TE Vwgh Beschluss 2020/5/19 Ra 2020/14/0163

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.05.2020
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §15 Abs1 Z1
AsylG 2005 §18 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs1
AVG §46

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Februar 2020, W159 2181743-1/11E, betreffend Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nach dem AsylG 2005 (Mitbeteiligter: A B), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der aus Afghanistan stammende Mitbeteiligte stellte am 9. Jänner 2016 nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag nach dem Asylgesetz 2005.

2        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag ab, erteilte dem Mitbeteiligten keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung statt und erkannte dem Mitbeteiligten den Status des Asylberechtigten zu. Weiters stellte das Verwaltungsgericht fest, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme, und es sprach aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        In der vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erhobenen Revision werden dem Bundesverwaltungsgericht Verfahrensfehler vorgeworfen. Dabei bezieht sich die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde in erster Linie auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, wonach dem Mitbeteiligten wegen einer mittlerweile angenommenen „westlichen Lebensweise“ im Fall der Rückkehr in sein Heimatland asylrelevante Verfolgung drohe.

8        Das Bundesverwaltungsgericht hat die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an den Mitbeteiligten allerdings auch damit begründet, dass diesem im Herkunftsstaat in asylrelevanter Weise Verfolgung drohe, weil er vom Islam abgefallen sei. Gegen die insoweit vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommenen Erwägungen wird in der Revision vorgebracht, dass der Mitbeteiligte seinen Antrag auf internationalen Schutz darauf nicht gestützt hätte und dies nicht vorliege.

9        Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung betont, dass dem Vorbringen des Asylwerbers zentrale Bedeutung zukommt. Das geht auch aus § 18 Abs. 1 AsylG 2005 deutlich hervor, wonach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und das Bundesverwaltungsgericht in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken haben, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Diese Pflicht bedeutet aber nicht, ohne entsprechendes Vorbringen des Asylwerbers oder ohne sich aus den Angaben konkret ergebende Anhaltspunkte jegliche nur denkbaren Lebenssachverhalte ergründen zu müssen (vgl. VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314).

10       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung entfaltet. So wirft etwa eine vertretbare Auslegung eines Schriftstückes oder einer Parteierklärung keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf (vgl. etwa VwGH 30.1.2020, Ra 2020/16/0002, mwN).

11       Dieses Vertretbarkeitskalkül ist vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu sehen, wonach der Verwaltungsgerichtshof im Revisionsmodell nicht dazu berufen ist, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern - diese Aufgabe obliegt den Verwaltungsgerichten. Dem Verwaltungsgerichtshof kommt im Revisionsmodell eine Leitfunktion zu. Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes ist es, im Rahmen der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (erstmals) die Grundsätze bzw. Leitlinien für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts festzulegen, welche von diesem zu beachten sind. Die Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall kommt hingegen grundsätzlich dem Verwaltungsgericht zu, dem dabei in der Regel ein gewisser Anwendungsspielraum überlassen ist. Ein Aufgreifen des vom Verwaltungsgericht entschiedenen Einzelfalls durch den Verwaltungsgerichtshof ist nur dann unausweichlich, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. VwGH 12.3.2020, Ra 2020/20/0066 bis 0070, mwN).

12       Die Auslegung einer Parteierklärung im Einzelfall würde sohin im vorliegenden Fall nur dann zu einer grundsätzlichen Rechtsfrage führen, wenn dem Verwaltungsgericht eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (vgl. nochmals VwGH Ra 2020/16/0002, mwN). Dass dies im Revisionsfall - im Besonderen mit Blick auf die vom Mitbeteiligten in der vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführten Verhandlung getätigten Ausführungen zu seiner bereits im Heimatland vorhandenen und nach der Ausreise erfolgten Weiterentwicklung seiner Einstellung zum Islam und der aufgrund des Islam geprägten Vorschriften im Herkunftsstaat gebotenen Lebensweise - gegeben wäre, zeigt die revisionswerbende Behörde aber nicht auf. Gleiches gilt für die vom Bundesverwaltungsgericht aus den Angaben des Mitbeteiligten gezogenen Schlussfolgerungen.

13       Dann aber hängt die Revision von der geltend gemachten Rechtsfrage im Zusammenhang mit der - nach Ansicht des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl allein zu betrachtenden - Asylrelevanz der vom Mitbeteiligten angenommenen westlichen Lebensweise nicht ab. Beruht ein angefochtenes Erkenntnis nämlich auf einer tragfähigen Alternativbegründung und wird im Zusammenhang damit eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht aufgezeigt, so ist die Revision unzulässig. Dies gilt selbst dann, wenn davon auszugehen wäre, dass die anderen Begründungsalternativen rechtlich unzutreffend sind (vgl. VwGH 4.3.2019, Ra 2018/14/0358, mwN).

14       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 19. Mai 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140163.L00

Im RIS seit

17.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.07.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten