TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/29 W204 2196472-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.01.2020
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Entscheidungsdatum

29.01.2020

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
AVG §66 Abs4
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs5

Spruch

1.) W204 2196483-1/21E

2.) W204 2196446-1/22E

3.) W204 2196468-1/18E

4.) W204 2196472-1/18E

5.) W204 2196458-1/19E

6.) W204 2196474-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX N

XXXX , geb. am XXXX .1983, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen die Spruchpunkte II. bis VI. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.04.2018, Zl. 1092097901/151607385, zu Recht:

A)

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids wird stattgegeben und XXXX N XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 wird XXXX N XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 29.01.2021 erteilt.

Der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte III. bis VI. wird stattgegeben und diese werden gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG iVm § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde der B XXXX , geb. am XXXX 1980, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen die Spruchpunkte II. bis VI. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.04.2018, Zl. 1092098005/151607399, zu Recht:

A)

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids wird stattgegeben und B XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 wird B XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis zum 29.01.2021 erteilt.

Der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte III. bis VI. wird stattgegeben und diese werden gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG iVm § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

3.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX A

XXXX , geb. am XXXX 2007, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Mutter B XXXX , geb. am XXXX 1980, diese vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen die Spruchpunkte II. bis VI. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.04.2018, Zl. 1092098103/151607402, zu Recht:

A)

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids wird stattgegeben und XXXX A XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 wird XXXX A XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 29.01.2021 erteilt.

Der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte III. bis VI. wird stattgegeben und diese werden gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG iVm § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

4.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX H

XXXX , geb. am XXXX 2010, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Mutter B XXXX , geb. am XXXX 1980, diese vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen die Spruchpunkte II. bis VI. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.04.2018, Zl. 1092098310/151607415, zu Recht:

A)

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids wird stattgegeben und XXXX H XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 wird XXXX H XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 29.01.2021 erteilt.

Der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte III. bis VI. wird stattgegeben und diese werden gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG iVm § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

5.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. am XXXX 2015, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Mutter B XXXX , geb. am XXXX 1980, diese vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen die Spruchpunkte II. bis

VI. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.04.2018, Zl. 1092098604/151607429, zu Recht:

A)

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis zum 29.01.2021 erteilt.

Der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte III. bis VI. wird stattgegeben und diese werden gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG iVm § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

6.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde des S XXXX , geb. am XXXX 2017, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Mutter B XXXX , geb. am XXXX 1980, diese vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen die Spruchpunkte II. bis VI. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.04.2018, Zl. 1177617809/171420595, zu Recht:

A)

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids wird stattgegeben und S XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 wird S XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 29.01.2021 erteilt.

Der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte III. bis VI. wird stattgegeben und diese werden gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG iVm § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Zur Vorgeschichte wird auf das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.05.2019, W204 2196483-1/12E, W204 2196446-1/13E, W204 2196468-1/11E, W204 2196472-1/11E, W204 2196458-1/11E, W204 2196474-1/11E verwiesen, mit dem die Anträge der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) auf internationalen Schutz vollinhaltlich abgewiesen wurden, wozu mit näherer Begründung dargelegt wurde, dass die von den BF geschilderten Fluchtgründen nicht glaubhaft seien und ihnen eine Rückkehr in ihre Heimatstadt Kabul, nach Herat oder Mazar-e Sharif möglich und zumutbar sei. Die öffentlichen Interessen würden die privaten überwiegen, weshalb auch eine Rückkehrentscheidung zulässig sei, sodass eine Frist zur freiwilligen Ausreise gesetzt wurde.

I.2. Dagegen erhoben die BF Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser erkannte mit Erkenntnis vom 11.12.2019, E 2438-2443/2019-21, dass die BF durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan sowie die daran anknüpfenden Spruchpunkte abgewiesen wurde, in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt wurden und hob das Erkenntnis insoweit auf. Im Übrigen, also hinsichtlich der Abweisung der Beschwerde in Bezug auf den Status der Asylberechtigten, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

-

Einsicht in die die BF betreffenden und dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakte des BFA, insbesondere in die Befragungsprotokolle;

-

Befragung der BF im Rahmen einer öffentlich mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 29.08.2018;

-

Einsicht in die in das Verfahren eingeführten Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat und in die von den BF vorgelegten Unterlagen, insbesondere die ergänzenden Integrationsunterlagen vom 25.01.2019 sowie die Stellungnahmen vom 12.09.2018 und 30.04.2019;

-

Einsicht in das Zentrale Melderegister, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.

II.1. Sachverhaltsfeststellungen:

II.1.1. Zu den BF und ihren Fluchtgründen:

Die BF sind Staatsangehörige Afghanistans, gehören der Volksgruppe der Sadat an und sind schiitischen Bekenntnisses. Ihre Muttersprache ist Dari. Die Identität steht nicht fest.

Die BF2 ist die Cousine des BF1. Die BF2 und der BF1 sind verheiratet, die BF3 bis BF6 sind deren minderjährige Kinder. Sie leben im Bundesgebiet im gemeinsamen Haushalt.

Die BF2 stammt aus C XXXX in der Provinz Kabul, wo sie aufgewachsen ist. Ihre Eltern stammen ebenfalls aus Kabul, ihre Großeltern aus Maidan Wardak. Sie besuchte keine Schule und war bei ihrer Einreise ins Bundesgebiet Analphabetin. Zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt ging die BF2 in den Iran, wo sie als Schneiderin tätig war.

Der BF1 wurde in Kabul geboren und wuchs dort auf. Zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt zog der BF1 mit seiner Familie in den Iran. Der BF1 besuchte keine Schule, kann jedoch auf Dari lesen und schreiben. Der BF1 arbeitete im Iran als Hilfsarbeiter und konnte mit seinem Verdienst seine Familie ernähren.

Die Eltern, zwei Schwestern und ein Bruder des BF1 leben im Iran. Eine Schwester und zwei Brüder leben in Deutschland. Ein Bruder des BF1 lebt in Schweden. Die Eltern der BF2 leben gemeinsam mit zwei Schwestern und einem Bruder der BF2 in Kabul in einem Haus im Stadtteil A XXXX , D XXXX . In Kabul leben weitere vier Brüder und vier Schwestern, die ebenfalls verheiratet sind. Den Familienmitgliedern in Kabul geht es gut. Ein Bruder der BF2 hat unlängst ein Haus in Kabul gekauft. Ihre Eltern haben altersentsprechende gesundheitliche Probleme, wie hohen Blutdruck, Herzprobleme und hohe Cholesterinwerte. Eine Schwester der BF2 lebt im Iran. Die BF haben regelmäßigen Kontakt zu ihrer Familie.

Die BF waren in Afghanistan weder einer Verfolgung durch ihre Familie ausgesetzt noch droht ihnen im Fall der Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung seitens der Familie. Den BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine Verfolgung aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung.

Der BF1 besuchte mehrere Deutschkurse und beherrscht Deutsch zumindest auf A1-Niveau, was im Vergleich zur Dauer seines Aufenthaltes im Bundesgebiet keinen nennenswerten Deutschkenntnissen entspricht. Der BF1 besuchte die Veranstaltung "Leben Retten" der Medizinischen Universität XXXX . Der BF1 besuchte einen Integrationskurs des " XXXX Verein" und bestand die Prüfung mit 40 von 40 Punkten.

Der BF3 und der BF4 besuchen entsprechend ihrem Alter öffentliche Schulen, die BF5 besucht den Kindergarten. Die BF4 bis BF6 haben ihren Lebensmittelpunkt in der Familie. Auch der BF3 befindet sich in einem anpassungsfähigen Alter.

Die BF2 trägt fallweise, insbesondere bei kaltem Wetter, Kopftuch. Die BF2 macht den Haushalt und kümmert sich um die Kindererziehung. Sie besuchte einen Integrationskurs des " XXXX Verein" und bestand die Prüfung mit 40+ von 40 Punkten. Die BF2 besuchte vom 08.10.2018 bis zum 14.01.2019 einen Kurs "Integration ab Tag 1", der mit einer ÖIF A1-Integrationsprüfung abschließt. Sie lernt auch mit ihren Kindern zu Hause Deutsch, verfügt jedoch über keine in Hinblick auf die Dauer des Aufenthaltes in Österreich nennenswerten Deutschkenntnisse. Die BF2 ist für die finanziellen Belange der Familie zuständig. Gelegentlich geht die BF2 ohne Begleitung ihres Mannes mit ihren Kindern in den Park oder einkaufen. Der Freundeskreis der BF2 besteht aus Staatsangehörigen Afghanistans und des Iran. Mit diesen treibt sie fallweise Sport und geht schwimmen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF2 während ihres Aufenthalts in Österreich eine Lebensweise verinnerlicht hätte, aufgrund derer sie einer Bedrohung oder Verfolgung in Afghanistan ausgesetzt wäre.

Es kann nicht festgestellt werden, dass den minderjährigen BF ein Schulbesuch in Afghanistan nicht möglich sein sollte. Es wird festgestellt, dass der BF5 keine Zwangsheirat droht.

In Kabul verfügen die BF bei ihren dort lebenden Familienangehörigen sogleich über eine zumindest vorläufige Wohnmöglichkeit. Die BF könnten bei einer Rückkehr nach Kabul, aber auch in andere Städte wie Herat oder Mazar-e Sharif durch ihre wohlsituierte Familie finanziell und/oder organisatorisch (Wohnungs-, Arbeitssuche etc.) unterstützt werden. Ebenso verfügen sie über soziale Kontakte in Kabul, die sie bei einer Rückkehr unterstützen könnten. Die sechs BF liefen jedoch bei einer Ansiedelung in Afghanistan, etwa in der Stadt Kabul aufgrund der dortigen Sicherheits-, Menschenrechts- oder humanitären Lage, und in Mazar-e Sharif oder Herat mangels ausreichender sozialer und familiärer Unterstützung sowie mangels ausreichender Unterkunftsmöglichkeiten und mangels der notwendigen Versorgung ihrer minderjährigen Kinder Gefahr, grundlegende Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft für sich und ihre Familie nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten.

Die BF sind gesund und der BF1 sowie die BF2 arbeitsfähig. Sie sind strafrechtlich unbescholten und beziehen Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.

II.1.2. Zur Situation im Herkunftsland:

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 13.11.2019 - LIB 13.11.2019, S. 12).

Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil. Diese ist jedoch regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich (LIB 13.11.2019, S. 18).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung. Die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, sodass Engpässe entstehen. Dadurch können manchmal auch Kräfte fehlen um Territorium zu halten. Die Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau (LIB 13.11.2019, S. 19).

Für das gesamte Jahr 2018 gab es gegenüber 2017 einen Anstieg in der Gesamtzahl ziviler Opfer und ziviler Todesfälle. Für das erste Halbjahr 2019 wurde eine niedrigere Anzahl ziviler Opfer registrierten, im Juli, August und September lag ein hohes Gewaltniveau vor. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren 2018 am stärksten vom Konflikt betroffen (LIB 13.11.2019, S. 24).

Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion, weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele (High Profile Angiffe - HPA) aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind jedoch stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt, zwischen 1.12.2018 und 15.5.2019 waren es 6 HPAs (LIB 13.11.2019, S. 25).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB 13.11.2019, S. 26).

Taliban: Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB 13.11.2019, S. 26; S. 29).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB 13.11.2019, S. 27).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB 13.11.2019, S. 27).

Haqani-Netzwerk: Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB 13.11.2019, S. 27).

Islamischer Staat (IS/DaesH) - Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP): Die Stärke des ISKP variiert zwischen 1.500 und 3.000, bzw.

2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. Durch Partnerschaften mit militanten Gruppen konnte der IS seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan stärken. Er ist vor allem im Osten des Landes in der Provinz Nangarhar präsent (LIB 13.11.2019, S. 27f).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab. Die Taliban und der IS sind verfeindet. Während die Taliban ihre Angriffe überwiegend auf Regierungszeile bzw. Sicherheitskräfte beschränken, zielt der IS darauf ab konfessionelle Gewalt zu fördern und Schiiten anzugreifen (LIB 13.11.2019, S. 29).

Al-Qaida: Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB 13.11.2019, S. 29).

Kabul:

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850 (LIB 13.11.2109, S. 36). Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB 13.11.2109, S. 38). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB 13.11.2109, S. 37; S. 237).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Die Hauptursache für zivile Opfer in der Provinz Kabul (596 Tote und 1.270 Verletzte im Jahr 2018) waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 38ff).

In Kabul leben 70.000 bis 80.000 Binnenvertriebene (LIB 13.11.219, S. 41).

Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Es gibt eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul (49,6 %) am größten (LIB 13.11.2109, S. 335f).

Alle Distrikte Kabuls sind unter der Kontrolle der Regierung oder unbestimmt (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 101).

Sicherheitsbehörden:

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF - Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police) (LIB 13.11.2019, S. 249).

Die Afghanische Nationalarmee (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Das Verteidigungsministerium hat die Stärke der ANA mit 227.374 autorisiert (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan National Police (ANP) gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan Local Police (ALP) wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB 13.11.2019, S. 251).

Bewegungsfreiheit:

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Die Regierung schränkt die Bewegung der Bürger gelegentlich aus Sicherheitsgründen ein. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB 13.11.2019, S. 327).

Meldewesen:

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB 13.11.2019, S. 328).

Allgemeine Menschenrechtslage:

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB 13.11.2019, S. 264).

Medizinische Versorgung:

Der afghanischen Verfassung zufolge hat der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Bürger zur Verfügung zu stellen. Außerdem fördert der Staat die Errichtung und Ausweitung medizinischer Leistungen und Gesundheitszentren. Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Alle Staatsbürger haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt (LIB 13.11.2019, S. 344).

Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden (LIB 13.11.2019, S. 345).

Wirtschaft:

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig (LIB 13.11.2019, S. 333).

Am Arbeitsmarkt müssten jährlich 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen, wobei Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen können. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB 13.11.2019, S. 334f).

In Kabul und im Umland sowie in Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul-City sind jedoch höher als in den Vororten oder in den anderen Provinzen. Die Lebenshaltungskosten sind für den zentral gelegenen Teil der Stadt Kabul höher als In ländlichen Gebieten (LIB 13.11.2019, S. 359).

Dürre und Überschwemmungen

Während der Wintersaat von Dezember 2017 bis Februar 2018 gab es in Afghanistan eine ausgedehnte Zeit der Trockenheit. Dies verschlechterte die Situation für die von Lebensmittelunsicherheit geprägte Bevölkerung weiter und hatte zerstörerische Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Existenzgrundlagen, was wiederum zu Binnenflucht führte und es den Binnenvertriebenen mittelfristig erschwert, sich wirtschaftlich zu erholen sowie die Grundbedürfnisse selbständig zu decken (LIB 13.11.2019, S. 337).

Günstige Regenfälle im Frühling und beinahe normale Temperaturen haben 2019 die Weidebedingungen wieder verbessert. Da sich viele Haushalte noch von der Dürre des Jahres 2018 erholen müssen, gilt die Ernährungslage für viele Haushalte im Zeitraum 10.2019-1.2020, weiterhin als "angespannt" bis "krisenhaft". Es wird erwartet, dass viele Haushalte vor allem in den höher gelegenen Regionen ihre Vorräte vor dem Winter aufbrauchen werden und bei begrenztem Einkommen und Zugang auf Märkte angewiesen sein werden (LIB 13.11.2019, S. 337).

Im März 2019 fanden in Afghanistan Überschwemmungen statt, welche Schätzungen zufolge, Auswirkungen auf mehr als 120.000 Personen in 14 Provinzen hatten. Sturzfluten Ende März 2019 hatten insbesondere für die Bevölkerung in den Provinzen Balkh und Herat schlimme Auswirkungen. Unter anderem waren von den Überschwemmungen auch Menschen betroffen, die zuvor von der Dürre vertrieben wurden (LIB 13.11.2019, S. 337).

Rückkehrer:

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 sind insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB 13.11.2019, S. 353).

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB 13.11.2019, S. 354).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kolleg/innen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 13.11.2019, S. 354).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB 13.11.2019, S. 355).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB 13.11.2019, S. 355).

Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB 13.11.2019, S. 355).

Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB 13.11.2019, S. 356).

Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück (LIB 13.11.2019, S. 356).

Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB 13.11.2019, S. 358).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 13.11.2019, S. 362).

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben zwischen 32-35 Millionen Menschen. Es sind ca. 40-42% Pashtunen, rund 27-30% Tadschiken, ca. 9-10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB 13.11.2019, S. 287f).

Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9-10% der Bevölkerung aus. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind die schiitische Konfession (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) und ihre ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild (LIB 13.11.2019, S. 290f).

Ihre Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan. Es bestehen keine sozialen oder politischen Stammesstrukturen (LIB 13.11.2019, S. 292).

Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert. Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung. Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (LIB 13.11.2019, S. 291f).

Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, dies steht im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen führen weiterhin zu Konflikten und Tötungen. Angriffe durch den ISKP und andere aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen - inklusive der schiitischen Hazara - halten an (LIB 13.11.2019, S. 292).

Religionen:

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80-89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB 13.11.2019, S. 277).

Schiiten

Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10-19% geschätzt. Zu der schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und die Jafari-Schiiiten (Zwölfer-Schiiten). 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten, die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit ist zurückgegangen (LIB 13.11.2019, S. 279).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen. Einige schiitische Muslime bekleiden höhere Regierungsposten. Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime 25-30%. Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (LIB 13.11.2019, S. 280).

II.2. Diese Feststellungen beruhen auf folgender Beweiswürdigung:

II.2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und dem Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts.

II.2.2. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit traf bereits das BFA aufgrund der Angaben der BF. Diese werden in der Beschwerde nicht bestritten und konnten daher auch der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden. Die Feststellung zur Muttersprache der BF beruht auf ihren Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht (S. 4 VP). Die Identität konnte mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente nicht festgestellt werden.

Auch die Feststellungen zum Familienstand und -verhältnis der BF und dem gemeinsamen Wohnsitz wurden bereits vom BFA aufgrund der gleichbleibenden und glaubhaften Angaben der BF und des Akteninhalts getroffen. Auch diesen Feststellungen wird in der Beschwerde nicht entgegengetreten, sodass sich im Beschwerdeverfahren daran keine Zweifel ergeben haben.

II.2.3. Die Feststellungen zur Herkunftsprovinz der BF2 sowie zur fehlenden Schulbildung in Afghanistan und ihrer Berufserfahrung im Iran konnten aufgrund der gleichbleibenden Aussage der BF2 selbst getroffen werden. Nicht mehr festgestellt werden konnte jedoch, wann die BF2 in den Iran zog, da sie dazu unterschiedliche und miteinander nicht in Einklang zu bringende Angaben tätigte. Anlässlich ihrer Erstbefragung gab die BF2 noch an, sie habe sich lediglich sechs Monate im Iran aufgehalten, auch vor dem BFA gab sie noch an, dass sie nach der Heirat innerhalb Kabuls verzogen sei (AS 73), während sie nicht angab, dass sie anlässlich ihrer Hochzeit Afghanistan verließ. Erst vor dem Bundesverwaltungsgericht behauptete die BF2 erstmals, dass sie seit ihrer Hochzeit bis auf einen kurzen Zeitraum ständig im Iran gewohnt habe (S. 20 VP). Es kann daher nicht festgestellt werden, wann die BF2 tatsächlich in den Iran ging.

Die Feststellung, dass der BF1 in Kabul geboren wurde und dort (zumindest in seinen ersten Lebensjahren) auch aufwuchs, beruht auf seinen Angaben anlässlich seiner Erstbefragung (AS 19) und der Einvernahme (AS 78, 79). Soweit der BF1 vor dem Bundesverwaltungsgericht neu behauptete, er sei im Iran geboren und aufgewachsen (S. 6f VP), kann diesen Angaben nicht gefolgt werden, da kein Grund ersichtlich ist, warum in diesem Punkt falsche Angaben ins Protokoll aufgenommen worden sein sollten. Zudem wurde die Niederschrift dem BF1 rückübersetzt und er hatte keine Einwendungen dagegen (AS 83). Auch die Angaben in der Heiratsurkunde sprechen dafür, dass der BF1 ursprünglich aus Kabul stammt, weil auch dort Kabul als Herkunftsprovinz angegeben ist (AS 85). Es erscheint nicht glaubhaft, dass dies auch auf einem offiziellen Dokument fälschlich vermerkt worden ist. Zudem gab der BF1 selbst an, dass die Urkunde aufgrund der eigenen Angaben der BF ausgestellt wurde (S. 11 VP). Dass er danach im Iran lebte, konnte aufgrund der Aussage des BF1, die mit der der BF2 übereinstimmend ist, festgestellt werden und wird auch durch die Heiratsurkunde bestätigt, weil darin von einer iranischen Aufenthaltskarte gesprochen wird (AS 85).

Dass der BF1 keine Schule besuchte, jedoch auf Dari lesen und schreiben kann, sagte er ebenso übereinstimmend vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht aus (AS 79, S. 7 VP) wie, dass er über Arbeitserfahrung verfügt und damit seine Familie ernähren konnte (AS 79, S. 8 VP). Auch diese Übereinstimmung in den Aussagen zeigt, dass es sich bei der Behauptung des BF1 vor dem Bundesverwaltungsgericht, er habe vor dem BFA nicht angegeben, dass er in Kabul geboren worden sei, lediglich um eine Schutzbehauptung handeln kann, zumal kein Grund ersichtlich ist, warum diese Angaben stimmen sollten, während andere Angaben völlig konträr zu seiner angeblich getätigten Aussage festgehalten worden sind.

II.2.4. Die Feststellungen zu den Familienangehörigen der BF und deren Aufenthaltsort sowie zu deren Wohnverhältnissen konnten aufgrund der im Wesentlichen übereinstimmenden Angaben der BF vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht getroffen werden (AS 72f im Akt der BF1; AS 78f im Akt des BF6; S. 11, 19, 24f, 27 VP). Dass die BF2 Kontakt zu ihrer Familie hat, bestätigte sie während der Beschwerdeverhandlung selbst (S. 25 VP), sodass eine entsprechende Feststellung erfolgen konnte.

Der BF1 gab vor dem Bundesverwaltungsgericht zuerst an, dass er sehr lange Zeit keinen Kontakt mehr zu seinem Vater gehabt habe, weil er sein Handy verloren habe (S. 9 VP). Später gab der BF1 allerdings an, dass er sein Handy vor lediglich 14 Tagen verloren und er zudem mit seinem in Schweden lebenden Bruder Kontakt gehabt habe (S. 12 VP). Aus dieser Aussage ergibt sich, dass auch der BF1 regelmäßig Kontakt zu seiner Familie hält, da er andernfalls 14 Tage nicht als "sehr lange" Zeit bezeichnen würde. Zudem kann, falls er tatsächlich in letzter Zeit keinen Kontakt zu seiner im Iran lebenden Familie gehabt hätte, davon ausgegangen werden, dass dieser jederzeit - etwa auch mit Hilfe seines Bruders - wiederaufgenommen werden kann. Auch die BF2 gab im Übrigen an, dass der BF1 Kontakt zu seiner Familie hat (S. 26 VP).

II.2.5. Dem Fluchtvorbringen der BF, die BF2 wäre von ihrem Bruder gezwungen worden, den BF1 zu verlassen und wäre deswegen von ihm nach Afghanistan entführt worden, wäre jedoch später wieder in den Iran gegangen und bei einer Rückkehr nunmehr von ihrem Bruder bedroht, der sie zwangsverheiraten wolle, kann nicht gefolgt werden, wie bereits rechtskräftig im Erkenntnis vom 16.05.2019 festgestellt wurde. Die Angaben der BF dazu sind nicht lebensnahe, nicht plausibel und widersprüchlich sowie teilweise gesteigert und deshalb nicht annähernd glaubhaft. Dazu kann, da der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten abgelehnt hat und die Entscheidung über die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten für diesen Bereich rechtskräftig ist, auf die umfangreichen Ausführungen im Vorerkenntnis verwiesen werden. Ebenso verhält es sich auch mit der Verneinung der "westlichen" Lebensweise der weiblichen BF und der Bejahung der Möglichkeit einer Schulbildung der minderjährigen BF sowie der Verneinung einer drohenden Zwangsverheiratung der minderjährigen weiblichen BF.

II.2.6. Die BF verfügen über zahlreiche Familienangehörige in Afghanistan und im Speziellen in Kabul. Es ist davon auszugehen, dass diese ein breites soziales Netz haben. Die BF lebten zudem dort bereits mehrere Jahre, sodass auch davon auszugehen ist, dass sie selbst ebenfalls über zahlreiche soziale Kontakte verfügen, die sie bei einer Rückkehr ebenfalls unterstützen könnten. Ihre Familie verfügt über Wohnmöglichkeiten in Kabul, die den BF bei einer Rückkehr sofort als Wohnmöglichkeit zur Verfügung stehen. Der Familie geht es auch finanziell gut, so konnte sich ein Bruder der BF2 erst unlängst ein Haus in Kabul kaufen (S. 27 VP). Aufgrund des traditionell engen familiären Zusammenhalts sowie aufgrund der Tatsache, dass die angebliche Bedrohung durch die Familie nicht glaubhaft ist, ist anzunehmen, dass die Familie die BF bei einer Rückkehr nach Kabul auch finanziell unterstützen würde. Es ist auch davon auszugehen, dass die Familie - durchaus auch die sich im Ausland befindlichen Familienangehörigen - die BF auch bei einer Ansiedelung in Herat oder Mazar-e Sharif zumindest anfangs finanziell unterstützen würden, sodass es den BF möglich wäre, sofort nach Rückkehr eine Unterkunft zu mieten und den Lebensunterhalt zu bestreiten, während sich der BF1 oder auch die BF2 um einen Arbeitsplatz bemühen. Hinzu kommt, dass die BF aufgrund ihres langjährigen Aufenthalts in Kabul auch durch ihr soziales Netzwerk Unterstützung etwa bei der Arbeitssuche oder bei der Kinderbetreuung erwarten können.

Dennoch war unter Beachtung der UNHCR-Richtlinien und der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs festzustellen, dass den BF als sechsköpfiger Familie bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine reale Gefahr ihrer nach § 8 AsylG geschützten Rechte droht, weshalb diesen subsidiärer Schutz zu gewähren ist. Insbesondere ändere die Tatsache, dass Familienangehörige in Kabul leben nichts angesichts der Position des UNHCR, wonach aufgrund der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative grundsätzlich nicht verfügbar sei. Für Herat und Mazar-e Sharif als Neuansiedelungsalternative fehle es am Unterstützungsnetzwerk. Besondere, außergewöhnliche Umstände über das dargelegte familiäre Netzwerk hinaus, liegen nicht vor.

II.2.7. Dass die BF gesund sind, konnte festgestellt werden, da sie dies anlässlich der Beschwerdeverhandlung selbst angaben (S. 5 VP) und während des gesamten Verfahrens auch keine medizinischen Unterlagen vorlegten, die einen gegenteiligen Schluss zuließen. Soweit der BF1 anlässlich der Beschwerdeverhandlung erstmals behauptete, er leide an einem Bandscheibenvorfall und sei deswegen auch im Iran in Behandlung gewesen (S. 5 VP), kann aus dieser Aussage keine entscheidungsrelevante Erkrankung abgeleitet werden, zumal es sich dabei um eine Steigerung seiner bisherigen Angaben handelt, wenn der BF vor dem BFA noch auf Nachfrage explizit bestätigte, gesund zu sein und keine Medikamente zu nehmen (AS 79). Zudem konnte er auch keine Unterlagen vorlegen, die eine gesundheitliche Beeinträchtigung belegen würden. Die Arbeitsfähigkeit, die der BF1 auch selbst wiederholt betonte, konnte daher bereits aufgrund des Gesundheitszustandes festgestellt werden.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit konnte - soweit die BF bereits strafmündig sind - aufgrund den im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszügen festgestellt werden, der Bezug der Grundversorgung aufgrund der aktuellen Auszüge aus dem GVS.

II.2.8. Die Feststellungen zur Lebenssituation der BF in Österreich beruhen auf ihren vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht getätigten Aussagen sowie den vorgelegten Dokumenten, an deren Echtheit und Richtigkeit kein vernünftiger Grund zu zweifeln besteht.

II.2.9. Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die im Akt ersichtlichen Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums nicht wesentlich geändert haben. Diese zeigen auch ein im Wesentlichen übereinstimmendes Bild mit den von den BF vorgelegten Informationen zu Afghanistan, sodass ihnen zu den aktuellsten, dem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderberichten kein gesondertes Parteiengehör zu gewähren war. Überdies wurde ihrem noch offenen Antrag stattgegeben.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

II.3.1. Gemäß § 3 BFA-G, BGBl. I 87/2012 idF BGBl. I 70/2015, obliegt dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Vollziehung des BFA-VG (Z 1), die Vollziehung des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100 (Z 2), die Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100 (Z 3) und die Vollziehung des Grundversorgungsgesetzes - Bund 2005, BGBl. I Nr. 100 (Z 4).

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was im gegenständlichen Verfahren nicht der Fall ist.

II.3.2. Zu Spruchpunkt A)

Da der Verfassungsgerichtshof in Spruchpunkt I.2. die Behandlung der Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten abgelehnt hat, ist diese Frage rechtskräftig geklärt und daher nicht mehr Verfahrensgegenstand.

Verfahrensgegenständlich ist daher im Wesentlichen n

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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