TE Vwgh Erkenntnis 2020/5/18 Ra 2019/16/0201

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Veröffentlicht am 18.05.2020
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht

Norm

BAO §198
BAO §92
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr.Thoma als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision der R GmbH & Co KG in R, vertreten durch die Dillersberger & Bronauer Rechtsanwaltsgemeinschaft in 6330 Kufstein, Maderspergerstraße 8, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 2. Oktober 2019, Zl. LVwG-2017/36/0329-1, betreffend Kanalanschlussgebühr (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Gemeinde Kaltenbach), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Gemeinde Kaltenbach hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in Höhe von 1.346,40 € binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 9. November 2015 schrieb der Bürgermeister der Gemeinde Kaltenbach der revisionswerbenden Kommanditgesellschaft (Revisionswerberin) eine Kanalanschlussgebühr von 32.870,05 € für den Anschluss eines mit Baubescheid vom 18. September 2014, Zl. xxx, genehmigten Zubaus an die gemeindeeigene Kanalisationsanlage vor.

2        In einem Schriftsatz vom 18. November 2015 brachte die Revisionswerberin dazu vor, die in den Einreichunterlagen eingetragenen Sanitäreinheiten seien nicht ausgeführt worden, weshalb keine Abwässer aus dem Neubaubereich in den Kanal eingeleitet würden. Da der Neubau zudem außerhalb des Anschlussbereichs gemäß Kanalordnung liege, ersuche die Revisionswerberin, von der vorgeschriebenen Kanalanschlussgebühr abzusehen.

3        Der Bürgermeister der Gemeinde Kaltenbach erläuterte der Revisionswerberin in einem Schreiben vom 27. November 2015 den Grund für die Gebührenvorschreibung: „Aufgrund dieser Erwägungen war die Kanalanschlussgebühr vorzuschreiben und kann von der Einhebung der Kanalanschlussgebühr nicht abgesehen werden.“

4        Im Februar 2016 entrichtete die Revisionswerberin den Betrag von 10.956,68 €, nachdem sie mit einer „Rechnungs-Änderungsanzeige“ vom 1. Februar 2016 auf eine Vereinbarung mit dem Bürgermeister vom 29. Jänner 2016 hingewiesen hatte, wonach sich der „Rechnungsbetrag“ aus dem Abgabenbescheid vom 9. November 2015 geändert habe.

5        Mit Bescheid vom 26. September 2016 schrieb der Bürgermeister der Gemeinde Kaltenbach der Revisionswerberin eine Kanalanschlussgebühr von 21.913,37 € für den Anschluss des mit Baubescheid vom 18. September 2014, Zl. xxx, genehmigten Zubaus an die gemeindeeigene Kanalisationsanlage vor.

6        Die Revisionswerberin erhob mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2016 Beschwerde gegen den Bescheid vom 26. September 2016. Im Zuge einer Besprechung zwischen dem Geschäftsführer der Revisionswerberin mit dem Bürgermeister sei vom Bürgermeister ein mündlicher Bescheid erlassen worden, mit welchem die Beschwerdeführerin verpflichtet worden sei, einen Betrag von 10.956,68 € zu bezahlen. Dieser vorgeschriebene Betrag sei am 3. Februar 2016 überwiesen worden. Der bekämpfte Bescheid vom 26. September 2016 mit derselben Aktenzahl xxx sei unzulässig, weil es sich um eine entschiedene Rechtssache handle.

7        Mit Beschwerdevorentscheidung vom 2. Jänner 2017 wies der Bürgermeister der Gemeinde Kaltenbach die Beschwerde als unbegründet ab, wogegen die Revisionswerberin mit Schriftsatz vom 1. Februar 2017 einen Vorlageantrag einbrachte.

8        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Tirol die Beschwerde gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 26. September 2016 als unbegründet ab und setzte die Kanalanschlussgebühr mit 32.870,05 € fest. Es sprach aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

9        Die Eingabe der Revisionswerberin vom 18. November 2015 sei aus näher erläuternden Gründen als Beschwerde gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Kaltenbach vom 9. November 2015 anzusehen. Eine gesetzlich erforderliche Beschwerdevorentscheidung sei bislang unterblieben. Ein im Übrigen nicht zulässiger mündlicher Bescheid sei bei der Besprechung mit dem Bürgermeister am 29. Jänner 2016 nicht erlassen worden. Das Schreiben des Bürgermeisters vom 27. November 2015 sei aus näher dargelegten Erwägungen nicht als Bescheid, sohin auch nicht als Beschwerdevorentscheidung zu qualifizieren.

10       Entschiedene Sache liege nicht vor, weil der Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Kaltenbach vom 9. November 2015 nicht in Rechtskraft erwachsen sei.

11       Nach näherer Begründung der Höhe des Kanalanschlussbeitrages wies das Landesverwaltungsgericht darauf hin, dass der gesamte Abgabenbetrag, nicht bloß ein nicht entrichteter Restbetrag festzusetzen sei. Zu bezahlen sei allerdings lediglich der noch nicht geleistete Betrag („Restsumme“).

12       Die dagegen erhobene außerordentliche Revision legte das Landesverwaltungsgericht unter Anschluss der Akten dem Verwaltungsgerichtshof vor.

13       Die Revisionswerberin erachtete sich u.a. im Recht verletzt, dass in einer bereits entschiedenen Sache nicht nochmals entschieden werde, dass sie für eine nicht benützte Gemeindeeinrichtung (Gemeindekanal) keine Gebühren bezahlen müsse und dass ihr Kanalanschlussgebühren nur aufgrund einer festgestellten Anschlussverpflichtung vorgeschrieben werden.

14       Der Verwaltungsgerichtshof leitete das Vorverfahren ein (§ 36 VwGG); mit Schriftsatz der Tiroler Landesregierung vom 27. Jänner 2020 und mit Schriftsatz der belangten Behörde vom 29. Jänner 2020 wurde jeweils eine Revisionsbeantwortung eingereicht.

15       Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

16       Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

17       Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden; er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

18       Die Revisionswerberin wirft zur Zulässigkeit ihrer Revision u.a. die Frage auf, ob bis zur Entscheidung über eine Beschwerde bei gleichem Sachverhalt der gleiche Bescheid erlassen werden könne.

19       Die Revision ist zulässig und berechtigt.

20       Das Landesverwaltungsgericht stützt sich für die Zulässigkeit des vor ihm bekämpften Bescheides des Bürgermeisters der Gemeinde Kaltenbach vom 26. September 2016 darauf, dass der dieselbe Sache betreffende Bescheid des Bürgermeisters vom 9. November 2015 nicht in Rechtskraft erwachsen sei, weil aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde noch eine Beschwerdevorentscheidung zu ergehen haben werde.

21       Demgegenüber hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt festgehalten, dass der Grundsatz „ne bis in idem“ von den Abgabenbehörden nicht erst nach Rechtskraft einer Abgabenvorschreibung zu beachten ist, sondern die Abgabenbehörde im Falle einer im Rechtsbestand befindlichen Abgabenvorschreibung auch bereits vor deren formellen Rechtskraft gehindert ist, für denselben Tatbestand (zB für denselben Zeitraum) eine neuerliche Vorschreibung vorzunehmen (vgl. etwa VwGH 21.12.2012, 2008/17/0010, betreffend eine Kanalbenützungsgebühr; und VwGH 22.2.2006, 2004/17/0028, mwN, betreffend einen Kostenbeitrag für Aufschließungsmaßnahmen).

22       Da an der Wirksamkeit des Bescheides des Bürgermeisters der Gemeinde Kaltenbach vom 9. November 2015 keine Zweifel bestanden, war es der Abgabenbehörde und dem Landesverwaltungsgericht im Instanzenzug (Beschwerde gegen den Bescheid vom 26. September 2016) verwehrt, in derselben Sache der Kanalanschlussgebühr für den Anschluss desselben Zubaus diese Abgabe festzusetzen und vorzuschreiben.

23       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

24       Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-AufwErsV.

Wien, am 18. Mai 2020

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019160201.L00

Im RIS seit

08.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

14.07.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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