TE Vwgh Beschluss 2020/4/10 Ra 2020/21/0011

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Veröffentlicht am 10.04.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs11 Z2
BFA-VG 2014 §9
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §52 Abs1 Z1
FrPolG 2005 §52 Abs9
VwGG §25a Abs1
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision der L E in W, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12. November 2019, I414 1427567-3/8E, betreffend Zurückweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 und Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die Revisionswerberin ist eine im Dezember 1986 geborene nigerianische Staatsangehörige. Sie stellte nach ihrer Einreise in Österreich am 12. Juni 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz, der - in Verbindung mit einer Ausweisung nach Nigeria - mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 21. Juni 2012, bestätigt mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 17. Dezember 2012, zur Gänze abgewiesen wurde. Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der in dieser Sache erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 6. Juni 2013, U 222/2013-8, ab.

2        Die Revisionswerberin kam ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nach, sondern stellte am 30. Jänner 2014 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, der vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 23. April 2014 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 28. Mai 2014 als unbegründet ab. Ein Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung einer Revision wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 23. Juli 2014, Ra 2014/18/0079, wegen Aussichtslosigkeit abgewiesen. Eine Revision wurde in der Folge nicht eingebracht.

3        Die in Österreich verbliebene Revisionswerberin stellte sodann am 25. November 2015 einen Antrag auf Erteilung eines „Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK“ gemäß § 55 AsylG 2005. Diesen Antrag wies das BFA mit Bescheid vom 9. Juli 2019 gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 (wegen der Nichtvorlage erforderlicher Dokumente) zurück und erließ unter einem gemäß § 52 Abs. 3 FPG eine Rückkehrentscheidung. Des Weiteren stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung der Revisionswerberin nach Nigeria fest und gewährte eine Frist für die freiwillige Ausreise von vierzehn Tagen.

4        Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 12. November 2019 als unbegründet ab, wobei die Frist für die freiwillige Ausreise mit „acht Wochen ab dem Zeitpunkt der Geburt“ ihres Kindes festgelegt wurde. Bei dieser Entscheidung ging das BVwG mit näherer Begründung davon aus, dass der Revisionswerberin und ihrem Mitte Dezember 2019 erwarteten Kind ein gemeinsames Familienleben mit dessen Vater, einem seit 2014 durchgehend in Österreich aufhältigen und über eine „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ verfügenden, mit der Revisionswerberin seit August 2019 „traditionell“ verheirateten, mit ihr allerdings nicht im gemeinsamen Haushalt lebenden, nigerianischen Staatsangehörigen, in Nigeria zumutbar sei.

5        Das BVwG sprach im angefochtenen Erkenntnis gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

7        In dieser Hinsicht wird in der Zulässigkeitsbegründung der Revision geltend gemacht, es fehle bislang Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, „ob von einem in Österreich aufenthaltsberechtigten Partner und Vater des gemeinsamen Kindes anders als bei einer asylberechtigten Person verlangt werden kann, dass er sein in Österreich erlangtes Aufenthaltsrecht aufgibt und wieder zusammen mit seiner Familie in Nigeria lebt“. Dazu wird darauf verwiesen, dass der Partner der Revisionswerberin seit 2015 in der Produktion einer Lederfabrik arbeite und ein monatliches Nettoeinkommen von € 1.300,- erziele sowie einen „gewissen Wohlstand“, eine „angemessene Wohnung“ und einen Freundeskreis erlangt habe, sodass die endgültige Aufgabe seines Aufenthaltsrechts in Österreich „naturgemäß mit vielerlei Nachteilen“ verbunden sei.

8        Die damit angesprochene entscheidungswesentliche Frage, ob von der Zumutbarkeit der Führung eines gemeinsamen Familienlebens der Beteiligten in ihrem Heimatstaat ausgegangen werden durfte und deshalb die Versagung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 bzw. die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 1 Z 1 FPG keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte nach Art. 8 EMRK bewirke, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab und lässt sich daher nicht generell beantworten. Diese Frage ist vielmehr in die nach § 9 BFA-VG vorzunehmende Abwägung der wechselseitigen Interessen einzubeziehen. Von daher ist die wiedergegebene, nur auf einzelfallbezogene Besonderheiten abstellende, von der Revisionswerberin formulierte Rechtsfrage schon von vornherein nicht geeignet, die Zulässigkeit der Revision darzutun.

9        Der Verwaltungsgerichtshof hat nämlich bereits in seinem Beschluss VwGH 25.4.2014, Ro 2014/21/0033, zum Ausdruck gebracht, dass die gemäß § 9 BFA-VG unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmende Interessenabwägung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. daran anknüpfend etwa auch VwGH 16.5.2019, Ra 2019/21/0113, Rn. 6, mwN). Gegebenenfalls liegt daher in Bezug auf die bei der Beurteilung der Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung (siehe zum diesbezüglichen inhaltlichen Gleichklang etwa VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0114, Rn. 12, mwN) im jeweiligen Einzelfall getroffene Interessenabwägung keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vor.

10       Das trifft hier zu, weil das BVwG die angesprochene Interessenabwägung nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der sowohl die Revisionswerberin als auch ihr Partner befragt wurden, in nicht unvertretbarer Weise vorgenommen hat. Gegenteiliges wird so in der Revision auch nicht geltend gemacht, sondern lediglich gerügt, das BVwG hätte „nicht ohne näheres Hinterfragen“ (an anderer Stelle: „ohne Weiteres“) ein gemeinsames Familienleben in Nigeria für zumutbar ansehen und die Verfügbarkeit einer Wohnmöglichkeit und eines Arbeitsplatzes bei einer Rückkehr nach Nigeria für gegeben ansehen dürfen.

11       Dieser Einwand wird der Begründung des BVwG nicht gerecht. So stellte es im angefochtenen Erkenntnis fest, die Revisionswerberin habe in Nigeria nach dem Schulbesuch den Beruf der Friseurin erlernt; sie sei gesund und arbeitsfähig. Die strafgerichtlich unbescholtene Revisionswerberin könne sich nicht auf Deutsch verständigen, sei in Österreich bisher keiner (erlaubten) Beschäftigung nachgegangen und beziehe in Wien Grundversorgung. Ihr Partner, der in Graz wohne und arbeite, stamme wie sie aus dem Edo State. In Nigeria lebe seine ehemalige Lebensgefährtin mit dem gemeinsamen achtjährigen Kind. Er sei seit 2014 durchgehend und rechtmäßig in Österreich aufhältig, wo er mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet gewesen sei; die kinderlos gebliebene Ehe sei im Jahr 2018 geschieden worden. Seine Mutter lebe in Nigeria und sei als Polizistin beschäftigt. Sie wisse, dass ihr Sohn mit der Revisionswerberin, die von ihm ein Kind erwarte, „traditionell“ verheiratet sei, und sie stehe mit der Revisionswerberin in regelmäßigem Kontakt. Sie freue sich über das zweite leibliche Kind ihres Sohnes und sei auch gewillt, die Revisionswerberin „in ihrer Mutterrolle“ zu unterstützen. Aus näher angeführten Aussagen des Partners der Revisionswerberin in der mündlichen Verhandlung folgerte das BVwG dann noch, der „werdende Kindesvater“ sei sich seiner Verantwortung gegenüber der Revisionswerberin und dem gemeinsamen Kind bewusst und er sei gewillt, seine Familie zu unterstützen.

12       In der weiteren Begründung (zur Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG) ging das BVwG dann noch davon aus, es bestehe kein Anhaltspunkt, dass der Revisionswerberin bei einer Rückkehr nach Nigeria die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Sie wäre durch die Ausübung von diversen Hilfstätigkeiten und Gelegenheitsarbeiten zum Verdienst des Lebensunterhalts imstande, zumal sie durch die Unterstützung des leiblichen Vaters und dessen Mutter nicht auf sich allein gestellt wäre. Gegebenenfalls könnte sie Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen und sich im Falle der Bedürftigkeit an eine in Nigeria tätige karitative Organisation wenden.

13       Diese Feststellungen werden in der Revision nicht bekämpft. Davon ausgehend war es aber nicht unvertretbar, dass das BVwG insbesondere im Hinblick auf die Herkunft aus demselben Landesteil in Nigeria und das Bestehen von familiären Anknüpfungspunkten in Form der Mutter des Partners der Revisionswerberin von der Zumutbarkeit einer gemeinsamen Rückkehr der Familienangehörigen ausging. Dass die Schaffung einer Lebensgrundlage bei einer Rückkehr nach Nigeria überhaupt nicht möglich wäre, wird in der Revision auch nicht - etwa durch Bezugnahme auf entsprechende Länderberichte - konkret dargetan. Allfällige Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz in Nigeria und der in der Revision angesprochene Verlust an „Wohlstand“, aber auch schwierigere Bedingungen für das Kind, sind jedoch im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen in Kauf zu nehmen.

14       Entscheidend ist in diesem Zusammenhang nämlich, dass das Eingehen der familiären Beziehung ungeachtet der aufenthaltsrechtlich prekären Situation der Revisionswerberin, sohin im Bewusstsein der Unsicherheit ihres Aufenthalts iSd § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG, eingegangen wurde und somit zu keiner Zeit auf die Führung eines gemeinsamen Familienlebens in Österreich hätte vertraut werden dürfen. Der Umstand aber, dass die Revisionswerberin durch ihren unrechtmäßigen Verbleib in Österreich nach rechtskräftiger Abweisung ihrer wiederholten Anträge auf internationalen Schutz und in Missachtung des in Form der gegen sie ergangenen Ausweisung erlassenen Ausreisebefehls im Ergebnis versucht, in Bezug auf ihren Aufenthalt vollendete Tatsachen zu schaffen, widerspricht dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen, dem ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. zu diesem Gesichtspunkt zuletzt etwa VwGH 23.1.2020, Ra 2020/21/0002, Rn. 6, mwN). Das führt dazu, dass dem Interesse der Revisionswerberin, ihres Partners und des gemeinsamen Kindes an einem Verbleib in Österreich - zumindest vertretbar - vom BVwG kein höheres Gewicht beigemessen wurde.

15       Bei diesem Ergebnis ist die Revisionswerberin durch die auf § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 gestützte Zurückweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 jedenfalls nicht in den im Revisionspunkt geltend gemachten Rechten verletzt (vgl. dazu VwGH 4.3.2020, Ra 2019/21/0214, Rn. 19).

16       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 10. April 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210011.L00

Im RIS seit

09.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

14.07.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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