerichts, dass die Zulässigkeit einer Stimmenthaltung bei Beschlüssen des Behindertenausschusses nicht vorgesehen sei, verfehlt. Aus § 13 Abs. 2 BEinstG könne nur der Schluss gezogen werden, dass sich ein Mitglied des Behindertenausschusses bei der Abstimmung nicht vertreten lassen dürfe, nicht aber, dass er sich der Stimme nicht enthalten dürfe.

8        Die maßgeblichen Bestimmungen des BEinstG idF BGBl. I Nr. 111/2010 lauten auszugsweise:

Kündigung

§ 8. (1) Das Dienstverhältnis eines begünstigten Behinderten darf vom Dienstgeber, sofern keine längere Kündigungsfrist einzuhalten ist, nur unter Einhaltung einer Frist von vier Wochen gekündigt werden. Ein auf Probe vereinbartes Dienstverhältnis kann während des ersten Monates von beiden Teilen jederzeit gelöst werden.

(2) Die Kündigung eines begünstigten Behinderten (§ 2) darf von einem Dienstgeber erst dann ausgesprochen werden, wenn der Behindertenausschuss (§ 12) nach Anhörung des Betriebsrates, der Behindertenvertrauensperson (Stellvertreter) oder der Personalvertretung im Sinne des Bundes-Personalvertretungsgesetzes bzw. der entsprechenden landesgesetzlichen Vorschriften zugestimmt hat; dem Dienstnehmer kommt in diesem Verfahren Parteistellung zu. Eine Kündigung ohne vorherige Zustimmung des Behindertenausschusses ist rechtsunwirksam, wenn nicht in Ausnahmefällen nachträglich die Zustimmung erteilt wird. Diese Zustimmung ist nicht zu erteilen, wenn die Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten die Folge eines Arbeitsunfalles gemäß § 175f des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955 ist. Ein Ausnahmefall, der die Zustimmung zu einer bereits ausgesprochenen Kündigung rechtfertigt, ist dann gegeben, wenn dem Dienstgeber zum Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung nicht bekannt war und auch nicht bekannt sein musste, dass der Dienstnehmer dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des § 2 angehört. Abs. 4 und 4a sind anzuwenden.

...

Behindertenausschuß

§ 12. (1) Bei jeder Landesstelle des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen wird ein Behindertenausschuss errichtet, der in den von diesem Bundesgesetz bestimmten Fällen zu entscheiden (§ 8) oder Stellung zu nehmen (§ 8a) hat. Der Dienstgeber ist verpflichtet, vor Einleitung eines Kündigungsverfahrens gemäß § 8 dieses Bundesgesetzes den Betriebsrat bzw. die Personalvertretung und die Behindertenvertrauensperson zu verständigen, der/die innerhalb einer Woche hiezu Stellung nehmen kann. Hat die Behindertenvertrauensperson dem Dienstgeber die Betrauung eines Stellvertreters mit der Wahrnehmung des Anhörungsrechts im Sinne dieser Bestimmung mitgeteilt, so hat der Dienstgeber diesen Stellvertreter zu verständigen. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat Vorsorge zu treffen, dass vor Durchführung eines Verfahrens gemäß § 8 BEinstG eine Krisenintervention angeboten wird.

(2) Der Behindertenausschuß besteht aus:

a)   dem Landesstellenleiter oder einem von ihm bestimmten Bediensteten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen;

b)   einem Vertreter der örtlich zuständigen Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice;

c)   je einem Vertreter der Dienstnehmer und Dienstgeber;

d)   drei Vertretern der organisierten Behinderten.

(3) Der Vorsitzende hat zur Verhandlung des Behindertenausschusses jene Vertreter der Dienstnehmer und Dienstgeber beizuziehen, die von der für den Verhandlungsfall in Betracht kommenden Interessenvertretung vorgeschlagen wurden.

...

§ 13. (1) Der Behindertenausschuß wird vom Vorsitzenden einberufen. Die Einladungen sollen den Mitgliedern des Behindertenausschusses spätestens acht Tage vor der Sitzung unter Anschluß einer Tagesordnung nachweislich zugestellt werden.

(2) Der Behindertenausschuß tagt in nichtöffentlicher Sitzung; er ist beschlußfähig, wenn mindestens die Hälfte der Mitglieder anwesend ist. Die Beschlüsse des Behindertenausschusses werden mit Stimmenmehrheit gefaßt. Der Vorsitzende gibt seine Stimme zuletzt ab; bei Stimmengleichheit entscheidet seine Stimme. Alle Mitglieder haben ihr Stimmrecht persönlich auszuüben.

(3) Über jede Sitzung des Behindertenausschusses ist ein Protokoll zu führen, in dem die Namen aller anwesenden Mitglieder und die allfälligen Entschuldigungsgründe abwesender Mitglieder zu verzeichnen sind. Das Protokoll hat alle Beschlüsse im Wortlaut, die Ergebnisse der Abstimmungen und den wesentlichen Verlauf der Verhandlungen zu enthalten; es ist vom Vorsitzenden und dem Schriftführer zu unterfertigen. Eine Abschrift des Protokolls ist allen Mitgliedern des Behindertenausschusses zu übermitteln.

(...)“

9        Erledigungen eines Kollegialorganes bedürfen eines Beschlusses desselben. Üblicherweise erfolgt die Willensbildung einer Kollegialbehörde durch den Gesamtakt einer sich an die gemeinsame Erörterung der zu entscheidenden Angelegenheiten anschließenden Abstimmung. Die Willensbildung durch eine Kollegialbehörde umfasst freilich nicht nur den Spruch, sondern auch den Inhalt und damit die wesentliche Begründung einer Erledigung (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung VwGH 27.4.2015, 2012/11/0082 u.a., mwN).

10       Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem (vom Verwaltungsgericht zitierten) Erkenntnis VfSlg. 3506/1959 anlässlich der Stimmenthaltung zweier Mitglieder einer Grundverkehrslandeskommission Folgendes ausgeführt:

„Eine Stimmenthaltung ist mit den Amtspflichten eines Mitgliedes einer Kollegialbehörde unvereinbar. Die Bestellung zum Mitglied einer Kollegialbehörde bringt die Verpflichtung zur Mitwirkung bei der Willensbildung dieser Behörde mit sich. Eine Stimmenthaltung kann nur dann für zulässig angesehen werden, wenn sie vom Gesetz vorgesehen ist.

Wenn aber die genannten Mitglieder aus den im Protokoll angegebenen Gründen tatsächlich nicht zur Stimmabgabe berechtigt gewesen wären, so hätten sie nicht der Verhandlung zugezogen werden dürfen. Die Teilnahme von nicht stimmberechtigten Mitgliedern an einer Verhandlung einer Behörde ist rechtswidrig. Die beiden Mitglieder waren auch nicht als bloße Sachverständige anwesend.

Durch diese Rechtswidrigkeit sind die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt worden (Art. 83 Abs. 2 B-VG). Entweder hat durch die Stimmenthaltung nicht die vom Gesetze zur Entscheidung berufene Kommission, sondern nur eine Fraktion entschieden, oder die Behörde war dadurch unrichtig zusammengesetzt, daß an der Sitzung bis zur Abstimmung Personen teilgenommen haben, die an ihr nicht teilzunehmen hatten.“

11       Der Verwaltungsgerichtshof pflichtet der Auffassung des Verfassungsgerichtshofes bei, dass die Bestellung zum Mitglied einer Kollegialbehörde die Verpflichtung zur Mitwirkung bei der Willensbildung dieser Behörde mit sich bringt. Eine Stimmenthaltung von Mitgliedern einer Kollegialbehörde, die an der Verhandlung teilnehmen, kann somit ohne gesetzliche Ermächtigung nicht als zulässig angesehen werden (vgl. auch Hengstschläger/Leeb, AVG I2 Rz 5 zu § 18, mwH). Ebenso teilt der Verwaltungsgerichtshof die Ansicht des Verfassungsgerichtshofs, dass durch eine Stimmenthaltung nicht die vom Gesetz zur Entscheidung berufene Kollegialbehörde, sondern nur eine Fraktion derselben entscheidet, was eine unrichtige Zusammensetzung der Kollegialbehörde bewirkt.

12       In § 13 Abs. 2 BEinstG, der die Beschlussfassung des Behindertenausschusses regelt, ist keine Stimmenthaltung vorgesehen.

Das die Stimmenthaltung stattgefunden hat, wird in der Revision nicht bestritten. Der Behindertenausschuss war daher als unrichtig zusammengesetzt und deshalb unzuständig zu erachten.

13       Das Verwaltungsgericht hatte diese Unzuständigkeit wahrzunehmen und die Entscheidung der belangten Behörde zu beheben. Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes in der Sache wäre mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet gewesen (vgl. VwGH 10.6.2015, Ra 2015/11/0005).

14       Da das Verwaltungsgericht den bei ihm angefochtenen Bescheid somit zu Recht wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben hatte, war die Revision gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

15       Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 2. Juni 2020

Schlagworte

Spruch und Begründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018110084.L00

Im RIS seit

11.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.07.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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