TE Vwgh Erkenntnis 1998/3/11 97/01/0532

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Veröffentlicht am 11.03.1998
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

AVG §58 Abs2;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde der E, vertreten durch Dr. Walter Pfliegler, Rechtsanwalt in Wien VI, Rahlgasse 1, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 20. Jänner 1997, Zl. MA 61/IV - J 295/96, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom 20. Jänner 1997 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin - einer am 31. August 1974 geborenen mazedonischen Staatsangehörigen - vom 13. September 1994 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl. Nr. 311 (StbG), abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin sei ledig und seit Juli 1994 als Reinigungskraft beschäftigt. Sie lebe seit ihrer Geburt in Österreich. Am 12. Februar 1993 sei sie vom Jugendgerichtshof Wien wegen des Verbrechens der versuchten Tötung eines Kindes bei der Geburt gemäß §§ 15, 79 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Am 17. Februar 1996 sei die bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe endgültig nachgesehen worden.

Das Vorliegen einer derart schweren gerichtlichen Verurteilung werde als Anhaltspunkt für die Prognose, daß die Beschwerdeführerin in Zukunft die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit dienenden Vorschriften mißachten werden, angesehen. Zur Eingabe der früheren Bewährungshelferin der Beschwerdeführerin, in welcher auf den psychischen Druck hingewiesen werde, unter dem die Beschwerdeführerin während ihrer Schwangerschaft aufgrund der Familiensituation gestanden sei, sei auszuführen, daß aus dem Gerichtsurteil eindeutig der Schluß gezogen werden könne, daß die Beschwerdeführerin den Tod ihres neugeborenen Kindes durch zunehmende Unterkühlung und Nahrungsentzug ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden habe. In Anbetracht dieser Umstände und im Hinblick auf die gerichtliche Verurteilung könne nicht davon ausgegangen werden, daß die Beschwerdeführerin nach ihrem bisherigen Verhalten Gewähr dafür biete, keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit zu bilden.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG darf die österreichische Staatsbürgerschaft einem Fremden nur verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, daß er zur Republik Österreich bejahend eingestellt ist und keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit bildet.

Wie die belangte Behörde in ihrem Bescheid richtig erkannt hat, ist dabei vom Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers, welches wesentlich durch das sich aus der Art, Schwere und Häufigkeit der von ihm begangenen Straftaten ergebende Charakterbild bestimmt wird, auszugehen. Hiebei stellt der Gesetzgeber nicht auf formelle Gesichtspunkte ab, sondern ist es lediglich maßgebend, ob es sich um Rechtsbrüche handelt, die den Schluß rechtfertigen, der Betreffende werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung erlassene Rechtsvorschriften mißachten (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 11. November 1997, Zl. 96/01/1047).

Die belangte Behörde hat ihre Prognose über das künftige Verhalten der Beschwerdeführerin darauf gestützt, daß sie das Verbrechen der versuchten Tötung eines Kindes bei der Geburt begangen hat. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin handelt es sich bei diesem Delikt sehr wohl um eine Verfehlung "im Schutzbereich des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG". Die belangte Behörde hat jedoch zur konkreten Straftat der Beschwerdeführerin lediglich festgestellt, diese habe den Tod ihres neugeborenen Kindes durch zunehmende Unterkühlung und Nahrungsentzug ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden. Dabei handelt es sich im wesentlichen nur um die Tatbestandselemente des § 79 StGB. Feststellungen über den genaueren Tathergang, die Situation, in der sich die Beschwerdeführerin dabei befunden hat, und ihr Verhalten seither fehlen zur Gänze. Im Hinblick darauf, daß sich die Beschwerdeführerin bereits seit ihrer Geburt in Österreich aufhält und in dieser Zeit nur einmal - wegen einer bereits am 8. Juli 1992 begangenen Tat zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten - verurteilt wurde, hätte die belangte Behörde ihre Ansicht, die Beschwerdeführerin biete nach wie vor keine Gewähr, keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit zu bilden, näher begründen müssen. Eine Auseinandersetzung mit den beim Akt erliegenden Ermittlungsergebnissen, insbesondere den Berichten der Jugendgerichtshilfe und der Bewährungshilfe, wonach die damals jugendliche Beschwerdeführerin bei der Begehung des Delikts deshalb unter einem großen Druck gestanden sei, weil sie vom Vater des Kindes allein gelassen wurde, ihre Schwangerschaft aus Angst vor der im moslemischen Kulturkreis verhafteten Familie verheimlichte und sie das Kind, dessen Tötung bei der Geburt sie versucht hat, selbst pflege und erziehe, erfolgte erst in der Gegenschrift. Dies kann aber das Fehlen einer nachvollziehbar begründeten Zukunftsprognose im angefochtenen Bescheid nicht ersetzen (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 533, zitierte

hg. Judikatur).

Aufgrund des aufgezeigten Verfahrensmangels war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwand ein gesonderter Ersatz der Umsatzsteuer gesetzlich nicht vorgesehen ist.

Schlagworte

Begründung von Ermessensentscheidungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1997010532.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

17.03.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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