TE Vwgh Erkenntnis 2020/4/23 Ra 2019/01/0311

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Veröffentlicht am 23.04.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §75 Abs20
VwGG §42 Abs2 Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des A I, in S, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Juli 2019, Zl. W197 1418122-1/74E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der nicht erfolgten Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wendet.

II. zu Recht erkannt:

In seinem übrigen Umfang (soweit die Beschwerde gegen die Ausweisung abgewiesen wurde) wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist afghanischer Staatsangehöriger. Mit Bescheid vom 15. Februar 2011 wies das Bundesasylamt (BAA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I. und II.) Gleichzeitig wies das BAA den Revisionswerber aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan aus (Spruchpunkt III).

2 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde an den (damaligen) Asylgerichtshof, zog die Beschwerde in der Folge jedoch hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten zurück.

3 Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 24. Mai 2013 wurde der Revisionswerber wegen des Vergehens nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer zweimonatigen bedingten Freiheitsstrafe verurteilt.

4 Mit Erkenntnis vom 26. August 2016 wies das anstelle des Asylgerichtshofes zur Entscheidung zuständig gewordene Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Abweisung seines Antrags auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und seine Ausweisung nach Afghanistan ab. Das Beschwerdeverfahren hinsichtlich der Abweisung des Antrags des Revisionswerbers auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten stellte das Bundesverwaltungsgericht wegen Zurückziehung der Beschwerde ein. 5 Mit Erkenntnis vom 22. März 2017, Ra 2016/18/0267, hob der Verwaltungsgerichtshof dieses Erkenntnis des BVwG, soweit mit diesem die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Abweisung seines Antrags auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und seine Ausweisung nach Afghanistan abgewiesen worden war, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.

6 Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof zusammengefasst aus, aus den Feststellungen des BVwG sei nicht mit der erforderlichen Klarheit zu erkennen, welche Teile des Vorbringens des Revisionswerbers der Entscheidung als glaubwürdig zugrunde gelegt worden seien. Die Argumentation des BVwG lasse allerdings vermuten, dass es die vorgebrachte Tätigkeit des Revisionswerbers für ein mit den amerikanischen Truppen kooperierendes Transportunternehmen und seine Arbeit als Dolmetscher für die Amerikaner nicht in Zweifel zu ziehen scheine. Ausgehend davon finde sich im angefochtenen Erkenntnis aber keine Auseinandersetzung mit der Frage, ob diese (ehemalige) Tätigkeit für die internationalen Streitkräfte dem Revisionswerber ein besonderes Risikoprofil verleihe, wozu auf die dazu ergangene Rechtsprechung zur Bedeutung solcher "besonderer Gefährdungsmomente" verwiesen werde.

7 Mit seinem in der Folge ergangenen Erkenntnis vom 14. August 2017 wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Abweisung seines Antrags auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten neuerlich als unbegründet ab. Das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung wies das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 75 Abs. 20 Asylgesetz 2005 an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück. 8 Das BVwG stellte zusammengefasst fest, "exzeptionelle Umstände", die einer Niederlassung des Revisionswerbers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat in Kabul entgegenstünden, seien im Verfahren nicht hervorgekommen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK sei nicht ausreichend. Die Schwelle des Art. 3 EMRK werde im vorliegenden Fall keineswegs erreicht.

9 Mit Erkenntnis vom 1. März 2018, Ra 2017/19/0425, hob der Verwaltungsgerichtshof auch dieses Erkenntnis des BVwG - diesmal wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit - auf.

10 Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof zusammengefasst aus, das BVwG habe die Bindungswirkung des Vorerkenntnisses Ra 2016/18/0267 missachtet und hiedurch gegen § 63 Abs. 1 VwGG verstoßen. Dem angefochtenen Erkenntnis des BVwG lasse sich erneut nicht mit ausreichender Deutlichkeit entnehmen, ob das BVwG das Vorbringen des Revisionswerbers, er habe für ein mit den amerikanischen Truppen kooperierendes Transportunternehmen gearbeitet und sei auch einer Tätigkeit als Dolmetscher für die Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika nachgegangen, als glaubwürdig erachte. Dem folgend habe das BVwG sich auch erneut nicht ausreichend damit auseinander gesetzt, ob die vom Revisionswerber behauptete Tätigkeit für die amerikanischen Streitkräfte geeignet wäre, ihm ein besonderes Risikoprofil zu verleihen.

11 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 11. Juli 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - die Beschwerde des Revisionswerbers (erneut) als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig.

12 Dagegen richtet sich die gegenständliche außerordentliche Revision.

13 In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren erstattete die belangte Behörde (das BFA) keine Revisionsbeantwortung.

Zu I.:

14 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

15 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

16 Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

17 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vor, das BVwG sei hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere zur Herstellung des der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustandes gemäß § 63 Abs. 1 VwGG, abgewichen. Das angefochtene Erkenntnis des BVwG enthalte erneut keine Feststellungen, die mit der erforderlichen Klarheit erkennen ließen, welche Teile des Vorbringens des Revisionswerbers das BVwG seiner Entscheidung als glaubwürdig zu Grunde gelegt habe und für welche Teile dies nicht gelte.

18 Dem ist zu entgegnen, dass das BVwG - nach neuerlicher Durchführung einer mündlichen Verhandlung - festgestellt hat (wenn auch disloziert unter dem Punkt "Beweiswürdigung"), dass der Revisionswerber für das in Rede stehende amerikanische Transportunternehmen ("Speditionsunternehmen") tätig gewesen sei, im Übrigen aber die vom Revisionswerber vorgebrachte Bedrohung durch die Taliban als unglaubwürdig erachtet hat. Davon ausgehend begegnet die einzelfallbezogene Einschätzung des BVwG, der Revisionswerber sei in seiner Heimat (Kabul) keinem exzeptionellen Sicherheitsrisiko im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt, keinen Bedenken.

19 Die Revision wirft insofern (auch unter dem Blickwinkel des § 63 Abs. 1 VwGG) keine Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung auf.

Zu II.:

20 Die Revision bringt in den Zulässigkeitsausführungen vor, hinsichtlich der ebenfalls in Beschwerde gezogenen Ausweisung hätte das BVwG gemäß § 75 Abs. 19 und 20 AsylG 2005 die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklären oder das Verfahren an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung zurückverweisen müssen. Das angefochtene Erkenntnis enthalte überdies keine Begründung, weshalb die Beschwerde des Revisionswerbers betreffend die Ausweisung abgewiesen worden sei. Das BVwG sei dadurch von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

21 Die Revision ist in diesem Punkt zulässig und berechtigt. 22 Das BAA hat mit Bescheid vom 15. Februar 2011 den Revisionswerber in seinen Herkunftsstaat Afghanistan ausgewiesen. 23 Die vom BVwG mit Erkenntnis vom 14. August 2017 gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 ausgesprochene Zurückverweisung des Verfahrens zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das BFA wurde mit dem erwähnten hg. Vorerkenntnis Ra 2017/19/0425 aufgehoben.

24 "Sache" des Beschwerdeverfahrens (im gegenständlich dritten Rechtsgang) war daher - neben der Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten - die (neuerliche) Überprüfung der mit Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides vorgenommenen Ausweisung (und zwar nach Maßgabe des § 75 Abs. 20 AsylG 2005; vgl. etwa VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0025).

25 Indem das BVwG die Beschwerde gegen den Bescheid des BAA (zur Gänze) abgewiesen hat, hat es auch die Ausweisung bestätigt, dh. eine - mit dem erstinstanzlichen Bescheid inhaltlich übereinstimmende - Ausweisungsentscheidung getroffen. 26 Im Lichte des hier anzuwendenden § 75 Abs. 20 AsylG 2005 erweist sich diese Vorgangsweise als rechtswidrig: nach dieser Bestimmung steht dem BVwG nämlich nur die Möglichkeit offen, die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären oder das Verfahren an das BFA zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung zurückzuverweisen.

27 Indem das BVwG dies verkannt hat, hat es das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet, weshalb es im erwähnten Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war. 28 Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 23. April 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019010311.L00

Im RIS seit

16.06.2020

Zuletzt aktualisiert am

16.06.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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