TE Vwgh Beschluss 2020/5/6 Ra 2020/02/0071

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Veröffentlicht am 06.05.2020
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren
90/01 Straßenverkehrsordnung

Norm

AVG §37
AVG §39 Abs2
AVG §45 Abs2
StVO 1960 §20 Abs2
StVO 1960 §99
VStG §19 Abs2
VStG §24
VStG §25
VwGVG 2014 §38

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie den Hofrat Mag. Straßegger und die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des H in W, vertreten durch Dr. Dominik Schärmer, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Ungargasse 15/5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichte s Niederösterreich vom 21. Februar 2020, Zl. LVwG-S-2167/001-2019, betreffend Übertretungen der StVO und des KFG (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf vom 26. August 2019 wurde der Revisionswerber schuldig befunden, er habe 1.) am 6. Mai 2019 um 9:48 Uhr an einem näher bezeichneten Ort die auf Grund des angebrachten Vorschriftzeichens "Geschwindigkeitsbeschränkung" erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h überschritten, indem er 71 km/h gefahren sei und 2.) als Zulassungsbesitzer der Behörde über deren schriftliche Anfrage vom 7. Juni 2019 nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung am 12. Juni 2019 darüber Auskunft erteilt, wer dieses Kraftfahrzeug am 6. Mai 2019 um 9:48 Uhr am angegebenen Ort gelenkt habe, und auch keine andere Person benannt, die die Auskunft hätte erteilen können. Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach den §§ 52 lit. a Z 10a und 99 Abs. 2e StVO und den §§ 103 Abs. 2 und 134 Abs. 1 KFG begangen, weshalb über ihn gemäß § 99 Abs. 2e StVO eine Geldstrafe von EUR 250,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 95 Stunden) und gemäß § 134 Abs. 1 KFG eine Geldstrafe von EUR 250,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 50 Stunden) verhängt wurden. 2 Das Verwaltungsgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

3 Es stellte u.a. fest, der Revisionswerber habe das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt gelenkt und auf die behördliche Anfrage zur Lenkererhebung keine Antwort erteilt.

4 Beweiswürdigend erachtete das Verwaltungsgericht die Bestreitung des Revisionswerbers, Lenker des Fahrzeugs gewesen zu sein, als Schutzbehauptung, weil es der allgemeinen Lebenserfahrung widerstreite, dass der Zulassungsbesitzer einer ihm nicht bekannten Person sein sehr teures Kraftfahrzeug für eine Probefahrt überlasse, ohne sich vorher von der Identität und Lenkberechtigung dieser Person überzeugt zu haben. Auch die Angaben des vom Revisionswerber namhaft gemachten Zeugen erachtete als nicht geeignet, zu bestätigen, dass ein Kaufinteressent zur Tatzeit am Tatort das gegenständliche Kraftfahrzeug gelenkt habe, weil der Zeuge zu Fragen nach dem Tag, an dem die besagte Probefahrt stattgefunden habe, unterschiedliche und unsichere Angaben gemacht habe.

5 In rechtlicher Hinsicht erachtete das Verwaltungsgericht die objektiven und subjektiven Tatbestände der dem Revisionswerber zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen in Anbetracht des festgestellten Sachverhalts als erfüllt. Die Strafbemessung wurde u. a. damit begründet, dass die Unbescholtenheit des Revisionswerbers mildernd wirke und die konkret verhängten Strafen selbst unter Zugrundelegung der von ihm ins Treffen geführten Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse (monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von EUR 2.000,-- brutto, kein Vermögen, keine Schulden, keine Sorgepflichten) tat- und schuldangemessen seien. Die seitens der belangten Behörde verhängten Strafen lägen ohnedies im untersten Bereich des zur Verfügung stehenden Strafrahmens. Eine Herabsetzung komme nicht in Betracht. Weites sei zu berücksichtigen gewesen, dass zu schnell fahrende Kraftfahrzeuglenker immer wieder Ursache für schwere Verkehrsunfälle darstellten.

6 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 10 Liegen - wie im vorliegenden Fall - in der angefochtenen Entscheidung trennbare Absprüche vor, so ist die Zulässigkeit einer dagegen erhobenen Revision auch getrennt zu prüfen (vgl. dazu etwa VwGH 4.3.2020, Ra 2020/02/0039, mwN).

11 Die Revision erweist sich zur Gänze als unzulässig:

12 Mit seinen Ausführungen in der Zulässigkeitsbegründung

wendet sich der Revisionswerber zunächst im Wesentlichen gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes, das trotz Bestreitung von seiner Täterschaft ausgegangen sei.

13 Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedeutet nicht, dass der in der Begründung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung niederzulegende Denkvorgang der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht unterliegt. § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Hingegen ist der zur Rechtskontrolle berufene Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, das heißt sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse oder ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 24.9.2014, Ra 2014/03/0012). 14 Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (VwGH 21.3.2018, Ra 2018/02/0063, mwN). 15 Solche Umstände hat der Revisionswerber in der Zulässigkeitsbegründung nicht aufgezeigt. Das Verwaltungsgericht ist vielmehr unter Würdigung der Aussagen des Revisionswerbers sowie des Zeugen und der Tatsache, dass kein Beweisergebnis vorliegt, nach dem zur Tatzeit jemand anderer als der Revisionswerber das Fahrzeug gelenkt habe, in schlüssiger Weise zu dem vorliegenden Ergebnis gelangt. Der Revisionswerber hat auch im Verfahren lediglich darauf verwiesen, dass das auf ihn zugelassene Fahrzeug zum Zeitpunkt der Geschwindigkeitsmessung von einem ihm unbekannten Kaufinteressenten gelenkt worden sei, ohne dessen Identität und deren Lenkberechtigung überprüft zu haben. Vom Zulassungsbesitzer, der das Fahrzeug nicht selbst gelenkt hat, kann aber erwartet werden, dass er konkret darlegen kann, dass er als Lenker ausscheidet (vgl. VwGH 27.5.2011, 2010/02/0129, mwN). An der vom Revisionswerber dargestellten Überlassung des hochpreisigen Fahrzeuges an ihm nicht bekannte Personen hegte das Verwaltungsgericht erhebliche Zweifel. Die Annahme der Lenkereigenschaft des Revisionswerbers durch das Verwaltungsgericht erscheint somit vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich das Verwaltungsgericht auf Grund der Vernehmungen in einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von den Vernommenen verschaffen konnte und auf dieser Basis die Beweise frei gewürdigt hat, vertretbar (vgl. auch VwGH 6.2.2019, Ra 2018/02/0313, mwN).

16 Soweit die Revision dem Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Ausmaß der "Mitwirkungspflicht der Partei bei der Darlegung der Interessen an der Nichtbestrafung auf Grund der Nichterfüllung des Tatbestandes" und eine damit verbundene "Umkehr der Beweislast" unterstellt, betreffen die dazu erstatteten Ausführungen die schon oben erörterte Beweiswürdigung. Inwiefern dabei das Parteiengehör und der Grundsatz der materiellen Wahrheitsfindung verletzt worden wären, wird nicht näher konkretisiert.

17 Weiters releviert die Revision zu ihrer Zulässigkeit ein Abweichen des Verwaltungsgerichtes von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Doppelverwertungsverbot im Rahmen der Strafbemessung.

18 Nach der vom Revisionswerber zitierten Judikatur dürfen Umstände, die für den Tatbestand oder den Strafsatz relevant sind, nicht noch zusätzlich als Strafzumessungsgründe berücksichtigt werden (Hinweis auf VwGH 23.1.2019, Ra 2018/02/0284). Der Gesetzgeber hat die mit einer erhöhten Geschwindigkeitsüberschreitu ng einhergehenden Umstände bereits durch die Gliederung der Absätze in § 99 StVO mit ihren unterschiedlichen Strafrahmen entsprechend gewichtet (zusätzlicher Hinweis auf VwGH 6.7. 2015, Ra 2015/02/0042; VwGH 25.9.2017, Ra 2017/02/0149).

19 Nun trifft es zwar zu, dass im gegenständlichen Fall das Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung bereits für den anzuwendenden Strafsatz relevant war, jedoch stellte das Verwaltungsgericht im Rahmen der Strafbemessung nicht auf die Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung ab, sondern generell auf die Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit durch jegliche zu schnell fahrende Kraftfahrzeuglenker, was auf jeden der in Rede stehenden Strafsätze zutrifft. Dem Verwaltungsgericht ist daher ein Abweichen von der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Doppelverwertungsverbot bei der Strafbemessung nicht anzulasten.

20 Zuletzt macht die Revision noch zu ihrer Zulässigkeit geltend, das Verwaltungsgericht habe gegen die Unschuldsvermutung gemäß § 25 Abs. 2 VStG verstoßen, weil es die der Entlastung des Revisionswerbers dienlichen Umstände nicht gewürdigt habe. So habe der von ihm namhaft gemachte Zeuge die Kaufinteressenten mit dem Fahrzeug des Revisionswerbers wegfahren gesehen sowie die Verkaufsabsicht des Revisionswerbers bestätigt und die von ihm vorgelegten Urkunden seien überhaupt nicht gewürdigt worden. 21 Dem steht entgegen, dass sich das Verwaltungsgericht beweiswürdigend mit der Aussage des Zeugen auseinandersetzte, jedoch nachvollziehbar Zweifel an der Zuordnung seiner Beobachtung mit dem Tag der hier angelasteten Geschwindigkeitsübertretung hegte. Die Urkunden über die Verkaufsabsicht und die tatsächliche Veräußerung des Fahrzeuges wurden vom Verwaltungsgericht ohnedies berücksichtigt, indem es die daraus ersichtlichen Preise als Argument dafür heranzog, dass es dem Revisionswerber nicht glaubte, ein derart teures Fahrzeug unbekannten Kaufinteressenten ohne jegliche Sicherheit überlassen zu haben.

22 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

23 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden. Den Erfordernissen des Art. 6 Abs. 1 EMRK und des Art. 47 GRC wurde durch Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Genüge getan. Wien, am 6. Mai 2020

Schlagworte

Begründungspflicht Manuduktionspflicht MitwirkungspflichtSachverhalt Sachverhaltsfeststellung MitwirkungspflichtÜberschreiten der Geschwindigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020020071.L00

Im RIS seit

30.06.2020

Zuletzt aktualisiert am

30.06.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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